Liechtensteiner VOLKSBLATT
AUSLAND
Freitag, 6. Oktober 2000 29
NACHRICHTEN
USA schliessen
Botschaften im
Nahen Osten
WASHINGTON: Die USA
haben als Vorsichtsmass-
nahme die vorübergehende
Schliessung ihrer Botschaf
ten und Konsulate im Na
hen Osten verfügt. Die An
ordnung gilt vorerst bis zum
9. Oktober, wie das'Aussen-
ministerium in Washington
mitteilte. Es handle sich um
eine Schutzmassnahme ge
gen anti-amerikanische De
monstrationen oder Terror
attacken im Gefolge des
Gewaltausbruchs zwischen
Israelis und Palästinensern.
Vor demselben Hintergrund
rief das Ministerium auch
US-Amerikaner in aller
Welt auf, besonders wach
sam zu sein.
Belgrad: Machtzentren gestürmt
Feuer in Parlamentsgebäude und Fernsehzentrale - Kostunica ruft zu friedlichem Machtwechsel auf
BELGRAD: Der Macht
kampf zwischen der
jugoslawischen Oppositi
on und Staatschef Slobo
dan Milosevic hat sich
dramatisch zugespitzt.
Hunderttausende Anhän
ger des Oppositionskandi
daten Vojislav Kostunica
überschwemmten die Bel
grader Innenstadt und
forderten die Anerken
nung seines Wahlsiegs
und den Rücktritt Milose
vics.
Sie stürmten und besetzten das
Parlamentsgebäude und die
Zentrale des Staatsfernsehens,
wobei in beiden Gebäuden Feu
er ausbrachen. Augenzeugen
berichteten von Dutzenden
Verletzten und möglicherweise
einem Toten. Viele Polizisten
(lohen oder verbrüderten sich
mit den Demonstranten. Die
Situation drohte ausser Kon
trolle zu geraten.
Vor Zehntausenden jubeln
den Anhängern rief Kostunica
am Abend Militär und Polizei
zu einem friedlichen Macht
wechsel in Belgrad auf. Jugos
lawien sei jetzt wieder ein Teil
von Europa und auf dem Weg
zu einer Demokratie, in der ftir
Milosevic kein Platz sei, sagte
Kostunica: «Es gibt niemanden
mehr, der noch zu ihm (Milose
vic) hält. Heute schreiben wir
Geschichte.» Er rief den Westen
zur Aufhebung der Wirt
schaftssanktionen gegen Bel
grad auf. Rufern aus der Men
ge, die eine Verhaftung Milose
vics verlangten, antwortete Ko
stunica: «Er (Milosevic) braucht
nicht verhaftet zu werden. Er
hat sich selbst schon vor langer
Zeit verhaftet.»
Nach einem Bericht des
Rundfunksenders B-92 wollte
Kostunica das Parlament noch
für die Nacht zu seiner konsti
tuierenden Sitzung einberufen.
Zunächst gab es jedoch keine
Anzeichen für ein Zusammen
kommen der Abgeordneten
Aufenthaltsort Milosevics
unbekannt
Milosevics Aufenthaltsort
blieb auch am Abend unbe
kannt. In der Nähe seiner Resi
denz im Viertel Dedinje war
Die Opposition in Jugoslawien lief zum grossen Machtkampf auf: Das Parlament wurde gestürmt,
Feuer gab es auch in der Fernsehzentrale. (Bilder: Keystone)
Das Parlament wurde gestürmt. Dem/eilen ist der Aufenthaltsort
von Machthaber Milosevic weiterhin unbekannt.
keine sichtbare Präsenz von Si
cherheitskräften festzustellen.
Es gab auch keine Anzeichen
dafür, dass sich Milosevic oder
Mitglieder seiner Familie dort
aufhielten. In Washington er
klärte Pentagonsprecher Ken-
neth Bacon, nach Informatio
nen der. US-Regierung halte
sich Milosevic noch in Belgrad
auf.
Reaktionen Milosevics auf
die Erstürmung des Parlaments
durch seine Gegner lagen nicht
vor. Seine Sozialistische Partei
drohte der Opposition aller
dings mit Gegenwehr. Die Ein
heiten der Armee blieberi 1 bis
zum späten Abend in ihren Ka
sernen. Es war unklar, ob das
Militär weiter auf Seiten des
Staatschefs steht.
