24 Samstag, 15. Juli 2000
M* 0 A Z I N
Liechtensteiner Volksblatt
Ein Bericht über Himmel und Hölle im westafrikanischen Nigeria, 3. und letzterTeil
Eigentlich wollte er nur einen
Kindergarten in seiner Heimat Ni
geria ins Leben rufen - Pfarrer
Ndubisi Innocent Udeafor, der
1989 nach Mitteleuropa kam, und
das neben seinem Theologiestudi-
um in einem Industriebetrieb ver
diente Geld einsetzte, um die Bil
dungsnot der Kinder in seiner
Heimat zu lindern.
Gerolf Hauser
Heute, mehr als 10 Jahre später, kann
der Verein Hilfswerk Ezioha Mmaku-
Nigeria, mit seiner Präsidentin Helga
Netzer aus Liechtenstein, auf ein Zent
rum blicken, das fUr viele Menschen in
Nigeria, 600 Kilometer von der Haupt
stadt Lagos entfernt, einzige Hilfe aus
ihrer Notsituation bietet.
Hilfe zur Selbsthilfe
Ankunft am Flughafen Lagos. Es ist
schon Nacht. Innocent Udeafor hat al
les organisiert: TYansport in die Stadt,
Ankunft bei den Sisters Maryland Ike-
ja, wo wir Ubernachten und essen kön
nen. Am nächsten Tag Inlandflug ins
600 Kilometer entfernte Enugu im
An der Einweihung des Krankenhauses Mmaku nahm die gesamte Bevölkerung teil.
Festliche Einweihung des Krankenhau
ses mit Tanz und Musik.
Osten. Nach mehr als fünf Stunden
Warten startet der Seelenverkäufer
tatsächlich und landet sogar sicher -
nicht selbstverständlich. Man spricht
davon, dass jeder dritte Inlandflug un
sanft endet. Wir werden mit dem Auto
abgeholt und zum von Schwestern ge
führten Divine Love Retreat and Con
ference Centre gebracht, ein grosser
Gebäudekomplex, von einer hohen
Mauer umgeben, auf der Glasscherben
angebracht sind - notwendiger Schutz
vor Überfällen. Die Zimmer sind sau
ber, von den kapitalen Kakerlaken ab
gesehen, die Klimaanlage macht einen
ohrenbetäubenden Lärm, funktioniert
aber - wenn es Strom gibt. Am nächsten
Morgen geht es etwa eine Stunde mit
dem Auto nach Süden ins Missionszent
rum Mmaku, vorbei an Lastwagen, die
nicht nur mit Waren, sondern mit Dut
zenden von Menschen beladen sind - in
Ermangelung einer Infrastruktur einzi
ges Transportmittel und vorbei an
Menschen, die am Strassenrand eine
Art Wasserratten anbieten, zum Essen
natürlich. Abseits der neuen Autobahn,
die nach Süden, nach Port Harcourt
führt, geht es hinein in die Berge, auf ei
ner Strasse, die hauptsächlich aus
Löchern besteht. Und dann das Zent
rum Mmaku: Welch ein Empfang.
Hunderte von Kindern, eines hübscher
als das andere, und alle fröhlich und
glücklich (welch ein Unterschied zu
den Kinder in den Städten, in Enugu
oder Lagos). Sie empfangen und um
ringen uns, respektvoll und unglaublich
freundlich. Man spürt, was sie früher
erlebt haben müssen, spürt, dass sie um
das kaum fassbare Glück wissen, in die
sem Zentrum sein zu dürfen, in dem sie
Kindheit, Geborgenheit, Sicherheit,
Ausbildung, also eine Zukunft, erfah
ren dürfen. Dinge, die all die vielen
Kinder, die, vor allem in den Städten,
auf der Strasse leben, nicht haben.
Kinder mit Zukunft
Ja, es ist gewachsen, das Missionszent
rum Mmaku. Neben der Bäckerei (sie
versorgt nicht nur das Missionszentrum
mit frischem Brot, sondern auch einen
Teil der Gemeinde), der Näherei, den
Werkstätten und dem landwirtschaftli
chen Betrieb (alles zusammen ist das
Zentrum der grösste Arbeitgeber in
der Region), gibt es den Kindergarten.
