1 2 Donnerstag, 5. Oktober 2000
LAND UND LEUTE
Liechtensteiner VOLKSBLATT
So kommt der Apfel in die Flasche
Bei Familie Gerner in Eschen läuft es in der Mostsaison rund
Schon Adam und Eva
konnten im Paradies dem
Apfel nicht widerstehen.
Die Frucht hat es in sich.
Goldgelb, verfiihrerischrot
oder giftgrün - der Apfel
enthält eine geballte La
dung Vitamine und einen
ganz besonderen Saft.
Wenn sich im Herbst die
Wälder langsam verfär
ben, läuft Familie Gerners
Mosterei in Eschen auf
Hochtouren.
Janine Köpßi
«Mmm, isch es guat», ruft der
kleine Alex und hält seinen
Finger gleich noch einmal in
den frischgepressten Apfelsaft,
der aus der Maschine in eine
grosse Sammelwanne fliesst.
Zusammen mit seinen «Kinder-
garten-Gschpänli» beobachtet
er gespannt den Mostvorgang
und kann es kaum erwarten,
das leckere Getränk in seine
mitgebrachte Flasche zu füllen.
Im Eschner Kindergarten dreht
sich seit einiger Zeit alles um
das Thema Apfel. Die Mädchen
Der beste Most entsteht aus
verschiedenen Apfelsorten.
und Buben haben daher fleissig
Äpfel gesammelt und sie mit
dem Leiterwagen direkt zur
Mosterei Gerner transportiert.
Mosten als Hobby
In diesem Jahr fällt die Obst
ernte besonders gut aus. Jeden
Samstag und an weiteren drei
bis vier Tagen in der Woche
herrscht Hochbetrieb in der
Eschner Mosterei. Die Leute
bringen ihre Äpfel in Kisten
und riesigen Säcken und kön
nen den daraus gewonnenen
Saft schon kurze Zeit später
wieder mit nach Hause neh
men. Eine vollautomatische
Siebbandpresse macht dies
möglich. Bereits vor 50 Jahren
strömte ein süsser Apfelduft
aus dem Haus gleich gegenüber
der «Molkerei» in Eschen. «Ich
erinnere mich noch, wie ich als
Kind die Mosterei besuchte und
beobachtete, wie die Äpfel in
grosse Tücher eingepackt und
gepresst wurden. Heute ist alles
weniger aufwändig*, erzählt
Annelies Gerner und deutet auf
die moderne Maschine mit all
ihren Walzen. Seit 15 Jahren
betreibt Familie Gerner das
«Mostgeschäft» als ihr ganz
grosses Hobby, und von Sep
tember bis Anfang November
rollen die Äpfel gleich tonnen
weise. Das war nicht immer so,
denn vor wenigen Jahren ha
ben Cola, Fanta und Co. den
guten, alten Most ganz schön
abgewertet. «Mittlerweile hat
ein Umdenken stattgefunden.
Die Leute schätzen wieder das,
was die Natur ihnen gibt»,
meint Annelies Gerner und
lächelt den Kindergärtlern ent
gegen, die voller Eifer ihre Äp
fel zum Eingang schleppen.
Der Naturkreislauf bleibt
geschlossen
Jede Apfelsorte hat einen an
deren Geschmack. Den besten
Most gibt es, wenn Grafenstei
ner, Jonatan, Boskop oder Co-
xorange zusammen in die Pres
se kommen und ihren Saft las
sen. Das wissen auch die klei
nen Wirbelwinde vom Kinder
garten. Sie haben deshalb ganz
verschiedene Äpfel gesammelt,
die sie nun mit vereinten Kräf
Die Mädchen und Buben vom Kindergarten Eschen habenfteissig Äpfel gesammelt und schauen in der Mosterei Gerner zu, wie daraus
feiner Most entsteht. Zuerst kommen die Früchte in eine Wassertvanne und werden gewaschen. (Bilder: manu)
ten und Kurt Gerners Hilfe in
die Wasserwanne tragen, wo
die Früchte gründlich gewa-
f in Becher dieses frischgepressten Durstlöschers ist einfach zu gut.
sehen werden, bevor sie über ei
ne Spirale hinauf ins Mahlwerk
gelangen. «Nach dem Raffeln
fallt die Apfelmasse auf ein
blaues Band, das um unter
schiedlich grosse Walzen läuft.
Die Masse wird bis auf den letz
ten Tropfen ausgepresst», erklärt
die Mostexpertin. Abfall fallt
beim Pressvorgang keiner an.
Bauern und Jäger holen den
«Trester» ab, denn Schafe, Rin
der und das Wild lieben die saft
losen Apfelreste über alles. So
schliesst sich der Naturkreislauf.
Ein Apfel plus ein Halber er
gibt einen Becher Most mit vie
len Vitaminen. Die kleine Tatja
na strahlt, als sie endlich den
«Kindergartenmost» probieren
kann. Ein Becher ist weg wie
nichts, denn dieser frischge-
presste Durstlöscher ist einfach
zu gut. Auch bei den Gerners
fehlt der Most nicht auf dem
Esstisch. «Es gibt nichts Besseres
als «Geschwellte> mit Käse,
Raclette oder Fondue und dazu
ein Glas Most», schwärmt'Anne
lies Gerner. Wird der Apfelsaft
pasteurisiert, das heisst auf 78
Grad Celsius erhitzt, können
Feinschmecker den haltbarge
machten Süssmost sogar im
Winter geniessen.
«Mostiges» Angebot
Ob Süssmost direkt ab Presse,
vergorener oder pasteurisierter
Apfelsaft, die Gerners haben al
les in ihrem Angebot, sogar
Apfelsekt, auf den die Most
liebhaber besonders scharf sind
und den auch Annelies Gerner
ihren Gästen zum Aperitif nicht
vorenthält.
Die Kindergartenzwerge prä
sentieren voller Stolz ihre ge
füllten Süssmostflaschen, be
vor sie sie auf ihre Leiterwagen
verladen und nach Hause trot
ten. «Es ist schön, wenn den
Kindern die Natur auf diese
Weise nahegebracht wird. So
verstehen sie, woher etwas
kommt.» Annelies Gerner ist
sich sicher, dass diese Kinder
nie vergessen werden, wie der
Apfel in die Flasche kommt.
Die Apfelmasse läuft durch unterschiedlich grosse Walzen, dabei
wird sie bis zum letzten Tropfen ausgepresst.
Bauern und Jäger holen den *Trester» ab und verfüttern ihn an ihre Tiere und ans Wild. Auch die Kin
der finden, dass die saftlosen Apfelreste gar nicht so schlecht schmecken.
Kurt, Annelles und Alexander Gerner (von links) betreiben das «Mostgeschäft• seit 15 Jahren als ihr
ganz grosses Hobby.