Liechtensteiner Volksblatt
Spojit
Freitag, 7. Juli 2000 23
WM-Vergabe 2006
Charles Dempsoy hatte
alles in der Hand
Charles J. Dempsey, ein 78-jähriger Neuseelän
der, hat die Vergabe der WM 2006 entscheidend
beeinflusse Das älteste Mitglied der FIFA-Exe-
kutive enthielt sich im dritten und letzten Wahl
gang der Stimme. Damit wurde'der deutsche
Sieg zur Gewissheit.
Nach dem zweiten Wahlgang, als Deutschland
und Südafrika je elf Stimmen auf sich vereinten
und England mit zwei Stimmen ausschied, war
auch das Stimmverhalten jedes Einzelnen der
24 stimmberechtigten Mitglieder der FIFA-
Exekutive offen gelegt. Afrika, beide amerika
nischen Kontinente und Blatter votierten für
Südafrika, sieben europäische und alle vier asia
tischen Vertreter für Deutschland, der Schotte
David H. Will und Charles Dempsey für Eng
land.
Nach dem Aus von England schwenkte Will
als zwölfte Stimme ins deutsche Lager. Alles lag
nun in Dempseys Hand, der einzige Vertreter
des Ozeanien-Verbandes war das Zünglein an
der Waage. Hätte er für Südafrika votiert, hätte
beim Stand von 12:12 die Stimme des FIFA-Prä
sidenten Sepp Blatter zu Gunsten von Südafri
ka den Ausschlag gegeben
Trauer und Entsetzen in
Südafrika
«Schön für Liechtensteiner Fans»
Liechtensteiner Stimmen zur Vergabe der Fussball-WM-Endrunde 2006
An Kapstadts «Waterfront» fiel die geplante
Riesenparty ins Wasser. An der Südspitze Afri
kas konnten es die Fussballfans nicht glauben,
dass Deutschland und nicht Südafrika die WM
2006 veranstalten wird. Der Nachrichtensender
SABC hatte schon Stunden vor der Entschei
dung in Zürich seine Landsleute auf Sieg einge
stimmt und quer durch die Nation in mehrere
vollbesetzte Fussballstadien geschaltet. Als FI-
FA-Präsident Joseph Blatter den deutschen
Sieg verkündete, standen nicht nur einigen süd
afrikanischen Funktionären die Tränen in den
Augen. Auch Fans und Journalisten rangen ver
zweifelt um Fassung. Staatspräsident Thabo
Mbeki machte unmittelbar nach der Niederlage
seinen Landsleuten Mut und versuchte sie auf
zurichten. «Für uns ist das Votum eine grosse
Enttäuschung. Das ist ein tragischer Tag für
Afrika. Dennoch gratulieren wir Deutschland.
Das nächste Mal werden wir gewinnen.»
Dass Deutschland zum Zuge kam, bewerte
ten einige Südafrikaner als Manipulation. «Wa
rum hat sich einer von denen am Ende der Stim
me enthalten?» wurde immer wieder gefragt.
«Wäre Blatter zum Zuge gekommen, hätten wir
die WM erhalten.»
England gibt den
Hooligans schuld
Der ehemalige britische Sportminister Tony
Banks hat den Hooligans die Schuld für das
Scheitern Englands im Kampf um die Austragung
der WM 2006 gegeben. Schon vor dem ersten
Wahlgang sagte der Delegierte der britischen Re
gierung am Hauptsitz der FIFA in Zürich in An
spielung auf die' Ausschreitungen rund um das
EM-Spiel zwischen England und Deutschland:
«Charleroi hat uns Probleme bereitet».
Frustration in Marokko
Mit Enttäuschung und Verärgerung hat auch
Marokko auf das frühe Ausscheiden bei der
WM-Vergabe für 2006 reagiert. In einer Live
sendung im marokkanischen Fernsehen sagte
der Sprecher des Fussballverbandes Moham
med el Kriti, das Ausscheiden in der ersten
Wahlrunde sei eine grosse Schande. Dies sei
entgegen aller offiziellen Erklärungen, dass Ma
rokko mit der Unterstützung arabischer, eu
ropäischer und asiatischer Vertreter rechnen
könne. Die drei Stimmen seien schlimmer als
die beiden vorherigen Bewerbungsergebnisse
1994 und 1998, als Marokko sieben und zehn
Stimmen erhielt.
