Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner Volksbiatt 
Kultur 
Samstag, 22. Juli 2000 UL 
Nachrichten 
Balzner Banker bringt 
CD heraus 
Für den Balzner Pietro Leone erfüllt sich ein 
TYaum. Soeben ist seine erste CD «Non voglio 
piu lottare» erschienen. Der Bank-Kadermann 
will mit seinen italienischen Liedern möglichst 
vielen Menschen Freude bereiten. Seine zweite 
Karriere nach der beruflichen ist damit lanciert. 
Pietro Leone, in Mels aufgewachsen, aber mit 
italienischen Wurzeln, komponiert seit 1997 in 
tensiv. Seine italienischen Lieder gefielen auf 
Anhieb, und mit lyrolis hat auch eine Platten 
firma das Talent von Leone, der heute in Balzers 
wohnt, erkannt. Mit der ersten CD-Single wer 
den zwei Lieder in diesen Tagen veröffentlicht. 
Nach seiner Ausbildung auf Blasinstrumente 
hat Pietro Leone vor mehr als 15 Jahren zur Gi 
tarre gewechselt. Er wollte gleichzeitig zum Gi 
tarrenspiel seine Stimme einsetzen.'Erste Er 
fahrungen sammelte er in der Schülerband wäh 
rend der Schulzeit und bei kleineren Live-Auf- 
tritten. Für Studioaufnahmen war es zu jener 
Zeit recht schwierig, finanzielle Mittel zu be 
schaffen. Nachdem er sich seinem Hobby seit 
1997 intensiv widmet, sind einige tolle Italieni 
sche Lieder entstanden. Auf der ersten CD ist 
«Non voglio piu lottare» enthalten. Leone er 
zählt von der heutigen hektischen Zeit, von der 
Angst, den Job zu verlieren. Der Song ist für al 
le jene geschrieben, welche unter dem grossen 
Druck leiden und sich leer und verloren fühlen. 
Leone appelliert aber auch an jene, die keinen 
Pietro Leone aus Balzers lancierte mit«Non vo 
glio piu lottare» seine erste CD. 
Respekt mehr vor ihren Mitmenschen haben 
und nur noch an Profit denken. Das Leben ist zu 
schön und zu kurz, um sich oder andere kaputt 
zu machen. Im Lied «Mare Mare» geht es um 
Nebel, die morgendliche Kälte, das Meer und 
die Sonne. Leone möchte die Menschen direkt 
ansprechen und mit seiner Musik ein wenig 
Freude bringen. 
Neben seinem anspruchsvollen Beruf als Di 
rektionsmitglied bei einer Grossbank widmet 
sich Pietro Leone neben seiner Familie vor al 
lem der Musik. Er komponiert neue Lieder, um 
Material für weitere Veröffentlichungen zu ha 
ben. Ausserdem ist geplant, dass Leone auch 
live auf der Bühne zu sehen sein wird. Mehr 
vom Künstler ist auf der Homepage www.leo- 
ne.li zu erfahren. 
Moses-Mendelssohn- 
Preis für Ivan Nagel 
BERLIN: Der Theatermacher und Schriftstel 
ler Ivan Nagei erhält in diesem Jahr den Moses- 
Mendelssohn-Preis zur «Förderung der Tole 
ranz gegenüber Andersdenkenden und zwi 
schen den Völkern, Rassen und Religionen». 
Die Verleihung der mit 20 000 Mark dotierten 
Auszeichnung soll am 6. September im Kon 
zerthaus Berlin stattfinden, wie die Berliner Se 
natsverwaltung für Kultur am Freitag nach der 
Juryentscheidung bekannt gab. 
Nagel habe mit seiner vielseitigen Tätigkeit 
der Erhaltung und Förderung von Vielfalt und 
Widersprüchlichkeit künstlerischer Ausdrucks- 
forftien gedient, begründeten die sieben Preis 
richter ihre Wahl. Sein Eintreten für die Werte 
einer Kultur urbaner Duldsamkeit und seine 
langjährige Tätigkeit als Ratgeber für das Berli 
ner kulturelle Leben seien dem geistigen Ni 
veau und der Weltoffenheit der Stadt zugute ge 
kommen. 
