Liechtensteiner Volksblatt
Staatsfeiewtaq
Mittwoch, 16. August 2000 3
Die Ansprache des Landesfürsten zum Staatsfeiertag 2000 im Wortlaut
Liebe Liechtensteinerinnen, liebe
Liechtensteiner. Das Fürstentum
Liechtenstein befindet sich seit ei
niger Zeit in der grössten innen-
und aussenpolitischen Krise seit
dem 2. Weltkrieg. So dramatisch
die Situation auch ist, dürfen wir
nicht vergessen, dass die Lage im
2. Weltkrieg und davor noch sehr
viel dramatischer war als heute.
Liechtenstein war damals ein sehr
armes Land, innenpolitisch zer
stritten und von 1938 bis 1945 in
seiner Existenz durch das Dritte
Reich bedroht.
Seither haben wir einen wirtschaftli
chen Aufschwung erlebt, den selbst die
grössten Optimisten nicht erwarten
konnten. Entgegen dem besonders im
Ausland herrschenden Vorurteil ist
nicht der Finanzplatz und erst recht
nicht der Tourismus die Grundlage
dieses Aufschwungs gewesen, sondern
der industrielle Sektor. 46 Prozent der
Arbeitsplätze befinden sich in diesem
Sektor und nur rund 13 Prozent im Fi
nanzdienstleistungsbereich. Diese
Zahlen soll man nicht vergessen, wenn
von der Bedrohung des liechtensteini
schen Finanzplatzes gesprochen wird.
Trotz der Angriffe auf den Finanz
platz Liechtenstein steht das Fürsten
tum aussenpolitisch so stark da
wie noch nie in seiner Geschichte.
Vor rund 25 Jahren waren noch ein
flussreiche Staaten gegen eine gleich
berechtigte Mitgliedschaft Liechten
steins in der UNO. Jetzt sind wir in al
len für uns entscheidenden internatio
nalen und europäischen Organisatio
nen ein gleichberechtigtes Mitglied.
Diese Mitgliedschaften, besonders
aber die Mitgliedschaft im Europäi
schen Wirtschaftsraum, geben uns ei
nen gewissen Schutz gegen wirtschaft
liche Sanktionen im Zusammenhang
mit den Angriffen auf den Finanz
platz.
Ich bin überzeugt, dass wir gemein
sam, d.h. Volk und Fürstenhaus, so wie
in der Vergangenheit auch in der Zu
kunft die innen- und aussenpoliti
schen Probleme unseres kleinen Hei
matlandes lösen werden. Das grösste
innenpolitische Problem ist derzeit die
ungelöste Verfassungsfrage und dort
S.D. Fürst Hans-Adam II. betonte in seiner Ansprache: «Trotz der Angriffe auf den Finanzplatz Liechtenstein steht das Fürstentum aussenpolitisch so stark da wie noch
nie in seiner Geschichte.»
können wir selbst entscheiden, wann
und wie wir diese lösen. Die aussenpo
litischen Probleme, insbesondere die
Angriffe auf den Finanzplatz werden
uns wahrscheinlich noch mehrere Jah
re beschäftigen, und deshalb sollten
wir möglichst rasch dieses innenpoliti
sche Problem lösen, um uns gemein
sam mit vereinten Kräften den aussen
politischen Herausforderungen zu
stellen. Nach den Wahlen, sobald die
neue Regierung gebildet ist, werden
der Erbprinz und ich auf eine schnelle
Entscheidung drängen, damit die Ver
fassungsfrage nicht noch länger die
Zusammenarbeit mit Regierung und
Landtag belastet. Verglichen aber mit
den innenpolitischen Streitereien in
den 30er-Jahren und der Anschlussbe
wegung an das Dritte Reich ist die
Verfassungsdiskussion zwar eine Be
lastung, aber vorderhand no.ch keine
existenzbedrohende Krise unserer
Staatsform.
Der Dialog in wichtigen Fragen zwi
schen dem Fürstenhaus einerseits so
wie dem Landtag und der Regierung
andererseits verläuft nicht so, wie dies
zum Wohl des Landes notwendig
wäre. Im Zeitalter der Demokratie
genügt nicht mehr der Dialog zwi
schen Monarchie und Oligarchie. Die
Verfassungsdiskussionen auf dem
Schloss mit der Bevölkerung haben
gezeigt, dass auch der Dialog zwischen
Volk und Monarchie nützlich und not
wendig ist.
Wir sind zuversichtlich, dass die
Mehrheit der liechtensteinischen Be
völkerung weiterhin wünscht, dass
sich das Fürstenhaus für die Zukunft
dieses Landes einsetzt. Der Erbprinz
wird deshalb nicht die Entscheidung
über die zukünftige Stellung der Mo
narchie in der Verfassung abwarten,
sondern jetzt schon beginnen, sich mit
dem Zukunftsprogramm unseres Lan
des auseinanderzusetzen. Der Vorteil
einer Monarchie, welche politische
Verantwortung für das Land trägt, ist,
dass sie sich langfristig über Genera
tionen hinweg mit den politischen
Problemen eines Landes auseinander
setzen kann. Besonders für ein kleines
Land wie das unsrige ist es wichtig,
dass sich jemand frühzeitig mit
den Entwicklungen in der Welt und in
Europa beschäftigt. Unser kleines
Heimatland ist von diesen Entwick
lungen sehr viel abhängiger als
ein grosses und muss deshalb im
Ernstfall sehr viel schneller und fle
xibler reagieren können, um zu über
leben und zu gedeihen. Wir leben im
Zeitalter der Globalisierung, die den
Kleinstaat in seiner Existenz bedro
hen kann, ihm aber auch viele Chan
cen bietet.
S. D. Fürst Hans-Adam zusammen mit Gattin I. D. Fürstin Marie und dem Erbrinzenpaar S. D. Prinz Alois und I. D. Prinzessin
Sophie auf dem Weg zur Schlosswiese.
«Der Dialog in wichtigen Fragen zwischen dem Fürstenhaus einerseits sowie dem
Landtag und der Regierung andererseits verläuft nicht so, wie dies zum Wohl des
Landes notwendig wäre», stellte der Landesfiirst in seiner Ansprache fest.