36 Samstag, 23. September 2000
AUSLAND
Liechtensteiner VOLKSBLATT
Nervosität vor Wahlen wächst
Präsident Slobodan Milosevic muss um seine Macht bangen
Die Wahlwerbung von Slobodan Milosevic' Partei ist in ganz Jugoslawien allgegenwärtig. Gemäss Prognosen liegt aber die Opposition in
der Wählergunst deutlich vorne. (Bild Keystone)
NACHRICHTEN
ETA bekennt sich
zu Anschlagen
MADRID: Die baskische Se
paratistenorganisation ETA
hat sich gestern einer Reihe
von Sprengstoffanschlägen
in Spanien bezichtigt. Die
Stellungnahme wurde in der r
Zeitung «Gara» veröffent
licht. Dabei bekannte sich
die ETA zu dem Mord an ei- i.
nem konservativen Kommu- ,
nalpolitiker im September,
einem fehlgeschlagenen
Mordversuch an einem so
zialistischen Politiker und
mehreren Sprengstoffan
schlägen. Damit hat die ETA
sich zu zwölf der 13 Morde
in diesem Jahr bekannt, für
die sie verantwortlich ge
macht wird. .
Bergung der
«Kursk»-Besat-
zung verschoben
MOSKAU: Die Bergung der
118 toten Matrosen des rus- ;
sischen U-Bootes iKursk» ist
aus finanziellen Gründen (
auf unbestimmte Zeit ver
schoben worden. Die am
Freitag geplante Unterzeich
nung eines Vertrags zwi
schen der «Kursk»-Baufirma
Rubin und dem norwegi
schen Unternehmen Stolt
Offshore wurde abgesagt,
wie ein Leiter des russischen
Unternehmens mitteilte.
Rubin-Direktor Igor Spasski
machte im russischen Fern
sehen finanzielle Gründe ;
für das Scheitern verant- ;
wortlich.
Schwedische Ta
geszeitung stellt
Erscheinen ein
STOCKHOLM: Nach dem
Scheitern von Gesprächen
mit einem potenziellen In
vestor wird eine der ältesten '
schwedischen Tageszeitun
gen, «Arbetet», in der kom- i
menden Woche ihr Erschei
nen einstellen. Nach Anga
ben ihres Herausgebers Bo i
Bernhardsson vom Freitag !
erhielt das Blatt staatliche
Subventionen in Höhe von
85 Millionen Kronen pro
Jahr, machte in den vergan
genen zehn Jahren aber
dennoch Hunderte Millio
nen Kronen Verlust. Bern
hardsson machte vor allem
starke Konkurrenz von Sei
ten des «Sydsvenska Dageb-
ladet» für den Niedergang ,
des Blattes verantwortlich, i
Rechte fjiir Kinder :
durchsetzen
GENF: Kinder sollen einen
besseren rechtlichen Schutz
erhalten. Dazu seien ver- i
bindliche Mechanismen bei
der Konvention für Kinder- !
rechte nötig, forderten
Nichtregierungsorganisatio
nen (NGOs) in Genf. Die
Konvention sei von ent
scheidender Bedeutung, be
tonte die UNO-Menschen-
rechtskommissarin Mary
Robinson gestern an einer
Sondersitzung des UNO-Ko-
mitees für Kinderrechte.
Man müsse daher die geeig-
netsten Mittel finden, eine
bessere Durchsetzung zu er- r
reichen. Diesen Appell rich
tete Robinson an die Staa
tengemeinschaft. Mehrere
NGOs bedauerten, dass es
für die Konvention von
1989 keine verbindlichen
Mechanismen gebe. Das Re
gelwerk ist von allen UNO-
Staaten wie auch von der
Schweiz ratifiziert worden.
BELGRAD: Kurz vor der
Präsidenten- und Parla
mentswahl am Sonntag
wächst bei Regierung und
Opposition in Jugoslawien
die Nervosität.
Gleichzeitig mehrten sich die
Warnungen westlicher Politiker
vor einem möglichen Wahlbe
trug von Präsident Slobodan
Milosevic. Der Oppositionskan
didat für die Präsidentschaft,
Vojislav Kostunica, zeigte sich
am Freitag überrascht von den
Äusserungen des jugoslawi
schen Ministerpräsidenten Mo-
mir Bulatovic, Milosevic könn
te auch bei einer Niederlage bis
Juni nächsten Jahres im Amt
bleiben. Kostunica wertete dies
als Zeichen wachsender Angst
des Regierungslagers vor einer
Niederlage.
