4 Donnerstag, 27. Juli 2000
Kultur
Liechtensteiner Volksblatt
Begegnung von Barock und Moderne
Meisterkurse: Blockflötenkonzert in der Evangelischen Kirche in Vaduz
Zu 30 Jahren Meisterkurse, so
Hans Maria Kneihs, gehöre wohl
auch die Uraufführung eines Wer
kes. «Ich habe Mauricio Sotelo ei
ne Komposition in Auftrag gege
ben und eine Menge Geld dafür
bezahlt. Beurteilen Sie nach dem
Anhören, ob zu Recht.» Umrahmt
würde dieses und ein zweites zeit
genössisches Werk von Barock
musik, «für Sie und uns zur Ent
spannung. In etwas mehr als einer
Stunde werden wir es überstanden
haben.»
Gerolf Häuser
Was heisst hier überstanden? Ein alter
Musikerspruch lautet zwar: Was klingt
schlimmer als eine Blockflöte? Ant
wort: Zwei! Hier aber waren zwei
Blockflötenkenner am Werk, Angelika
Klinger und Hans Maria Kneihs, die das
«Überstehen» von einer Stunde Block
flötenmusik in Vergnügen und Hörge-
nuss wandelten. Zum Beispiel beim ers
ten Stück, der 1718 entstandenen «Un
zfeme Suitte»von Pierre Danican Phili-
dor. Die Virtuosität in den schnellen
und das intime musikalische Miteinan
der in den langsamen Sätzen, gespielt
auf Alt-Blockflöten in historischer, also
Angelika Klinger und Hans Maria Kneihs sorgten gestern ßr ein wahres Blockflötenvergnügen.
(Bild: Ingrid)
tieferer Stimmung als heute, war wirk
lich entspannend. Es folgte, auf moder
nen Flöten, als Uraufführung das Auf
tragswerk «Die Heiterkeit» von,dem
Spanier Mauricio Sotelo (geb. 1961).
Sassen die beiden Flötisten beim ersten
Stück noch eng beieinander, spielten sie
sich nun die Klänge über die ganze
Breite der Kirche zu; eng beieinander
liegende Töne und Triller mit viel Stac-
cato, sich aneinander reibend, ver
mischt mit bewusst gestalteten Blas
geräuschen und hohen, fast an die
Schmerzgrenze reichenden Fortissimo-
Rufen. Und doch, die «Heiterkeit» zeigt
sich in Phasen, die klangen, als lachten
die Flöten sich gegenseitig und gemein
sam uns Zuhörer aus. Ein spannendes,
sicher nicht einfach zu spielendes Stück,
glänzend vorgetragen und «sein Geld
wert». Mit dem «Quatri&me Concert»,
1724 von Michel Pignolet de Montclair
komponiert, folgte wieder Entspan
nung in reinen Wohlklängen. Die bei
den Künstler spielten die vielen tänze
rischen Elemente fröhlich und locker.
Von der sich anschliessenden moder
nen Komposition «Maraens TYompet-
ten» von dem Niederländer Jacques
Bank (geb. 1943), sagte Kneihs, er sei
lange nicht mit ihr zurecht gekommen.
Ein Brief des Komponisten, in dem er
sich zu seinem Werk äussert, habe ihm
geholfen. Das Stück sei eine «Abrech
nung» mit einem nationalistisch einge
stellten Lehrer, den er gehasst habe.
Wieder sassen die Künstler weit ausein
ander und warfen sich die Klangkombi
nationen zu, bestehend aus «normalen»
Tönen, Singen, in die Flöte hinein Sin
gen und über Lautsprecher eingespiel
ten Klängen - an Kampfgeräusche zur
Verteidigung der Heimat erinnernd -
virtuos vorgetragene, allerdings be
fremdliche Klänge. Zum Schluss gab es
noch einmal «barocke Erholung» mit
der «Septifeme Suitte» von Pierre Dani
can Philidor, bei der sich die beiden Flö
ten mit grosser Harmonie umspielten,
ausgezeichnet und in eben solcher Har
monie vorgetragen von Angelika Klin
ger und Hans Maria Kneihs.
Spirituellere Lebensziele als die Westmenschen
Stefan Sprenger im Literaturexpress in Polen und Russland
Aus Warschau (Polen) kommt, nach Lis
sabon (Portugal), Madrid (Spanien), Bor
deaux und Paris (Frankreich), Brüssel
(Belgien) und Hannover (Deutschland)
der nächste Bericht von Stefan Sprenger.
Er reist für Liechtenstein und^Kiiust*
ler, dessen Werkzeug dfe S(H^e ist^ im t
Literaturexpress», wie die Initiatoren das
Experiment nennen, über 100 Schreiben
de aus 43 europäischen Ländern, von A
wie Albanien bis Z wie Zypern, zusam
mengepfercht in einem Sondeizug quer
durch Europa fahren zu lassen.
Gerolf Hauser
Europa zählt 48 Staaten mit mehr als 100
Sprachen. Sprachen sind die Gedächtnis
se der Völker. Einerseits bewahren sie,
andererseits schaffen sie Barrieren. In ih
rer Unverwechselbarkeit liegt ihre Be
grenzung. Wie geht Europa mit diesem
Reichtum, mit dieser Last um? Wie geht
Stefan Sprenger damit um?
