Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner Volksblatt 
Wir Seniorinnen und Senioren 
Donnerstag, 3. August 2000 19 
Lehrer - Schüler - Eltern 
Erziehung eine permanente Aufgabe für die Eltern und für alle Lehrkräfte 
Die ältere Generation ist, in der 
Regel, nur noch indirekt mit der 
heutigen Situation der Schule und 
der Ausbildung junger Menschen 
befasst. Aus zweiter Hand aber 
hört, liest und sieht sie von der 
Disziplinlosigkeit, Aufsässigkeit 
und Gewaltbereitschaft der jun 
gen Generation und von den nicht 
selten frustrierenden Erziehungs 
bemühungen von Elternhaus und 
Schule. 
Helmut Vollmer 
Dabei wird, wie schon immer, über Ne 
gatives öfter und ausführlicher berich 
tet als Uber Positives. Um einen zwar 
subjektiven, dafür aber unmittelbaren 
Einblick in den Alltag eines Lehrers am 
Liechtensteinischen Gymnasium zu er 
halten, führte ein Mitglied des Senio- 
ren-Presseteams ein Gespräch mit Di 
plom-Mathematiker Georg Schier 
scher, wohnhaft in Schaan. 
Der Gesprächspartner 
Herr Schierscher unterrichtet seit 
rund dreissig Jahren am Liechtensteini 
schen Gymnasium. Heute vorwiegend 
in der Oberstufe. Nach kurzem Studium 
der Ingenieurwissenschaft zog ihn die 
Mathematik magisch an, obwohl seine 
Vorbildung in diesem Fach am damali 
gen Kollegium Marianum ungenügend 
war. Obwohl es ihm als Student ausser 
ordentlich schwer fiel «in die Fremde zu 
gehen», zog ihn der Attraktor Mathe 
matik zum Studium nach Freiburg. Da 
bei stand für ihn lernen und verstehen 
wollen ganz im Vordergrund und die 
Berufswahl im dunklen Hintergrund. 
Erst viel später erwuchs aus dem Be 
dürfnis, das erarbeitete Wissen anderen 
mitzuteilen,Wissensvermittlung mit Er 
ziehung zu verbinden, methodisches 
Denken zu Schulen und Lernende stu 
dierfähig zu machen, die Berufswahl 
Lehrer. 
Erziehung 
Herr Schierscher ist der festen Über 
zeugung, dass Erziehung eine perma 
nente Aufgabe für die Eltern und für al 
le Lehrkräfte, unabhängig davon, wel 
ches Fach sie unterrichten, darstellt. Er 
ziehung heisst für ihn zwar auch Erfah 
rung vermitteln, Ziele setzen, Neugier 
de und Engagement wecken, Mut ma 
chen und das Selbstbewusstsein stär 
ken. Es bedeutet für ihn aber auch, den 
jungen Menschen Hilfe für ihre persön 
liche Lebens-Sinnbildung zu bieten. 
Diese Aufgabe nur dem Religionsun 
terricht und den Philosophen zu Über 
lassen, hält er für zu bequem. Zur Er 
ziehung gehört auch deutlich zu ma 
chen, dass es in der Gemeinschaft der 
Menschen Grenzen, Rücksichtnahme 
und Solidarität braucht. Die in dem 
natürlichen Drang der Jugend nach 
schrankenloser Freiheit steckenden 
Kräfte, sollten Elternhaus und Schule 
mit Geduld, Einfühlungsvermögen und 
Beharrlichkeit für die Bewältigung an 
stehender Aufgaben der Gesellschaft 
nutzbar machen. Bereitschaft zur ge- 
sellschaftsmittragenden Eigenleistung, 
zur Rücksichtnahme und gegenseitigen 
persönlichen Achtung, sind die Grund 
pfeiler einer gewaltfreien Solidarge 
meinschaft. Es bleibt auch dann genü 
gend Raum, wenn die persönlichen 
Grenzen dort gezogen werden, wo Mit 
menschen beleidigt, gedemütigt, ge 
schädigt oder gar körperlich verletzt 
werden. 
