Liechtensteiner VOLKSBLATT
AUSLAND
Freitag, 13. Oktober 2000 29
Kriegsähnliche Zustände in Nahost
Nach Lynchmord an Israelis: Raketenangriffe auf Gaza und Ramallah
RAMALLAH: Der Nahost-
Konflikt hat gestern
kriegsähnliche Ausmasse
angenommen. Nach ei
nem Lynchmord an drei
israelischen Soldaten übte
Israel Vergeltung. Die
USA, Frankreich, Gross
britannien und Ägypten
riefen zur Mässigung auf.
Mit massiven Raketenangriffen
auf die Palästinenser-Städte
Ramallah und Gaza reagierte
Israel auf den Mord an drei
Soldaten. In Gaza wurden zehn
Gebäude, darunter eine Polizei
station und eine Hafenanlage,
angegriffen und teilweise zer
stört. Mindestens vier Palästi
nenser wurden getötet.
Bei den Raketeneinschlägen
in Ramallah nördlich von Jeru
salem erlitten ersten Angaben
zufolge zwölf Zivilisten und
vier Polizisten Verletzungen.
Augenzeugen berichteten von
sieben Raketeneinschlägen.
Auslöser Lynchmord
Auslöser für die Militärope
ration war der Lynchmord an
drei israelischen Soldaten in
Ramallah. Nach israelischen
Angaben waren am Morgen
vier Reservisten der israeli
schen Armee in einem Zivil
fahrzeug versehentlich in die
Stadt nördlich von Jerusalem
geraten. Die palästinensische
Seite bezeichnete sie als Son
derkommando in Zivil.
Die vier Männer wurden von
der palästinensischen Polizei
festgenommen. Dutzende Män
ner erstürmten jedoch die Poli
zeistation und töteten drei der
gefangenen Israelis.
Barak rechtfertigt
Reaktion
Israels Ministerpräsident
Ehud Barak sprach von einem
«schwerwiegenden Zwischen-
Israelische Raketenangriffe auf die Poiizeistatiori in Ramallah: Nach einem Lynchmord an drei Sol
daten herrschen zwischen Israel und den Palästinensern kriegsähnliche Zustande. (Bild: Keystone)
israelischen Luftangriffen am
Donnerstagabend kein Zeichen
der Entspannung gegeben. Bei
der Besichtigung der von Rake
ten getroffenen Stellen in Ra
mallah, eine davon nur 50 Me
ter vom Sitz seiner Autonomie
behörde entfernt, machte er vor
einer jubelnden Menge das Sie
geszeichen und erklärte: «Unse
rem Volk macht das nichts aus,
und es zögert nicht, seinen
Marsch auf Jerusalem fortzu
setzen».
In Ramallah waren zuvor
zwei israelische Soldaten ge
lyncht und ein weiterer verletzt
worden, die in der Stadt mit
ihrem Auto eine falsche Ab
fahrt genommen hatten und in
palästinensisch kontrolliertes
Gebiet geraten waren. Der isra
elische Ministerpräsident Ehud
Barak sprach von einem «kalt
blütigen Lynchen». Die ameri
kanische Aussenministerin Ma
deleine Albright rief beide Sei
ten zu einem Waffenstillstand
auf. Der israelische Aussenmi-
nister Schlomo Ben Ami mach
te Arafat persönlich für die Es
kalation der Gewalt verant
wortlich. Arafat gefährde die
gesamte Region.
fall». Israel wisse nun, «was es
zu tun hat», sagte Barak nach
Radioangaben vor Beginn der
Luftangriffe.
Die palästinensische Autono
miebehörde nannte den Vorfall
in einer Stellungnahme «be
dauernswert», warf Israel je
doch vor, für die Eskalation der
jüngsten Spannungen verant
wortlich zu sein.
