Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

22 Samstag, 17. Juni 2000 
Spo r t 
Liechtensteiner Volksblatt 
EM-Spitter 
CAMPINO. Campino, der Sänger der Punk 
rock-Band «Die Toten Hosen», stattete der 
deutschen Nationalmannschaft einen Besuch 
ab. Seine Beweggründe dafür waren jedoch we 
nig schmeichelhaft. Er wollte mal sehen, wes 
halb die Deutschen so schlecht spielen. Das 
Herz des Sohnes einer Engländerin schlägt heu 
te denn auch nicht für die Mannschaft vonTYai- 
ner Ribbeck. «Die einen gehen zu den Deut 
schen, ich gehe lieber zum Fussball», gibt Cam 
pino seine Überlegungen preis. 
* * * 
POSITIV. Guido Tognoni, der bei der UEFA 
fUr die Nationalmannschaften zuständig ist, 
schwärmt in den höchsten Tönen vom bisheri 
gen 1\irnierverlauf: «1990 war der Tiefpunkt des 
Fussballs. Es wurde nur noch verteidigt, und es 
gab kaum spektakuläre Szenen. Dann haben 
FIFA und UEFA die Regeln geändert, und bei 
dieser EM ernten wir die Früchte. Wann erlebte 
man schon, dass ein 2:0 oder 3:0 nicht zum Sieg 
gereicht hat.» 
* * * 
FUSSBALL TOTAL. In der Bar «Oude Bijlo- 
ke» in Gent müssen die Fussbail-Liebhaber 
auch auf der Toilette nicht auf die EM verzich 
ten. Der Besitzer installierte auch an den «stil 
len Örtchen» Fernseher, damit die Gäste wirk 
lich nichts verpassen. 
* * * 
MATTHÄUS 1. Die Hörer des Westdeutschen 
Rundfunks wollen, dass Matthäus das Trai 
ningsquartier der deutschen Nationalmann 
schaft verlässt. In einer Umfrage des Senders 
nach Vorbild von «Big Brother» sprachen sich 
über 90 Prozent für einen Abschied des umstrit 
tenen Liberos aus. 
^ # ♦ 
MATTHÄUS 2. Die 
Buchmacher des Salz 
burger Wettbüros «In- 
tertops» bieten für 
das Spiel Deutschland 
- England vier Mat 
thäus-Wetten an: 
25:10 lautet die Quo 
te, dass der 39-Jährige 
gegen die Briten sein 
letztes Länderspiel 
bestreitet. Eine Quote 
von 120:10 gibt es auf einen von Matthäus ver 
schuldeten Foul- oder Handspenalty. 200:10 ist 
der Kurs, dass der Libero vom Platz gestellt 
wird. Und 330:10 lautet die Quote, dass Mat 
thäus ein Eigentor unterläuft. 
♦ * * 
NEGATIV. Bei den ersten acht Spielen fielen 
alle 32 durchgeführten Dopingkontrollen nega 
tiv aus. Nach jeder Partie müssen pro Team zwei 
Spieler zur Kontrolle antreten. Bereits im Vor 
feld der EM hat die UEFA bei jeweils vier Ak 
teuren von vierTeilnehmern Urinproben vorge 
nommen. Auch diese waren negativ. 
♦ * * 
APPELL. Der deutsche Botschafter in Lon 
don, Hans-Friedrich von Ploetz, hat an die Ver 
nunft der Fans appelliert: «Ich hoffe, dass der 
Fussball siegt. Hooligans aller Nationen, bleibt 
vor eurem Fernseher sitzen», schrieb von Ploetz 
in der englischen Zeitung «Sun». 
* * * 
KANDIDATUR: Drei Wochen vor der Verga 
be der WM-Endrunde 2006 in Zürich bestätigte 
der Südamerikanische Fussballverband (CSF), 
dass er hinter der WM-Kandidatur Brasiliens 
für 2006 stehe. Der CSF stellt sich damit gegen 
Gerüchte, dass Brasilien seine Kandidatur zu 
Gunsten von Südafrika zurückziehen würde, 
um mit der Unterstützung des afrikanischen 
Kontinents eine Bewerbung für die WM 2010 
einzureichen. 
♦ * * 
SPITZENGEHALTi Der spanische Teamstür 
mer Raul Gonzalez ist mit einem monatlichen 
Einkommen von künftig 900 000 Franken zum 
bestbezahlten Fussballer der Welt aufgestiegen. 
Der 22-Jährige einigte sich mit Champions-Lea- 
gue-Sieger Real Madrid auf eine Verlängerung 
und kräftige Aufstockung seines Vertrages. Der 
bisher bis 2002 befristete Kontrakt wurde um 
drei Jahre bis 2005 verlängert. 