Zwei Tage vor der Wahl führ
te Kostunica weiter mit deutli
chem Vorsprung vor Milosevic.
Im Fernsehsender Elmag TV
sagte Bulatovic am Donners
tagabend, die Verfassung er
mögliche es dem Präsidenten,
bis zum Ende seiner Amtszeit
weiter zu regieren. Kostunica
erklärte dazu, die Verfassungs
interpretation Bulatovics sei
falsch.
Der neue Präsident müsse
vielmehr zwei Wochen nach
der Wahl in sein Amt einge
führt werden. Die Erklärung
Bulatovics erfülle aber die Op
position mit grosser Hoffnung,
WASHINGTON: Seit Wochen
bereits treibt die Amerikaner
der Zorn über die steigenden
KraftstofTpreise um, obwohl
Autofahrer in den USA mit
rund einer Mark pro Liter
Sprit im Vergleich zu ihren
europäischen Leidensgenos
sen relativ glimpflich davon
kommen.
In dieser Woche nun ist die Dis
kussion um den Ölpreis endgül
tig unter die Räder des US-Prä-
sidentschaftsWahlkampfs gera
ten. Dabei giessen die gegneri
schen Kandidaten AI Gore und
George W. Bush - um im Bild
zu bleiben - kräftig Öl ins Feu
er ihres Ringens um das Weisse
Haus.
Ins Zentrum des Disputs ist
dabei der Vorschlag des demo
kratischen Bewerbers und Vize
präsidenten AI Gore gerückt,
Chirac unter
Druck
Im Zusammenhang mit dem
Parteispendenskandal um
Frankreichs Staatspräsidenten
Chirac haben drei Richter die
Räume einer Videogesellschaft
in der Nähe von Paris durch
sucht. Neue Enthüllungen der
Zeitung «Le Monde» belasteten
Chirac erneut. Bei der unter
suchten Videogesellschaft soll
im Mai 1996 der Film aufge
nommen worden sein, auf dem
der 1999 gestorbene Bauunter
nehmer Jean-Claude M£ry be
zeugt, dass Chiracs Partei RPR
aus unterschiedlichsten Quellen
illegal finanziert worden ist.
Danach will M£ry beim Eintrei
ben der illegalen Gelder für die
RPR «einzig und allein auf Be
fehl Chiracs» gehandelt haben.
weil sie zeige, dass die Regie
rung langsam zu begreifen be
ginne, dass sie verlieren wird,
sagte der Herausforderer weiter.
Goran Svilanovic von der Ser
bischen Bürgerallianz sagte am
Freitag, Bulatovics Äusserun
gen zeigten, dass das Regime
Angst hab.e. Unterdessen wi
dersprach der jugoslawische
LASAREWSKOJE: Die Geisel
nahme in SUdrussland ist
nach zwei Tagen am Freitag
ohne Blutvergiessen zu Ende
gegangen.
Die Täter, die nach eigener Dar
stellung mehrere Personen in
einer Pension festhielten, erga
ben sich am Freitag den
Polizisten, die das Gebäude in
Lasarewskoje rund 60 Kilome
ter westlich des Schwarzmeer
orts Sotschi umstellt hatten.
Die Behörden bezweifelten
Jedoch, dass es sich tatsäch-
Botschafter in Moskau und
Präsidentenbruder Borislaw
Milosevic Spekulationen, wo
nach dieser auch bei einer Nie
derlage an der Macht festhalten
werde.
Sein Bruder werde das Wahl
ergebnis respektieren, ganz
gleich wie es ausfalle, sagte Mi
losevic. Er respektiere die Ver
lich um eine Geiselnahme han
delte.
Der Vorfall begann am Don
nerstagmorgen, als vermutlich
drei Personen angaben, mehre
re Geiseln in der Pension fest
zuhalten. Sie verlangten
zunächst 30 Millionen Dollar
Lösegeld oder die Freilassung
aller tschetschenischen Gefan
genen aus russischen Gefäng
nissen. Später Hessen sie die
Forderung nach Freilassung der
Tschetschenen fallen und for
derten stattdessen einen Hub
schrauber. Am Freitagmorgen
fassung. Die Opposition schloss
ihren Wahlkampf am Donners
tagabend mit einer Kundge
bung in Novi Sad ab, an der
über 20 000 Menschen teilnah
men.