Die Schule 
Neben dem Elternhaus hat die Schu 
le nicht nur einen Lehrauftrag, son 
dern auch eine umfassende erzieheri 
sche Aufgabe. Erfüllt kann sie nur wer 
den, wenn Elternhaus und Schule die 
gleichen Erziehungsgrundsätze aner 
kennen und gemeinsam an deren Ver 
wirklichung arbeiten. Mein Gesprächs 
partner fördert vom Lehrer volle 
Identifikation mit seinem Beruf. Er ist 
davon überzeugt, dass Schülerinnen 
und Schüler spüren, wenn der Lehrer 
ohne eigenes Engagement und in er 
starrter Routine vorträgt. Der Lehr 
stoff sollte so präsentiert werden, dass 
er Neugierde weckt, dass er anschau 
lich ist und seine Nützlichkeit für Bil 
dung und das Leben- vom Schüler er 
kennbar sind. 
Von der Schule als Institution fordert 
er, dass sie eigene erzieherische und 
ethische Grundsätze entwickelt, die 
gleich oder ungleich zu denen der Ge 
sellschaft sein können. Er ist der Mei 
nung, dass sie sich unter besonderen 
Umständen gar nicht mit der Gesell 
schaft decken dürfen. Dies insbesonde 
re dann, wenn dort ethische und mora 
lische Grundsätze von Wohlstandsden 
ken, rücksichtslosem Gewinnstreben, 
extremem Nationalismus oder sozialer 
Ungerechtigkeit überwuchert werden. 
Bei der heutigen Erziehung, die durch 
Gewalt- und Zwangsfreiheit charakte 
risiert ist, haben nur die Erzieher Er 
folg, deren Autorität deshalb anerkannt 
wird, weil sie auf Uberzeugenden Eigen 
schaften wie Sachverstand, pädagogi 
sche und didaktische Fähigkeiten, Leis 
tungsbereitschaft und Glaubwürdigkeit 
beruht. Junge Menschen suchen 
nach Persönlichkeiten, die überzeugen 
de Grundsätze haben und diese vorle 
ben. 
Die Schüler und Schülerinnen 
Trotz aller Bemühungen der Lehr 
kräfte, den Unterricht anschaulich und 
interessant zu gestalten, werden sie nur 
bei den Schülerinnen und Schülern Er 
folg haben, die sowohl die geistigen 
Fähigkeiten für eine gymnasiale Lauf 
bahn als auch den Willen zum Lernen 
und Arbeiten mitbringen. 
Berufswahl 
Der Verfasser dieses Beitrages ist der 
Meinung, dass grundsätzliche Schwie 
rigkeiten für Schüler, Lehrer und Eltern 
von vornherein wesentlich vermindert 
werden können, wenn bei der Berufs 
wahl die Fähigkeiten, Begabungen und 
Neigungen des Auszubildenden und 
nicht das Suchen nach einem lukrativen 
Job oder das sich Ausrichten nach einer 
gegenwärtig gerade im Aufwärtstrend 
befindlichen Berufssparte im Vorder 
grund stehen. Auch der Wunsch der El 
tern sollte sich diesen Prämissen unter 
ordnen. Dies ist schon deshalb ratsam, 
weil die Leistungsanforderungen in al 
len Berufen steigen und im weiteren 
Verlauf des Berufslebens Weiterbil 
dung und Flexibilität gefordert sind. 
Wer Begabung und Engagement für 
seinen Beruf mitbringt, wird sich auch 
in schwierigen Situationen behaupten 
und durchsetzen. 
Grass aus dem Jenseits: «Hoi zemma!» 

Katharina und Anton Risch-Hoop anlässlich ihrer Hochzeit im Jahre 1894. 
Katharina-Maria, das bin ich: 1871 
geboren, 1906 gestorben. Ein kurzes 
Leben, ein katholisches Leben, wie es 
damals üblich war. Alles, was nicht er 
laubt war, war Sünde und wer sündigt, 
kommt in die Hölle. Also versuchte 
man Fehltritte zu beichten. 
Der Mensch bestand nur aus Kopf 
und «Füass». Dazwischen war ziemlich 
alles tabu. Die Kinder brachte der 
Storch oder sie wurden einem von Gott 
geschenkt. Dies meistens nur der erste 
männliche Nachkomme, wichtig für den 
Bauernhof. Der Rest der Kinderschar 
war wohl auch zu gebrauchen, aber 
eher als Mägde und Knechte. An Arbeit 
fehlte es nie, aber an Aussteuern für 
Mädchen. Wehe, der Storch verfehlte 
den Kamin oder legte das Baby aufs 
Fensterbrett einer Ledigen! Die wurde 
dann mit Schimpf und Schande von 
Haus und Hof veijagt. Gebar eine Frau 
ein behindertes Kind, dann war es auch 
eine Schande, weil es eine Strafe Gottes 
war und irgend jemand in der Familie 
der damaligen oder vorherigen Zeit 
musste sich gegen Gott und die Welt 
schwer versündigt haben. 