1 
Zweiter Sieg des Weltmeisters 
Frankreich nach dem 2:1-Sieg fest im Viertelfinale - Tschechien vor Aus 
Frankreich hat an Tschechien 
erfolgreich Revanche für das 
EM-Ausscheiden in den Vier- 
telfinals vor vier Jahren im 
Penaltyschiessen genommen. 
Der Weltmeister setzte sich 
auch in seinem zweiten EM- 
Gruppenspiel durch und be 
zwang den EM-Finalisten von 
1996 vor 30 000 Zuschauern in 
Brügge mit 2:1 (1:1). Der 
Champion hat sich damit in der 
starken Gruppe D selbst die 
Weiche für die Viertelflnals ge 
stellt. 
Henry von Arsenal brachte Frank 
reich nach einer katastrophalen 
Rückgabe von Gabriel in der 7. Mi 
nute frühzeitig in Führung. Mit ei 
nem geschenkten Foulpenalty glich 
Poborsky von Benfica Lissabon 
(35.) zum Pausenstand von 1:1 aus. 
Der eingewechselte Djorkaeff von 
Kaiserslautern sorgte nach einer 
herrlichen Kombination über meh 
rere Stationen mit einem noch 
leicht abgefälschten Flachschuss 
aus 12 Metern für die Entscheidung 
des glücklicheren und nicht des bes 
seren Teams. 
Die «equipe tricolore», die dank 
ihrer torgefährlichen Stürmer noch 
homogener und gefestiger erscheint 
als vor zwei Jahren beim grossen 
Triumph im eigenen Land, verdien 
te sich den Erfolg durch seine Effi 
zienz. Die physisch überlegenen 
Tschechen waren im tempostarken 
Duell mit zahlreichen Torszenen 
nicht schlechter, aber im Abschluss 
unglücklicher. So traf der Hüne Kol 
ler (202 cm) mit einem Kopfball 
(71.) wie schon im Startspiel gegen 
Holland nur die Latte. Auch Pobor 
sky oder Nedved vergaben erstklas 
sige Chancen knapp oder scheiter 
ten am hervorragenden Barthez. 
Tschechien, in der Qualifikation als 
einziges Team ohne jeden Punktver 
lust, war erneut vom Pech verfolgt 
und hadert mit seiner ungenügen 
den Chancenauswertung. 
Das einzige Plustor der Schützlin 
ge von Jozef Chovanec war erst 
noch das Ergebnis eines Fehlent 
scheids. Bevor Schiedsrichter Gra 
ham Poll aus England, der vor ei 
nem Jahr auch das Qualifikations 
spiel zwischen Schweiz und Italien 
in Lausanne arbitriert hatte, auf den 
Elfmeterpunkt zeigte, erkundigte er 
sich bei seinem Linienrichter. Erst 
danach zeigte er - fälschlichwerwei- 
se - auf den ominösen Punkt. De- 
schamps beging zwar ein Foul an 
Nedved, doch TV-Wiederholungen 
Mit dem Treffer zum 2:1 sorgte Djorkaeff (Mitte) für den zweiten Sieg der Franzosen bei der EM 2000. 
bewiesen, dass der Check des fran 
zösischen Captains klar vor der 
Strafraumlinie erfolgte. 
Die Ordnung und Zidane 
Die Franzosen, die seit dem WM- 
Titel unter Jacquet-Nachfolger Ro 
ger Lemerre erst ein Spiel verloren 
haben, überzeugten in verschiede 
nen Belangen. Die Abwehr um die 
makellosen Blanc und Desailly, die 
den tschechischen Riesen Koller 
(202 env)'>und Lokvenc (197 cm) 
auch iim "Luftkampf kaum Spiel 
raum liessen, verteidigte kompakt. 
Da gab es kein Durchkommen, weil 
die Automatismen funktionieren 
und jeder genau weiss, was der an 
dere tut. 
Ordnung und Sicherheit herrsch 
te auch bei den drei «röcupdra- 
teurs», den «Staubsaugern» De- 
schamps, Petit und Vieira vor, der 
von Trainer Lemerre wegen seiner 
Grösse und Kraft zunächst dem of 
fensiveren; Djorkaeff auf der rech 
ten Flanke vorgezogen wurde. Sie 
hielten ihrem Star, Zidane, den 
Rücken frei. So konnte der zweifa 
che WM-Finaltorschütze seine 
ganze Kreativität ausschöpfen und 
tat dies einige Male in bestechender 
Manier. Wie er den Ball kontrol 
liert, lupft und in den freien Raum 
spielt, ist Sonderklasse. Von seiner 
Inspiration profitierte vor allem 
Henry, der sich seit der WM immens 
gesteigert hat. Antrittsschnell, drib 
belstark, der dunkelhäutige Arse- 
nal-Stürmer war von den Tschechen 
kaum zu halten. Anelka fiel weniger 
auf und musste seinen Platz auch 
Dugarry überlassen. 
