Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner VOLKSBLATT 
ABSTIMMUNG LSVA 
Freitag, 15. September 2000 7. 
«Die Einnahmen aus der LSVA 
werden zweckentfremdet» 
Interview mit Oliver Gerstgrasser, Geschäftsführer der Gewerbe- und Wirtschaftskammer (GWK) 
Am 22. und 24. Septem 
ber wird das Stimmvolk 
über die Einführung der 
LSVA in Liechtenstein an 
der Urne entscheiden. Oli 
ver Gerstgrasser, Ge 
schäftsführer der Gewer 
be- und Wirtschaftskam- 
mer (GWK), spricht sich 
gegen die Leistungsab 
hängige Verkehrsabgabe 
aus. Er zweifelt einerseits 
an der EWR-Verträglich 
keit, andererseits kann er 
die propagierte Mittelver 
wendung der Regierung 
nicht nachvollziehen. 
Mit Oliver Gerstgrasser 
sprach Alexander Batliner 
VOLKSBLATT: Herr Gerstgras 
ser, Sie gehören als Ge 
schäftsführer der Gewerfoe- 
und Wirtschaftskammer 
(GWK) zum Referendumsko 
mitee gegen die Einführung 
der LSVA. Weshalb wehrt 
sich das Gewerbe gegen die 
LSVA? 
Oliver Gerstgrasser: Die 
Schweiz verwendet die Einnah 
men der LSVA zum grössten 
Teil zur Finanzierung des 
NEAT-Projektes sowie zur Ver 
lagerung des Verkehrs auf die 
Schiene. Liechtenstein kann 
nur 3,7 Prozent des Transportes 
auf die Schiene verlagern. 
Auch eine weitere, Optimierung 
ist in unserem Land nicht mög 
lich, da es sich im Prinzip bei 
uns um eine Feinverteilung der 
Güter handelt. Die LSVA ist ei 
ne Lenkungsabgabe, bei uns 
wird damit der Rentenvorbezug 
finanziert. Die Gelder werden 
also zweckentfremdet. Weiters 
ist die EWR-Verträglichkeit 
noch nicht geklärt. Zudem will 
die GWK die Chancengleichheit 
ihrer Mitglieder bewahren und 
unterstützt daher das LSVA- 
Komitee. Dies sind einige der 
Beweggründe gegen die Ein 
führung der LSVA und für die 
aktive Mitarbeit im Komitee. 
In welchen Bereichen haben 
diese verschiedenen Sektio 
nen Befürchtungen? 
Im Bereich des Transportge 
werbes gibt die Mehrbelastung, 
die bei den Unternehmen durch 
die LSVA anfällt, Anlass zu Be 
fürchtungen. Die Mehrbe 
lastung wird zwischen 8 und 35 
Prozent liegen. Man muss dies 
bezüglich bedenken, dass diese 
Mehrbelastung nicht von diesen 
Unternehmen bezahlt wird, 
sondern dass diese Kosten wei 
terverrechnet werden. Es wird 
auch ein administrativer Auf 
wand anfallen, welcher zu eini 
gen Investitionen in den Unter 
nehmungen führen wird. Dies 
betrifft nicht nur da&Transport- 
gewerbe, sondern auch jeden 
Unternehmer. Wir können als 
Beispiel irgendeinen Bauunter 
nehmer heranziehen, der sein 
Material in LKWs über 3,5 Ton 
nen transportieren muss. Dieser 
muss dann die LSVA auf die 
Kunden überwälzen. Die LSVA 
ist im administrativen Aufwand 
heute nicht vorgesehen. Das be 
deutet, dass er Investitionen 
tätigen muss, damit die LSVA 
weiterverrechnet werden kann. 
Falls das Volk euerer Mei 
nung folgen sollte und die LS 
VA ablehnen wird, wie sieht 
Oliver Gerstgrasser, Geschäftsßhrer der Gewerbe- und Wirtschaftskammer (GWK), spricht sich gegen die Einßhrung der LSVA in Liech 
tenstein aus. , (Bild: Ingrid) 
das Gewerbe die praktische 
UmsetzbarkeK? 