Lesen war eine Zeitverschwendung 
und wenn, dann am ehesten in der Bibel 
oder im Katechismus. Der Herr Pfarrer 
im Dorf war der Gelehrteste, hatte ein 
Studium gemacht und musste «es» wis 
sen. «Es», das Geheimnis des Lebens 
Üs langt's 
Die Zahl der jugendlichen Gewalttäter 
steigt stetig an. Nicht nur in den USA 
kommen immer mehr Kinder und Ju 
gendliche mit Schiesswaffen in die 
Schule, erschiessen Mitschüler und 
Lehrpersonen. Jugendbanden, soge 
nannte Gangs, überfallen, erpressen' 
und rauben. Ist es verwunderlich, wenn 
der Weg zur Schule schon Angst er 
zeugt? Gewalt, die sich in Schulen, auf 
den Strassen, am Arbeitsplatz, in den 
Fussballstadien, bald Uberall abspielt, 
macht auch vor dem Elternhaus nicht 
Halt. Gewalt, rohe Gewalt, wird tagtäg 
lich, sozusagen frei Haus, via Bildschirm 
angeboten, ganz zu schweigen von den 
grässlichen Gräueltaten an immer neu 
und Sterbens, was zu tun und zu lassen 
war. In unseren Augen konnte er gar 
keinen Fehltritt machen. Er war so et 
was wie eine geheiligte Person. Alles, 
was er sagte war richtig, ein Gebot. Man 
zweifelte nicht, glaubte alles. 
Anton und ich haben 1894 geheiratet 
und unser erster Sohn Bernhard kam 
1896 auf die Welt! Das heisst, keine vor 
en Kriegsschauplätzen. Es sind keine 
guten Zeiten, jn denen wir Menschen, 
vor allem auch die Älteren, leben. Viel 
fach schützt diese nur noch das Wahl 
recht, stellte jüngst ein Moderator fest. 
Tätliche Angriffe gegen Senioren/innen 
häufen sich, sie werden niedergeschla 
gen, beraubt, oftmals ermordet. 
Was die jugendlichen Gewalttäter an 
langt, wird eifrig nach den Gründen ge 
sucht. Viele von ihnen stammen aus un 
geordneten Familienverhältnissen, aber 
häufig kommen sie aus sogenannt bes 
seren Häusern. «Ab einem gewissen 
Einkommen ist scheinbar alles mög 
lich», lautet daher ein bekanntes Zitat. 
Vielen dieser jugendlichen Kriminellen 
bieten die Eltern alles, was sie wollen, 
nur nicht Zeit und Liebe. 
eheliche Beziehung, kein Müssen. Da 
hat doch jeder nachgerechnet, ob... 
Gestorben bin ich 1906 im Juni, bei 
der Geburt meines 9. Kindes, verblutet. 
Mein Körper war ausgelaugt. Ich habe 
es gespürt, denn dieTage davor habe ich 
«vorgekocht», eingemacht, damit etwas 
zum Essen da war, wenn ich nicht mehr 
sein würde. 
Allzu oft wird die Erziehung den Me 
dien, dem Fernsehen und dem Compu 
ter überlassen. 
Dass es auch in unserem Land Ge 
walt und Aggressionen gibt, ist offen 
kundig. Ein Artikel im Volksblatt vom 
25. Mai 2000 unter dem Titel «Blut und 
bittere Tränen...» - hat sich mit dieser 
Problematik an Liechtensteins Schulen 
befasst, ebenso die Liewo-Ausgabe 
vom 11. Juni 2000 mit der nicht weniger 
schockierenden Story «Drohen, prü 
geln und erpressen». 
Und am 16. Juni doppelt das Liech 
tensteiner Volksblatt nach und nennt 
«Gewalt in der Schule ein alltägliches 
Problem!» Dabei steht fest, dass Gewalt 
in vielerlei Gestalten auftritt, so zum 
Beispiel in verbalen Entgleisungen, in 
Natürlich haben wir, mein Anton und 
ich, uns nicht immer ein Kind ge 
wünscht, wenn wir uns liebten, obwohl 
ich meine Kinder gern hatte. Aber was 
zu viel ist, ist zuviel! 
Hätten wir uns nicht mehr lieben sol 
len, um der «Kirche» gerecht zu wer 
den? 
Wie half die Kirche den verwitweten 
Vätern? Ich war zu jenen «gläubigen» 
Zeiten nicht die einzige Frau, die jung 
aus dem Leben scheiden musste, weil 
der Körper nicht mithielt. 
