Liechtensteiner Volksblatt
Inland
Mittwoch, 19. Juli 2000 3
«Kein dringender Tatverdacht
zuerkennen»
2. Senat des Fürstlichen Obergerichtes begründet die Aufhebung der Untersuchungshaft von Gabriel Marxer
Am 7. Juli 2000 hob der 2. Senat
des Fürstlichen Obergerichtes die
Untersuchungshaft gegen Gabriel
Marxer auf. Das Fürstliche Ober
gericht erkannte sowohl die Tat
bestände als auch die Flucht- und
Wiederholungsgefahr als nicht ge
geben an. Nachfolgend veröffent
lichen wir Auszüge aus dem Be-
schluss des 2. Senats des Fürstli
chen Obergerichtes.
Das Fürstliche Obergericht ging unter
anderem auf die Tatsache ein, dass dem
Beschuldigten Gabriel Marxer keine
Einsicht in die Akten gewährt wurde.
Das Obergericht führte in seinem Be-
schluss aus: «Da mit der Verhängung
der Untersuchungshaft ein einschnei
dender Eingriff in die persönliche Frei
heit des Betroffenen verbunden ist, soll
er auch das Recht erhalten, in möglichst
kurzer Frist in allen Einzelheiten über
die Art und den Grund der gegen ihn
erhobenen Beschuldigung Kenntnis zu
erlangen, um seine Rechte effektiv
wahrnehmen zu können. Der Beschul
digte hat somit das Recht zu erfahren,
welche Fakten ihm angelastet werden.
Der Untersuchungsrichter hat daher
dem Beschuldigten darüber konkret
Auskunft zu erteilen. Das ist vorliegen-
denfalls nicht geschehen. Insbesondere
ergibt sich weder aus dem Antrag der
FL-Staatsanwaltschaft vom 12.5, noch
aus dem Beschluss des Untersuchungs
richters vom 15. 5., aufgrund welcher
bestimmter konkreter Anhaltspunkte
bzw. Indizien die Strafverfolgungs
behörden zur Annahme gelangt sind,
dass ein dringender Tatverdacht in
Richtung eines bestimmten Verbre
chens oder Vergehens vorliegt. So fehlt
dem Antrag der FL-Staatsanwaltschaft
die Angabe jeden Untersatzes, der
überhaupt dem Beschuldigten die Sub
sumtion unter einen der ihm vorgewor
fenen Straftatbestände erlauben und
ihm überdies auch die Möglichkeit ein
räumen würde, zu den wider ihn erho
benen Strafvorwürfen konkret Stellung
zu nehmen ... Nicht Gegenstand des
Beschwerdeverfahrens sind die weite
ren Tatsachenkomplexe, derentwegen
die FL-Staatsanwaltschaft wohl in ei
nem früheren oder späteren Zeitpunkt
die Einleitung bzw. Ausdehnung der
Strafuntersuchung, nicht aber die Ver
hängung der Untersuchungshaft aus
diesen Gründen beantragt hat... Die
über die Einleitung bzw. Ausdehnung
der Strafuntersuchung gefällten Be
schlüsse sind dem Beschuldigten Dr.
Gabriel Marxer erst anlässlich der un
tersuchungsrichterlichen Befragung am
27.6.2000 eröffnet worden.»
Vermutungen reichen
nicht aus
Das FL-Obergericht äussert sich
auch darüber, dass von der Staatsan
waltschaft nur Vermutungen geäussert
wurden. Es wird ausgeführt: «Ein drin
gender Tatverdacht liegt dann nicht vor,
wenn die Aktenlage zur Zeit der Ent
scheidung kein Substrat von einer sol
chen Dichte enthält, das die Begehung
der vorgeworfenen Straftaten als gera
dezu wahrscheinlich erscheinen erlas
sen könnte. Damit ist klargestellt, dass
blosse Vermutungen nicht ausreichen...
Das Kollegium des Fürstlichen Ober
gerichtes sieht sich daher zufolge Un
terlassung durch die Unterinstanzen
veranlasst, hinsichtlich des Tatsachen
komplexes «Sexton» den Ermittlungs
stand wie folgt näher darzulegen. Dass
der Beschuldigte Dr. Gabriel Marxer an
diesen angeblichen Betrügereien ir
gendwie beteiligt war, insbesondere in
irgendeiner Form daran mitwirkte, dass
amerikanische Anleger die entspre
chenden Gelder auf das obengenannte
Konto bei der Liechtensteinischen Lan
Dr. Gabriel Marxer (links) und Dr. Achammer bei der gestrigen Pressekonferenz.
desbank überwiesen oder sonst in ir
gendeiner Weise hinsichtlich der diesen
Anlegern gegebenen Zusagen invol
viert war, ist im bisherigen Verfahren in
keiner Richtung hervorgekommen ....
