Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner Vtilksblalt STAATSFEIERTAG 2000 Donnerstag, 10. August 2(KX1 
«Die neue Situation führte zu einer 
grösseren Attraktivität Liechtensteins» 
Interview mit Benno Büchel, dem Präsidenten des Bankenverbandes, zur Zukunft des Finanzplatzes und des Landes allgemein 
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Heimo Michel: «Ein Wachstumssclutb, wie wir ihn in den vergangenen Jahren erlebt haben, birgt die Gefahr eines Wildwuchses. Das müssen wir selber verhindern und zwar 
im eigenen Interesse. Die Botschaft lautet: Wachstum und neue Ideen ja, aber natürlich und kalkulierbar, sonst schlittern wir unweigerlich in die nächsten Probleme.» 
Am 8. November 1999 begann mit 
dem Bericht im Nachrichtenma 
gazin «Der Spiegel» die Krise um 
den Finanzplatz. In den letzten 
neun Monaten wurde einiges un 
ternommen, damit unser Land aus 
den internationalen Schlagzeilen 
verschwindet. Wie soll es nun wei 
tergehen mit dem Finanzplatz und 
mit Liechtenstein im Allgemei 
nen? Der Präsident des Banken 
verbandes, Benno Büchel, drückt 
im Interview aus, dass er optimis 
tisch in die Zukunft blicke und 
auch weiterhin mit einem Wachs 
tum rechnc. Doch er unterstreicht 
auch, dass ein zu schnelles Wachs 
tum in verschiedener Hinsicht 
problematisch sein könnte. 
Mit Benno Büchel sprach 
Alexander liailiner 
VOLKSBLATT: Liechtenstein feierte 
vor wenigen Monaten den 5. Geburts 
tag des EWR. Welche Erfahrungen 
machten die Banken mit dem EWR 
und wie bewertet der Bankenverband 
aus heutiger Sicht den EWR? 
Benno Büchel: Durch den EWR hat 
der Finanzplatz grundsätzlich eine Auf 
wertung erfahren. Dies wurde auch 
durch die regelmässigen Kontrollen 
durch die ESA. die European Surveil- 
lance Aulhorilv. die uns stets ein gutes 
Zeugnis ausstellte, bestätigt. Der EWR 
hat zu einer Öffnung des Finanzplatzes 
geführt. Dagegen isl nichts einzuwen 
den. solange sie organisch, das heisst 
kalkulierbar ist. Die neue Situation 
führte zu einer grosseren Attraktivität 
Liechtensteins, was uns wiederum neue 
Chancen aber auch einen verschärften 
Wettbewerb bescherte. Ein zu schnelles 
Wachstum isl problematisch in ver 
schiedener I linsicht. deshalb wurden 
seitens der Regierung Massnahmen er 
griffen, damit die Entwicklung kontrol 
lierbar bleibt. 
Wir sind ein 
Kleinstaat, in 
welchem es nicht 
möglich ist, 
unbeschränkt neue 
Banken anzusiedeln. 
Bei der EWR-Abstimmung wurde oft 
geäussert, dass der EWR- Vertrag ein 
Vorteil für die Industrie und das Ge 
werbe mit sich bringe, und auf den Ei- 
nanzplatz eher negative Auswirkungen 
hahen könnte. Jetzt isl der grosse Ge 
winner des EWR der Einanzplatz. Wie 
erklären Sie sich, dass genau das Ge 
genteil vom Erwarteten eingetreten 
ist? 
Ich teile Ihre Ansicht nicht, dass nur 
der Finanzplatz vom EWR profitiert 
hat. Für die Industrie und das Gewerbe 
war die Öffnung ebenso wichtig. Im 
Vorfeld der Abstimmungen von 1992 
und 1995 war ich als Vertreter der Ban 
ken in der EWR-Arbeitsgruppe der 
Liechtensteinischen Industrie- und 
Handelskammer (LIHK). Ich war 
schon damals überzeugt davon, dass 
sich der EWR positiv auf das Land und 
den Finanzplatz auswirken kann, denn 
auf die Dauer überlebt nur, wer markt 
konform ist und sich immer wieder mit 
der Konkurrenz misst. Durch die Öff 
nung als Folge des EWR hat sich für un 
seren Finanzplatz die Situation erge 
ben, dass sich die Banken plötzlich vie 
len neuen Mitbewerbern gegenüber sa 
hen, die von der Bilanzsumme her teil 
weise /.war noch nicht so bedeutend 
sind, im Ausland sah man aber nur die 
stark angestiegene Anzahl von Banken, 
was wiederum zu einer erhöhten Wach 
samkeit führte. Es wurde bezweifelt, ob 
wir auch die geforderten Strukturen 
und Standards besitzen und anerken 
nen. Von einem Kleinstaat wie Liech 
tenstein wurde bisher vielleicht ein ge 
wisses Regelungsgefälle zu anderen 
Rechtssprechungen toleriert, wenn 
man es aber aus der Sicht der anderen 
zu bunt treibt, bleibt die Reaktion nicht 
lange aus. Und die haben wir. wie das 
Beispiel aus jüngster Vergangenheit 
deutlich zeigt, sehr schmerzhaft zu 
spüren bekommen. 
Wir haben natürliche 
Grenzen. Hierzu 
gehören unter 
anderem die knappen 
Raum- und 
Personalressourcen. 
