Liechtensteiner Volksblatt
Ausland
Mittwoch, 9. August 2000 19
Nachrichten
Lieberman offiziell als
Kandidat ernannt
NASHVILLE: Der demokratische Präsident
schaftsbewerber AI Gore hat am Dienstag den
langjährigen Senator Joseph Lieberman offizi
ell zu seinem Vize-Kandidaten ernannt. Damit
zieht zum ersten Mal in der Geschichte der
USA ein jüdischer Politiker als zweiter Mann in
den Präsidentschaftswahlkampf. In einer Rede
in Nashville (Tennessee) wilrdigte Goreidie Er
fahrung, Integrität und den Mut des 58-jährigen
Lieberman. Er zeigte sich (Iberzeugt, dass sie
beide zusammen den republikanischen Kandi
daten George Bush und dessen Vize Richard
Cheney bei der Wahl im November schlagen
würden. Der Weg werde von Nashville über Los
Angeles, dem Schauplatz des demokratischen
Parteitags in der kommenden Woche, direkt ins
Weisse Haus führen, versprach Gore unter dem
Jubel Hunderter von Zuhörern.
Reformerzeitung
«Bahar» verboten
TEHERAN: In Iran ist am Dienstag die letzte
der grossen reformorientierten Tageszeitungen
verböten worden. Die Entscheidung sei vom
Pressegericht auf Grund mehrerer Beschwer
den getroffen worden, verlautete von Mitarbei
tern des Blattes. Die Zeitung habe erfundene
und erlogene Artikel veröffentlicht, begründete
die konservative iranische Justiz ihre Entschei
dung. Der Chef der Zeitung, Said Pur-Asisi, ar
beitet auch für den Pressedienst des reformori
entierten iranischen Präsidenten Mohammed
Chatami. «Bahar» war das Hauptorgan der li
beralen Kräfte in Iran. In den vergangenen Mo
naten wurden mehr als 20 reformorientierte
Publikationen eingestellt und mehrere Journa
listen verhaftet. Am Dienstagmorgen demonst
rierten mehrere tausend Menschen vor dem
Parlament in Teheran gegen die Abgeordneten,
die eine Liberalisierung des Presserechts an
streben. «Bahar» hatte gestern eine Erklärung
des stellvertretenden Parlamentspräsidenten
Mohammad-Reza Chatami veröffentlicht, in
der dieser den geistlichen Führer Ayatollah Ali
Chamenei eines «organisierten Komplotts» ge
gen das iranische Parlament beschuldigte.
Tote und Verletzte bei
Bombenexplosionen
BILBAO: Bei zwei Autobomben-Anschlägen
haben mutmassliche baskische ETA-Terrori-
sten gestern im Baskenland einen Industriellen
getötet und in Madrid zehn Menschen verletzt.
In der Nacht zuvor waren vier ETA-Mitglieder
in Bilbao zerrissen worden, als in ihrem Auto
eine Ladung Sprengstoff explodierte. Zwölf
Stunden später zündeten mutmassliche ETA-
Terroristen in Zumaia bei San Sebastian eine
Autobombe neben dem Wagen des baskischen
Firmenchef Jose Maria Korta. Der 52-jährige
Präsident des lokalen Arbeitgeberverbandes
wurde zehn Meter weit fortgeschleudert und
starb. Korta war ein erklärter Gegner des ETA-
Terrors gewesen. Am Abend explodierte in
einem Wohnviertel im Norden Madrids eine
zweite Autobombe. Zehn Passanten wurden
verletzt, zwei von ihnen schwer. Ein Anrufer
hatte kurz vor der Explosion eine Warnung ge
geben. Für beide Anschläge im Baskenland und
in Madrid wurde die ETA verantwortlich ge
macht. Die Täter entkamen. In der Nacht zuvor
war am Rande von Bilbao ein Kleinwagen mit
vier ETA-Aktivisten explodiert. Die Insassen
waren auf der Stelle tot.
Staat will konsequent
handeln
FRANKFURT: Im Kampf gegen Rechts wollen
Staat und Gesellschaft jetzt konsequent und mit
allen zur Verfügung stehenden Mitteln handeln.
Bundeskanzler Gerhard Schröder kündigte ges
tern an, dass Bund und Länder dem Rechtsex
tremismus «mit aller Härte» begegnen werden.