In den letzten beiden Tagen
vor der Wahl sind Kundgebun
gen untersagt. NATO-General-
sekretär George Robertson
rückten sie dann auch von der
Lösegeldforderung ab und Hes
sen zunächst einen Mann und
eine Frau, später auch die übri
gen Personen frei.
Am Mittag ergaben sie sich
schliesslich. Die mutmasslichen
Täter wurden nach Angaben
des Geheimdienstes wegen Gei
selnahme angeklagt. Ihnen
drohen sechs Jahre Haft.
War es Geiselnahme?
Der stellvertretende Innenmi
nister Wladimir Koslow be
zweifelte aber, dass es sich
drückte unterdessen die Hoff
nung aus, dass sich das serbi
sche Volk bei der Wahl am
Sonntag für Europa und gegen
die Vergangenheit entscheidet.
Auf einer Pressekonferenz in
Berlin äussert sich Robertson
am Freitag besorgt über mögli
che Wahlmanipulationen sei
tens des Milosevic-Lagers.
tatsächlich um eine Geiselnah
me handelte. Der stellvertreten
de Direktor des Inlandsgeheim
dienstes FSB, Gherman Ugtju-
mow, sagte zum Ablauf: «Die
Situation ergab sich spontan,
nachdem sie einen fröhlichen
Abend zusammen verbrachten
und dann die ganze Nacht ge
zecht haben.» Mehrere Perso
nen in der Pension seien mit
einander verwandt und es sei
sogar unklar, wer Geisel und
wer Geiselnehmer sei, fügte er
vor Journalisten in Lasarews
koje hinzu.
Ölkrise heizt US-Wahlkampf an
Gore will nationale Ölreserve zum Preisdrücken anzapfen
die nationale Ölreserve der Re
gierung anzuzapfen, um so
Druck auf die Preise auszuü
ben. Sein republikanischer Her
ausforderer Bush und dessen
Vizepräsidentenkandidat Dick
Cheney erklärten die Forderun
gen Gores umgehend zu blan
kem Opportunismus. Gore sei
bereit, um kurzfristiger Erfolge
im Wahlkampf willen, die Si
cherheit des Landes aufs Spiel
zu setzen. Denn nur dafür, um
die USA im Fall einer neuen Öl
krise oder gar eines Krieges mit
Heizöl und Kraftstoff zu ver
sorgen, sei die Reserve von 571
Millionen Barrel (das Barrel zu
159 Liter) gedacht.
Dabei dürfte Gore die Idee
vermutlich gar nicht seinem
Herzblut abgerungen haben,
denn noch vor gar nicht langer
Zeit stand er selbst diesem Ge
danken noch skeptisch gegenü
ber. Monatelang hatte er er
klärt, dass diplomatischer
Druck auf die Organisation Er
döl exportierender Länder
(OPEC) die bessere Option sei,
die Preise zu drücken. Und
während der Vorwahlen im
letzten Winter hatte er die da
mals von seinem demokrati
schen Mitbewerber Bill Bradley
vorgebrachte Idee, die ölreser
ve anzuzapfen, rundweg abge
lehnt.
Die jetzige Kampagne scheint
vielmehr mit Präsident Bill
Clinton abgesprochen und von
langer Hand vorbereitet zu
sein. Denn als Gore am Mitt
woch die Forderung an den
Präsidenten richtete, in mehre
ren Schüben jeweils rund fünf
Millionen Barrel auf den Markt
zu werfen, hatte er sich vorher
ausgiebig mit Clinton am Tele
fon beraten.
Peru in Aufruhr
Präsident Fujimori soll sofort zurücktreten
Der peruanische Staatschef Alberto Fujimori hat ßr die vorgezo
gene Präsidentenwahl einen Termin im März nächsten Jahres an
gekündigt. Demonstranten forderten gestern in der Hauptstadt Li
ma erneut den sofortigen Rücktritt des seit zehn Jahren regieren
den Präsidenten.
Geiselnahme nach zwei Tagen ohne
Blutvergiessen beendet
Behörden glauben an vorgetäuschtes Verbrechen