Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner Volksblatt 
Staatsfeiertag 2000 
Donnerstag, 10. August 2000 7 
«Für einen Kleinstaat ist die 
Beweglichkeit ein grosser Vorteil» 
Interview mit S.D. Fürst Hans-Adam II. zur Zukunft Liechtensteins 
harmonisierung in Sachen Zinsbe 
steuerung beschlossen. Die EU will Ge 
spräche mit der Schweiz und Liechten 
stein führen, damit diese beiden Länder 
dieses Abkommen übernehmen. Wie 
beurteilen Sie dieses Abkommen in Be 
zug auf unser Land? 
Zuerst muss man berücksichtigen, 
dass die EU auch gegenüber der 
Schweiz die Politik vertritt, dass das 
Bankgeheimnis für Steuerflüchtlinge 
abgeschafft werden soll. Im Moment 
scheint nicht die Queliensteuer im Vor 
dergrund zu stehen. Im Vordergrund 
steht die Aufhebung des Bankgeheim 
nisses. Man muss jetzt abwarten, ob dies 
erfolgreich ist. Ich kann mir nicht vor 
stellen, dass dies in der Schweiz durch 
gehen wird. Wenn jetzt die EU wieder 
unischwenkt und sagt, man könne eine 
alternative Strategie umsetzen, betref 
fend die Queliensteuer, dann stellt sich 
für uns die Frage: Wie verhalten wir uns 
dann? Führen wir dann auch eine Quel 
iensteuer bzw. Zinsertragsteuer ein? 
Meines Erachtens wäre so etwas nur 
diskutierbar, wenn wir dann auch dem- 
entsprechende Doppelbesteuerungsab- 
kommen haben. So hätte dann auch die 
Stiftung, die in Liechtenstein Sitz hat 
oder die juristische Person, die hier 
tätig ist, auf der einen Seite eine gewis 
se Steuer, davon dann aber die Kosten 
auch abgezogen werden können. Das 
wäre auch ein Modell, worüber man mit 
der EU diskutieren könnte. 
Man braucht eine 
klare und langfristige 
Politik. Da kann man 
nicht nur von Wahl zu 
Wahl hopsen. Man 
muss langfristig 
denken. 
Verschiedene Staaten der EU machen 
zudem auch Druck in Bezug auf unse 
re Gesetzgebung. Wir verschärfen mo 
mentan das Sorgfaltspflichtgesetz, das 
Rechtshilfegesetz und den Geldwä 
schereiartikel im Strafgesetzbuch, ob 
wohl wir EU-konforme Gesetze haben. 
Müssen wir, um der EU zu gefallen, 
schärfere Gesetze haben als die EU 
selbst? 
Nein, ich glaube nicht. Ich glaube es 
ist richtig, dass die Gesetze angepasst 
werden. Nichts spricht dagegen, dass 
man bestehende Gesetze verbessert. 
Beim Rechtshilfegesetz war dies sicher 
notwendig. Aber dann sollte man auch 
einen Quervergleich machen. Was sind 
die Vorschriften in den einzelnen EU- 
Staaten und in der OECD auf diesem 
Gebiet? Man muss auch einmal darauf 
hinweisen, was die Vorschriften dieser 
Staaten sind und was wir hier für Vor 
schriften haben und ihnen dann sagen, 
dass sie zuerst unseren Stand erreichen 
sollen, bevor wir unter Druck gesetzt 
werden. Geldwäsche wird hauptsäch 
lich in den grossen OECD-Staaten be 
trieben. Zu uns kommt in der Regel 
vorgewaschenes Geld. Ob es jetzt in der 
EU oder in den USA vorgewaschen 
wurde, ist egal. Wir können durchaus 
verlangen, dass dort auch entsprechen 
de Regelungen eingeführt werden. 
Liechtenstein nimmt gegenüber ande 
ren Staaten aber immer eine sehr de 
vote Haltung ein. Sie haben zu Beginn 
des Interviews von der Rolle des Staa 
tes im 3. Jahrtausend gesprochen. Sie 
glauben, dass ein Kleinstaat überle 
bensfähig ist. Inwiefern haben wir als 
Kleinstaat überhaupt noch eine Chan 
ce, wenn wir uns so verhalten, dass wir 
immer alles akzeptieren und nicht 
genügend Selbstvertrauen ausstrah 
len, wie es sich einem souveränen 
Staat eigentlich geziemen würde? Ha 
ben wir noch genügend Selbstvertrau 
en, um eine eigenständige Politik zu 
Fürst Hans-Adam II.: «Ich bin überzeugt, dass der Trend, der seit dem späten Mittelalter gegen den Kleinstaat gelaufen ist, sich 
im Rahmen der Globalisierung gekehrt hat.» 
machen und ein eigenständiger Staat 
zu sein? 
