Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner Volksblatt 
Staatsfeiertag 2000 
Donnerstag, 10. August 2000 25 
«Für mich ist klar, dass Liechtenstein zu 
einem Stadtstaat wird» 
Gespräch über die Zukunft Liechtensteins mit Peter Frick und Arnold Matt 
Arnold Mall:«Ich glaube nicht, dass wir Richtung Monaco .steuern. Für mich ist aber klar, dass Liechtenstein in den nächsten 
Jahrzehnten zu einem Stadtstaat wird. Diese Tendenz zeigt sich deutlich.» 
Die Zukunft Liechtensteins hängt 
nicht nur vom Finanzdienstleis- 
tungsplatz ab. Auch das Gewerbe 
und die Industrie bilden für unser 
Land einen sehr wichtigen Eck 
pfeiler. Wie stellt sich das Gewerbe 
und die Industrie die Zukunft un 
seres Landes vor? Das Volksblatt 
sprach mit Peter Frick, Präsident 
der Industrie- und Handelskam 
mer, und Arnold Matt, Präsident 
der Gewerbekammer, über ihre 
Vorstellungen bezüglich unseres 
Landes im neuen Jahrtausend. 
Mit Peter Frick und Arnold Matt 
sprach Alexander Hatliner 
VOLKSHLATT: Herr Frick, vor weni 
gen Monaten feierte Liechtenstein den 
5. Geburtstag des EWR- Vertrages. So 
wohl die Industrie als auch das Gewer 
be sprachen sich damals für eine An 
nahme des EWR- Vertrages aus. Haben 
sich Ihre Vorstellungen, Hoffnungen 
und Wünsche bezüglich des EWR er 
füllt? 
Peter Frick: Aul Suiten der Industrie 
haben sich die Vorstellungen erfüllt. Ei 
ne Bedingung war. den doppelten Wa 
renverkehr mit dem EWR und mit der 
Schweiz zu realisieren. Dieser wurde 
realisiert und er funktioniert einwand 
frei. Vom EWR-Verlrag halten wir nicht 
erwartet, dass wir neue Vorteile erhal 
ten. Iis ging uns vor allem darum, den 
Status quo zu halten. Und dieser wurde 
gehalten. Dies war das Ziel und auch 
das llauptargumenl der Industrie. Wie 
wichtig oder sogar lehenswichtig für un 
ser I.and es war. die Konkurrenz- und 
Lebensfähigkeit von Industrie und Ge 
werbe als Standbeine unserer Volks 
wirtschaft zu sichern, zeigt uns die aktu 
elle Krise des Finanzplatzcs mit aller 
Deutlichkeit. 
Arnold Matt: Auch von Seiten des 
Gewerbes kann ich eine positive Bilanz 
ziehen. Die Befürchtungen, die damals 
von verschiedenen Kreisen geäussert 
wurden, haben sich nicht bewahrheitet. 
Deshalb sind wir mit dem EWR zufrie 
den. Es gibi immer Kleinigkeiten, die 
nicht optimal laufen. Auch die Befürch 
tung, dass ausländische Gewerbebetrie 
be in übermässiger Art und Weise nach 
Liechtenstein kommen würden, hat sich 
auch nicht bewahrheitet. Wie die 
Industrie, kann auch das Gewerbe ein 
positives Bild zeichnen. 
Wenn ich Visionär 
sein möchte, müsste 
ich sagen, dass man 
heute schon mit dem 
Bau eines Tunnels für 
eine U-Bahn von 
Feldkirch bis Balzers 
beginnen sollte. 
Der EWR hat zu einem Wirtschafts- 
boom geführt. Der Bankensektor ist 
stark am Wachsen, neue Unternehmun 
gen siedeln sich bei uns an, die Tele 
kommunikation wurde liberalisiert. 
Dies alles führt zu einem Personalzu 
wachs und zu einem steigenden Iloden- 
bedarf da alle neuen Firmen auch 
Platz brauchen. Welche Richtung wird 
Liechtenstein durch diese Entwicklung 
einschlagen? Werden wir in den nächs 
ten 30 oder 40 Jahren zu einem zweiten 
Monaco, also zu einem Stadtstaat? 
Peter Frick: Ich glaube, dass wir nun 
zuerst die Krise des Finanzdienstleis- 
tungsplatz.es überstehen müssen. Mit 
dem EWR hat dieses Debakel aller 
dings nichts zu tun. Ein Teil der Finanz 
dienstleister und viele andere haben 
leider zu lange die Risiken für den Fi- 
nanzplatz Liechtenstein nicht erkannt 
oder nicht wahrhaben wollen. Ich glau 
be nicht, dass wir Richtung Monaco 
tendieren. Ich sehe eher, dass wir die 
Dynamik und das weitere Wachstum 
des Finanzdienstleistungssektors neu 
überdenken müssen. 