Die bisherigen WM-Organisatoren:
1930 Uruguay, 1934 Italien, 1938 Frankreich, 19S0 Brasi
lien, 1954 Schweiz, 1958 Schweden, 1962 Chile, 1966 Eng
land, 1970 Mexiko, 1974 Deutschland, 1978 Argentinien,
1982 Spanien, 1986 Mexiko, 1990 Italien, 1994 USA, 1998
Frankreich, 2002 Japan/Südkorea, 2006 Deutschland.
Deutschland zum zweiten Mal
WM-Gastgeber Gestern um
14.07 Uhr verkündete FIFA-
Präsident Joseph Blatter mit
den Worten «The winner is
Deutschland» das Ergebnis
des dritten Wahlgangs, in dem
sich der DFB mit 12:11 Stim
men bei einer Enthaltung ge
gen Südafrika durchsetzte. Das
Volksblatt informierte sich bei
einigen Grössen der Liechten
steiner Fussballszene über de
ren Meinung zur WM-Vergabe
für 2006.
Heinz Zöchbauer
Deutschland ist im Jahr 2006 zum
zweiten Mal nach 1974 Gastgeber
einer Fussball-WM. Das 24-köpfige
Exekutivkomitee des Weltverban
des FIFA gab gestern in Zürich der
Kandidatur des Deutschen Fuss
ball-Bundes (DFB) um die Ausrich
tung des zweiten WM-Hirniers im
neuen Jahrhundert den Zuschlag.
DFB mit bester Bewerbung
Otto Biedermann, der Präsident
des Liechtensteiner Fussballver
bandes (LFV) kann Deutschland
als Ausrichter der WM 2006 durch
aus Positives abgewinnen: «Ganz
egoistisch könnte ich natürlich sa
gen, dass es schön ist, dass die
übernächste WM in unserer Nähe
stattfindet - dies erlaubt wieder ei
nigen Liechtensteinern, die Fuss
ball-Weltmeisterschaft live mit zu
erleben. Anlässlich des UEFA-Kon
gresses in Holland und in Luxem
burg habe ich mitbekommen, dass
der Deutsche Fussballbund (DFB)
die beste Bewerbung eingeschickt
hat. Klar war es ein Politikum zwi
schen Europa und Afrika - FIFA-
Präsident Sepp Blatter hat sich ja
mehrmals deutlich geäussert, dass
er Afrika favorisiere. Im Hinblick
dieser demokratischen Entschei
dung wird Herr Blatter das Aus
wahlverfahren neu überdenken -
dies hat er ja bereits angekündigt -
und vielleicht werden sich in Zu
kunft die einzelnen Kontinente ein
fach abwechseln müssen. Man darf
LFV-Präsident Otto Biedermann (im Bild rechts mit FIFA-Präsident Joseph Blatter) kann Deutschland als WM-
Ausrichter durchaus Positives abgewinnen. (Archivbild)
aber nicht vergessen wer die vielen
Gelder, die schlussendlich allen
Verbänden zugute kommen, ein
spielt. Hierbei ist Europa mit einem
Anteil von fast 80 Prozent Spitzen
reiter und möglicherweise war dies
bei manchem Entscheidungsträger
mit ausschlaggebend. Aber auch in
Anbetracht des 100-jährigen Ju
biläums des DFB möchte ich
Deutschland herzlich gratulieren.»
Nicht einverstanden zeigte sich
der LFV-Präsident, dass sich ein
Stimmberechtigter seiner Stimme
enthalten hat: «Ich weiss natürlich
nicht, was denjenigen dazu bewogen
hat, sich «rer Stimme zu enthalten.
Aber grundsätzlich bin ich der Mei
nung, dass ein Delegierter bei solch
einer Entscheidung Verantwortung
Ubernehmen muss - eine Enthal
tung ist keine Meinung und nicht im
Sinne der Sache.»