Ich hoffe ja. Ich glaube, dass man 
Selbstvertrauen haben kann. Ich bin 
überzeugt, dass der Trend, der seit dem 
späten Mittelalter gegen den Kleinstaat 
gelaufen ist, sich im Rahmen der Glo 
balisierung gekehrt hat. Nur muss man 
dann aber auch die entsprechende Poli 
tik betreiben. Man kann nicht nur sa 
gen: Ich bin ein Kleinstaat und im Prin 
zip läuft die Entwicklung für mich. 
Wenn ich die Chance nicht wahrnehme, 
die mir geboten wird, und ich mich den 
Gegebenheiten nicht anpasse, nützt mir 
das alles nichts. Ich brauche deshalb ei 
ne klare und langfristige Politik. Da 
kann man nicht nur von Wahl zu Wahl 
hopsen. Man muss langfristig denken. 
Dann kann man die Chancen wahrneh 
men. Wenn die langfristige Politik nicht 
vorhanden ist, wird man auch nicht er 
folgreich sein. Das ist notwendig. Lei 
der fehlt uns diese Politik zum Teil. Da 
bei befinden wir uns aber in sehr guter 
Gesellschaft. Es gibt sehr wenige Staa 
ten, die eine langfristige Politik machen. 
Man hätte schon vor 
Jahren oder 
Jahrzehnten an den 
Aufbau einer 
Wirtschaftspolizei 
denken müssen. 
Die Regierung hat des Weiteren be 
schlossen, das Polizeigesetz abzu 
schwächen, indem sie ausländische 
Staatsangehörige in den Polizeidienst 
aufnehmen möchte. Das heisst: Die in 
nere Sicherheit unseres Landes wird 
von Ausländern sichergestellt. Wenn 
ich dieses Ziel der Regierung mit Ihren 
Ausführungen zur Oligarchie stelle, 
muss ich mir die Frage stellen, ob ein 
Kleinstaat wie Liechtenstein im 3. 
Jahrtausend noch so souverän ist, dass 
er selber seine Bedürfnisse befriedigen 
kann. Können wir selber unseren Staat 
noch aufrechterhalten? 
Ich glaube nicht, dass 
wir Anlass haben, den 
EWR zu kündigen. 
Ich glaube sehr wohl, dass wir den 
Staat aufrechterhalten können und 
auch sehr erfolgreich sein können. Nur 
muss man rechtzeitig die notwendigen 
Massnahmen treffen. Wenn man 30 Jah 
re zuschaut, wie unser Rechtssystem 
nicht funktioniert und trotzdem nichts 
unternimmt, dann darf man sich nicht 
wundern, dass der Sturm über uns he 
reinbricht, und dass wir dann in einer 
Nacht- und Nebelaktion Polizeikräfte 
aus dem Ausland anfordern müssen. 
Man hätte schon vor Jahren oder Jahr 
zehnten an den Aufbau einer Wirt 
schaftspolizei denken müssen. Man hät 
te schon vor Jahren daran denken müs 
sen, wer für das Richteramt geeignet ist 
und gegebenenfalls diejenigen Richter, 
die für dieses Amt nicht geeignet sind, 
wieder aus diesem Amt entfernen sol 
len. Man hätte auch schon vor Jahren 
daran denken müssen, wie viele Perso 
nen wir in der Staatsanwaltschaft und in 
den Richterämtern benötigen. Es wur 
de einfach nichts gemacht, obwohl be 
kannt war, dass Jahr für Jahr zahlreiche 
Fälle einfach liegen bleiben. Dann darf 
man sich nicht wundern, wenn eines Ta 
ges der Druck kommt und dieser dann 
so gross wird, dass man solche Mas 
snahmen treffen muss. 
Von Seiten des Auslandes wächst auch 
der Druck auf unser Bankgeheimnis. 
Vor einigen Monaten äusserten Sie, 
dass wir eher den EWR kündigen als 
das Bankgeheimnis aufzugeben respek 
tive zu mindern. Hat diese Aussage im 
mer noch ihre Gültigkeit? 
Ich glaube nicht, dass wir Anlass ha 
ben, den EWR zu kündigen. Das Bank 
geheimnisgehört wie auch die Steuerpo 
litik nicht zum EWR-Vertrag. Das heisst: 
Uns kann man wegen dem EWR nicht 
zwingen, das Bankgeheimnis abzubau 
en. Dies ist auch ein Grund, weshalb ich 
mich für den EWR so stark machte. 
Natürlich wird man 
sich dann 
entscheiden müssen, 
ob wir beim 
Bankgeheimnis 
nachgeben oder 
nicht. 