Aufgrund des Partnershipagreements
sowie der mündlich eingeholten Aus
künfte über die Bonität und Seriösität
des James C. Sexton sah Dr. Gabriel
Marxer keinen Grund, an irgend welche'
kriminelle Machenschaften des Sexton
zu glauben ... Insbesondere ist im bis
herigen Verfahren in keiner Richtung
hervorgekommen, dass der Beschuldig
te Dr. Gabriel Marxer mit der Aüszah-
lung von US $ ... etwas zu tun hatte.
Nach Auffassung des Kollegiums des
Fürstlichen Obergerichts lässt sich mit
diesen Ausführungen der dringende
Tatverdacht des Verbrechens der Geld
wäscherei nicht begründen.»
Kein dringender
Tatverdacht
Der 2. Senat des Fürstlichen Oberge
richtes kommt in seinen Ausführungen
zum Schluss, dass für verschiedene An
klagepunkte kein dringender Tatver
dacht gegeben sei. Es führt aus: «Mit
Ausnahme einer gerade derzeit nbch
anzunehmenden Verdachtslage im Fal
le Sexton wegen Geldwäscherei kann
bzgl. aller übrigen Straftatbestände
nichts von einem dringenden Tatver
dacht erkannt werden. Dies betrifft so
wohl die angebliche!Mitwirkung am
schweren Betrug als T auclr die angebli
che Untreue (bzw. angebliche Verun
treuung). Hierbei wird die Aufgabe des
Gerichtes dadurch nicht erleichtert,
dass es die FL-Staatsanwaltschaft un
terlassen hat, den Sachverhalt näher zu
umschreiben, der nach ihrer Auffassung
dem Tatbild des bzw. der dem Beschul
digten angelasteten Straftaten ent
spricht . .. Wie bereits gesagt, liegen
aber dessen ungeachtet nach den bishe
rigen Ermittlungsergebnissen keinerlei
Anhaltspunkte oder Indizien in Rich
tung dieser Straftatbestände vor. Das
gleiche gilt auch für den. Strafvorwurf
der Zugehörigkeit zu einer kriminellen
Organisation bzw. der Bandenbil
dung. .. Abgesehen davon gründet die
entsprechende Annahme des Präsiden
ten des Fürstlichen Obergerichtes auf
einer blossen Vermutung.ilrgendwelche
Erhebungsergebnisse, die den Schluss
auf eine in diese Richtung) zielende Ver
dachtslage zulassen würden, liegen
nicht vor.»
Parlamentarische
Immunität nicht
berücksichtigt
Nachdem die U-Haft im Falle «Sex
ton» aufgehoben wurde, versuchte der
Staatsanwalt in Bezug auf andere Sach
verhalte die U-Haft zu verlängern.
Gabriel Marxer und Dr. Achammer
führen hierzu in ihrer Pressemitteilung
aus: «Am S. 7. 2000 beantragte der
öffentliche Ankläger, über Dr. Gabriel
Marxer wegen weiterer Sachverhalte
wie z. B. Global Finance AG und Global
Currency Ihist die Untersuchungshaft
zu verhängen, dies ungeachtet der Tat
sache, dass diesem Antrag die parla
mentarische Immunität des Dr. Gabriel
Marxer entgegensteht, da diese nur hin
sichtlich des Tatsachenkomplexes «Sex-
ton» im Parlament aufgehoben wurde,
womit sich ja auch bereits das FL-Ober
gericht in seinem Beschluss, vom 7. 7.
auseinandergesetzt hat. Es ist also
schon erstaunlich und spricht für den
blinden Verfolgungseifer" des öffentli
chen Anklägers, dass er nicht einmal
mehr die parlamentarische Immunität
(Bilder: bak)
respektiert und dieser widerstreitend
Strafverfolgungshandlungen unter
nimmt. Allerdings hat der Herr Unter
suchungsrichter beim FL-Landgericht
den Antrag des öffentlichen Anklägers
vom 5. 7. 2000 abgewiesen und ihm
wenig Schmeichelhaftes entgegenge
halten, nämlich:
a.) <Was den vom öffentlichen Anklä
ger erhobenen Vorwurf wegen des Ver
dachtes des Verbrechens der Geldwä
scherei anlangt, so ist dieser einerseits
schon aus formellen Gründen nicht
weiter zu verfolgen, sind doch die vom
öffentlichen Ankläger in seiner Antrag
stellung vom 3. 3. 2000 angezogenen
verdächtigen Überweisungen vom 17.
und 19.4.1996 zu einem Zeitpunkt er
folgt, als § 165 StGB noch nicht in
Kraftgetreten war.>
Im Klartext heisst dies, dass der öf
fentliche Ankläger das Gesetz nicht
kennt bzw. nicht zur Kenntnis neh
men will, dass es auf einen vor In
krafttreten des Gesetzes liegenden
Sachverhalt zufolge §. 61 StGB
(Rückwirkungsverbot) - unabhängig
des Mangels eines konkreten Tatver
dachts - nicht angewendet werden
darf.