Weitere Infos: www.euro2000.org 
TT§<£(h@<£y(£tn - (FrountaM 
Tschechien - Frankreich 1:2 (1:1): Jan-Breydel-Stadion, Brügge. - 30 000 
Zuschauer (ausverkauft).- SR Poll (Eng). - Tore: 7. Henry 0:1.35. Poborsky 
(Foulpenalty) 1:1.60. Djorkaeff 1:2. Bemerkungen: Tschechien ohne Berger 
und Latal (beide gesperrt). Frankreich ohne Lizerazu (verletzt). 71. Kopßall 
von Koller an die Latte. Verwarnungen: 15. Gabriel, 62. Thuram, 68. Nemec, 
70. Jankulovski (alle Foul). 
Mit Gebetsteppich und Kriegsgetrommel 
Die Berichterstattung vor dem Spiel gegen Deutschland treibt in England recht bunte Blüten 
Die englischen Massenblätter ver 
sprechen ihren Lesern «den gross- 
ten aller Fussballpreise». Dieser 
winkt, so die Zeitungen, dem engli 
schen Team am Samstag, wenn es im 
belgischen Charleroi gegen den 
Erzfeind Deutschland geht. 
Und das ist der Preis: «Deutschland 
aus einem grossen Tlirnier rauswer 
fen und einen Teil des Schmerzes 
zurückgeben, den wir 30 Jahre lang 
erlitten haben», formuliert es die. 
Boulevardzeitung «The Mirror» am 
Mittwoch. 
3,5 Millionen Gebetsteppiche 
Und damit wirklich nichts schief 
gehen kann und auch die Fans gut 
vorbereitet sind, hat das Konkur- 
renzblatt «The Sun» am selben Tag 
seiner 3,5-Millionen-Auflage einen 
gedruckten «Gebetsteppich» beige 
legt. 
Auf diesen «Teppich» - bedruckt 
mit dem roten St.-Georgs-Kreuz 
Englands, einer Reihe von Glücks 
bringern wie Hasenpfote, schwarzer 
EURO 
2000 
Belgium »The Netherlands 
Katze und Hufeisen sowie einem 
flehenden «Mach schon, England, 
biiitte» (Come On, England, Pleee- 
se!) - sollen sich die Fans während 
der Fernsehübertragung hinknien. 
Damit die «Sun»-Leser das intel 
lektuell bewältigen, sind sicher 
heitshalber zwei Stellen markiert: 
«Linkes Knie hier, rechtes Knie 
hier». 
Vertrauen schwer erschüttert 
Gebete können jedenfalls nicht 
schaden. Denn seit England am 
Montag gegen Portugal 2:3 verlor 
und Superstar David Beckham mit 
dem Effenbergschen «Stinkefin 
ger» vom Feld ging, ist das Vertrau 
en in die eigene Ball-Truppe schwer 
erschüttert. 
England - Deutschland ist wieder 
einmal ein Schicksalsspiel - nur bei 
einem Sieg kann England mit dem 
Viertelfinale rechnen. Schwer lastet 
der Druck auf dem englischen 
Teamchef (und Deutschland-Ken- 
ner) Kevin Keegan, die nationale 
Ehre zu retten. 
«Kriegserklärung» wie 1996? 
Die seriösen britischen Zeitun 
gen bewahrten am Mittwoch die 
Ruhe und analysierten vor allem die 
Gründe des schlechten Spiels gegen 
Portugal. «Mirror» und «Sun» hin 
gegen stimmten das Land wieder 
auf einen «Fussball-Krieg» ein, der 
1996 zu der berühmt-berüchtigten 
«Kriegserklärung» des «Mirror» an 
Deutschland und der Schlagzeile 
«Achtung, Ergebt Euch» geführt 
hatte. «Wir haben die ersten beiden 
Gefechte (1918 und 1945) gewon 
nen, sie haben die letzten beiden ge 
wonnen (1990 und 1996)», mahnt 
der «Mirror» die geschichtsbewuss- 
ten Leser. 
Göttliche Glücksbringer 
Die englischen Niederlagen ge 
gen die Deutschen seien ein Werk 
des Schicksals: «Drei Jahrzehnte 
lang hat Gott ihnen vor den Eng 
land-Spielen eine Hasenpfote, eine 
schwarze Katze und zwei Elstern 
geschenkt, während wir unter sechs 
Leitern hindurch ins Stadion gehen 
mussten», beschwört das Blatt aber 
gläubische Geister. 
Aber nun gebe es Hoffnung: «In 
Charleroi kämpfen wir gegen die 
schlechteste deutsche Mannschaft 
seit Menschengedenken.»
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.