Inzwischen forderten die
USA, Ägypten, Grossbritannien
und Frankreich die Konflikt
parteien zu Mässigung auf. US-
Aussenministerin Madeleine
Albright rief Israel und die
Palästinenser dazu auf, die
Kämpfe umgehend einzustel
len.
Auch Frankreich beklagte
den Gewaltausbruch in der Re
gion. London appellierte an die
Konfliktparteien, eine weitere
Eskalation zu verhindern. Die
Schweiz rief die israelische Re
gierung zum Verzicht auf un
verhältnismässigen Einsatz von
Gewalt auf.
Ägypten warnte Israel vor ei
ner militärischen Lösung im j
gegenwärtigen Konflikt mit
den Palästinensern. Gewalt und
Gegengewalt könnten nur zu
einer Eskalation der Spannun
gen in der gesamten Nahost-
Region führen, sagte Aussen-
minister Amre Mussa.
«Marsch auf Jerusalem»
Der palästinensische Präsi
dent Jassir Arafat hat nach den
Die Autonomiestadt Ramallah
|Ranii(l£h: Ramällahllegt etwa mallaiBN
Die J^adt gehört zuderstfge^ reh leben üadt .Aögaböi ? dt
jnanriten A-Zone des 'West- v>> palästinensischor,StaÖstlkabb|
fjordanlandes, die unter voll- teilung mittlerweile mehr > al*J
*stiftdfger Kontfolie der'Paläs- '200 000 MenschenrRamallatfj
I tipenser, steht. Aus tRaraallqh^ lst' Sitz des palästinensischen^
[zogen sich die* israelischen - Parlaments,^ das^gelegentUd|
^Truppen wie ai$ den .änderenauch In, Gaza^j^isarai£^|
rGrl>ssstädten in! Westjordan- >s kommt. Auch ' zahlreich^
1 Im' 'Dezember^ 1995 ^Behörden'und,Ministerien de 1 * 1
' zufiele," nachdem sie,.1994 zu-" ' AutonomieyWwaltjPÖpg.Sfjjidsli
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^Stfäfens und die Stadttlcridto iftallah,fet häufig^&hkttpjj
iivtriassen hatten. Mit Beginn % von VeHtandlungawd«ibia?J!
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George W. Bush machte Terrain gut
TV-Duell im US-Wahlkampf: Bush stellte aussenpolitische Befähigung unter Beweis
WINSTON-SALEM: Beim zwei
ten Fernsehduell mit US-Vize
präsident AI Gore hat der te-
xanische Gouverneur George
W. Bush die Zweifel an seiner
aussenpolitischen Kompetenz
nach Ansicht von US-Kom
mentatoren weitgehend aus
geräumt. Nach Umfragen
von Fernsehstationen gewann
Bush klar.
Der republikanische Präsident
schaftskandidat überstand am
Mittwochabend in Winston-Sa-
lem die mehr als 45 Minuten
Diskussion über den Nahen
Osten, Jugoslawien und Afrika
ohne nennenswerten Aussetzer.
Erstmals sassen die beiden Kan
didaten an einem Tisch.
Bei der anfangs äusserst höf
lich geführten Debatte wurden
die unterschiedlichen aussen
politischen Ansätze der beiden
US-Präsidentschaftskandidaten
deutlich. Bush plädierte für
mehr internationale Zurückhal
tung. Die US-Armee sei nicht
dazu da, Friedenstruppen zu
stellen, sondern Kriege zu ge
winnen.
Die Europäer müssten so bald
wie möglich selbst für Stabilität
auf dem Balkan sorgen. Er wol
le die multinationale Koalition
gegen den irakischen Präsiden
ten Saddam Hussein wieder
herstellen.
