Liechtensteiner Volksblatt
Ausland
Mittwoch, 19. Juli 2000 19
Nachrichten
Drei Haider-Kritiker
in Wien vor Gericht
WIEN: Drei Kritiker des österreichischen
Rechtspopulisten Jörg Haider mussten sich am
Dienstag im Wiener Landesgericht verantwor
ten. Der prominente Politikwissenschafter An
ton Pelinka hatte Haider vorgeworfen, seine
Wortwahl ähnele der Nazipropaganda. Der Pro-
zess gegen den Innsbrucker Universitätsprofes-
sor wurde auf den 24. Oktober vertagt. Auf das
gleiche Datum vertagt würde das Verfahren ge
gen den Leiter des Dokumentationsärchivs des
österreichischen Widerstandes, Wolfgang Neu
gebauer. Dieser hatte behauptet, Rechtsextre
misten hätten in der Freiheitlichen Partei (FPÖ)
Haiders eine politische Heimat gefunden. Einen
Schuldspruch gab es für den Verein Sozialisti
scher Jugend, weil dieser in einer linksgerichte
ten Zeitschrift behauptet hatte, Haider habe
%die Nähe zurTradition des Faschismus» für sich
oder die FPÖ «geduldet». Der Verein wurde zu
einer Geldstrafe von 5000 Schilling (ründ 600
Franken) verurteilt. Gegen das Urteil hat der
Verein Berufung angekündigt.
Botschafter
zurückgerufen
SUVA: Die britische Regierung hat ihren Bot
schafter auf den Fidschi-Inseln im Südpazifik
zur Berichterstattung nach London zurückgeru
fen. Das Aussenministerium begründete den
Schritt gestern mit andauernder «Sorge» um die
politische Entwicklung in dem Inselstaat. Die
Beendigung des Geiseldramas dürfe nicht darü
ber hinwegtäuschen, dass die Krise auf den Fid
schi-Inseln noch nicht beendet sei, heisst es in
der Erklärung des Aussenministeriums. Gegen
wärtig seien etwa 50 Prozent der Bevölkerung
«ohne «demokratische Vertretung.»
r
Wallert in «erstaunlich
gutem Zustand»
GÖTTINGEN: Die Göttinger Lehrerin Renate
Wallert hat ihre knapp dreimonatige Geiselhaft
auf den Philippinen gesundheitlich offenbar
besser überstanden als befürchtet. Mann und
Sohn sind aber weiterhin in der Gewalt der Re
bellengruppe Abu Sayyat Die 56-Jährige sei «in
einem erstaunlich guten Zustand angekom
men», sagte der Chefarzt der Notaufnahme in
der Göttinger Universitätsklinik, Gerhard Mül
ler, am Dienstag nach einer Untersuchung. So
wohl ihr Blutdruck als auch ihr Kreislauf seien
stabil. Wallert ist einen Tag nach ihrer Freilas
sung am frühen Dienstagmorgen mit einer Luft
hansa-Linienmaschine auf dem Frankfurter
Flughafen angekommen. Von dort ist sie mit ei
nem Helikopter nach Göttingen gebracht wor
den, wo sie auf der Notfallstation der Univer
sitätsklinik ärztlich versorgt wurde. Entgegen
anderslautender Berichte habe Renate Wallert
auf der Insel Job auch keinen Herzinfarkt oder
Schlaganfall erlitten. Der Kollaps, den die Mu
siklehrerin Berichten zufolge während ihrer
Gefangenschaft erlitten hatte, sei vermutlich
dadurch verursacht worden, dass sie zu wenig
getrunken hatte, sagte Müller. Am Nachmittag
wurde Wallert mit unbekanntem Ziel aus der
Klinik entlassen. Nach Angaben einer Klinik-
Sprecherin war Wallerts älterer Sohn Dirk
schon am Morgen mit in die Klinik gekommen
und blieb während der medizinischen Untersu
chungen an ihrer Seite. Er hatte sie auch in
Frankfurt in Empfang genommen. Die übrigen
der insgesamt 38 Geiseln wurden weiterhin auf
Jolo festgehalten, darunter Wallerts Mann Wer
ner und ihr jüngerer Sohn Marc. Aus Kreisen
der Vermittler hiess es, die Freilassung weiterer,
malaysischer Geiseln sei am Montag in letzter
Minute an neuen Forderungen der Moslem-Re
bellen gescheitert.
