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Liechtensteiner Volksblatt
ÖSTERREICH
Donnerstag, 20. Januar 2000 29
Nachrichten
Entführte Franzosen
im Jemen wieder frei
SANAA: Ein französisches Ehepaar ist drei Ta
ge nach seiner Entführung im Jemen am Mitt
woch wieder freigelassen worden. Die Touristen
seien in Begleitung von Sicherheitskräften und
Vermittlern auf dem Weg in die Hauptstadt
Sanaa, sagte ein Sprecher des Innenministeri
ums. Weitere Einzelheiten nannte er nicht. Das
Ehepaar und zwei einheimische Reiseführer
waren am Montag von Angehörigen des Stam
mes El Schamlan entführt worden. Am Diens
tag hatten die Entführer die Franzosen nach
Verhandlungen mit der Regierung freigelassen.
Doch als die Sicherheitskräfte versuchten, die
Entführer festzunehmen, nahmen diese die
Eheleute sofort wieder als Geisel. Die Entfüh
rer verlangten im Austausch für die Franzosen
von der jemenitischen Regierung die Errich
tung von Schulen und anderen Entwicklungs
projekten in ihrer Provinz. Die Touristen waren
aus der Nachbarprovinz Amran verschleppt
und in ein Versteck in der Provinz El Jof nörd
lich von Sanaa gebracht worden.
Gestürzter Regierungs
chef: Mordversuch?
KARACHI: Der entmachtete pakistanische
Ministerpräsident Nawaz Sharif ist vor einem
Gericht in Karatschi offiziell angeklagt worden.
Sharif, dessen Bruder sowie fünf früheren Mit
arbeitern wird unter anderem versuchter Mord,
Entführung und Eingriff in den Luftverkehr
vorgeworfen. Drei Monate nach dem Putsch hat
ein Sondergericht in Karachi am Mittwoch die
Anklage der Staatsanwaltschaft angenommen,
verzichtete aber vorerst auf den bisherigen Vor
wurf des Hochverrats. Der Prozess soll am kom
menden Mittwoch beginnen. General Pervez
Musharraf hatte Sharif am 12. Oktober in einem
unblutigen Putsch gestürzt, weil Sharif ihn ent
lassen wollte. Sharif, seinem Bruder Shabaz und
fünf weiteren Angeklagten droht wegen der
Vorwürfe des Mordversuchs und der Geisel
nahme die Todesstrafe. Sie bezeichneten sich als
«nicht schuldig».
Verdacht gegen
Behörden nach Gewalt
JAKARTA: In die Auseinandersetzungen auf
der Insel Lombok sind nach Informationen der
indonesischen Regierung auch offizielle Stellen
verwickelt. Die Regierung kündigte am Mitt
woch ein entschlossenes Vorgehen an. Einzel
heiten wurden allerdings nicht genannt. Nach
den Übergriffen von Moslems an den zwei Ta
gen zuvor blieb die Hauptstadt der Insel, Mata-
ram, am Mittwoch bislang ruhig. Vor der jüng
sten Gewaltwelle sind tausende Touristen und
Einheimische am Mittwoch von der Ferieninsel
geflohen. Mehr als 3500 Ausländer, Christen
und andere Flüchtlinge hätten Lombok verlas
sen und auf der Nachbarinsel Bali Zuflucht ge
sucht, teilten Behörden auf Bali mit. Bei den
jüngsten Unruhen auf Lombok waren laut dem
Minister für die Koordinierung von Sicherheits
fragen, Wiranto, zwei Menschen getötet und
sechs verletzt worden. Bern empfiehlt, die Insel
zu verlassen und rät von Reisen nach Lombok
ab. Auch Deutschland, Grossbritannien und
Australien warnten davor, auf die Urlaubsinsel
zu reisen. Touristen, die bereits dort seien, soll
ten in ihren Hotels bleiben, bis sich die Unruhen
gelegt hätten.
Streit um Führung
spaltet Duma
MOSKAU: Die Abmachung zwischen den Kom
munisten und dem Kreml bei der Bildung der
Parlamentsführung hat die neugewählte Duma
in eine tiefe Krise gestürzt. Drei reformorientier
te Fraktionen verweigerten am Mittwoch aus
Protest die Mitarbeit. Der Populist Wladimir
Schirinowski wurde zum Vize-Parlamentschef
gewählt. Die Reformer von Jabloko und der Uni
on Rechter Kräfte (SPS) sowie die gemässigte
Fraktion Vaterland-Ganz Russland (OWR) um
Ex- Ministerpräsident Jewgeni Primakow for
derten eine Neuverteilung der Ausschüsse zwi
schen den Parteien und blieben der Duma-Sit
zung fern. Die Kreml-treuen Fraktionen Einheit
und «Volksabgeordnete» hatten am Dienstag zu
sammen mit den Kommunisten die Ausschüsse
faktisch untereinander aufgeteilt und im Allein
gang den kommunistischen Parlamentschef
Gennadi Selesnjow wiedergewählt. Die Kommu
nisten und ihre Verbündeten verfügen zusam
men über etwa 130 Sitze, die vom Kreml gestütz
ten Fraktionen haben gut 140 Mandate. Zusam
men haben sie damit die notwendige Beschluss-
Mehrheit von 226 Stimmen sicher.
