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Politsatire im
Märchengewand
Der Goldene Hahn als Opernrarität im Festspielhaus
Nikolai Rimski-Korsakow (1844 - 1908) gehör
te, wie auch Massorgski, zum sogenannten
„Mächtigen Häuflein", das sich vor dem Hin
tergrund aufkommender nationaler Strömun
gen für die Loslösung der russischen von der
westlichen Musik einsetzte. Nikolai Rimski-
Korsakow ist geprägt vom russisch-orientalischen
Impressionismus, der sich durch kraftvolle Har
monik und glänzende Instrumentation aus
zeichnet.
Obwohl Sohn einer Adelsfämilie, sympatisierte
Nikolai Rimski-Korsakow mit den revolutionä
ren Strömungen seiner Zeit und verlor dadurch
nach der niedergeschlagenen Revolution von 1905
zeitweise auch seine Anstellung als Professor.
Genau vor diesem Hintergrund ist die Entste
hung von Der Goldene Hahn zu verstehen.
Zusammen mit seinem Librettisten Wladimir
Iwanowitsch Beiski machte er sich im Herbst
1906 daran, aus den Vorlagen - vornehmlich
Puschkins Versmärchen Oer Goldene Hahn von
1834 - eine Oper zu konzipieren.
Nur elf Monate benötigten die Autoren für die
Fertigstellung des Werkes. Als politische Satire
zeigt Der Goldene Hahn zweifelsohne und
überdeutlich die politischen Zustände Russlands
auf. Aus diesem Grund machte die zaristische
Zensur die Auffuhrung von Kürzungen abhän
gig, die u.a. auch Originalpassagen Puschkins
betreffen sollten. Doch Rimski-Korsakow ver
weigerte den Eingriff in sein Werk. Erst nach
seinem Tod konnte Der Goldene Hahn im
Oktober 1909 in Moskau uraufgeführt werden,
allerdings in der gekürzten Fassung und in einer
fblkloristisch gehaltenen Inszenierung. Nach dem
Krieg veränderte sich die Interpretation zuguns
ten satirischer Elemente.
Unter diesem Aspekt steht auch die Inszenie
rung im Rahmen der diesjährigen Bregenzer
Festspiele. Regisseur David Pountney, in Bregenz
bestens bekannt durch seine drei SeebUhnen-
inszenicrungen wie auch durch Die Griechische
Passion im vergangenen Jahr, teilt die satirische
Auflassung mit den Bühnenbildnerinnen Hundey
Muir und verarbeitet in seiner Interpretation
klare aktuelle politische Bezüge. David Pountney:
In Rimski-Korsakows köstlicher Satire trifft
die Tölpelhafte Macht/Männlicher Politiker
auf die ewige Macht der Frauen....
Und verliert.
David Pountney bei den Proben zum Goldenen Hahn
Oper Im Festspielhaus 2000
Der
Goldene Hahn
Oper in drei Akten von Nikolai
Rimski-Korsakow. Text von Vladimir
Iwanowitsch Beiski nach einem
Märchen von Alexander Puschkin.
Neue Fassung in deutscher
und russischer Sprache von David
Pountney und Nicola Raab.
Musikalische Leitung Vladimir Fedoseyev
Inszenierung David Pountney
Ausstattung Huntley Muir
Choieographie Amir Hosseinpour
Light Design Mimi Jordan Sherin
König Dodon Kurt Rydl
Prinz Gwidon Robert Wörle
Prinz Afron Adrian Glarke
General Polkan Walter Fink
Amelfä Cornelia Wulkopf
Der Astrologe Eberhard F. Lorenz
Die Königin von Schemacha Iride Martinez
Der goldene Hahn Maja Boog
Wiener Symphoniker
Kammerchor Moskau
Tanzensemble
Premiere 20. Juli
Weitere Auffuhrungen 23., 27. und 30. Juli
3. August
Auffiihrungsort Festspielhaus
Beginn 19.30 Uhr
Dauer der Aufführung ca. 2 Stunden
eine Pause
Opernworkshop 2000
Der Goldene Hahn
16.- 18. Juli 2000
Festspielhaus
Informationen unter
Telefon +43-5574-407-226
Eine veritable Opernpremiere
Vladimir Fedoseyev dirigiert den Goldenen Hahn
Welche Bedeutung hat der Goldene Hahn
innerhalb der künstlerischen Entwicklung Rimski-
Korsakows?