Fernsehduell der US-Präsidentschaftskandidaten AI Gore (rechts) und George W.Bush (links). Die bei
den wurden während der 45 Minuten dauernden Sendung von Jim Lehrer befragt. (Bild: Keystone)
Gore entwickelte eine weiter
gehende Vision von der inter
nationalen Rolle der Vereinig
ten Staaten. Im Zeitalter der
Globalisierung müssten sich die
USA ihrer Führungsrolle stel
len, ähnlich wie sie es nach
dem Zweiten Weltkrieg getan
hätten. Er betonte die Vorbild-'
funktion der USA und ihre Mis
sion als weltweite Ordnungs
macht. Im Nahost-Konflikt
stellten sich beide Kandidaten
hinter Israel.
Der Vizepräsident warf Bush
vor, als Gouverneur die Ge
sundheitspolitik zugunsten von
Steuersenkungen für die Rei
chen vernachlässigt zu haben.
Bei der Krankenversorgung von
Familien bilde Texas landesweit
das Schlusslicht. Houston sei
die Stadt mit der höchsten Luft
verschmutzung in den USA. Der
Demokrat bekannte sich zum
Kampf gegen das Ozonloch und
-der Förderung sauberer Techno
logien. Im Gegensatz zu Bush
will er den Verkauf von Schuss
waffen schärfer kontrollieren.
NACHRICHTEN
Anschlag auf
US-Zerstörer
SANAA: Bei einem Terror
anschlag auf ein Kriegs
schiff der Fünften US-Flotte
im Nahen Osten sind ges
tern mindestens vier Matro
sen getötet und 30 verletzt
worden. Nach ersten Ermitt
lungen der US-Marine
transportierte ein Selbst
mordkommando in einem
Schlauchboot eine Bombe
zu dem gerade erst im Ha
fen von Aden eingelaufenen
Zerstörer «Cole». Die Explo
sion riss ein sechs mal
zwölf Meter grosses Leck in
den Rumpf des Schiffs.
Aden ist der grösste Hafen
von Jemen, wo es in den
vergangen Tagen wiederholt
zu antiamerikanischen und
antiisraelischen Demonstra
tionen gekommen war.
Öl- und Flugem-
bargo aufgehoben
WASHINGTON: US-Präsi-
dent Bill Clinton hat am
Donnerstag das gegen Ser
bien verhängte Öl- und Flug-
; embargo der USA mit sofor-
' tiger Wirkung aufgehoben.
In einer in Washington ver
breiteten Erklärung Clintons
hiess es, die USA hänen ein
; «starkes Interesse» daran,
, die neu gewählte Führung
; in Jugoslawien zu unter
stützen. Die USA wollten
zudem die Beschränkungen
überprüfen, die für Serbien
in internationalen Kredit
programmen gelten. Serbien
j bildet zusammen mit dem
; kleineren Montenegro
die Bundesrepublik Jugosla
wien. Der bisherige jugosla-
i wische Präsident Slobodan
! Milosevic war Ende vergan-
i gener Woche durch einen
Volksaufstand gestürzt und
! von Vojislav Kostunica ab
gelöst worden.
Sieben Tote bei
Bombenanschlag
; MOSKAU: Bei der Explosion
: einer Autobombe vor einer
' russischen Polizeiwache in
i der tschetschenischen
Hauptstadt Grosny sind
nach offiziellen Angaben
j mindestens sieben Men-
. sehen getötet und 21 ver-
; letzt worden. Der Spreng-
] satz sei vermutlich mit ei-
; nem ferngesteuerten Zünder
i ausgestattet gewesen, teilte
ein Mitarbeiter des Kreml
: mit. Russische Nachrichten-
: agenturen gaben die Zahl
' der Todesopfer mit mindes-
; tens 15 an. Die Bombe ex-
! plodierte in einem Fahrzeug,
das vor dem Gebäude ge
parkt war. Nach Angaben
eines Sprechers im Militär
hauptquartier in Mosdok
detonierte der Sprengsatz in
dem Moment, als ein Wagen
mit Staatsanwälten vorfuhr.
Diese kamen bei dem An-
' schlag ebenso ums Leben
> wie mehrere Polizisten.
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