Diesbezüglich müssen zwei 
Dinge betrachtet werden. Wenn 
das Volk Nein sagt zur LSVA, 
ist dies ein Auftrag an die Re 
gierung, um mit den Schweizer 
Behörden wieder Kontakt auf 
zunehmen, um neue Verhand 
lungen zu führen. Das Wie und 
Wo muss dann neu geklärt 
werden. Weiters sollte die 
EWR-Verträglichkeit abgeklärt 
werden. Die Schweiz hat die 
Verhandlungen mit der 
Schweiz seit 1996 geführt wer 
den. Diese haben vor allem auf 
behördlicher Basis stattgefun 
den. 1999 wurde in Liechten 
stein eine Arbeitsgruppe einge 
setzt. Wenn man den Zeithori 
zont betrachtet und hierbei die 
Informationspolitik der Regie 
rung berücksichtigt, ist ein 
grosses Manko entstanden. Ich 
denke man hätte viel früher, 
auch von Seiten der Regierung, 
aktiv Informationspolitik be- 
LSVA in den bilateralen Verträ 
gen mit der EU abgedeckt. In 
Liechtenstein laufen erst seit 
kurzem die Gespräche über eine 
eventuelle Lösung mit unseren 
EWR-Partnern. 
Sie glauben also, dass die 
Schweiz nochmals bereit Ist, 
über die LSVA neu zu verhan 
deln? 
Ich glaube, dass die demo 
kratischen Grundwerte in der 
Schweiz sehr hoch gehandelt 
werden; Ich denke mir auch, 
wenn Liechtenstein überzeu 
gend Nein sagt, dass die 
Schweiz dies einsehen 1 muss 
und wird. Dann wird man auch 
eine bessere Lösung für Liech 
tensteinfinden. 
Ihre Ainsage bedeutet, dass 
Sie das Verhandlungsergebnis 
der Regierung mit der Schweiz 
negativ beurteilen. Wäre wirk 
lich ein* andere Lösung mög 
lich gewesen, obwohl dies von 
der Regierung verneint wird 
und Ist die Zeit bis zur Ein 
führung der LSVA in der 
Schweiz nicht zu knapp, um 
eine neue Losung zu finden? 
Das ' Verhandlungsergebnis 
für aas liechtensteinische' 
Gewerbe ist schlecht. Man 
muss berücksichtigen, dass die 
treiben müssen. Dann wäre das 
eine oder das andere Problem 
verhinderbar gewesen. 
Die steigenden Kosten, wel 
che die LSVA hervorruft, sdl- 
len über die AHV an die Be 
völkerung zurückgegeben 
werden. Kann sich die GWK 
mit diesem Vorschlag einver 
standen erklären? 
Für mich ist dies einer der 
Beweggründe für ein Nein zur 
LSVA. Auf der einen Seite sagt 
man deutlich, dass die LSVA 
eine Lenkungsabgabe sei. Sie 
solle helfen, beim Schwerver 
kehr das Verursacherprinzip 
umzusetzen. Auf der anderen 
Seite fliesst nur ein Drittel der 
LSVA-Einnahmen als Lenkungs 
abgabe zurück. Zwei Drittel 
fliessen in die AHV. Man muss 
sich schon fragen; Hat Liech 
tenstein kein Verkehrsproblem? 
Wenn ich an den Lihga-Starid 
der Regierung zur Verkehrs 
Situation zurückdenke, kann 
ich erkennen, dass es genug 
Handlungsbedarf gibt und 
genügend Gelder benötigt wen 
den, um Lösungen zu suchen 
und zu finden. Ich- finde 
schade, wennRegie(ungsche[ 
Stellvertreter Michael Ritter 
sagt, dass damit der Rentenvor 
bezug finanziert werden kann. 
Sie, haben zuvor die Informa 
tionspolitik der Regierung 
angesprochen. Das LSVA-Ko- 
mitee kritisierte die Regie 
rung, da sie den Urheber der 
Inserate in den Landeszei 
tungen nicht kennzeichnete. 
Das Volksblatt deckte auf, 
dass die LSVA-Broschüre der 
Regierung im Widerspruch 
zu einem Staatsgerichts 
hofentscheid steht. Wie 
beurteilen Sie die Informa- 
tlonspolltlk, der Regierung 
generell? 
Wenn man andere Abstim- 
nisngskämpfe betrachtet, muss 
>m|n sagen, dass von der Regie 
rung sehr aktiv Informations 
politik betrieben wird. Man 
kann es schon fast aggressiv 
nehnen. Teilweise informiert 
die Regierung verfälscht. Als 
Beispiel möchte ich hier nur 
den Bericht in der LIEWO 
nehnen, der von einer Teilzeit 
mitarbeiterin des Amtes für 
Volkswirtschaft geschrieben 
wurde. Zwei Tage später kann 
H n in den Landeszeitungen 
lesen, dass dies ein gut recher 
chierter und neutraler Artikel 
gewesen sei. Ich denke, dass 
diese Verfälschungen schluss 
endlich niemandem nützen. Ich 
denke, die LSVA muss als 
Sachthema diskutiert werden 
und darf nicht auf eine politi 
sche Ebene verschoben werden. 