Die Frage, wohin die Kinder anschlies
send sollen, Hessen Präsidentin Helga
Netzer und Innocent Udeafor keine
Ruhe. So entstand zuerst eine Volks
schule mit Platz für Uber 300 Schülerin
nen und Schüler und eine kaufmänni
sche und handwerkliche Berufsschule
für ca. 200 Schüler. Inzwischen konnte
eine Weiterführung der Volksschule
auf Gymnasium-Niveau begonnen
werden (das einzige ständig funktionie
rende Schulsystem in weitem Um
kreis). Da viele Schülerinnen täglich
einen weiten Schulweg haben, musste
ein Schulbus angeschafft werden. Viele
aber wohnen so weit, dass ein Internat
mit Schlafsälen begonnen wurde zu
bauen. Es soll mehrfach genutzt wer
den: Als SchUlerheim, für Fortbildungs
kurse über Hygiene, Ernährung, Kin
derbetreuung, medizinische Erstver
sorgung und Gesundheitsvorsorge.
Und immer noch wird fleissig gebaut.
Um die hohen Transportkosten von
Ziegelsteinen zum 1 Bau des Kranken
hauses zu sparen, weriden die Ziegel
vor Ort selbst gefertigt. Bauen heisst
Handarbeit. Da hört man hämmern
und sägen, aber keine einzige Maschi
ne. Dafür lYonhnäln und Singen - die
Vorbereitungen, £^r,,dje Einweihung
des neuen Krankenhauses laufen auf
Hochtouren. '
Das neue Krankenhaus
Wie immer im Frühjahr, hängt der
Harmattan in der Luft, der Wind, der
aus der Sahara feinen Sandstaub mit
bringt. Jährlich starben um diese Zeit
Tausende Menschen an Gehirnhau
tentzündung, im letzten Jahr waren es
über 15 000 in wenigen Wochen. Das
Leben spielt sich auf den Strassen ab.
Die Menschen sitzen inmitten der im
Unrat nach Nahrhaftem suchenden
Ziegen und Hühner, kochen und rösten
auf Holzkohlefeuern. Und in einem
Buschkrankenhaus konnte ich Opera
tionsbesteck sehen, mit dem ich mir
kein Stück Brot abschneiden würde.
Man muss kerngesund sein, um so ein
Krankenhaus lebend zu überstehen.
Kein Wunder, dass Helga Netzer und
Innocent Udeafor alles in Bewegung
gesetzt haben, um ein richtiges Kran
kenhaus in Mmaku bauen zu können.
Da steht es nun, das grosse weisse Ge
bäude mit dem rotem Dach, die St. Mo-
nica-Klinik, eine Erweiterung der be
reits bestehenden Tagesklinik in ein
nicht nur ambulantes, sondern auch
stationäres Krankenhaus. Ganz oben
wohnt der Arzt, darunter sind die Un
tersuchungsräume, die Betten und ein
Raum für kleinere Operationen. Im
unteren Stockwerk sind die Labors, die
pharmazeutische Abteilung, die Abtei
lungen für Hämatologie und Bioche
mie. Das hört sich grossartig an - und ist
es auch. Aber natürlich fehlt noch das
Meiste: Die Betten, die ärztlichen In
strumente und ein anständiger Genera
tor, nachdem Vandalen vor Jahren die
Stromleitungen zerstört haben - es
fehlt an Geld, um Brunnen zu bohren,
um Hilfe in Ernährungs- und Gesund
heitsfragen zu leisten, Geld, das in Ni
geria nicht vorhanden ist. Aber natür
lich ist die Einweihung ein grosses Fest
für Jung und Alt. Eine Gruppe von
Schülerinnen, etwa 15 oder 16 Jahre alt,
singt für jeden der Ehrengäste, zu de
nen auch wir Weissen zählen, eine Be-
grüssungsstrophe. Dann werden wir
bekränzt und auf einen Ehrenplatz ge
führt, von dem aus die herrlichen Tän
ze der Kinder, Frauen und Männer zur
rhythmischen Musik besonders gut zu
sehen sind. Die Stimmung auf dem
staubigen Platz vor dem Krankenhaus
ist grossartig, die Menschen wissen, das
dieses Krankenhaus für Unzählige die
letzte Rettung bedeutet. Sogar der Bi
schof der katholischen Diözese in Enu
gu, Reverend Anthony Okonkwo Gbu-
ji, ist gekommen, und - was vielleicht
weitaus bedeutender ist, die Dorfältes
ten und Chiefs aus der Umgebung sind
da. Das bedeutet, Innocent Udeafors
Projekt ist akzeptiert, wird inzwischen
sogar unterstützt von den Einheimi
schen.
Helfen Sie den Kindern in Mmaku-
Nigeria mit einer Spende auf Konto Nr.
LLB 680.428.04 oder VP Bank
250.846.206.
Bischof Gbuji zelebriert eine Messe zur Einweihung dei Krankenhauses im Mis
sionszentrum Mmaku. f
Schulkinder aus dem «Paradies»-Mmaku.