Liechtensteiner Volksblatt
JUBliSÄUM' HPZ
Samstag, 10. Juni 2000 9
Kleines Team in grossem «Garten»
Porträts der HPZ-Weikstätten: Die Werkstätte AGRA stellt sich heute vor
Die AGRA ist eine noch jnnge
Werkstätte: Im Herbst 1998 .er
folgte die Eingliederung der
AGRA in den Bereich der Werk*
statten. Beheimatet ist die Werk«
stätte mit vier Betreuten und ei
nem Betreuer in Mauren beim
Wohnheim und Bauernhof Bir
kahof, mit dem eng zusammenge
arbeitet wird und Synergien ge
nutzt werden.
L-Press
Ortstermin,
AGRA, 6.30 Uhr:
Bei Winterfütte
rung, den Resten
Heu verfüttern,
Futterkrippe aus
räumen, wischen
und den Mäissilo einbringen. Inzwi
schen haben die Landwirte abgemol
ken und die Kälber getränkt. 7.30 Uhr:
Frühstück. 8 Uhr: Heu einfahren, füt
tern - es warten noch die Schweine, die
Schafe, die Hühner und die Hasen. Da
zwischen Holz hacken, heuen, Zäune
aufstellen und reparieren, säen, anset
zen und jäten nicht vergessen. In etwa
so sieht der Tagesablauf der AGRA-Be-
schäftigten aus. Seit rund eineinhalb
Jahren arbeiten Natascha, Rolf, Marcel
und Kai in Eigenregie. Zwar werden
viele Aufgaben noch eng mit dem
Landwirtschaftsbetrieb züsammen er
ledigt, die AGRA ist aber eine eigene'
Abteilung der HPZ-Werkstätten. Da
durch soll die Arbeitsplatzqualität, mit
tels abgestufter Anforderungen und
spezifischer Lernfelder der Integration
in den Arbeitsprozess gleichgestellt
werden. Ein weiterer Grund für die '■
Eingliederung der Arbeitsplätze' auf
dem Birkahof in die Werkstätten, ist,
dass der Arbeits- und Wohnbereich
voneinander getrennt werden sollten.
«Drei unserer Betreuten wohnen im
Birkahof. Das bedeutete früher, dass sie
während der Arbeit und in ihrer Frei-'
zeit praktisch ständig die gleichen Be
zugspersonen hatten», erklärt der'
AGRA-Abteilungsleiter Ludwig Zim
mermann. Er freut sich über die Neue
rung, weil durch das kleine Team auch
für persönliche Gespräche genügend
Raum gegeben ist. So arbeitet Ludwig
Zimmermann beispielsweise am späten
Nachmittag an seinen administrativen
Aufgaben, und wenn jemand etwas auf
dem Herzen hat oder ein bisschen Plau
dern will, stehen die Türen dafür weit
offen. Jeweils am Mittwochvormittag ist
Gruppensitzung, egal wieviel Arbeit ge
rade ansteht. Dabei geht es um das Re
Marcel, Rolf, Natascha und der landwirtschaftliche Mitarbeiter Mathias Rüscher stecken Bohnenstangen und Gitter ßr ein gu
tes Wachstum im grossen AGRA •« Garten».
Nach dem Spalten, diese Arbeit erledigen Rolf und Marcel mit Vorliebe, werden die
«Schittle» zum Trocknen aufgeschichtet.
flektieren der eigenen Arbeiten und der
Beziehungen untereinander.
. ! ■'
Kontakt mit der Bevölkerung
Die AGRA-Produkte werden am
wöchentlichen Maurer Markt angebo
ten, finden aber ihre Abnehmer ausser
dem beim Direktverkauf ab Hof und
bei der Eier-oder"Holzzustellung in der
Umgebung. Der direkte Kontakt zur
Bevölkerung ist 1 Ludwig Zimmermann
ein wichtiges Anliegen, denn dadurch
schliesst sich der Kreislauf vom Säen
und Ernten wieder und die Beschäftig
ten erfahren, dass ihre Produkte ge
braucht werden. Desgleichen sorgt der
Direktverkauf für Abwechslung, weil
sich daraus aüch' flöti^ Aufgäben erge
ben. Für abwechgiiftfgi&iche Arbeiten
und ein Miteinander wiVd während der
Wochenplanung geachtet. Es geht unter
anderem darum} dass dife selben Arbei
ten nicht immerjvon defi gleichen Per
sonen erledigt werden. «Dadurch erle
ben unsere Betreuten saiwohl die Team
arbeit hautnah als auch verschiedene
Möglichkeiten dinei- Aul gabenbewälti-,
gung», so Ludwig Zimm< rmann.