Prügel im Kettenhemd
«Im polnischen Malbork wird der Li
teraturexpress am Fuss der mächtigen
Stammburg des Deutschen Ordens, der
im frühen Mittelalter die heidnischen
Stämme Nordpolens und des Baltikums
mit Gewalt zu christianisieren suchte,
durch Ritterspiele unterhalten. Junge Po
len prügeln sich in Kettenhemden am
Flussufer, nachdem sie ihr schepperndes
Aufeinanderprallen durch Überreichen
von Bändeln der einen oder anderen
Frau im Literaturzug gewidmet haben.
Die Damen sind geschmeichelt und die
Herren, vom Grossmeister nach getaner
Schlacht eingeladen, probieren mit Inte
resse die stumpfen Schwerter aus. Bulli
ge Sicherheitsleute in schwatzen Jacken
haben für diese Veranstaltung mit einem
rotweissen Plastikband die Flussprome
nade abgesperrt und hindern die Freitag-
REKLAME
abendspaziergänger am Passieren. Wer
vorbei will, sieht sich auf einen schmalen
feuchten Uferstreifen verwiesen. Das
geht besonders gut mit Kinderwagen.
Die mitreisenden Jugoslawen, denen der
Krieg nocH weit Uber dem Scheitel steht,
ve&tiwuiden'früh, mit bleichen Gesich
tern oder gar weinend.»
Auf zum Massengrab
«Kaliningrad, eine russische Exklave
um das ehemalige, im Krieg komplett
zerstörte Königsberg und strategisch
wichtiger Zugang zur Ostsee, ist für viele
die erste Begegnung mit Russland über
haupt. Die Kaliningrader, hatte es im
Vorfeld geheissen, hätten ein Riesenpro
gramm auf die Füsse gestellt und alles
mobilisiert, was sie an Kultur und Touris
mus auf die Beine zu bringen im Stande
wären. Tatsächlich rollt in der Folge ein
derartig dichtes und ohne Entschei
dungsmöglichkeiten organisiertes Pro-
gramni ab, dass es Tage braucht, bis die
Schriftstellerinnen wieder wissen, wo ih
nen der Kopf steht. Es ist hier, in der rus
sischen Provinz, die Begegnung mit der
alten Sowjetunion. Nicht nur, dass Lenin
noch auf allen Sockeln steht, die zu Fa
milienbesuchen, Bibliotheksvisiten, vo
gelkundlichen Exkursionen oder
Führungen im Marinesperrgebiet will
kürlich eingeteilten Besucher werden.
auch aus den Betten gehämmert und mit
einem öfters zu hörenden: «Dawai, da-
wai!» durch den Stundenplan gehetzt.
Der Crash der zwei Welten wird schon
beim ersten offiziellen Programmpunkt
Uberdeutlich: dem Besuch der «Stätte
der 1200 Helden». Was das denn für 1200
Helden seien? wird die russische Beglei
terin im Bus gefragt. Bei der Eroberung
von Königsberg 1945 habe es derart vie
le Tote gegeben, dass man die jeweils an
Ort und Stelle in Massengräbern begra
ben hätte, Russen, Deutsche und Zivilbe
völkerung ohne Unterschied, die Zahl sei
nur eine Schätzung, sagt sie wallend. Man
werde also zu einem Massengrab gefah
ren? Ja.»
Drauer zur Begrüssung
«Rechts steht neben grUnlackierten
Kanonen und verschiedenen Bomben ei
ne Militärkapelle, links bekommt man
rote und weisse Nelken gereicht. Ein
Dammweg führt auf einen bewaldeten
Hügel zu, das Massengrab. DieTreppe ist
unten zu beiden -Seiten von je drei
strammstehenden Soldaten mit geschul
tertem Gewehr (Bajonette aufgepflanzt)
flankiert. Die Kapelle intoniert schweres
Gemüt. Gravitätisch ist zum Gedenk
stein bei den Blumenbeeten oben auf
dem Hügel zu steigen und die Nelke an
dachtsvoll abzuwerfen. Nanu, denkt sich
das Westhirn, diese Kultur bietet zur Be
grüssung ihre TYauer an. Wie ... ja, wie
was? Aber nicht nur das - man soll auch
gleich mittauchen in den Schmerz. Ge
runzelte Stirnen, skeptische Blicke.»
Bombeneinschläge und
Chorgesang j .
«Doch die Inszenierung geht weiter.