Nagel studierte Germanistik, Soziologie und 
Philosophie in Paris, Heidelberg und Frankfurt 
am Main. In den 60-er Jahren war er Chefdra 
maturg der Münchner Kammerspiele und leite 
te das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg 
und das Staatsschauspiel in Stuttgart als Inten 
dant. Zwischen 1996 und 1998 war er Schau 
spielchef der Salzburger Festspiele. 
Seit 1989 ist Nagel Professor für Geschichte und 
Ästhetik der darstellenden Künste an der 
Hochschule der Künste in Berlin. Der 68-Jähri- 
ge ist zudem Mitglied des PEN-Zentrums und 
der Deutschen Akademie für Sprache und 
Dichtung in Darmstadt. 
Ergebnisse eines «Päckle-Kochs» 
Rimski-Korsakows «Goldener Hahn» - Schwache Premiere bei den Bregenzer Festspielen 
Keine «standing ovations», 
eher zurückhaltender Höflich» 
keitsbeifall beendete den, trotz 
einiger Highlights, enttäu 
schenden Auftakt der Bregen 
zer Festspiele 2000 am Don 
nerstagabend im Festspiel 
haus, als «Der Goldene Hahn», 
eine Oper in drei Akten von 
Nikolai Rimski-Korsakow, in 
der Inszenierung von David 
Pountney, mit den Wiener 
Symphonikern (Leitung Vali- 
dimir Fedoseyev) und dem 
Kammerchor Moskau, Pre 
miere hatte. 
Gerolf Hauser 
Einer der Gründe war sicherlich die 
schwache Leistung von Kurt Rydl, 
der die Hauptrolle, den Zaren Do- 
don, sang. Als er am Ende die Büh 
ne betrat, erstarb der Beifall schier 
gar. Kein Wunder, klang sein star 
kes Vibrato doch wie Unsicherheit, 
und die Stimme zeigte weder 
Stimmgewalt noch Lyrik, was z. B. 
in den Szenen mit der Königin von 
Schemacha (Iride Martinez) ange 
bracht wäre. ■ 
Ein anderer Grund ist die in vie 
len Szenen nicht überzeugende In 
szenierung von David Pountney. Sie 
überdeckt zu stark das musikalische 
Geschehen auf der Bühne, anstatt 
es zu unterstützen. Da gibt es zu viel 
«action», fast multi-media-artig und 
verwirrend, die modern und zeit- 
gemäss sein will, von Pountney aber 
nicht konsequent und radikal 
durchgehalten wird. Der Inhalt der 
Oper, Macht und Despotismus im 
Gegenspiel mit Kunst und Intellekt, 
hätte in Konsequenz perfekt auf die 
«Demokratien» der sogenannt zivi 
lisierten Welt übertragen werden 
können. Denn der «Golden Hahn», 
ein auf einem Märchen von Pusch 
kin basierendes Stück, Rimski-Kor- 
sakows 15. Oper und 1906 geschrie 
ben, ist eine Politsatire (die übrigens 
zu Lebzeiten des Komponisten auf 
grund der Zensur nicht aufgeführt 
wurde). Obwohl Korsakow der 
Sohn einer Adelsfamilie war, sym 
pathisierte er mit den revolu 
tionären Strömungen seiner Zeit. In 
seiner Oper zeigt er die politischen 
Zustände des damaligen Russland, 
nimmt ungeschminkt das Staatsge- 
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Vor d$n «Crash-Autos», mit denen Bühnenbildner Huntley Muir den verlorenen Krieg überzeugend symbolisiert, 
agieren bei der Bregenzer Festspsiel-Premiere Kurt Rydl in der Rolle des Zaren Dodon und der Moskauer Kam 
merchor in Korsakows Oper «Der Goldene Hahn». 
füge und die Gesellschaftsordnung 
unter die Lupe. Regisseur David 
Pountney versetzt dies in die zweite 
Hälfte des 20. Jahrhunderts, also in 
die Zeit des Kalten Krieges - legi 
tim aber nicht konsequent. Da gibt 
es die politischen Szenen, in denen 
die uneingeschränkte Macht des 
Zaren Dodon, die Marionetten sei 
ner Umgebung und die gleichge 
schalteten Soldaten gezeigt werden. 
