12 Mittwoch, 30. August 2000
Kultur
Liechtensteiner Volksblatt
Nachrichten
Hann! Schierscher:
Spuren
SCHAAN: Diesen Sonntag, den 3. September
sind Interessierte um 11 Uhr im Haus Stein-
Egerta in Schaan zur Eröffnung der Ausstellung
von Hanni Schierscher aus Schaan unter dem
Thema «Spuren» herzlich eingeladen. Musik:
Stefanie Beck; Worte; Hanni Frick. Anschlies
send Apäro. Die eindrückliche Ausstellung dau
ert bis zum 6. Oktober und ist während der
Bürozeiten und aller Veranstaltungen der Er
wachsenenbildung geöffnet. (Eing.)
Ein Hauptwerk
Kirchners für Davos
DAVOS: Nachdem das Kirchner-Museum be
reits im Juli eine Sammlung bedeutender Aqua
relle und Federzeichnungen von Ernst Ludwig
Kirchner und Fritz Winter entgegennehmen
konnte, gelangte es dieser Tage in den Besitz ei
nes grossformatigen, bedeutenden Werkes aus
Kirchners Frühwerk. ,
Das Gemälde, das dem Kirchner-Museum
Davos aus schweizerischem Privatbesitz ge
schenkt wurde, ist doppelseitig bemalt. Auf der
einen Seite zeigt es eine DUnenlandschaft mit
Badenden unter Japanschirmen auf der Insel
Fehmarn. Das Bild wurde im Jahre 1913 ge
schaffen. Auf der anderen Seite ist der Ehe
mann der Schenkerin abgebildet. Der Mann,
dessen Eltern mit Ernst Ludwig Kirchner be
freundet waren, verlebte seine Jugendzeit in
Clavadel, wo er 1922 von Kirchner als flöten
spielender Junge gemalt wurde.
Was die E. L. Kirchner-Stiftung Davos als In
haberin des Museums und der grossen Samm
lung nicht zu hoffen wagte, ist inzwischen be
merkenswerterweise eingetroffen: Die Zahl be
deutender Frühwerke Kirchners, die als Schen
kung eine ständige Bleibe im 1992 eröffneten
Kirchner-Museum finden, wächst regelmässig
an und trägt zur Festigung des internationalen
Renommds des jungen und hervorragend be
suchten Museums bei. (Eing.)
Vielseitiger Otto
Heigold
ST. GALLEN: Im vergangenen Jahr hat der im
luzernischen Reussbühl lebende Künstler Otto
Heigold bei der Migros Genossenschaft in Gos-
sau ein vielbeachtetes Kunst-am-Bau-Projekt
verwirklicht. Für Kultur im Bahnhof (KIB) lag
es daher nahe, ihn zu einer Ausstellung in St.
Gallen einzuladen. In der Galerie im 1. Stock
zeigt er vom 1. September bis 29. Oktober Bild
zeichen, Zeichnungen und Lithographien. Otto
Heigold wurde 1943 in Uznach SG geboren und
Hess sich in Luzern zum Zeichenlehrer ausbil
den. Seit 1970 ist er Fachlehrer an der Schule für
Gestaltung Luzern. Fast gleichzeitig hat er be
gonnen, in der ganzen Schweiz einzeln und in
Gruppen auszustellen, so etwa 1996 im Tal Mu
seum und in der Klostergalerie Engelberg. Aber
auch in internationalen Grafikausstellungen, so
1988 in Heidelberg oder 1996 in Madrid, sind sei
ne Werke zu sehen gewesen. Heinold stellt in sei
nem Schaffen immer wieder den Menschen als
Einzelnen oder in der Gemeinschaft ins Zen
trum, daneben spürt er in intensiver Beschäfti
gung und Auseinandersetzung Bildzeichen und
Symbolen nach. In der Klubschul-Galerie im 1.
Stock gestaltet Heigold nach eigenen Vorstel
lungen die grosszügigen Wände mit seinen Bild
zeichen sowie mit Zeichnungen und Lithogra
phien. Die Vernissage findet am Donnerstag (31.
