Liechtensteiner Volksblatt
Land und Leute
Freitag, 4. August 2000 9
Stummer Zeuge vergangener Zeiten
Stall im Oberguat, hinteres Profatscheng inTriesenberg: Erinnerung an die Arbeitsweise und die Viehzucht der Walser
Die Viehzucht war in früherer
Zeit die einzige Einnahmequelle
der Walser. Dementsprechend
grossen Wert wurde auf die Stall
bauten gelegt. Ein stummer Zeu
ge jener Zeit ist der Stall im Ober
guat im hinteren Profatscheng.
Das Gebäude ist im Besitz der
Gemeinde IHesenberg und wurde
1977 unter Schutz gestellt. Der
Stall hat heute wirtschaftlich kei
ne Bedeutung mehr, er soll aber
für die Nachkommen, sozusagen
als ideeller Wert der walserischen
Eigenart, erhalten bleiben.
Adi Lippuner '
Die von der Sonne fast schwarz ge
brannte Stallfassade im hinteren Pro
fatscheng könnte sicher manch interes
sante Geschichte erzählen. Da aber Ge
bäude nicht sprechen können, mttssen
die Menschen versuchen, ihre stummen
Zeichen zu verstehen. Als erstes fällt
die typische Bauart auf, dann wird fest
gestellt, dass der Stall nicht mehr ge
nutzt wird. Erst beim Näherkommen
fällt der Blick auf die bescheidene Tafel
«Kulturgut». Nun steht fest, das Gebäu
de soll der Nachwelt in seinem ur
sprünglichen Zustand erhalten bleiben.
Viehzucht als Einnahmequelle
Über die walserische Siedlungsart
und die Eigenart der Hof- und Alpbe
wirtschaftung haben schon zahlreiche
Forscher und Fachleute kleine und
grosse Publikationen veröffentlicht.
Unter dem Titel «Haus, Hütte und Stall
bei den Waisern am Triesenberg», hat
David Beck in der Ausgabe 1957 der
«Bergheimat» einen mehrseitigen Arti
kel veröffentlicht. Er schrieb, dass die
Viehzucht bis in die jüngste Zeit die
einzige Erwerbsquelle der Walser am
Triesenberg war. «Schon früh haben sie
sich, zuerst als Erblehen, später durch
Kaut eine schöne Anzahl von Alpen er
worben. Die den Waisern eigentümli
che Wirtschaftsart war bis vor siebzig
Jahren (zurückgerechnet ab 1957) die
Einzelsennerei. Diese Art des Betriebes
erforderte besonders im Alpen;
viele und verschiedene Wirtschafts]
bäude. Aber auch das eigentliche
Wohngebiet rheintalseits ist in seiner
ganzen Ausdehnung bis weit hinauf mit
Häusern und Ställen übersät.»
Gemäss den Forschungen von Klen-
ze, «Die Alpwirtschaft im Fürstentum
Liechtenstein Seite 121», hatten die
IHesenberger im Jahre 1878 auf ihren
Alpen insgesamt 252 Alpgebäude (Hüt
ten und Schärmen) benötigt.
Haus und Stall getrennt
Als für die Walser charakteristisch
wird die TVennung von Haus und Stall
bezeichnet. «Dieser war», wie David
Beck in seinem Artikel schreibt, «nie
rückwärts an das Haus angebaut, son
dern stand stets in einiger Entfernung
vom Wohngebäude. Ein Hauptgrund
dafür mag wohl das haldige Terrain ge
wesen sein. Man wollte den Stall nicht
in den feuchten Erdboden hineinverle
gen. Bei einer Itennung von Haus und
Stall bestand auch weniger die Gefahr,
dass bei einem Brand die ganze Habe
vernichtet wurde.»
So stand der zum Heimgut gehören
de Stall immer in einiger Entfernung
zum Haus. Neben dem eigentlichen
Heimstall besitzen die TViesenberger
Bauern noch viele Stallgüter. Gemäss
der Publikation von 1957 «können dies
ein halbes Dutzend und mehr sein». Ein
einzelnes Stallgut lieferte jeweils für
rund einen Monat Futter, deshalb zo
gen die Bauern mit ihrem Vieh wie
Nomaden von. einem Stall zum näch
sten. Dort wurde das vorhandene Fut
ter aufgebraucht und gleichzeitig liefer
ten die Tiere mit ihrem Mist die nötige
Düngung für die Wiesen.
Die alten Ställe sind von ungefähr
gleicher Bauart. Auf einem Steinfunda
ment ruht der Blockbau, im Unterteil
aus behauenen Balken, dichtgefügt, im
oberen Teil oft aus Rundholz «aufge-
trölt». Dieser Teil, der «Heustall», wur
de auch wenn er aus behauenen Balken
erstellt wurde, nicht dichtgefügt. So
konnte die Luft durchstreichen und das
Heu austrocknen.
Firstseite gegen das Tal
Gleich wie bei den meisten Häusern
ist auch bei den Ställen die Firstseite in
der Regel gegen das Tal gestellt. Die
Stalltüre ist zweiteilig, beim Stallein
gang ist eine hohe Schwelle. Damit wur
de ein Durchzug im Stallinnern verhin
dert. Das Innere des Viehstalls ist so
eingeteilt, dass auf der einen Seite,
meist auf der rechten, die Kühe, auf der
;enüberliegenden das Galt- und
^ieh Platz fand. Je zwei «Haupt»
Vieh standen in einer «Underschlacht».
Die früher erstellten Ställe verfügen
gemäss den heutigen Tierschutzverord-
Leicht erhöht, rechts oberhalb der Wohnhäuser in Profatscheng steht dieser, unter Denkmalschutz stehende Stall. (Bilder: adi)
nungen über zu kurze Liegeflächen.
Dies dürfte mit ein Grund sein, dass al
te Stallgebäude immer mehr verschwin
den. «Wer hat in der heutigen Zeit noch
Lust, Gebäude welche nicht mehr ge
nutzt werden können, für viel Geld zu
unterhalten» ist eine oft gestellte Frage.
Da ist die Gemeinde THesenberg in
die Bresche gesprungen und sorgt mit
ihrem Engagement im hinteren Profa
tscheng dafür, dass Ur-walserische Bau
ten, wie der alte, von der Sonne ge
schwärzte Stall der Nachwelt erhalten
bleibt.
Die bescheidene Tafel«Kulturgut» wurde auf der, von der Sonne fast schwarz gebrannten Holz wand angebracht..
Blick auf die Stalltüre mit der erhöhten Schwelle.