Das ist ausgezeichnet. Dazwischen 
aber Go-Go-Girls, viel zu brav, 
übertrieben primitiv und dadurch 
langweilig; da gibt es einen nicht 
funktionierenden Motorroller, auf 
dem Dodon wegfahren will, an 
Gummiseilen von der Bühnen 
decke herab auf und abschwingen 
de Figuren, an die Bühnenrück 
wand projizierte Textstellen (die 
Oper wurde deutsch gesungen bis 
auf die Partien der Königin von 
Schemacha). Hält der Regisseur sei 
ne Zuschauer für so beschränkt und 
die Musik von Korsakow so 
schlecht, dass er glaubt, Nachhilfe 
unterricht geben zu müssen? Und 
dann auch noch vom Schrifttyp her 
in ständigem Wechsel und mit ein 
fachster Animation bewegt! Ein 
«Päckle-Koch» ist jener, der Fertig 
produkte zu einem Menu zusam 
menmischt. So ähnlich ist diese In 
szenierung: Von allem ein bisschen 
und irgendwie zusammengefügt. 
Und daneben die Highlights: Iri 
de Martinez, die mit ihrer fantasti 
schen Stimme als geheimnisvolle 
und mit Dodon spielende Königin 
von Schemacha ihre nicht einfache 
Partie sang und der, sowohl stimm 
lich wie spielerisch alle überragende 
Astrologe Eberhard F. Lorenz. Eine 
grossartige Idee ist es, den Hahn als 
Akrobaten auf Seilen über der Büh 
ne seine Kunststücke machen zu las 
sen, die Karl Baumann perfekt zeig 
te. Oder das eindruckliche Bühnen 
bild, z. B. bei der Szene nach dem 
verlorenen Krieg, bei dem Huntley 
Muir zwei Autos im Zustand nach 
einem Crash auf die Bühne zauber 
te, was den einzigen Zwischenbei 
fall hervortief. Ebenfalls hervorra 
gend tauchte Mimi Jordan Sherin 
die Bühne in farbig wechselndes 
Licht oder liess z. B. bei einer he 
reingeschobenen schiefen Ebene 
die darauf agierenden Sängerinnen 
von unten beleuchten. Die sicher 
lich nicht einfache Aufgabe des 
Chors, der oft ohne Sichtkontakt 
zum Dirigenten arbeiten muss, mei 
sterte der Kammerchor Moskau 
hervorragend und sozusagen be 
ständig gut, was aber auch gleich- 
mässig bedeutet, spielten die Wie 
ner Symphoniker unter der Leitung 
von Vladimir Fedoseyev die in wei 
ten Teilen hochspannende Musik 
von Rimski-Korsakow. 
Weitere Aufführungen: 23., 27., 
30.7. und 3.8., Beginn jeweils 19.30 
Uhr. 
In David Pountneys «modern» sein wollender aber nicht immer überzeu 
gender Inszenierung ßhrt der Hauptdarsteller auf einem Motorroller, der 
aber leider nicht immer funktionierte. 
Viele Länder - das erste Mal über Grenzen 
Die Hundert-Schriftsteller-Zugreise durch Europa - Begegnung mit dem Osten 
Künstler, deren Werkzeug die Spra 
che ist, setzen sich seit Wochen ei 
nem Experiment namens Europa 
aus. Beispielhaft erproben sie, ob im 
21. Jahrhundert gesamteuropäische 
kulturelle Verständigung möglich 
ist. Autorinnen aus 43 europäischen 
Ländern bereisen in einem Sonder 
zug sechs Wochen ihren Kontinent 
von Lissabon über Moskau bis Ber 
lin. Für Liechtenstein nimmt Stefan 
Sprenger an diesem Experiment teU 
und berichtet heute aus Polen. 
Gerolf Hauser 
«Nach Deutschland durchquert der 
Literaturexpress nun Polen und 
wird in Kaliningrad, dem ehemali 
gen Königsberg, zum ersten Mal auf 
Russland treffen. Da heisst es Pässe 
parat machen und die Koffer bei 
sich im Abteil haben. So hatte es 
nach Hannover auf der Fahrt ins 
nordpolnische Malbork (Marien 
burg) geheissen - die Pass- und 
Zollkontrollen seien strikt und dau 
erten lange. Es ist, jedenfalls für den 
Liechtensteiner, das erste Mal seit 
Beginn der Reise in Lissabon, das 
erste Mal überhaupt, dass er seinen 
Pass braucht. Und zwar bereits für 
die deutschen Zöllner, die sich an 
der deutsch-polnischen Grenze alle 
Ausweise zeigen lassen.» 
