Liechtensteiner Volksblatt
Ausland
Freitag, 16. Juni 2000 31
Nachrichten
Gores Wahlkampfchef
tritt ab
WASHINGTON: Der Wahlkampfmanager von
US-Vizepräsident AI Gore, Tony Coelho, gibt
seinen Posten auf. Das meldete der Nachrich
tensender CNN am Donnerstag. Er soll durch
den populären Handelsminister William Daley
ersetzt werden, der dafür das Kabinett von Prä
sident Bill Clinton verlässt. Als Grund für Coel-
hos Rückzug wurden Gesundheitsprobleme ge
nannt. Es gab in den vergangenen Wochen in
der Demokratischen Partei aber auch erhebli
che Kritik an der Wahlkampfführung von Gore,
der in Umfragen hinter dem republikanischen
Präsidentschaftsbewerber George Bush zu
rückliegt. Daley kommt aus einer bekannten
Politikerfamilie mit grossem Einfluss in der De
mokratischen Partei.
Friedenspreis für
Ahtisaari
WIESBADEN: Für
seine Vermittlung im
Kosovo-Konflikt hat
der frühere finnische
Staatspräsident Mart-
ti Ahtisaari am Don
nerstag den Hessi
schen Friedenspreis
erhalten. Ihm ist ein
Kompromiss zwi
schen den Kriegspar
teien zu verdanken.
Der deutsche Bundespräsident Johannes Rau
würdigte den 62-Jährigen als internationalen
Friedensstifter, der für Europa eine Brücke
nach Russland und ins Baltikum geschlagen ha
be. Ahtisaari selbst forderte bei der Preisverlei
hung eine straffere Lenkung des Friedenspro
zesses im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina.
Ahtisaari hatte im vergangenen Jahr den Kom
promiss zwischen der NATO, Russland und Ser
bien ausgehandelt, der zum Ende der NATO-
Luftangriffe führte. Der Hessische Friedens
preis wird seit 1994 verliehen. Die Auszeich
nung ist mit 50 000 Mark (40 000 Franken) do
tiert.
Atomausstieg im
Konsens mit Wirtschaft
BERLIN: Die deutsche Regierung und die vier
grössten Stromkonzerne haben sich auf einen
Ausstieg aus der Atomenergie geeinigt. Sie ver
einbarten eine AKW-Gesamtlaufzeit von 32
Jahren. Damit könnte schon innerhalb der
nächsten zwei bis drei Jahre der erste Atom
meiler vom Netz gehen. Beide Seiten mussten
Zugeständnisse machen. Bundeskanzler Ger
hard Schröder sagte am frühen Donnerstag
morgen nach den viereinhalbstündigen Ver
handlungen im Kanzleramt in Berlin, er sei
«froh, dass wir uns zusammengefunden haben.»
In der Vereinbarung wurde auch das Verbot der
Wiederaufarbeitung ab Juli 2005 festgeschrie
ben. Zudem sei über die Modalitäten der Ent
sorgung Einigkeit hergestellt worden, sagte
Schröder weiter. Die Betreiber werden ver
pflichtet, Zwischenlager bei den Atomkraftwer
ken zu errichten.
Bouteflika fordert EU
zu Investitionen auf
PARIS: Der algerische Präsident Abdelaziz
Bouteflika (links) hat die EU-Länder aufgefor
dert, in Algerien zu investieren. Er sprach am
zweiten Tag seines Staatsbesuches in Frankreich
vor rund hundert Geschäftsleuten in Paris. «In
allen Wirtschaftssektoren sind ausländische In
vestoren willkommen, auch in früher für Aus
länder verschlossenen Branchen wie dem Ener
giesektor im öl- und Erdgasbereich», sagte
Bouteflika am Donnerstag. Algerien wolle vor
allem mit den EU-Ländern zusammenarbeiten.
Er erhoffe sich «eine möglichst baldige Anbin-
dung an die EU», sagte Bouteflika. Er wird von
einer grossen Delegation von Politikern und
Unternehmern seines Landes begleitet. Das
Bild zeigt Bouteflika zusammen mit dem fran
zösischen Regierungschef Lionel Jospin.
Neubeginn in Beziehungen
Russischer Präsident Wladimir Putin in Deutschland
BERLIN: Deutschland und
Russland wollen einen sub-
stanziellen Neubeginn in ihren
bilateralen Beziehungen. Dies
sagte Bundeskanzler Gerhard
Schrödek- am Donnerstag nach
einem Gespräch mit dem russi
schen Präsidenten Wladimir
Putin in Berlin.