«Alle hätten es verdient»
Auch Markus Schapper, der Ge
schäftsführer des LFV, freut sich aus
Liechtensteiner Sicht, dass
Deutschland den Zuschlag für die
WM-Ausrichtung für 2006 bekom
men hat. Obwohl das Mitgefühl des
«Lenkers» der LFV-Zentrale den
durchgefallenen WM-Bewerber
gehört. «Wenn man gesehen hat,
wie viel «Herzblut» alle Kandidaten
in ihre Bewerbungen gesteckt ha
ben, hätten es eigentlich alle ver
dient, aber natürlich kann nur ein
Land den Zuschlag erhalten. Aus
Liechtensteiner Sicht freue ich
mich, dass nach 1998 noch einmal
eine Fussball-Weltmeisterschaft -
der Höhepunkt im <Fussball-Le-
ben> - praktisch vor unserer Haus
türe ist. Dadurch erhoffe ich mir,
dass unsere Fussballfans die Mög
lichkeit haben die WM-Spiele live
miterleben können. Zudem wün
sche ich mir, dass der Veranstalter
und der Fussball-Weltverband (FI
FA) bei der Kartenzuteilung Ver
besserungen vornehmen werden
und auch einem nicht teilnehmen
den Verband für seine Fussball
freunde mehr Karten zur Verfügung
stellen.
Ottey-Freispruch fraglich
Das Schweizer Dopinglabor in Lausanne wehrt sich
Der Freisprach von Merlene Ottey
durch ein Schiedsgericht des Inter
nationalen Leichtathletik-Verban
des (IAAF) macht die Verantwort
lichen des schweizerischen Doping-
Labors (LAD) in Lausanne per
plex. Die Kontrolle sei nach den An
weisungen des Internationalen
Olympischen Komitees (IOC) vor
genommen worden, halten sie in ei
nem Communique fest.
Die Leichtathletin war am 5. Juli
letzten Jahres beim Meeting in Lu-
zern positiv auf Nandrolon getestet
worden. Das IAAF-Schiedsgericht
hatte vor drei Tagen die vom Inter
nationalen Olympischen Komitee
empfohlene Sperre mit der Begrün
dung aufgehoben, im Labor, das die
Probe untersucht habe, seien gewis
se Faktoren ausser Acht gelassen
worden.
Nachgewiesene Werte
Gegen diesen Vorwurf der un
sorgfältigen Arbeit wehrt sich das
schweizerische Doping-Labor. Es
hält fest, der Merlene Ottey nachge
wiesene Wert des Nandrolons, eines
anabolen Steroids, habe weit über
der Norm gelegen. Bei der Vornah
me der Kontrolle habe der Urin der
Sprinterin ein spezifisches Gewicht
unter 1,020 aufgewiesen. Deshalb
sei es in Übereinstimmung mit den
IOC-Normen beim Test nicht nötig
gewesen, einen korrigierenden Fak-
. 'V v *
Ist Merlene Ottey's Freispruch nur von kurzer Dauer?
tor anzuwenden. Selbst wenn das
spezifische Gewicht höher gewesen
wäre, hätte die Anwendung des
Korrektionsfaktors die Konzentra
tion des Nor-Andro'sterons nicht
unter den für Spitzensportlerinnen
festgelegten Grenzwert von fünf
Nanogramm per Milliliter gesenkt. \
Im Commuiliquä des schweizeri
schen Dopingläbors heisst es weiter,
um den Wert dfes Nor-Androsterons
l
unter fünf Nanogramm per Millili
ter zu senken, wäre ein spezifisches
Gewicht des Urins nötig, der noch
nie bei einem lebenden Menschen
gemessen worden sei. Die Direkti
on des Labors äussert in ihrer Ver
lautbarung die Vermutung, die Mit
glieder des Schiedsgerichtes seien
durch eine falsche Auslegung der
Testergebnisse zu irrigen Schlüssen
verleitet worden.
i:
Positiv für den deutschen
Fussball
Von einer ganz tollen Sache - ge
rade in Anbetracht der deutschen
Wiedervereinigung - spricht Uwe
Wegamann, der deutsche Trainer
des FC Vaduz. «Gerade was die Sta
dien betrifft, wird auf Deutschland
eine Menge Arbeit zukommen -
was aber schlussendlich wiederum
dem deutschen Fussball zugute
kommt. Aber für das <neue Gesamt-
Deutschland> ist es eine ganz tolle
Angelegenheit, die WM 2006 aus
richten zu dürfen. Aus sportlicher
Sicht müssen wir nun eine schlag
kräftige Mannschaft aufbauen - ich
bin zuversichtlich, dass dies den neu
en Verantwortlichen, Rudi Völler
und Christoph Daum, auch gelingen
wird. Grundsätzlich muss man auch
sagen, dass sich dieser Entscheid auf
den ganzen deutschen Fussball po
sitiv auswirken wird. Auch für den
Nachwuchsbereich wird dies neue
Impulse setzen - für manchen
Nachwuchskicker kann die WM
2006 ein neues, grosses Ziel sein.