Hunderte von Demonstranten
hatten kurz nach Ablauf eines
Ultimatums an Milosevic um
15 Uhr das Parlamentsgebäude
gestürmt und besetzt. Möbel
und Porträts von Milosevic und
anderen Politikern wurden aus
den Fenstern oder vom Balkon
geworfen. Aus dem Gebäude
drang schwarzer Rauch. Die
Polizei, die zuerst versuchte,
die Demonstranten mit Tränen
gas und Blendgranaten abzu
wehren, war machtlos. Tausen
de von Demonstranten zogen
anschliessend vor die Zentrale
des Staatsfernsehens und be
setzte auch dieses Gebäude. Ei
ne von Demonstranten gelenk
te Planierraupe riss das Portal
nieder und überrollte dabei
nach Angaben von Zeugen ei
nen Demonstranten. Auch aus
diesem Gebäude schlugen nach
kurzer Zeit Flammen.
Die Welle der Gewalt griff
auch auf mehrere Polizeiwa-
Polizei schrei
tet nicht ein
BELGRAD: Vertreter, der Op^
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der Belgrader Polizei; Branko,
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Waffenruhe in Autonomiegebiet
Trotzdem zwei Tote im Gazastreifen
Schreiber-Prozess
Prozess gegen Schreiber im Frühjahr
JERUSALEM: Kurz nach den
gescheiterten Verhandlungen
in Paris ist am Donnerstag in
den Palästinensergebieten ei
ne Waffenruhe grösstenteils
umgesetzt worden. In Scharm
el Scheich wurden die
Bemühungen, eine weitere Es
kalation zu verhindern, fort
gesetzt.
Sowohl im Gazastreifen als
auch im Westjordanland blieb
es nach Schilderungen von Au
genzeugen weitgehend ruhig.
Beide Seiten zeigten sich nach
den Unruhen der vergangenen
Tage sichtlich bemüht, die zwi
schen Palästinenserpräsident
Jassir Arafat und dem israeli
schen Ministerpräsidenten
Ehud Barak unter Vermittlung
von US-Aussenministerin Ma
deleine Albright getroffenen
mündlichen Vereinbarungen
umzusetzen.
Schon am Morgen zogen die
Israelis Panzer und andere
schwere Waffen aus den Kon
fliktzonen zurück. Sie sagten
auch zu, die Präsenz der Armee
an den Unruheherden zu ver
ringern und weder Kampfheli
kopter noch Panzerabwehrra
keten gegen Demonstranten
einzusetzen.
Am späten Nachmittag kam
es an der Kreuzung bei Nezarim
im Norden des Gazastreifens
allerdings zu einem schweren
Zwischenfall. Israelische Solda
ten erschossen zwei Palästinen
ser, die versucht hatten, auf das
Dach des Armee-Stützpunktes
zu steigen. Während des Tages
hatte die palästinensische Poli
zei in Nezarim für Ordnung ge
sorgt und jugendliche Demons
tranten «eingesammelt», die
dort Steine auf die Israelis ge
worfen hatten.
Barak nicht in Scharm el
Scheich
Arafat hatte sich am frühen
Donnerstagmorgen nach stun
denlangen Vermittlungsversu
chen durch US-Aussenministe
rin Madeleine Albright und
Frankreichs Präsident Jacques
Chirac in Paris geweigert, ein
Dokument über die getroffenen
Vereinbarungen zu unter
schreiben. Als Grund nannte er
die Weigerung von Barak, einer
internationalen Untersuchung
über den Hintergrund der Un
ruhen zuzustimmen.
Barak kehrte daraufhin nach
Israel zurück, während Arafat
und Albright nach Scharm el
Scheich auf dem Sinai flogen,
wo sie mit Ägyptens Präsiden
ten Husni Mubarak zusammen
trafen.
Mubarak verlangte nach
den ersten Gesprächen einen
«dringenden» arabischen Gip
fel «noch vor Ende Oktober»,
wie der ägyptische Informati
onsminister Safuat el-Scherif
mitteilte. US- Aussenministe-
rin Albright sagte in dem
ägyptischen Badeort, Arafat
und Barak seien gewillt, die
Ruhe wieder herzustellen.
«Jetzt ist es aber wichtig zu
sehen, was in den Gebieten
konkret geschieht», fügte Al
bright hinzu.
AUGSBURG: Im Spenden
skandal der deutschen Christ
demokraten beginnt im April
2001 der Prozess gegen den
Waffen- Lobbyisten Karlheinz
Schreiber und zwei Ex-Thys-
sen-Manager. Es geht um an
gebliche Schmiergeld-Zahlun-
gen bei einem Panzer-Export
projekt.
Das Verfahren findet vor dem
Landgericht Augsburg statt.
Der Vorsitzende Richter Maxi
milian Hofmeister sagte am
Donnerstag, die Hauptver
handlung werde ein bis zwei
Wochen nach Ostern begin
nen.
Das Verfahren werde voraus
sichtlich mindestens ein halbes
Jahr dauern. Die Dauer hänge
stark davon ab, ob Schreiber
von seinem derzeitigen Aufent
haltsland Kanada ausgeliefert
werde. Der Lobbyist wehrt sich
gegen seine Überstellung an
Deutschland.