Aufruf zum Widerstand
gegen US-Raketenschild
Russlands Präsident Vladimir Putin in China: Gemeinsame Erklärung verabschiedet
PEKING: China und Russland
haben eine gemeinsame Er*
klärung gegen den geplanten
Raketenabwehrschild (NMD)
der USA unterzeichnet. Zu
dem wollen die beiden Länder
im Rahmen einer strategischen
Partnerschaft stärker koope*
rieren.
Die USA strebten mit dem NMD
«nach einseitiger militärischer Vor
herrschaft», hiess es im Dokument,
das der russische Präsident Wladi
mir Putin und der chinesische
Staats- Und Parteichef Jiang Zemin
am Dienstag in Peking unterschrie
ben.
Mit dem NMD planen die USA
ein landesweites Abwehrsystem ge
gen Interkontinentalraketen, die
Atom- und andere Massenvernich
tungswaffen in die USA tragen kön
nen. Ausserdem entwickeln sie Ab
wehrsysteme für Raketen kürzerer
Reichweite (TMD), um ihre Trup
pen und Verbündeten jn anderen
Teilen der Welt zu schützen.
Putin und Jiang warnten in die
sem Zusammenhang vor einem
neuen internationalen Rüstungs
wettlauf. Der Raketenabwehrschild
sei eine Verletzung des ABM-Ver
trages von 1972 zur Begrenzung von
Raketenabwehrsystemen.
Putin droht USA mit
Gegenmassnahmen
Die internationale Staatenge
meinschaft sei aufgerufen, die erfor
derlichen Massnahmen zu ergreifen,
um das geplante Raketenabwehr
system zu verhindern, erklärten die
Staatschefs. Die positiven Tendenzen
in der Weltpolitik nach dem Ende
des Kalten Krieges könnten damit
wieder zunichte gemacht werden.
Der russische Präsident Vladimir Putin wird in Peking von seinem Gastgeber, dem chinesischen Staats- und Partei
chef Jiang Zemin, bei der Abnahme der Ehrenparade begleitet.
Zudem sagte Putin am Rande des
Besuchs, dass China und Russland
im Falle eines Alleingangs der USA
beim Aufbau eines Raketenschutz-
schildes und eines Verstosses gegen
den ABM- Raketenabwehrvertrag
«entsprechend reagieren» würden.
Trotz dieser Warnung an die Adres
se Washingtons hob Putin die guten
Beziehungen Russlands und der
USA hervor. Diese seien auf einer
Ebene,d.ie es erlaube, derart «schar
fe Fragen gemeinsam zu lösen».
«Multipolare Weltordnung»
Der chinesische und der russische
Staatschef kündigten auch eine
Stärkung der «strategischen Part
nerschaft» zwischen den beiden
Nachbarstaaten und Atommächten
an. Jiang und Putins Vorgänger im
Präsidentenamt, Boris Jelzin, hatten
1996 bereits den Grundstein .dazu
gelegt.
In der «Pekinger Erklärung»
zur strategischen Zusammenarbeit
hiess es, beide Länder, die auch
ständige Mitglieder des UNO-Si-
cherheitsrates sind, würden auf der
internationalen Bühne in Zukunft
enger zusammenarbeiten. Ein Ziel
dabei sei die Schaffung einer «mul
tipolaren Weltordnung».
Bei ihrem Treffen unterzeichne
ten die beiden zudem drei Handels
abkommen. Jiang und Putin versi
cherten nach ihrem dreistündigen
Gespräch unter vier Augen, der
wirtschaftlichen und militärischen
Zusammenarbeit ihrer beiden Län
der zu neuem Aufschwung zu ver
helfen. Die Delegationen verein
barten ausserdem eine engere Zu
sammenarbeit im Energiebereich
und die gemeinsame Entwicklung
eines Schnellen Brüters für For
schungszwecke.
«Warme Atmosphäre»
Jiang sagte, die chinesisch-russi
schen Beziehungen hätten sich in
den vergangenen Jahren «sehr gut»
entwickelt. Als «fruchtbar» und in
«warmer Atmosphäre» bezeichnet
der russische Präsident die Ge
spräche mit seinem Kollegen.