Schröder betonte zudem das Inter
esse Deutschlands und Europas an
einer strategischen Partnerschaft
mit Russland. Schröder sprach nach
der ersten Begegnung von einer
«sehr interessanten und ergebnis
orientierten Unterhaltung».
Im Mittelpunkt der bis Freitag
nachmittag dauernden deutsch- rus
sischen Regierungskonsultationen
stehen Finanz- und Wirtschaftsthe
men. Putin wurde von zahlreichen
Ministern begleitet, um über Inves
titionsprojekte zu reden. Wirt
schaftsminister Werner Müller er-
Zu Beginn seines Deutschland-Besuchs wurde Wladimir Putin (links) von
Bundespräsident Johannes Rau empfangen. (Bild: Keystone)
teilte den Hoffnungen Russlands
auf einen völligen Schuldenerlass
jedoch eine Absage. Statt dessen
strebt die Regierung nach Angaben
aus Regierungskreisen ein Paket
von Umschuldungsmassnahmen für
die Lasten in Gesamthöhe zwischen
50 und 60 Mrd. DM an.
In einer Rede im Haus der deut
schen Wirtschaft forderte Putin eine
europäische Sicherheitspolitik, bei
der jedes Land die Möglichkeit zur
Beteiligung habe. Hinsichtlich
der NATO-Osterweiterung werde
Russland seine Interessen zu vertei
digen wissen. Wenn Russland sich
bedroht fühle, bedeute das eine De-
stabilisierung. Er zeigte sich aber of
fen für einen «pragmatischen Dia
log» mit dem Bündnis auf einer ver
traglichen Grundlage. Die von US-
Präsident Bill Clinton vor zwei Wo
chen in Aachen vorgeschlagene
mögliche Aufnahme Russlands in
die NATÖ nannte Putin überle-
genswert.
Noch keine Spur von Atom-Unterlagen
Verschwundene US-Daten können alle Atomwaffen ausser Gefecht setzen
WASHINGTON: Von den im US-
AtomwaiTenlabor Los Alamos ver
schwundenen Unterlagen fehlt
nach wie vor jede Spur. Sie enthal
ten alle wesentlichen Geheimdaten
zur Entschärfung der amerikani
schen und verschiedener ausländi
scher Atomwaffen.
Diese Aussage von Regierungsex
perten in nichtöffentlichen Sitzun
gen von Kongressausschüssen ha
ben Politiker in Washington alar
miert. «Was verloren ist, und was
sehr wohl gestohlen sein kann, ist
die Anleitung, wie man unsere
Atomwaffen unschädlich machen
kann», stellte Senator Jon Kyl am
Donnerstag fest. Seine Kollege Ben
Nighthorse Campbell verglich die
Bedrohungslage der USA nach dem
Verlust der Daten mit der Kubakri
se, als die Sowjetunion Atomrake
ten auf Kuba stationiert hatte.
Auf den Festplatten seien alle den
USA bekannten Daten über die
Atomwaffen Frankreichs, Russ
lands und Chinas gespeichert, be
richtete die «Los Angeles Times»
aus einer vertraulichen Ausschuss
sitzung im Senat. .«Die Datenträger
zeigen, welche militärischen Ge
heimdiensterkenntnisse wir über
ausländische Atomwaffen haben -
und welche nicht», zitierte die Zei
tung einen Beamten. Die Festplat
ten können auf jedem Laptop oder
PC ohne Passwort geladen werden.
Sie gehören zur Ausrüstung einer
Spezialeinheit des US-Energieminis
teriums, die bei Zwischenfällen mit
Atomwaffen zur Entschärfung der
Sprengsätze eingesetzt werden soll.
Mehrere Senatoren äusserten die
Sorge, die Informationen könnten
Terroristen in die Lage zum Bau
von Atomsprengsätzen versetzen.
Den Ermittlern fehlte auch am
Donnerstag noch jede Spur von den
Festplatten. Sie sind aus zwei Kof
fern der Spezialeinheit verschwun
den, die in einem Sicherheitsbunker
in Los Alamos verwahrt wurden.