Politiker von SPD, Union und FDP setzten sich
für beschleunigte Verfahren gegen neonazisti
sche Straftäter ein. Das Bundesjustizministeri-
um kündigte erste Massnahmen gegen rechte
Propaganda im Internet an.
Sieben Tote und 53 Verletzte
Sprengstoffanschlag in Moskau - Schwere Explosion in Fussgängerunterfuhrung
MOSKAU: Die Zahl der Op
fer des verheerenden Spreng-
stoff-Anschlags in einer Fuss
gängerunterfuhrung im Zen
trum Moskaus ist am Dienstag
weiter gestiegen. Nach jüngs
ten Angaben der Rettungs
dienste wurden sieben Men
schen getötet und 53 verletzt,
wie die Nachrichtenagentur
Interfax meldete.
Präsident Wladimir Putin hielt eine
Krisensitzung mit den Ministern für
Inneres und Verteidigung, Wladimir
Ruschailo und Igor Sergejew, sowie
den Leitern des Inlandsgeheim
dienstes FSB und des Katastro
phenschutzes ab. Der Staatschef
sprach den Angehörigen der Opfer
der Explosion das Beileid aus, wie
der Kreml mitteilte.
In der russischen Hauptstadt wur
den die Sicherheitsmassnahmen
verschärft. An grossen Zufahrts
und Ausfahrtsstrassen wurden Si
cherheitskräfte postiert. Wichtige
Häuser in Moskau sowie U-Bahn-
Stationen und belebte Plätze wur
den kontrolliert.
Der Hintergrund der Explosion
war weiterhin unklar. Der FSB und
Bürgermeister Juri Luschkow gin
gen von einem Terrorakt aus. Ärzte
in Spitälern schlössen nach der Art
Feuerwehrleute verlassen nach ihrem Einsatz die Fussgängerunterfährung in Moskau. Gestern ist dort ein Spreng
stoffanschlag verilbt worden, bei dem sieben Menschen starben und 53 verletzt wurden.
der Wunden der Opfer nicht aus,
dass der Sprengsatz mit Schrauben
und Nägeln gefüllt gewesen sein
könnte. Kurze Zeit nach der Explo
sion wurde in der Nähe des Un
glücksortes ein zweiter Sprengsatz
rechtzeitig entschärft.
Im September vergangenen Jah
res waren bei einer Serie von vier
Anschlägen auf russische Wohn
häuser, davon zwei in Moskau, in
wenigen Tagen etwa 300 Menschen
getötet worden.
TYotz fehlender Beweise machte
die russische Führung damals
tschetschenische Separatisten dafür
verantwortlich.
Moskau führt seit fast genau ei
nem Jahr einen Feldzug gegen Re
bellen im Kaukasus. Die Moskauer
Staatsanwaltschaft leitete nach der
Explosion vom Dienstag Ermittlun
gen wegen Terrorismus ein. Der
Sprengsatz mit einer Stärke von
mindestens 500 Gramm TNT explo
dierte im unterirdischen Bereich
der U-Bahn-Station Puschkinskaja
nahe der Hauptgeschäftsstrasse
l\verskaja, wie die Zivilschutz
behörde in Moskau mitteilte.
Neun Jahre Haft für Anwar Ibrahim
Malaysias Ex-Vizepremier Anwar schuldig gesprochen - Verbannung von der politische Bühne
KUALA LUMPUR: Der frühere
malaysische Vize-Regierungschef.
Anwar Ibrahim ist am Dienstag ho
mosexueller Kontakte für schuldig
befunden worden. Er wurde zu
neun Jahren Haft verurteilt.
Der Richter vom High Court in der
Hauptstadt Kuala Lumpur befand
den früheren Finanzminister für
schuldig, 1993 gemeinsam mit sei
nem Adoptivbruder Sukma Darma-
wan verbotene sexuelle Kontakte
zum ehemaligen Fahrer seiner Frau
unterhalten zu haben.
Anwar hatte die Vorwürfe immer
wieder bestritten und stattdessen
von einer politischen Verschwörung
gegen ihn gesprochen, in deren
Zentrum er Ministerpräsident Ma-
hathir Mohamad sieht. Der Prozess
hatte 14 Monate lang gedauert.
Nach Jen Worten der Ehefrau des
Verurteilten, Azizah Ismail, will ihr
Mann Berufung einlegen. Auf Ho
mosexualität stehen in Malaysia bis
zu 20 Jahre Haft.