Der Kreml-Chef war zuvor auf
dem Platz des Himmlischen Frie
dens mit 21 Salutschüssen begrüsst
worden.
Kompromisse angedeutet
Wachsender Zeitdruck bei Nahost-Gipfel in Camp David
THURMONTi Angesichts des
wachsenden Zeitdrucks beim Nah
ost-Gipfel in Camp David haben die
USA gestern die Notwendigkeit ei
ner baldigen Einigung zwischen Is
raelis und Palästinensern bekräftigt.
Die zur Verfugung stehende Zeit sei
begrenzt, sagte der Sprecher von
US-Präsident Bill Clinton, Joe
Lockhart.
Unterdessen kursierten Berichte
über angebliche Abreisepläne des
palästinensischen Präsidenten Jassir
Arafat. Der arabische Knesset-Ab
geordnete Asmi Bischara sagte dem
israelischen Rundfunk, Arafats
Büro im Gaza-Streifen habe mitge
teilt, der Palästinenserpräsident
werde Camp David in einigen Stun
den verlassen.
Grund dafür seien die festgefah
renen Verhandlungen. Die palästi
nensische Abgeordnete Hanan
Aschrawi, die gestern den Landsitz
des US-Präsidenten verliess, be
zeichnete die Aussichten auf eine
Einigung als sehr gering und un
wahrscheinlich. «Ich glaube nicht,
dass es bis morgen zu einer Eini
gung kommt», erklärte A'schrawi
am Dienstag.
Clinton will heute Mittwoch zum
G-8-Gipfel nach Japan fliegen und
hat bislang nicht erkennen lassen,
dass er seinen Terminplan ändern
wird. Er traf am Morgen mit seiner
Verhandlungsdelegation zusam
men, um darüber zu beraten, wie
man die Konferenz trotz der schwie
rigen Gespräche noch zu einem er-,
folgreichen Ende führen könnte.
Untersuchung
ROM: Die Staatsanwaltschaft
der Stadt Padua hat eine Unter
suchung über das Massaker von
Villamarzana im Jahr 1944 neu
eröffnet. Damals hatten die Fa
schisten 43 Partisanen und Zivi
listen ermordet. Der Staatsan
walt Sergio Dini will die Rolle
des verstorbenen Vittorio Mar-
telluzzi klären, der im Jahr 1944
Chef jener «Schwarzen Bri
gaden» war.
Auf dem See von Galilea in Nordisrael wurde eine Friedensregatte gestartet.
Im Hintergrund sind die Golanhöhen zu sehen.
Der israelische Parlamentspräsi
dent Avraham Burg deutete unter
dessen einen möglichen Kompro-
miss für den Fall an, dass die Zeit für
ein endgültiges Abkommen zu
knapp werden sollte. Der Gipfel
könnte «für den Moment» mit einer
teilweisen Vereinbarung enden, die
die formale Anerkennung eines
palästinensischen Staates beinhal
ten könne, sagte Burg am Dienstag
in Jerusalem. Arafat hat seinen
Landsleuten bis zum 13. September
einen palästinensischen Staat ver
sprochen, weiss aber, dass dessen
Proklamation ohne Einwilligung Is
raels ihn in enorme Schwierigkeiten
stürzen könnte. Deshalb würde die
Anerkennung eines palästinensi
schen Staates durch Israel die Lö
sung anderer Fragen erleichtern,
sagte Burg.
Von offizieller Seite verlautete
auch am Dienstag nichts über den
Stand der Verhandlungen. Clinton
selbst bezeichnete die Verhandlun
gen zwischen Arafat und dem israeli
schen Ministerpräsidenten Ehud Ba
rak als die schwersten,die er in seiner
Amtszeit erlebt habe. In einem am
Montag veröffentlichten Interview
mit der «New York Daily News» wur
de er deutlicher: Die Gespräche seien
so schwierig, dass er nicht wisse, ob
ein Abkommen zu Stande komme.
Lockhart sagte jedoch, zurzeit sei
noch keiner der Teilnehmer bereit,
das Handtuch zu werfen. Bei den Ge
sprächen geht es um den endgültigen
Status von Jerusalem.
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