Viel Beifall für Kim
Südkorea feiert Kim Dae Jungs Rückkehr
SEOUL: Zehntausende Südkorea-
ner haben ihren Präsidenten Kim
Dae Jung am Donnerstag bei seiner
Rückkehr aus Nordkorea gefeiert.
Entlang der Route vom Flughafen
in das Zentrum von Seoul säumten
die Menschen die Strassen, applau
dierten und schwenkten die süd
koreanische Flagge.
Viele hielten Plakate in die Höhe
mit Aufschriften wie «Unser
Wunsch ist die Wiedervereinigung»
oder «Die Wiedervereinigung ist
nahe». Der Wagen mit Kim fuhr nur
Schritttempo. Vor dem Rathaus
nahm der Präsident ein Bad in der
Menge und rief den Massen ein
«Dankeschön» zu. Bei seiner An
kunft in Seoul hatte Kim in einer
Rede gesagt, er komme mit der fes
ten Überzeugung wieder, dass die
Wiedervereinigung der seit mehr als
einem halben Jahrhundert verfein
deten Staaten erreicht werden kön
ne. In Pjöngjang war Kim Dae Jung
zuvor von Nordkoreas Machthaber
Kim Jong Ii verabschiedet worden.
Die Staatschefs hatten ein Abkom
men geschlossen, das den Weg zur
Überwindung der Teilung ebnet.
Arafat wirft Barak mangelnden Willen vor
Dreistündige Unterredung mit Clinton im Weissen Haus
WASHINGTON: Nach einer drei-
stündigen Unterredung mit US-
Präsident Bill Clinton hat Palästi
nenserchef Jassir Arafat Israels Mi
nisterpräsidenten Ehud Barak man
gelnden Friedenswillen vorgewor
fen. Grand dafür sind die stocken
den Verhandlungen.
Barak habe bisher nicht gezeigt,
dass er zu einem gerechten Abkom
men bereit sei, sagte Arafat am
Donnerstag nach einer dreistündi
gen Unterredung mit US-Präsident
Bill Clinton im Weissen Haus.
Dies wiege umso schwerer, als die
israelisch-palästinensischen Ge
spräche der zentrale Strang der
Nahost-Friedensprozesses seien.
Clinton erklärte, die Zeit sei noch
nicht reif für einen Dreiergipfel mit
Arafat und Barak nach dem Vorbild
der Camp-David-Gespräche, bei
denen die USA Ende der 70-er Jah
re erfolgreich zwischen Israel und
Ägypten vermittelt hatten.
Der Palästinenserchef sagte, die'
Verhandlungen steckten in einer
«schwierigen Phase». Clintons Hilfe
sei notwendig, um die bestehenden
Hindernisse, zu überwinden.
Der US-Präsident klang zum Auf
takt des TYeffens entschlossen, aber
wenig optimistisch: «Wenn wir Frie
den machen wollen, dann müssen
wir mit Schwierigkeiten fertig wer
den.» Am Mittwochabend hatte er
dem israelischen Radio zufolge ein
langes Telefongespräch mit Barak
Uber den Fortgang des Friedenspro
zesses geführt.
Eigentlich soll bis zum 13. Sep
tember ein Rahmenabkommen zur
Regelung aller noch offenen Fragen
US-Präsident Bill Clinton sprach gestern mit Palästinenserpräsident Jassir
Arafat über den Friedensprozess im Nahen Osten.
zur Zukunft der Palästinenser ste
hen. Doch laut dem palästinensi
schen VerhandlungsfUhrer Sajeb
Erakat sind die Positionen der Par
teien in wichtigen Punkten unver
einbar.
Dazu zähle, dass Israel sich nicht
wie versprochen bis 23. Juni aus wei
teren zehn Prozent des Westjordan
lands zurückziehen und lediglich
drei weitere palästinensische Ge
fangene freilassen wolle. Letzteres
Angebot nannte Arafat «eine Belei
digung». Vor Baraks Haus in Jerusa
lem demonstrierten am Donnerstag
rund 1500jüdische Siedler gegen ei
nen weiteren Abzug aus dem West
jordanland. Die palästinensische
Delegation unterbrach am Mittwo
chabend aus Protest gegen die harte
israelische Haltung die Washingto
ner Verhandlungen über eine Über-
gangsvereinbantyg. Erakat sagte
dem Radio «Stimme Palästinas»,
Barak benutze die Regierungskrise
in Israel als Ausrede, um längst ge
troffene Vereinbarungen nicht um
setzen zu müssen.