b.) <Wenn schliesslich der Verdacht
erhoben wird, dass im inkriminierten
Zeitraum über das gegenständliche
Konto ein Betrag von US $ 16 Mio. ge
flossen ist, so resultiert dieser Betrag
daraus, dass die Anlagegelder von US $
3 Mio. buchungstechnisch mehrfach auf
diesem Konto aufscheinen.... so dass
sich in Summe sehr wohl ein Betrag von
US $ 16 Mio. ergibt, welcher aber letzt
endlich und ohne, dass Anhaltspunkte
für irgendwelche kriminellen Machen
schaften vorliegen, auf den Betrag von
US $ 3 Mio. zurückzuführen ist.>
Im Klartext bedeutet dies, dass der öf
fentliche Ankläger entweder Buchungs
vorgänge nicht nachvollziehen kann,
was eigentlich nicht denkbar sein dürfte,
oder schlichtweg glaubt, dass viel künst
licher Rauch auch ein entsprechend
grosses Feuer entfachen wird.
c.) <Zum Faktum Global Currency
Ihist kann von einem dringenden Tat
verdacht nicht die Rede sein.>
d.) <Der Untersuchungsrichter konn
te sich . . . überzeugen, dass es den
Tatsachen entspricht, dass der Beschul
digte Dr. Gabriel Marxer sämtliche
Anlagegelder an Rechtsanwalt Harry
Gstöhl, seinen Nachfolger als Treuhän
der, weitergeleitet hat. Auffällig ist in
diesem Zusammenhang, dass der ge
samte Geschäftsvorfall . . . ausserge-
wöhnlich gut dokumentiert ist. So sind
nicht nur die Eingänge der einzelnen
Gelder minutiös verzeichnet, es finden
sich jeweils auch die genauen Persona
lien der Anleger samt Reisepasskopie.
Allein schon diese Vorgangsweise . ..
spricht gegen die Annahme kriminellen
Verhaltens seitens des Beschuldigten.
Vom Untersuchungsrichter konnte
auch nachvollzogen werden, wie es
dann sein kann, dass Anzeigen zahlrei
cher Anleger vorliegen, die ihr Geld
nicht zurückerhalten haben. Hierzu ist
in zeitlicher Hinsicht festzuhalten, dass
diese Anleger durchwegs ihr Geld zu ei
nem Zeitpunkt angelegt haben, zu de
nen Dr. Gabriel Marxer mit der ganzen
Sache nichts mehr zu tun hatte.»
e.) <Demgemäss konnte Dr. Gabriel
Marxer Anlagegelder auch nicht
zurückerstatten, welche er gar nicht in
Empfang genommen hat.>
Es stellt sich die Frage, warum der öf
fentliche Ankläger (FL-Staatsanwalt-
schaft) bei entsprechend gewissenhaf
tem Aktenstudium nicht zur selben
Auffassung kommen musste, zumal es
ja auch seine Aufgabe wäre, alles Ent
lastende zugunsten des Beschuldigten
zusammen zu tragen und vorzubringen.
f.) <Was schliesslich die verbleiben
den Anleger wie... anlangt, welche ih
re Gelder zwar an ... überwiesen, von
dieser (angeblich) jedoch nicht
zurückerhalten haben, so ist auf die...
erliegende Aufstellung zu verweisen:
Demnach hat Herr... für diese Anleger
die entsprechenden Schecks seitens RA
Harry Gstöhl aufgrund der entspre
chenden Bevollmächtigung seitens der
Anleger ausgefolgt erhalten..., so dass
die Verantwortung für diese Gelder kei
nesfalls Dr. Gabriel Marxer zuzurech
nen ist. Demgemäss kann von einem
dringenden Tatverdacht nicht die Rede
sein. Selbiges gilt für das angezogene
Verbrechen der kriminellen Organisa
tion. Auch hierfür liegen Anhaltspunk
te, welche einen dringenden Tatver
dacht begründen würden, nicht vor.>
Der Beschluss vom 11.7.2000 belegt,
dass der öffentliche Ankläger (FL-
Staatsanwaltschaft) weder mit der ge
botenen Objektivität, noch notwendi
gen Distanz und angemessenen
Zurückhaltung und auch nicht nach
dem Gebote der Verhältnismässigkeit
vorgegangen ist. Ganz im Gegenteil
lässt sich die Annahme rechtfertigen,
dass die Ankündigungen im Zusam
menhang mit den Verhaftungen und
Hausdurchsuchungen einer sich aus
den Akten nicht abzuleitenden Recht
fertigung bedurften.»