Mit zu den zahlreicher Aufgaben der
Werkstätte AGRA gehö en die Umge
bungsarbeiten bei der PF OTEKTA, die
praktisch vor der Haust Ire liegt sowie
die Versorgung der HPZJ-Küche mit fri
schem Gemüse, Eiern dftc. Auch dabei
ist eine gute Zusammenarbeit notwen
dig: Bereits bei der Jahresplanung wird
erörtert, was zu welcher Zeit gebraucht
wird, damit eine möglichst grosse Ei
genversorgung erreicht werden kann.
Die Förderung des Einzelnen wird in
der Werkstätte AGRA gross geschrie
ben. Ergänzt wird dieser pädagogische
Auftrag durch die landwirtschaftlichen
Facharbeiter des Birkahofs, die den Be
treuten mit Rat und Tat zur Seite ste
hen.
Natascha liebt die kleinen und grossen Tiere sehr: Gemeinsam mit Marcel betreut sie
unter anderem 15 Hasen und zahlreiche Hennen.
. * I
i <
«Manchmal reisst der Geduldsfaden»
Abteilungsleiter der Werkstätte AGRA: Ludwig Zimmermann
Früher war er.während rund zwölf Jah
ren Gruppenleiter im Birkahoif. Seit
dem 1. Januar 1999 ist Ludwig Zimmer
mann Abteilungsleiter der neu geschaf
fenen Werkstätte AGRA.
L-Press
Ursprünglich hat Ludwig Zimmermann
den Beruf des technischen Zeichners
erlernt, bildete sich danach zum Son
derschullehrer weiter und macht der
zeit die Ausbildung zum Sozialpädago
gen, welche er im Herbst 2001 ab-
schliessen wird. Doch nebst seinem
pädagogischen Auftrag gilt seine Liebe
der Natur und dem Menschen als einem
Teil davon.
Welches sind die wichtigsten Voraus
setzungen für die Arbeit mit behinder
ten Menschen?
Ludwig Zimmermann: Ich denke, ei
ne wichtige Voraussetzung ist das Ge
stalten von Beziehungen. Dazu gehört
die Fähigkeit zu beobachten, auf sein
Gegenüber eingehen zu können und ei
ne gute Kommunikationsfähigkeit. Wer
nicht bereit ist, offene Dialoge zu
führen, ist bei der Arbeit mit Men-
l. W
Ludwig Zimmermann ist Abteilungsleiter der Werkstätte AGRA. Er arbeitet gerne in Mutter Natur und mit Menschen, die schon
mal die Normen durchbrechen wollen.
sehen, und das gilt nicht nur für Men
schen mit einer Behinderung, am
falschen Ort.
Was ist bei der Arbeit mit Menschen
mit einer Behinderung anders?
In unserer kleinen Gruppe hat man
den Vorteil einer engen Zusammen
arbeit einerseits. Andererseits reisst
einem dadurch auch mal der Gedulds
faden, weil man durch die Nähe viel
stärker zu spüren bekommt, wenn
gemeinsam geschaffene Bedingungen
nicht eingehalten werden.
Welches sind die schönsten Erlebnisse
in Ihrer Arbeit?
Die vielfältigen Arbeitsabläufe im Jah
resverlauf bieten zahlreiche Abwechs
lungen. Hinzu kommt die Auseinander
setzung mit Menschen verschiedenster
Fasson. Das ist kein Thema einzelner Au
genblicke, da ich nicht für sondern mit
diesen Menschen arbeite. Behinderte
Menschen fordern ein anderes soziales
Umfeld, welches ihnen ermöglicht, sich
selber besser zu verstehen. Die zwi
schenmenschliche Begegnung ist heraus
fordernder, und man ist versucht, die ge-
sellschaftliche und die eigene «Normal
ität» aufzuweichen und zu hinterfragen.
V/