Hartes Vorgehen
Nach der Entscheidung des
Richters muss Anwar die Haft im
Anschluss an eine sechsjährige Ge
fängnisstrafe antreten,die er bereits
wegen Amtsmissbrauchs verbüsst.
Nach dem Ende der Haft darf er
überdies fünf Jahre lang keine poli
tischen Ämter ausüben. Sukma
wurde zu sechs Jahren Haft und vier
Stockschlägen verurteilt, aber
zunächst auf Kaution freigelassen.
Weltbankpräsident James Wol
fensohn äusserte sich in Washington
beunruhigt Uber das Urteil gegen
Anwar Ibrahim. «Anwar ist nicht
nur ein Freund und ein geschätzter
Kollege, er war auch ein hervorra
gender Vorsitzender unseres Ent
wicklungskomitees und ein Mann,
der seine Meinung sagt», erklärte
Wolfensohn. «Dieses Urteil ist sehr
beunruhigend.» Auch die Regierun
gen Australiens und Neuseelands
reagierten mit Sorge und Betroffen
heit auf das Urteil.
«Lust auf Macht»
Anwar bezeichnete den Regie
rungschef nach seiner Verurteilung
als «Feigling». In einer Erklärung
sagte er, Ministerpräsident Maha-
thir habe eine «unersättliche Lust
auf Macht» und benutze Justiz so
wie Regierung für seine politischen
Zwecke. Das Urteil sei «ungerecht
und schändlich». Das malaysische
Volk werde Machtmissbrauch und
Korruption nicht länger tolerieren,
sagte er.
Vor der Verkündung des Urteils
waren mehrere hundert Sicher
heitskräfte vor dem Gerichtsgebäu
de aufgezogen, wie die malaysische
Nachrichtenagentur Bernama be
richtete. Trotz des Versammlungs
verbots demonstrierten aber bis zu
1000 Anhänger Anwars mit Rufen
wie «Lang lebe Anwar» oder «Zer
stört Mahathir». Die malaysische
Menschenrechtsgruppe Suaram
(Stimme des malaysischen Volkes)
verurteilte die Entscheidung eben
falls scharf. Ein Sprecher der Oppo
sition sprach von einem schwanen
Tag für die malaysische Justiz.
Der politische Schutz ist weg
Oberstes Gericht Chiles hebt Immunität Pinochets auf
SANTIAGO: Das Oberste Gericht
Chiles hat die parlamentarische Im
munität des früheren Diktators Au*
gusto Pinochet aufgehoben und da*
mit den Weg für einen möglichen
Prozess gegen ihit frei gemacht. Wie
Oberrichter Jose Benquis gestern
mitteilte, fasste das Gericht den Be-
schluss bereits vor einer Woche, ver
öffentlichte den Spruch aber erst
nach Abfassung der schriftlichen
Begründung.
Nach Benquis Angaben lehnten 14
der 20 Richter die Berufung Pino
chets gegen die Aufhebung der Im
munität durch eine untere Instanz
ab. Sechs Richter stimmten zu
Gunsten der Immunität, die der Ex-
general als Senator auf Lebenszeit
genoss.
Die Entscheidung ist ein wichtiger
Schritt auf dem Weg zu einem Pro
zess gegen den ehemaligen Militär
machthaber, gegen den insgesamt
157 Klagen wegen Verletzungen der
Menschenrechte vorliegen. Ob es ge
gen den 84-Jährigen allerdings über
haupt zu einem Prozess kommen
wird, ist wegen seines hohen Alters
Überschwengliche Reaktionen in Chile, nachdem feststand, das die Immu
nität des früheren Diktators Pinochet aufgehoben wurde.
und angeblich labilen Gesundheits
zustands fraglich. Aber auch dann,
wenn bei einer medizinischen Unter
suchung seine Verhandlungsfähig-
keit festgestellt würde, würde sich
ein Prozess wahrscheinlich Uber Jah
re hinziehen. Ein solches Verfahren
könne bis zu acht-Jahren dauern, er
klärte der Anwalt Eduardo Cont-
reras, der als Vertreter der Kommu
nisten vor zwei Jahren den ersten der
157 Strafanträge gegen Pinochet ein
gereicht hatte. Auch sein Kollege
Hugo Gutierrez teilt die Einschät
zung, dass Pinochet vermutlich nie
ins Gefängnis kommen wird.