8.) um 19 Uhr statt. Es spricht Trudi Künzle. Am
Freitag (15.9.) führt um 19 Uhr der «St. Galler
Tagblatt»-Redaktor Josef Osterwalder in Anwe
senheit des Künstlers durch die Ausstellung. Öff
nungszeiten: Montag bis Freitag, 8 bis 22 Uhr;
Samstag und Sonntag, 9 bis 14 Uhr. (Eing.)
idee:scholle «Riederde
- Riederde»
ALTSTÄTTEN: Die Kunstaustellung
idee:scholle im Altstätter Naturschutzgebiet
Bannriet wird rege besucht. Die letzte Matinee
vom Sonntag, den 3. September, 11 Uhr, ist der
modernen Lyrik gewidmet. Die Feldkircher Lyri
kerin Herta. J. Stricker-Hofer liest eigene Texte,
und Hanspeter Küng, Altstätten, begleitet sie auf
der Flöte. Anschliessend Aktion für Auge und
Ohr mit Ingrid Telenbroek und Jack E. Griss. Die
Literatur ist ausserdem in zwei verlassenen
Schollenbüros vertreten. Über Kopfhörer sind
ein Schollenkrimi von Thomas Reck und «Land
unter» von Ruth Erat zu hören. Die Kunstaus
stellung ist täglich von 9 bis 20 Uhr geöffnet und
nur mit dem Velo oder zu Fuss zugänglich. Sig-
nalisation ab SBB Altstätten, Busbetrieb an den
Wochenenden. Auskunft: 079/394 97 26. (Eing.)
Stadtsound und Medienecho
Vorsichtige Bestandsaufnahme von Stefan Sprenger zum «Literaturexpress »
Ti
Nach über 40 Tagen und mehr
als 7000 Kilometern im «Lite
raturexpress», stiegen in Berlin
105 übermüdete Literaten aus
42 Ländern aus dem Sonder
zug «Görlitz», der sie durch 11
europäische Länder und in 20
grosse Städte geführt hatte.
Gerolf Hauser
Es ist ein illustrer Kreis: Vom 72-
jährigen Akaki Bakradse aus Geor
gien, der noch Mitglied des letzten
Obersten Sowjets war über den
1948 geborenen Gründer der baski
schen Schriftstellervereinigung An-
jel Lertxundi bis zum 26-jährigen
ukrainischen Chefredakteur und
Literaturwissenschaftler Andriy
Bondar - und natürli^ für Liech
tenstein Stefan Sprenger, der einen
letzten Bericht liefert, Teil der ver
traglichen Verpflichtung, einen 15
Seiten langen Text abzuliefern, der,
zusammen mit den Texten der «Li-
teraturexpress-Kolleglnnen», zur
Frankfurter Buchmesse 2001 als
Buch erscheinen soll.
Gute Taktik
«Horizontweit umzieht ein Wall
aus Hochhäusern das Zentralge
viert von Warschau. In seiner Mitte
ragt die stalinistische Nadel des
«Palastes der Wissenschaft und Kul
tur» in den Himmel, ein «Ge
schenk» der ehemaligen Sowjetuni
on, an das sich die Polen immer
noch nicht gewöhnt haben. In den
Strassen wird an kleinen und klein
sten Ständen gehandelt und ver
kauft, Kleider, Bücher, Blumen,
Früchte und Gemüse vom Land.
Bettlerinnen halten ihre faltigen
Handgruben hin, kleine Kruzifixe in
ihnen: Gibst Du mir, so gibst Du
Gott - keine schlechte Taktik im ka
tholischen Polen.»
Wonderful Music N-
Dorflnaü!
«Lange höre ich einem Strassen-
musiker zu, der an einer lärmigen
Hauptkreuzung Gitarre spielt. Über
Hallpedale und Verzerrer lässt er ei
nen scherbeligen, driftenden Sound
strömen, ohne Anfang, ohne Ende,
wie der ständige Verkehr in seinem
Rücken, das stickige Röhren der
Busse, das Rumpeln und Schleifen
der IVambahnen, das Aufheulen der
Autos und das Bremsenquietschen
der Lastwagen. DieTöne hallen und
zünden, trudeln in Echoschlaufen,
schrägen, schürfen vorbei, manch
mal eine Helle in ihrer Mitte, dann
wieder Rauschen, Dröhnen. Man
glaubt die Musik der Stadt zu hören,
der gesamteuropäischen Stadt, das
Entlangtreiben der Menschen an
spiegelnden Fassaden, ihr kaufwilli
ges Verkanten und empfindungslo
se Weitertreiben, hirnwach, einsam.
Der Musiker ist alt, bärtig, ein Rus
se, gänzlich seiner neurologisch-ur-
banen Anrufung hingegeben; er
schaut kein einziges Mal auf, wenn
Münzen in die Kartonschachtel fal
len. Nach Sonnenuntergang bläst
ihm ein Wind die Asche von der Zi
garette, treibt Plastikdeckel, Servi
etten und Handzettel über den Teer.