Rot-schwarze Koalition
108 Tage nach der Wahl wurde in Österreich ein Koalitionspapier unterzeichnet
WIEN: Nach monatelangem
Hin und Her haben sich die
österreichischen Regierungs
parteien SPÖ und ÖVP in der
Nacht zum Mittwoch auf die
Fortsetzung ihrer Koalition
verständigt. In beiden Parteien
wurde aber auch Widerstand
gegen die Allianz laut.
Die Einigung zwischen Sozialdemo
kraten (SPO) und der konservati
ven Volkspartei (ÖVP) kam 108 Ta
ge nach den Parlamentswahlen zu
Stande. Der Entscheid der SPÖ-
Spitze für eine Neuauflage der seit
13 Jahren regierenden rot-schwar-
zen Koalition fiel einstimmig, wie
Parteichef und Bundeskanzler Vik
tor Klima in Wien sagte.
Noch nicht gebrochen werden
konnte allerdings der Widerstand
der sozialdemokratischen Gewerk
schaften in der Frage von Frühpen
sionierungen. Der Österreichische
Gewerkschaftsbund (ÖGB) erklär
te am Mittwoch, er werde sich gegen
die vereinbarten Kürzungen im
Haushalt und bei den Renten wen
den.
Die Gewerkschaften wollten die
Bildung eines Kabinetts jedoch
nicht verhindern, sagte der Chef der
Metallgewerkschaft, Rudolf Nürn
berger.
Ressortverteilung weiterhin
umstritten
Bei der ÖVP gab es nach Anga
ben von Parteichef und Vizekanzler
Wolfgang Schüssel bei 23 Ja- auch
vier Gegenstimmen. Die Landes
obleute aus der Steiermark, aus dem
Vorarlberg und aus dem Burgen
land sowie der Vertreter der Jugend-
Parteichef und Bundeskanzler Viktor Klima macht sich nach mehrstündigen Verhandlungen auf den Heimweg. 108
Tage nach den Wahlen ist nun wieder eine rot-schwarze Koalition in Österreich geschaffen worden.
Organisation der Partei lehnten das
Abkommen ab. Einstimmig forder
te der ÖVP-Vorstand, dass es kein
erlei Nacliverhandlungen geben
dürfe.
Entschieden wurde mit den Voten
nur über die Inhalte des Koalitions
paketes. Umstritten ist noch die
Ressortverteilung. Es bedürfe noch
«der einen oder anderen Abstim
mung» in dieser Frage, sagte Bun
deskanzler Viktor Klima (SPÖ).
Die Parteispitzen waren sich je
doch einig, dass darüber nicht wei
ter verhandelt werden soll, sondern
die Pafteichefs Klima und Schüssel
Jörg Haider (FPÖ) warf den Koalitionspartnern reine Machterhaltung vor.
direkt die Besetzung der Ministeri
en abmachen sollen. Die ÖVP will
das Innenministerium des po
pulären SPÖ-Ministers Karl Schlögl
oder das Finanzministerium über
nehmen.
Neue Sitzungen der Parteien
nötig
Für die endgültige Absegnung
der künftigen Koalitionsvereinba
rung - inklusive Regierungsliste -
werden die Parteigremien nochmals
zusammentreten. Die SPÖ hat be
reits für Freitag eine Vorstandssit
zung fixiert, und auch der ÖVP-
Vorstand wird nochmals abstim
men.
Der Chef der rechtspopulisti
schen Freiheitlichen Partei (FPÖ),
Jörg Haider, warf den seit 13 Jahren
regierenden Volksparteien reinen
Machterhalt vor. «So kann es nicht
mehr gehen. Die Leute haben die
Nase voll von einem politischen Sys
tem, wo es nur um die Postenvertei
lung geht».
Haider kritisierte vor allem die
ÖGB-Spitze: «Es sind alte Sünden,
dass ein SPÖ-Gewerkschaftsmit-
glied im Parteivorstand für etwas
stimmt und dann rausgeht und sagt,
als ÖGB-Funktionär bin ich dage
gen.» Die neue Regierung sei jeden
falls «innerlich so zerrüttet, dass es
zu keinen vernünftigen Entschei
dungen für Österreich kommt».