Arnold Mail: Ich glaube nicht, dass 
wir Richtung Monaco steuern. Für mich 
ist aber klar, dass Liechtenstein in den 
nächsten Jahrzehnten zu einem Stadt 
staat wird. Diese Tendenz zeigt sich 
deutlich. Wenn ich daran denke, dass ich 
zu meiner Schulzeit noch lernte, dass 
Liechtenstein rund 12 000 bis 15 000 
Einwohner hat und heute haben wir 
schon über 30 00(1 Einwohner, obwohl 
ich noch nicht einmal 50 Jahre alt bin, 
ist diese Tendenz nicht von der Hand zu 
weisen. Ich gehe davon aus, dass es in 
Liechtenstein in den nächsten 50 Jahren 
nochmals eine Verdoppelung wenn 
nicht sogar Verdreifachung der Bevöl 
kerungszahl geben wird. Deshalb glau 
be ich, dass Liechtenstein zu einem 
Stadtstaat wird. Wir müssen aber heute 
schon überlegen, wie wir die Probleme, 
die dadurch entstehen, lösen werden. So 
unter anderem das Verkehrsproblem. 
Wenn ich Visionär sein möchte, müsste 
ich sagen, dass man heute schon mit 
dem Bau eines Tunnels für eine U-Bahn 
von Feldkirch bis Balzers beginnen soll 
te. Dann hätten wir in 15 bis 20 Jahren 
ein Verkehrssystem, welches die Prob 
leme lösen würde. 
Wollen wir überhaupt, dass Liechten 
stein eine solche Entwicklung nimmt? 
Arnold Matt: Wir dürfen uns die 
Wachstumschancen natürlich nicht ver 
bauen. Dies gilt auch für die Industrie 
betriebe. Der Wachstumsdruck ist we 
gen der Konkurrenzfähigkeit immer 
vorhanden. 
Peter Frick: Man inuss diesbezüglich 
berücksichtigen, dass die Liechtenstei 
ner Industrie mehr als das Doppelte 
ihrer inländischen Mitarbeiterzahl im 
Ausland hat. Wir wachsen praktisch im 
Ausland. Dennoch haben wir den Ex 
port in den letzten 5 Jahren um rund 
25 Prozent gesteigert. Die Möglichkeit 
zur Expansion in Liechtenstein ist für 
die Industrie schon wegen der nötigen 
Mitarbeiter beschränkt. Dies gilt nicht 
nur für die Mitarbeiter aus Liechten 
stein, sondern für die Mitarbeiter aus 
der ganzen Region. Wir haben nämlich 
heute einen regionalen Arbeitsmarkt 
und nicht nur einen liechtensteini 
schen Arbeitsmarkt. Aber auch der re 
gionale Arbeitsmarkt ist beschränkt. 
Deshalb ist die Wachstumsmöglichkeit 
eingeschränkt. Wir brauchen aber ein 
ständiges Wachstum. Momentan be 
schäftigt die Industrie Liechtensteins 
rund 7000 Personen. Es wäre eine Illu 
sion zu glauben, dass sich diese Zahl 
verdoppeln liesse. Ich bin nicht der An 
sicht, dass Liechtenstein zu einem 
Stadtstaat wird. Es braucht einfach ei 
nen nationalen Konsens bezüglich der 
Richtung, die Liechtenstein einschla 
gen soll, und bezüglich des Ausländer 
anteils. Ob der Ausländeranteil 55 Pro 
zent, 40 Prozent oder noch weniger be 
tragen soll, hängt davon ab, was wir in 
Liechtenstein in Zukunft wollen. Ich 
persönlich bin der Meinung, dass ein 
Ausländeranteil von über 50 Prozent 
ein Problem werden könnte. Es ist 
auch nicht notwendig, dass man den 
Ausländeranteil steil steigen Uisst, da 
wir den regionalen Arbeitsmarkt aus 
schöpfen können. Er ist zwar auch be 
grenzt, aber keineswegs völlig unergie 
big. 
Wie sieht es beim Gewerbe aus? Wie 
hoch ist der Bedarf an ausländischen 
Arbeitskräften beim Gewerbe? 
Arnold Matt: Grundsätzlich sind die 
Personalressourcen für das Gewerbe 
sehr knapp. Uns fehlen die Fachleute. 
Man muss diese Problematik schon 
überregional betrachten. 
Wenn man aber das Verhandlungser 
gebnis zum freien Personenverkehr mit 
der EU in Betracht zieht und Sie jetzt 
sagen, dass die Personalressourcen 
knapp seien, frage ich mich: Ist das 
überhaupt noch umsetzbar? Was er 
wartet die Industrie und das Gewerbe 
diesbezüglich von der Politik? 
muss gemacht werden, damit die Vor 
aussetzungen optimal sind? 
Peter Frick: Ich bin der Ansicht, dass 
wir mit dem regionalen Arbeitsmarkt 
überleben können. Wir müssen uns 
nach dem regionalen Arbeitsmarkt 
richten. Wenn er nicht ausreichen sollte, 
muss die Industrie noch stärker im Aus 
land expandieren. Die Lösung mit den 
56 Personen, welche die Regierung mit 
der EU ausgehandelt hat, ist eine politi 
sche Entscheidung, die wir akzeptieren 
müssen. Die Frage lautet nicht: Wollen 
wir mehr? Die Frage lautet: Was ist po 
litisch möglich - also im Konsens durch 
setzbar. 