Der EWR hatte und hat auch zur Fol 
ge, dass einige ausländische Banken 
bei uns ansässig wurden. Vor rund 10 
Jahren waren noch drei Banken an 
sässig. Heute sind es 16. Wie beurteilt 
der Bankenverband diese Entwick 
lung? 
Wie schon erwähnt, hat der Banken 
verband nichts gegen einen gesunden 
Wettbewerb und grundsätzlich nichts 
gegen weitere Konkurrenten. Voraus 
setzung ist, dass die Regeln eingehalten 
werden. Es wäre unfair, den neuen Ban 
ken von vornherein zu misstrauen. Es 
kamen einige Banken in unser Land, 
die von ihrem Renommee her eine Be 
reicherung darstellen. Sie kamen zu 
uns. weil sie mit der Ansiedlung in 
Liechtenstein eine gewisse Chance und 
eine Attraktivität sehen. Wir sind uns 
alle einig, dass wir vorsichtig mit dieser 
Entwicklung umgehen müssen. Wir 
sind ein Kleinstaat, in welchem es nicht 
möglich ist, unbeschränkt neue Banken 
anzusiedeln. Je grösser der Finanzplatz, 
desto mehr Kontrolle ist notwendig. Ich 
erachte es als sehr wichtig, dass wir uns 
selbst disziplinieren und uns an Ord 
nungen halten, die international Stan 
dard sind. 
Wann ist aber das Ende erreicht? Wie 
viele Banken erträgt unser Land? 
Wichtig ist, dass wir organisch wach 
sen. Wir haben natürliche Grenzen. 
Hierzu gehören unter anderem die 
knappen Raum- und Personalressour- 
cen. In Liechtenstein braucht ja nicht 
nur der Finanzplatz Personal und Platz, 
sondern auch die Industrie und das Ge 
werbe. Die Volkswirtschaft muss aus ei 
ner gesunden Mischung bestehen. Eine 
Diversifizierung ist langfristig klug. Die 
Wirtschaft muss auf verschiedenen Bei 
nen stehen. Der Ausgleich zwischen Fi 
nanzplatz und Werkplatz war und ist 
unser Erfolgsrezept. Ein Statistikver- 
gleich mit anderen Ländern zeigt, dass 
wir im Dienstleistungsgewerbe allge 
mein bisher nicht überborden. 
Die Probleme bezüglich Personal- und 
Platzkapazität, die Sie zuvor ange 
sprochen haben, werfen meines Erach 
tens grundlegende Fragen zur Zukunft 
unseres Landes auf. Es werden Be 
fürchtungen dahingehend geäussert, 
dass sich Liechtenstein zu einem 
Stadtstaat entwickelt. Dies deshalb, 
weil jede Bank und auch jedes Unter 
nehmen, das sich bei uns ansiedelt, so 
wohl Personal als auch Bodenressour 
cen benötigt. Wir sollten doch heute 
schon darüber nachdenken, was wir 
gegen diese Entwicklung zu unterneh 
men gedenken. Wenn es so weit isl, ist 
es doch zu spät. 
Der Vorteil der 
Kleinheit ist die 
Flexibilität. Die 
Kehrseite ist, dass 
gewisse 
Entwicklungen sofort 
sichtbar werden. 
Ich glaube, dass gerade die jetzige 
Krise um den Finanzplatz diesbezüglich 
etwas Positives zum Vorschein brachte. 
Eine Denkpause. Wir haben ganz dra 
matisch feststellen müssen, dass die 
Bäume auch bei uns nicht in den Him 
mel wachsen. Ich bin nach wie vor da 
von überzeugt, dass wir alle Chancen 
und Voraussetzungen für eine erfolgrei 
che Zukunft haben. Wir haben die poli 
tischen, personellen und geographi 
schen Voraussetzungen für einen erfolg 
reichen Finanzplatz. Zudem haben wir 
über Jahrzehnte ein sehr gutes Know- 
how aufgebaut. Ein Wachstumsschub, 
wie wir ihn in den vergangenen Jahren 
erlebt haben, birgt die Gefahr eines 
Wildwuchses. Das müssen wir selber 
verhindern und zwar im eigenen Inte 
resse. Die Botschaft lautet: Wachstum 
und neue Ideen ja. aber natürlich und 
kalkulierbar, sonst schlittern wir unwei 
gerlich in die nächsten Probleme. 
Es ist interessant zu beobachten, dass 
die Krise um den Finanzplatz nun 
schon fast ein Jahr anhält, dies aber 
dem Bankenzuwachs und dem Erfolg 
des Finanzplatzes keinen Abbruch 
tut. 
Der Finanzplatz erzielt, wie die Se 
mesterergebnisse zeigen, nach wie vor 
ausgezeichnete Ergebnisse. Die Krise 
bezieht sich auf die Reputation und 
nicht auf die Effizienz. Unsere Vorzüge 
sind hinlänglich bekannt und ich bin si 
cher, dass wir bei unseren Kunden, trotz 
allem, nach wie vor einen sehr guten 
Ruf gemessen. Die Vorwürfe nehmen 
wir sehr ernst und wir strengen uns an, 
dass der gute Ruf wieder hergestellt 
wird und auch in Zukunft gewahrt 
bleibt. Das ist die beste Zukunftssiche- 
Fortsetzung auf Seite 19
	        

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