Reihum leuchtet auf den Hoch
hausdächern die Wortkrone über
dem Zentralplatz auf, jeder
Schriftzacken eine Silbe der moder
nen Glückslitanei: SONY TECH-
NICS FIAT PANASONIC SAM
SUNG JVC... unter einer raumreis-
senden Abendblässe, der Mond im
Osten, ein Schwärm Vogelpunkte
vor seinen fernen Meeren. Unbeirrt
spielt der Alte die Stadt, reitet sie
mit dem Ernst eines Heiligen durch
die Köpfe seiner Zuhörer. Über
Grossmonitoren flirren stumme
Bilder, eine Ambulanz heult durch,
eine Motorradgang macht Männ
chen. «Space Free Jazz Rock Coun-
try Wonderful Music Astro N-Dör-
fina!!!(Intim-Sex-Narcoty Music)»
Der Sonderzug «Görlitz», in dem Stefan Sprenger, zusammen mit über 100 Schriftsteller-Kolleginnen, 7000 Kilo
meter durch Europa reiste.
hat er auf einen Pappendeckel ge
schrieben, englisch und polnisch,
und 19 Jahre in Lagern, «on behalf
of KGB», steht auch da. An der
Mauer des Hotels gegenüber klebt
wie ein übergrosser Tropfen ein gol
dener Peugeot 206 in Höhe des ach
ten Stocks; offensichtlich als Götter
geschenk aus dem Warenhimmel
auf dem Weg nach unten, zu den
Sterblichen. Im Hotelzimmer fin-
den/sichfarbige Zettelchen auf dem
Bodert f- jemand hat sie unter der
Tür durchgeschoben, wird es auch
die nächsten Abende tun. «Beauti-
ful Girls» oder «Good looking
Men» versprechen die Sociability
Agencies «Top Escort» und «Sex
Girls». «Call us and be our client.
The maxiitium for the realisation of
your Orders is ten minutes.» Ver
traut ist der Westen ja, aber ehrlich,
kann man ihn auch mögen?»
Regelkreis Kunst-Geld-
Medjen
«Im Zug nach Berlin reisen Ka
merateams und viele Journalisten
mit. Die Autoren sind brav und be
trinken sich nicht. Oder lassen es
sich nicht anmerken. An der pol
nisch-deutschen Grenze fährt, ganz
nach dem Gesetz der Symmetrie, er
neut i ein Regensturm aus dem
Nichts über den Zug, wie damals vor
drei Wochen, beim Grenzübertritt
nach Polen. Und in Frankfurt an der
Oder, steigt ein Mann zu, der das
HO-Modell des Sonderzuges «Gör
litz», in dem wir Richtung Endstati
on ruckeln, anbietet: Triebköpfe
und Wagons ordentlich in passende
Styropormulden gebettet; über die
Seiteh läuft, wie beim Original, das
massstabgetreu verkleinerte Litera-
turexpress-Logo. DM 999.-. Hand
arbeit. Nur auf Bestellung. Ob Mo
dellbauer, Fotograf oder Kultur
journalistin - die ganze Reise sollte
der Literaturexpress schon Bild,
Festes, Gelungenes/Misslungenes
sein. .Zu vergleichen mit einer Er
zählung, die während des Schrei
bens bereits kommentiert, interpre
tiert i,und kritisiert wird. Tödlich.
Und i Folge des unheiligen Paktes,
den das Organisationsteam einge
gangen ist, vielleicht einzugehen
hatte im Regelkreis Kunst-Geld-
Medien in den Jahren der Herren
19974f. Die «ZEIT» bringt es auf
den Punkt: « Der Literaturexpress,
von aussen gesehen, ist ein Reprä
sentationsunternehmen, dessen Er
folg sich am Medienecho bemisst.»
Welches möglichst laut ins Sponso
renohr zurückgingen soll. Nach
dem ;die Sponsorenhand den Zug,
das Zwei-Millionen-Projekt ange
schoben hat. Geld ist eilig gewor
den, in Europa 2000. Und die Ver-
bündung mit ihm ein Pakt mit dem
voreilig Bild Gewordenen. Schrift
steller sind langsam. Sie verstehen
erst im Schreiben, wie ihnen gesche
hen ist. Diese unzeitgemässe Form
der Behinderung verdient nyr des
halb besondere Pflege, weil sie mit
einer heute selten gewordenen
Kostbarkeit auftritt: dem Gedächt
nis. Das Gedächtnis zeichnet auf,
nicht aus. Es wertet nicht. Weil der
Literaturexpress dauernd Medien
wert produzieren muss, wächst ihm
kein Charakter von innen, vom Er
lebten her zu. Innenleben (Auto
ren) und Aussenform (Organisato
ren) haben sich nicht gefunden. In
Sichten und Absichten. Im Persönli
chen schon. Wie der Mann mit dem
Miniaturzug durch den Zug geht
und ihn zum Kauf anbietet, hat die
Reise ihre finale Identität verpasst
bekommen: Sie ist «Modell» gewor
den und, schlimmer noch, unter ei
nem der grässlichsten Wörter der
letzten Jahre, dem «Event» zum
Stillstand gekommen.»