Rimski-Korsakow beschritt mit dem Goldenen
Hahn musikalisches Neuland; die Oper ist eine
schonungslose und groteske politische Satire auf
die damalige und auf die heutige Gegenwart.
Hier manifestiert sich ein neuer Anfang, der
völlig auf die Zukunft und die Oper des 20.
Jahrhunderts hin orientiert ist. Auch der Text
von Puschkin ist sehr modern, könnte in unse
rer Zeit kaum aktueller sein.
Das müssen Sie uns erklären.
Puschkin und Rimski-Korsakow machen sich
lustig über die Stupidität der politischen Macht
haber, die im Wahn einer unumschränkten
Macht leben, letzdich aber total schwach und
unfähig sind, voll von Stumpfsinn und Groß
sprecherei. Genau diese Erfahrung machen wir
heutzutage ja weltweit - wohin man blickt, sind
unfähige Regierungen am Ruder, nicht nur in
Russland. Sie schaffen es nicht, ein Land wirk
lich zu führen, sondern es sind, bei Lichte bese
hen, äußerst prosaische Menschen.
Weshalb fuhren die Bregenzer Festspiele den
Goldenen Hahn in deutscher Sprache auf?
Das war kein leichter Entscheid, denn selbstver
ständlich geht etwas dabei verloren. Doch das
Publikum muss den Text und die Vorgänge auf
der Bühne genau verstehen. Eine politische
Satire lässt sich nicht über eingeblendete
Untertitel vermitteln, das widerspräche dem
Charakter des Werks.
Dennoch, eine einzige Person, nämlich die Zarin
Schemacha, wird russisch singen...
...weil sie keine Person im engeren Sinne ist,
sondern ein Prinzip. Nämlich das orientalische
Prinzip, welches sich von der russischen Realität
grundlegend unterscheidet. Zudem verkörpert
sie das weibliche Prinzip: Sie ist irgendwie un-
fässbar, geheimnisvoll, nicht von dieser Welt; und
deshalb ist es für sie ein leichtes Spiel, Dodon zu
verführen.
Wer ist der goldene Hahn?
Er versinnbildlicht das Prinzip Sicherheit, ist
gleichzeitig eine Art von Warnsystem, das dem
Zaren sowie dem Volk die trügerische Überzeu
gung verleiht, in Sicherheit zu leben. Nur funk
tioniert das nicht, weil der Hahn nicht der Welt
Dodons angehört und sich entsprechend nicht
für deren Interessen einspannen lässt.
Geht die Figur des Hahns auf eine traditionelle
russische Märchenfigur zurück?
Nein, das ist eine rein dichterische Erfindung
von Puschkin. Eine sehr interessante Figur übri
gens, die für eine komplexe Mischung von
Sicherheit als Realität und als Einbildung steht.
Die Zarin Schemacha wiederum ist gleichzeitig
gescheit und gefahrlich, obwohl sie den ver
meintlich „realistischen" Machdiabern unfassbar
und damit ungefährlich erscheint. Schemacha
verkörpert die Gefahr, die aus dem Osten droht.
Wie verstand man die Oper zur Zeit ihrer Ur
aufführung: als Märchenspiel oder als rein poli
tische Satire?
Als Satire, die im unverfänglichen Gewände einer
Märchenoper daherkommt. Diese Doppelbö
digkeit war existenziell wichtig für das Überle
ben der Oper. 1905 war die erste Russische
Revolution, 1909 wurde Der Goldene Hahn ur
aufgeführt. Zudem waren die Misserfolge des
unpopulären Krieges von Russland gegen Japan
noch in aller Munde. Brisanter hätte der Opern-
stoff damals kaum sein können, jedermann las
ihn als eine gegen das Zarenregime gerichtete
Botschaft.
Eine letzte Frage: Haben Sie das Werk schon oft
dirigiert?
Nur Fragmente daraus, und dies in konzertanter
Form. Denn selbst bei uns in Russland werden
höchstens noch fünf oder sechs Opern von
Rimski-Korsakow regelmäßig aufgeführt. Also
wird es in Bregenz auch für mich eine veritable
Opernpremiere.
Im wirklichen Leben zählen
die richtigen Antworten.