Die Befürworter der Ein 
führung betonen auch den 
verkehrspolitischen Effekt 
der LSVA. Im Speziellen wird 
darauf verwiesen, dass durch 
die Abgabe der LKW-Transit 
verkehr durch Liechtenstein 
gemindert werden könne. 
Sehen Sie dies« positive 
Eigenschaft der LSVA nicht 
gegeben? 
Im Oktober 1999 wurde eine 
Erfassung durch den Verkehrs 
koordinator der Regierung, 
Henrik Caduff, gemacht, in 
welcher klar zum Ausdruck 
kommt, dass der Anteil des 
LKW-Verkehrs in Liechtenstein 
8 Prozent ausmacht. 92 Pro 
zent sei Pkw-Verkehr. Diese 
Zahlen belegen deutlich, wo 
bei uns das Problem liegt. 
Wenn man die 8 Prozent des 
LKW-Verkehrs näher betrach 
tet, stellt man fest, dass der 
Durchgangsverkehr 18 Pro 
zent, der Ziel- und Quellver 
kehr in die Schweiz 58 Pro 
zent und der Zielquellverkehr 
nach Österreich 6 Prozent und 
der Binnenverkehr 18 Prozent 
ausmacht. Ich denke, egal wie 
die LSVA-Abstimmung aus 
geht, das Verkehrsproblem 
Liechtenstein wird damit 
nicht gelöst. Es wird in den 
nächsten Jahren ganz klar 
Mehrverkehr in Liechtenstein 
geben - mit oder ohne LSVA. 
Diesbezüglich müssen andere 
Lösungsansätze gefunden 
werden. Mich stimmt mehr 
bedenklich, dass in der 
Schweiz Fahrzeugimporteure 
Werbung für Fahrzeuge unter 
3,5 Tonnen machen. Wenn 
beispielsweise Speditionsfir 
men in der Schweiz betonen, 
dass sie auf LKWs unter 
3,5 Tonnen umsteigen wür 
den. Dies bedeutet ganz klar 
Mehrverkehr. 
Die Regierung betont zudem, 
dass bemannte Kontrollen 
'«uf zumindest einer Rhein 
brücke In die Schweiz instal- 
Hert werden müssten, wenn 
wir die LSVA nicht überneh 
men. Sind Sie nicht für eine 
offene Grenze mit der 
Schweiz? 
Es wäre fahrlässig, wenn wir 
nicht fiir eine offene Grenze zur 
Schweiz wären. Wir,sind aber 
auch für eine offene Grenze zu" 
unseren EWR-Partnem. Im Be 
zug auf die EWR-Verträglichkeit 
der LSVA sind jedoch noch eini 
ge Fragen offen. Bezüglich des 
Verhältnisses zur Schweiz ist es 
für uns natürlich von grossem 
Interesse, dass es offene Gren 
zen gibt Diesbezüglich hat die 
Regierung sicher schlecht ver 
handelt Wenn wir das Inländer 
prinzip in der Schweiz betrach 
ten, wo im Landesinnem unbe 
mannte Kontrollen durchge 
fühlt werden, müssen wir nach 
einem Nein zur LSVA in den 
Verhandlungen erreichen, dass 
wir ebenfalls das Inländerprin 
zip erhalten. 
Das heisst: In der Schweiz 
werden LSVA-Kontrollen nur 
mit den Bakken und ohne 
Personal gemacht. 
Richtig. Bundesrat Leuenber- 
ger möchte dieses Konzept aus 
bauen. Er will ein ganzes Ver 
kehrskonzept mit diesen Kon- 
trollbakken aufbauen. 
REKLAME 
SVA 
eine Information der Regierung 
Sind bei Einführung der LSVA Gegenmassnahmen der EU- 
Staaten auf liechtensteinische Transportunternehmen zu 
befürchten ? 
Die Leistungsabhängige 
Schwerverkehrsabgabe 
(LSVA) steht nicht im Wider 
spruch zum EWR-Recht Die 
schweizerische LSVA bildet 
überdies Teil des bilateralen 
'Landverkehrsabkommens 
i 
zwischen der Schweiz und 
der EU. Schliesslich suchen 
auch die EU-LBnder neue 
Wege, die Kosten des LKW- 
Verkehrs verursachergerecht 
zu belasten. Da die EU-Politik 
in die gleiche verkehrspoliti 
sche Richtung zielt, ist nicht 
mit Gegenmassnahmen zu 
rechnen. 
JA 
zur offenen Grenzt. 1 
mit der Schweiz 
JA<
	        

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