Wenn die EU nun sagt, dass sie den 
EWR kündigen wolle, wenn wir unser 
Bankgeheimnis nicht abbauen, dann 
müssen wir dies akzeptieren. Wir sind 
jetzt auch Mitglied der WTO. Deshalb 
sind wir jetzt in einer besseren Position 
als noch vor ein paar Jahren. Bei der 
WTO hat man einige Fortschritte im 
Bereich des freien Handels gemacht. 
Ich hoffe, dass noch weitere Fortschrit 
te folgen werden. Dann ist der EWR si 
cher nicht mehr so wichtig, wie er Ende 
der 80er- anfangs der 90er-Jahre war. 
Natürlich wird man sich dann entschei 
den müssen, ob wir beim Bankgeheim 
nis nachgeben oder nicht. Ich glaube 
nicht, dass wir der Aufhebung des 
Bankgeheimnisses zustimmen werden, 
wenn in der Schweiz das Bankgeheim 
nis nicht aufgehoben wird. Ich glaube, 
dass diesbezüglich zuerst einmal die 
Schweiz gefordert ist, eine Entschei 
dung zu treffen. 
Vor einigen Wochen gaben Sie einige 
Interviews in ausländischen Tageszei 
tungen, bei welchen Sie betonten, im 
Notfall auch mit Notrecht zu regieren, 
falls Dr. Spitzer nicht freie Hand habe. 
Was war der Sinn dieser Aussagen? 
Weshalb haben Sie diese Drohung aus 
gesprochen? 
Zu jenem Zeitpunkt hatten wir im 
Ausland ein Glaubwürdigkeitsprob 
lem. Dies haben wir heute noch zum 
Teil. Es ist der Verdacht aufgekommen, 
dass Dr. Spitzer nur bestellt worden ist, 
um eine Weisswaschaktion durchzu 
führen und wenn er sich tiefer in die 
Materie einlesen sollte und Sachen auf 
decken würde, dass man ihm dann das 
Handwerk lege. Dies war meiner An 
sicht nach eine sehr gefährliche Situati 
on. Dann wäre die Aktion mit Dr. Spit 
zer ein Schuss ins Leere gewesen. Es 
war für mich sehr wichtig im Ausland 
klarzustellen, dass Dr. Spitzer ohne 
Rücksicht seine Arbeit durchführen 
kann - egal wer davon betroffen ist - 
und dass ich ihn zu hundert Prozent 
decke. Ich wollte im Ausland das Signal 
setzen, dass Dr. Spitzer freie Hand ha 
be. Dies ist für die Glaubwürdigkeit un 
seres Land im Ausland enorm wichtig. 
Wir müssen glaubwürdig darlegen, dass 
wir jetzt das nachholen, was wir in den 
letzten 10 bis 20 Jahren hätten machen 
müssen. 
Da und dort sind 
sicher Fehler 
geschehen. Das ist 
aber unvermeidlich. 
Gab es Anzeichen, dass Dr. Spitzer 
nicht freie Hand hatte? 
Nein, diese Anzeichen gab es nicht. 
Es war natürlich nicht jeder glücklich 
über sein Vorgehen, das versteht sich 
von selbst. Es ist eine sehr undankbare 
Aufgabe. Da und dort sind sicher Fehler 
geschehen. Das ist aber unvermeidlich. 
Man muss in solchen Situationen rasch 
und entschlossen handeln. 
Hat der Finanzdienstleistungsplatz 
Liechtenstein eine Zukunft? 
Ja. er hat eine Zukunft. Wir müssen 
jetzt aber zuerst die Massnahmen tref 
fen,die von uns verlangt werden,damit 
wir in der Lage sind, unseren Finanz 
platz sauber zu halten. Wenn wir ihn 
nicht sauber halten, sind wir langfristig 
nicht in der Lage ihn zu verteidigen. 
Dann sollte man innovativ denken und 
mit neuen Modellen kommen. Viel 
leicht wird man in den steuerlichen 
Fragen da oder dort nachgeben müs 
sen. Daraus könnte sich die Chance er 
geben, neue Märkte zu erschliessen. 
Wir als Kleinstaat müssen eine gewisse 
geistige vorausdenkende Beweglich 
keit an den Tag legen. Das haben wir in 
der Vergangenheit auch unter Beweis 
stellen müssen und dies müssen wir 
jetzt auch für die Zukunft tun. Für ei 
nen Kleinstaat ist die Beweglichkeit 
ein grosser Vorteil. Deshalb müssen 
wir uns zusammensetzen und nachden 
ken, was für Chancen wir für die Zu 
kunft haben und wie wir sie am besten 
wahrnehmen können.
	        

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