Misston und Vielkiang
«So endet die Reise am 16. Juli
beim Berliner Schlussempfang im
Palais am Festungsgraben auch mit
einem Misston. Die irische Schrift
stellerin Anne Haverty verliest
stellvertretend einen Text, der als
kulturpolitisches Manifest der Lite
raturexpress-Autorinnen gehört
werden soll, in Wahrheit aber weder
allen vorgelegen hat, geschweige
denn unterschrieben worden ist.
Der präzise und richtige Forde
rungskatalog nach z.B. vermehrter,
staatlich finanzierter Übersetzungs
arbeit ist auf Wunsch des Organisa
tionsteams zustande gekommen.
Die Reise sollte ein Resultat haben.
Auch über die Köpfe der Reisenden
hinweg. Lässt sich so Erfolg bewei
sen? Ist nicht die Tatsache, dass die
ser kontinentale Mikrokosmos an
gesichts der Unzahl politischer An
tagonismen Berlin «in Frieden» er
reicht (einer der Wünsche, vom por
tugiesischen Nobelpreisträger Jos6
Saramango in Lissabon mit auf den
Weg gegeben), mehr als ein Erfolg?
Nicht ein Wunder, dass es nur die
Ukrainer waren, die mit einer natio
nalen Agenda das Projekt zu polari
sieren suchten und gescheitert sind?
Nicht wahrhaft ein Ereignis, dass
viele Westler über die Mauer in
ihren Köpfen gesprungen sind und
sich den Erfahrungsräumen des
Ostens geöffnet haben? Da hat ein
Drängen der Literaturvermittlung
eine Tür zur Literatur zugeschlagen.
Neben den unzählig vielen mehr,
die der Literaturexpress geöffnet
und ein gewaltiges kontinentales
Durchatmen erlaubt hat.»
Geschlaucht
«Der Liechtensteiner? Er ist öf
ters froh gewesen, Liechtensteiner
zu sein. Die Presse hat sich nämlich
kaum für ihn interessiert und er
konnte so in Ruhe seiner Wege ge
hen. Er ist überhaupt viel gegangen,
aus Städten hinaus, in Städte hinein.
Sein Körper gibt ihm in Berlin mit
einer beidseitigen Bindehautent
zündung, Bronchialschleim und bel
lendem Husten zu verstehen, dass
jetzt genug sei. Mehr als genug. Er
fühlt sich wie eine Einkaufstasche
nach dem Samstagsshopping, zum
Platzen gefüllt und tonnenschwer.
Noch nie hat ihn eine Reise so ge
schlaucht. Er würde sie um zwei Wo
chen verlängern, und nach der zwei
ten und vierten Reisewoche jeweils
sieben Tage Spür- und Schreibpause
einlegen, auf dem Land. Am schwie
rigsten fand er es, sich die Gegen
wärtigkeit zu erhalten, die Auf
merksamkeit für das Eigene eines
jeden Ortes. Europa? Ein Vielklang
an Stimmen. Die Arbeit, sie verste
hen zu lernen. Europa? Ein Mosaik
andersfarbiger Blicke. Die Arbeit,
sie als Reichtum zu begreifen. Euro
pa? Das weisse Licht in Madrid. Der
schwarze Wasserrücken der Neva in
St. Petersburg. Der algerische Bett
ler vor der Notre Dame in Paris. Das
Bildschirmschoner-Wort am Liech
tensteiner Expo-Stand: Kääs-
knöpfle. «What a long stränge trip
it's been».Thickin', Grateful Dead.
Danket»
REKLAME
I Hamann W*ir«Mth,Nattomli«tSVP ■ I
1 und pfifft! tftr Ptfrftrhtn WihffrffWTTf I
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Ihre Ja-Stimme
nützt dem
Schweizer Wald
Der Holzwirtschaft lind den Landwirten
nützt die Hfderabgabe, weN sie das
Hotz als einheimische, natürliche Energie
quelle fördert.
Solaf-Rappen
BxJa für Umwelt, Gesundheit,
Arbeitsplätze am 24. September
t« J«. P0«tl4Oi »»■ MOO »tu »
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