Bei der Wahl am 3. Oktober war
die ÖVP hinter die FPÖ auf Rang 3
gerutscht und wollte deshalb
ÖVP-Präsident Schüssel ist mit dem
Ausgang der Koalitionsverhandlun
gen zufrieden.
zunächst in die Opposition gehen.
Wegen der Pattsituation und dro
hender Neuwahlen rückte sie erst
nach langem Zögern von diesem
Vorhaben ab.
Nach einer am Mittwoch vom
Nachrichtenmagazin «News» veröf
fentlichten Umfrage des Gallup-ln-
stituts liegt die FPÖ derzeit bereits
mit 32 Prozent vor der SPÖ, die
demnach auf nur noch 29 Prozent
kommen würde. Die ÖVP würde
auf 23 Prozent fallen, die Grünen
könnten mit zwölf Prozent rechnen.
Die Koalition der Verlierer bildet
eine ausgebrannte Regierung
Erneut rot-schwarze Koalition in Österreich
WIEN: Sie sind im Grunde die Ver
lierer der Wahl und bilden nun doch
wieder die Regierung. Sie haben
sich im Wahlkampf giftig bekämpft
und wollen nun gemeinsam Politik
machen.
Katinka Mezei
Sie setzen eine alte Koalition fort
und hoffen, sich damit das drohende
Neue vom Leib zu halten. Wahrlich,
es sieht nicht gut aus für die wieder
belebte Regierungskoalition der
österreichischen Sozialdemokraten
und der konservativen Österreichi
schen Volkspartei.
Sage und schreibe 108 Tage zähen
Positionskampfes mussten ins Land
gehen, bis sich die ausgebrannte Al
lianz, die bereits seit 13 Jahren be
steht, zu einem Kompromiss zusam
menraufte. Um so mehr sonnt sich
im Licht seines Wahlerfolges Jörg
Haider, der Chef der rechtspopulis
tischen Freiheitlichen. Der Volks
tribun sieht sich bereits als nächsten
Bundeskanzler in Wien einziehen.
Haider in ein paar Jahren
Nummer eins
Haider lehnt sich zurück und war
tet ab. «Wenn wir weiter in der Op
position sind, rechnen wir schon,
dass wir in ein paar Jahren die Num
mer eins sind». Geht es nach dem
FPÖ-Chef, dann könnten die paar
Jahre sogar schon bald vorbei sein.
«Wahrscheinlich», so mutmasst
Haider, «wird die Periode nicht
ganz zu Ende geführt werden.»
Doch nicht nur für Haider ist das
Scheitern der jieuen «alten» Regie-
rungskoalition so gut wie vorpro
grammiert. Die Neuauflage der al
ten, Koalition werde Haiders FPÖ
eii^n Moliilisierungsschub geben,
vermutet der Politikwissenschaftlcr
Fritz Plasser von der Universität
Innsbruck. Die Regierungskoalition
dagegen müsse sich mit einem in
beiden Parteien unpopulären Pro
gramm herumschlagen. In zwei zent
ralen Politikfeldern, Wirtschaft und
Verteidigung, liegen ihre Vorstel
lungen weit auseinander.
Rückenwind für FPÖ
Während die FPÖ nun mit jeder
Menge Rückenwind in die neue Le
gislaturperiode segelt, stehen SPÖ
und ÖVP mit dem Rücken zur
Wand. Denn von den FPÖ-Wählern
bei der Wahl am 3. Oktober war die
Hälfte unter 30 Jahre alt - die etab
lierten Parteien wissen also, was auf
sie zukommt, urteilt Plasser.
Emmerich Talos von der Univer
sität Wien sieht einen nahezu garan
tierten Aufstieg der Haider-Partei
voraus. «Selbst wenn die Regierung
sich vier Jahre lang halten kann,
dann ist es eine Koalition der Ver
lierer», prophezeit der Politologe.
Früher oder später werde die FPÖ
dann zur grössten Partei im Lande.
Als Haider 1986 die Führung der
Partei übernahm, dümpelte die
FPÖ bei fünf Prozent. Am 3. Okto
ber 1999 votierten 27 Prozent der
Österreicher für den Rechtspopu
listen, womit die FPÖ mit dem
hauchdünnen Vorsprung von 415
Stimmen sich noch vor der ÖVP auf
Platz zwei vorschieben konnte.
Klassischen Parteien zu
langweilig
Unaufhaltsam ist der Erfolg der
Haider-Partei nach Ansicht des Po
litologen Anton Pelinka von der
Universität Innsbruck freilich nicht.
«Die klassischen Parteien waren zu
emsthaft, zu langweilig, zu beschäf
tigt mit politischen Detailfragen»,
meint er. Da habe es ein aus der Op
position angreifender Haider, der
seine Medienwirkung geschickt ein
zusetzen wisse, viel leichter.