Vor einer roten Schriftwand (es sind
nicht die Namen derToten, erklärt der ei
ne Jugoslawe, es sind die für die verschie
denen Kampftage verliehenen Orden
und Titel plus die kommandierenden Of
fiziere) steht ein schwarzgewandeter
Chor. Aus den Lautsprechern werden
einzelne hallende Glockenschläge einge
spielt. Um eine zwei Meter hohe Holz
granate ein Mädchenkranz in weissem
Trikot und schwarzem Rock, die Gesich
ter alle im Heldenprofil seitlich abge
dreht. Der Chor singt getragen, Maschi-
nengewehrgeknatter, Bombeneinschlä
ge, Artillerieabschüsse dröhnen aus den
Lautsprechern, die Mädchen stehen
plötzlich mit schwarzen Tüchern da, zwi
schen denen Kinder hervorschlüpfen, die
Mädchen sind dann Witwen, Pietas und
Mütter mit Brustwarzen raus und Augen
glasig. Ein Knabe und ein Mädchen wer
fen Tauben hoch, gleichzeitig feuern auf
der Schriftmauer fünf Knallkörper los
(hiess das jetzt Frieden oder nicht?). Die
Granate klappt auf, ein in der Hitze be
reits welk gewordenes Bäumchen
kommt zum Vorschein. Wieder singt der
Chor, ein Pope spricht (frilher: kommu
nistischer Funktionär), dann darf einer
unserer Serben (ein Serbe, natürlich, rus
sisches Brudervolk - wird mehrfach und
bösartig vermerkt) gegen den Krieg re
den. Gelegentlich fährt unmittelbar hin
ter der Schriftwand ein Güterzug durch
und stört die düstere Feierlichkeit eben
so wie die gierig herumwetzenden Fern
sehreporter in kurzen Hosen. Zum Ge
denken an den Besuch der Schriftsteller
wird das Bäumchen gepflanzt und ist be
reits ein grabsteinähnlicher Stein ver
setzt. Verdattert fragt der Liechtenstei
ner den Deutschrumänen Richard Wag
ner, was das eben gewesen sei. Stalinis
mus, kommt die kurze Antwort, während
die Gruppe noch zum Siegesobelisken
und zur ewigen Gedächtnisflamme ge
führt wird.»
Nimm mich an
«Mehrere Gedanken gehen durch den
wie nach Kino verkaterten Kopf: Es muss
schwierig sein, in der russischen Politik
mit exakten Gefühlen und Argumenten
zu arbeiten. Das Wachrufen und Rituali
sieren von Gefühlen hat Kirchencharak
ter. Versteckt sich Russland mit einer Ge
dächtnisreligion vor seiner Gegenwart?
Die Frage wird in Kaliningrad, in den bal
tischen Ländern und in Weissrussland
immer wieder hochkommen. Sie lässt
sich rückblickend auf eine einfache For
mel verengen: Die Anzahl aufgebotener
Uniformen (zu denen die fleckigen
Tarnanzüge der Polizeimiliz ebenso
gehören wie die bunten Volkstrachten)
verhält sich direkt proportional zur Ab
wesenheit von Wirklichkeit. In den Ost
lern des Literaturexpress wäscht die Be
gegnung mit Kaliningrad unangenehme
Erinnerungen an ihre sowjetische Zeit
frei. Viele sind traurig, stumm, bleiben in
den Hotels. Sie spüren auch eine Traurig
keit für Russland, dieses masslose Land,
in dessen erdrückender nicht endend
wollender Umarmung eine verzweifelte
Frage und eine ängstliche Bitte verbor
gen liegen. Wer bin ich, der ich mich im
Geben verströme (und darin so leicht die
Grenze zur Gewalt überschreite), nur um
von Dir eine formgebende Antwort zu
erhalten? Und bitte, so kraftvoll, frucht
bar und vom Eigenen nicht wissend ich
mich Dir entgegenwälze wie einer mei
ner gewaltigen Ströme, bitte, nimm mich
als das an. Sie in Albanien hätten Proble
me, manchmal sehr grosse, sagt der eine
Albaner, aber trotzdem hätte sich sein
Land in den letzten zehn Jahren verän
dert. In der russischen Provinz hätte sich
rein gar nichts verändert. Das mache ihn
so traurig. Der Russe, wird später in der
Schweizer Botschafter in Moskau gesagt,
sage von sich, er habe ein chaotisches In
nenleben. Deshalb wolle er Struktur von
aussen. Macht sei für ihn, im Unterschied
zum Westen, zu allererst etwas sehr Posi
tives, Ordnendes. Auch setze er sich an
dere, spirituellere Lebensziele als die
Westmenschen. Ziele, die nicht dem ein
zelnen Individuum gälten, sondern der
Gruppe. Russen würden für Ideale leben.
Für ihn habe Russland, auch wenn es
durch eine schwierige Zeit ginge, grosse
geistige Reserven. Im Unterschied zum
schalltot gewordenen Westen.»
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SCHWEIZER ★ . -- k/W
TRADITIONSZIRKUS X
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präsentiert den einmaligen kubanischen Nationalzirkus
Circo Havana Cuba
Mauren, weiherring **-Vorstellungen-** Schaan,Messepiatz
Dienstag, 1. August: 15.00 und 20.00 Uhr
Mittwoch, 2. August: 15.00 und 20.00 Uhr
Freitag, 4. August: 20.00 Uhr
Samstag, 5. August: 15.00 und 20.00 Uhr
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Vorverkauf: 10.00-12.00 Uhr an der Zirkuskasse
TICKETPHONE 079 608 88 44/45
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