Ja, da gab es denn doch diese Art von 
Versteigerung der Waisen und Halb 
waisen, christliche Nächstenliebe? 
Kaum, die Gemeinde bezahlte den 
«Zieheltern» für ein «Verding-Kind» 
einen Tagessatz. Die Kinder aber muss- 
ten ihr Leben verdienen, wurden zur 
Arbeit «verbraucht», meistens war ihre 
Schlafstätte im Stall. Es war äusserst 
hart das Leben eines «Verdingkindes». 
Jedenfalls freue ich mich, dass heutige 
Frauen ihr Leben selbst gestalten kön 
nen, wissen, was sie tun wollen, sich 
nicht in ihr Sexualleben dreinreden las 
sen, besonders aber von «heiligen» 
Männern, die noch nie ein Kind auf die 
Welt gebracht haben und meinen, sie 
wissen es besser, wie das ist. Naja, von 
der Kanzel sieht die Welt ganz anders 
aus. Ein Gruss aus dem Jenseits 
Katharina 
körperlichem Terror, bis hin zu sexuel 
len Übergriffen. Ist es nur ein Mangel 
an ausgeglichenem Gefühlsleben, das 
Fehlen von Harmonie? 
Lobenswerterweise haben im Herbst 
1998 TViesner Eltern, Lehrer, Schüler 
und der Verein für Gesundheitsförde 
rung (NetzWerk) sich zusammen getan, 
um konstruktive Lösungen zu erarbei 
ten. 
Nun, wenn das gewalttätige Ver 
halten an Schulen und Uberall sonst, 
unserer Gesellschaft kein gutes Zeug 
nis ausstellt, dann darf dabei nicht 
übersehen werden, dass Gewalt wie ein 
roter Faden durch alle Stufen der 
Menschheit zieht. Zum Thema Schwie 
rigkeiten im menschlichen Zusammen 
leben hat schon der griechische Philo 
Zusammenarbeit 
Die für die schulergerechte Berufs 
wahl und spätere Ausbildungsbetreu- 
ung erforderliche Zusammenarbeit 
zwischen Eltern, Schülern und Lehrern 
findet, wie Herr Schierscher feststellt, 
nur ungenügend statt. Eltern, Lehrer 
und besonders auch die Schüler sind 
durch das berufliche, private oder auch 
gesellschaftliche Umfeld so in An 
spruch genommen oder auch abge 
lenkt, dass nicht selten die Sorgfalt der 
Betreuung und die Konzentration auf 
das Wesentliche darunter leiden. Dass 
aus dem Gefühl des Alleingelassenwer 
den bei jungen Menschen Leist ungsver 
weigerung, Aufsässigkeit und sogar Ag 
gressivität entstehen kann, ist keine 
neue Erkenntnis der Psychologie. 
Gewalt in der Schule 
In der Oberstufe des Liechtensteiner 
Gymnasium spielt, gemäss Herrn 
Schierscher, Gewalt noch keine vorder 
gründige Rolle. Auf dem Vormarsch 
sind Unfreundlichkeit, schlechtes Be 
nehmen, verbale Aggressivität und lei 
der auch Vandalismus. Mit grösser wer 
dendem Lehrkörper und mit zuneh 
mender SchUlerzahl wächst die Anony 
mität und vermindern sich offensicht 
lich Rücksichtnahme, faires Verhalten 
und gegenseitige Achtung. Der Verfas 
ser meint, dass es in einem Kleinstaat wie 
Liechtenstein, wo «man sich kennt», 
möglich sein müsste, den diskutierten 
Trend des «Laisser aller» zu stoppen, ja 
zurückzudrängen. Dazu müssten aller 
dings die Verantwortlichen die Notwen 
digkeit einsehen und sich vor dem 
Schweiss der Anstrengung nicht scheuen. 
soph Plato einmal geschrieben: «Sei 
gütig zu allen Menschen, denn jeder, 
dem Du begegnest, kämpft einen 
schweren Kampf.» 
Dr. Paul Biedermann 
Impressum 
Spt Senioren-Presse-Team: Dr. 
Biedermann Paul, Hengevoss Bea 
trix, Marxer Melitta, Matt Theres, 
Schädler Roswitha, Vollmer Helmut 
Kontaktadresse: KBA Kontakt- und 
Beratungsstelle, Beckagässli 6,9490 
Vaduz,Tbl. 237 65 65
	        

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