Neue Erlebnisqualität 
«Was aber auf der polnischen Sei 
te geschieht, ist unerwartet. Zwar 
schauen die dortigen Beamten auch 
in die Pässe, aber von Deklarations 
listen und durchwühlten Koffern 
keine Rede. Dafür fährt, scheinbar 
aus dem Nichts, ein heftiger Regen 
zug über den stehenden Zug, und 
kühlt den unerträglich heissen Tag 
zu anregender Frische. Aha, geht es 
durch die Reihen der im Hitzeschlaf 
welk gewordenen, aber in der sym 
bolischen Deutung meteorologi 
scher Phänomene und signifikanter 
Orte (wie Grenzen) erfahrenen 
Passagiere, so ist das also: hitziger 
Westen endet am regenfrischen 
Osten. Tatsächlich verändern sich 
nicht nur Wetter und Antlitz der 
Landschaft, auch das Zugfahren hat 
eine andere Erlebnisqualität. Weil 
die Schienen km Osten nicht ver- 
schweisst sind, fährt der Zug langsa 
mer und vont dada-tadamm, dem 
fast mythische Eisenbahntakt be 
gleitet durch die masurischen Ebe 
nen. Polen, das sei noch Europa. 
Meinen die rumänischen Schrift 
steller, die den Liechtensteiner in 
ihrem Abteil mitreisen lassen.» 
Misstrauen 
«Ich sehe, Du verstehst nicht», 
sagt Andri, nachdem sie von der 
kommunistischen, und das heisst für 
sie russisch geprägten Zeit in 
Rumänien erzählt haben, die sie als 
«faked history», als gefälschte Ge 
schichte bezeichnen (wir reden 
französisch, manchmal englisch 
miteinander). Als Schnitt im Konti 
nuitätsfaden der TLeit. Ihre eigene 
Geschichte sei zerstört und durch 
eine unwahre ersetzt worden. Das 
habe eine Persönlichkeitsspaltung 
bewirkt. Man sei nebeneinander ei 
ne öffentliche, unverbindliche Bür 
germaske und eine Privatperson 
gewesen, die sich nur in der Familie 
und im allerengsten Freundeskreis 
ans Bereden des Wirklichen hätte 
machen können. Misstrauen ge 
genüber Anderen und Vorsicht vor 
dem allgegenwärtigen Geheim 
dienst seien in Fleisch und Blut 
Ubergegangen. Tatsächlich ist das 
auch im Zug zu spUren, nach eini 
gen Tagen im Osten selbst für den 
unerfahrenen Westler. Dieser oder 
jener der Mitreisenden trage dem 
russischen Geheimdienst zu, wird 
angedeutet (nicht von den Rumä 
nen). Keine Beweise, nur Beobach 
tungen und in der Sowjet-Welt an 
trainierte Deutungsmuster. Ein 
Blick. Ein kurzes Rucken mit dem 
Kopf: Achtung - eben jetzt hat die 
Welt ein Geheimdienstloch, durch 
das Wörter verschwinden und un 
geahnte Formen annehmen kön 
nen.» 
Der Räuber 
«Du verstehst nicht», hatte Andri 
gemeint. Dann hat er vom zehn 
jährigen rumänischen Hunger er 
zählt. Ceaucescu, ab 1981 darauf 
versessen, Auslandsschulden zu be 
gleichen, hatte Lebensmittel expor 
tieren lassen. Das hätte zur Folge 
gehabt, dass man in den Städten ab 
neun Uhr abends angestanden sei, 
um am nächsten Morgen Milch für 
die Familie kaufen zu können. Es sei 
Aufgabe der Alten gewesen, die 
Nächte durchzustehen. Auch im 
Winter. Das geistige Hungern habe 
aber zwanzig Jahre gedauert, als 
1971 nach einer Ceaucecsu-Rede 
das Übersetzen ausländischer Lite 
ratur versiegt sei. Radio Free Euro 
pa in München, das auch rumänisch 
gesendet habe, sei die einzige Infor 
mationsquelle gewesen. Dächten sie 
heute an jene Zeit zurück, verspür 
ten sie nur Frustration. Der geraub 
ten Jahrzehnte wegen. Und dahinter 
die tiefe Abneigung gegen den Räu- 
, ber, gegen Russland.» 
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