Neben Schreiber müssen sich
die ehemaligen Thyssen-Mana-
chen über, von denen mindes
tens zwei besetzt wurden.
Einige Polizisten zogen ihre
Uniformen aus und flüchteten
in Panik, während andere die
Demonstranten umarmten und
sich ihnen anschlössen. Bereits
am Vormittag hatten die De
monstranten zum ersten Mal
versucht, das Parlament zu er
stürmen, wurden aber von den
Polizisten zurückgedrängt.
«Volksrevolution»
Das regimetreue Staatsfern
sehen berichtete, auf den Stras
sen herrsche «der Terror». Spä
ter stellten sämtliche staatli
chen Sender in Belgrad das
Programm ein. Noch am späten
Abend zogen Tausende von De
monstranten durch die Belgra
der Innenstadt. Vielerorts wur
den die Fensterscheiben von
Geschäften zertrümmert. Das
Büro der neokommunistischen
Partei Jugoslawische Linke
(JUL) von Milosevics Ehefrau
Miijana Markovic lag in Trüm
mern. An der Wand war ein
Graffiti gesprüht: «Volksrevo
lution».
Am Abend ging auch die
amtliche jugoslawische Nach
richtenagentur Tanjug auf Dis
tanz zu Milosevic.
ger Winfried Haastert und Jür
gen Massmann in Augsburg
verantworten. Hintergrund
sind angebliche Schmiergeld-
Zahlungen bei der Lieferung
von 36 Panzern aus Bundes-
wehr-Beständen 1992 an Sau
di-Arabien.
Der ehemalige CDU-Schatz
meister Walther Leisler Kiep
wird hingegen nicht mit auf der
Anklagebank sitzen. Hofmeis
ter sagte, da die Vorwürfe der
Steuer-Hinterziehung gegen
Kiep nichts mit der Rüstungs-
Lieferung zu tun hätten, sei
eine Verfahrens-Abtrennung
sinnvoll.
Die Staatsanwaltschaft hatte
Kiep in der Anklage vorgewor
fen, durch die Annahme einer
Millionenspende Schreibers in
der Schweiz habe er sich der
Beihilfe zur Steuer-Hinterzie
hung schuldig gemacht. Die
sem Vorwurf hatte das Gericht
nicht zugestimmt. Eine Be
schwerde der Staatsanwalt
schaft gegen diese Entschei
dung wurde abgewiesen.
Putin von Indien
besuch zurück
MOSKAU: Der russische
Präsident Wladimir Putin ist
am Donnerstag von seinem
viertägigen Besuch in
Indien zurückgekehrt. We
gen dichten Nebels wurde
seine Maschine auf den
Moskauer Flughafen
Scheremetjewo umgeleitet.
; Zehn Tote bei
Selbstmord
anschlag
COLOMBO: Bei einem weite
ren Selbstmordanschlag
; mutmasslicher Tamilen-Re-
bellen im Wahlkampf in Sri
Lanka sind Donnerstagabend
i zehn Menschen getötet und
über 50 weitere schwer ver
letzt worden. Als Polizisten
i eine verdächtige Frau kon-
; trollieren wollten, die sich
der Wahlkampfbühne in Me-
. dawachchiya im Norden des
; Landes näherte, zündete sie
den Sprengsatz an ihrem
| Körper, wie die Polizei mit-
; teilte. Am Montag waren bei
j einem ähnlichen Attentat 24
1 Menschen ums Leben ge-
\ kommen. Die «Befreiungsti
ger von Tamil Eelam» (LTTE)
: lehnen die Parlamentswahl
am 10. Oktober ab.
Sellafield-
Betreiber muss
; Strafe zahlen
LONDON: Wegen Sicher-
. heitsverstössen sind die Be-
: treiber der britischen Wie
deraufbereitungsanlage Sel-
' lafield am Donnerstag zu
S einer Geldstrafe von 60 000
Franken verurteilt worden.
Das Unternehmen British
Nuclear Fuels (BNFL) muss
auch die Kosten für das von
' den Aufsichtsbehörden an-
j gestrengte Verfahren von
< fast 12 650 Franken zahlen.
1
l Erste Hinweise
I nach Anschlag in
! Buchenwald
■, WEIMAR: Nach der Schän-
■■ dung der Gedenkstätte Bu-
; chenwald hat die Polizei
! erste Hinweise auf einen
35 bis 45 Jahre alten Mann,
: der möglicherweise Anga
ben zum Geschehen in der
: Nacht zum Tag der deut
schen Einheit machen
' könnte. Wie die Sonder-
j kommission der Kriminal-
• polizei Jena mitteilte, war
' der Mann am Dienstag nach
i der Tat zwischen sieben und
: acht Uhr an der Zufahrt zur
i Gedenkstätte in einem hei-
i Ien Golf gesehen worden.