Arnold Matt: Es ist auch eine Frage, 
ob diese Zahl umsetzbar ist oder nicht. 
Diese Regelung gilt die nächsten sieben 
Jahre. Nach sieben Jahren könnte es so 
sein, dass wir mehr Ausländer nach 
Liechtenstein lassen müssen, weil die 
Wirtschaft so am Wachsen ist. Momen 
tan ist es gut möglich, dass wir unseren 
Personalbedarf mit dem regionalen Ar 
beitsmarkt abdecken können. Die um 
liegenden Dörfer wie beispielsweise 
Haag oder Sevelen auf Schweizer Seite 
oder von Feldkirch bis Bregenz auf 
österreichischer Seite wachsen dadurch 
ja auch ständig. Man muss auch 
berücksichtigen, dass die Industrie- und 
Gewerbezonen bei uns im Land er 
schöpft sind. Beispielsweise ist es in 
Mauren nicht mehr möglich, weitere 
Gewerbe- oder Industriebetriebe anzu 
siedeln, da alles erschöpft ist. Deshalb 
ist es für das Gewerbe aus Platzgründen 
schwierig, weiter zu expandieren. Vor 
allem haben wir nicht die Möglichkeit 
wie die Industrie, beispielsweise 500 Ar 
beitsplätze in Österreich anzusiedeln. 
Das ist für uns nicht möglich. 
Wie kann man dieses Manko beheben? 
Arnold Matt: Wenn ich das als Vi 
sionär sagen muss. würde ich vorschla 
gen. gewisse Zonen zu reduzieren. Für 
mich sollten die Bauern zu Land 
schaftsgärtnern werden. Bei der Land 
wirtschaft erhält sich der Staat viele 
Ausgaben durch Subventionen. Man 
sollte sich dies beim Staat nochmals 
überdenken. 
Peter Frick: Das Gewerbe hat seinen 
Hauptmarkt in Liechtenstein. Dieser 
Markt ist in den letzten Jahren sicher 
steigend gewesen. Dies hängt natürlich 
auch von der konjunkturellen Situation 
ab. Im Moment bauen beispielsweise ei 
nige Banken und dadurch erhält das 
Gewerbe viele Aufträge. Langfristig ge 
sehen hat das Gewerbe unseres Landes 
mit dem Markt, der in unserem Land 
vorhanden ist, immer ein gutes Aus 
kommen gehabt. Das heisst: Wenn das 
Gewerbe expandieren möchte, wird es 
verstärkt Aufträge in der Region akqui- 
rieren. Dann ist es natürlich auch not 
wendig. dass das Gewerbe in der Regi 
on Ableger aufbaut, wie es beispiels 
weise Bruno Risch in Vorarlberg mach 
te. Das Gewerbe kann in der Region 
machen, was die Industrie im weiteren 
Ausland gemacht hat. 
Für mich sollten die 
Bauern zu 
Landschaftsgärtnern 
werden. Bei der 
Landwirtschaft erhält 
sich der Staat viele 
Ausgaben durch 
Subventionen. 
Arnold Matt: Das ist auch meine 
Meinung. Für die Industrie ist das aber 
sicher einfacher. Dies ist für einen Ge 
werbebetrieb ein grosser finanzieller 
Aufwand. Dies würde heissen. dass ich 
mit vier oder fünf Personen eine Be 
triebsstätte aufrecht erhalten müsste. 
Ich müsste die Investitionen zweimal 
tätigen. Die Gewerbebetriebe sind zu 
klein, um sich so zu dezentralisieren. Es 
braucht eine gewisse Grösse, um dies 
möglich zu machen. 
Peter Frick: Der grösste Vorteil für 
die Industrie war die Liberalisierung 
des regionalen Arbeitsmarktes. Dieser 
erstreckt sich für mich von Chur bis 
zum Bodensee und von Appenzell bis 
zum Arlberg. Aus dieser Gegend müs 
sen wir unsere Arbeitskräfte für Liech 
tenstein schöpfen. Wir brauchen natür 
lich auch Fachkräfte aus dem Manage 
ment- und Informatikbereich. Diese 
können auch aus dem weiteren Ausland 
stammen. Die 56 Personen gemäss der 
Lösung zum freien Personenverkehr 
sollten nicht aus der Region, sondern 
aus dem weiteren Ausland stammen. 
Gerade für solche hochqualifizierten 
Fachleute aus grösserer Entfernung 
sollte die 56-Persanen-Quote genutzt 
werden. Das ändert natürlich nichts 
daran, dass wir in der Region sehr gute 
Ausbildungsstätten brauchen. Das ist 
Fortsetzung auf Seite 21
	        

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