Liechtensteiner Volksblatt
KU LTU R
Donnerstag, 20. Januar 2000 26
Nachrichten
Under the skin -
Unter die Haut
Elektrisierend und stark - Carine Adlers auf
wühlender Film
Die Welt der sensiblen 19-jährigen Iris (Sa-
mantha Morton) gerät beim Tod ihrer Mutter
vollkommen aus den Fugen. Unfähig zu trau
ern, schmeisst sie ihren Job und stürzt sich Hals
über Kopf in eine Affäre mit einem attraktiven
Fremden.
Sie verlässt ihren Freund Gary, zieht in ein
Zimmer und ist bereit, sich völlig auf Tom
(Stuart Townsend) einzulassen. Dieser entzieht
sich ihr jedoch immer wieder. Alleingelassen
mit ihren Sehnsüchten streift Iris, mit Perücke
und Pelzmantel ihrer Mutter bekleidet, rastlos
durch die Strassen der Grossstadt Liverpool.
Getrieben von einem verzehrenden Verlangen
nach Nähe und Liebe lässt sie sich immer wie
der auf unbefriedigende sexuelle Abenteuer
ein. Gleichzeitig entfremdet sie sich immer
mehr von ihrer Schwester Rose (Ciaire Rush-
brook), mit der sie um die Liebe der Mutter ri
valisiert hat. Erst nach handgreiflichen Ausein
andersetzungen finden die beiden wieder zu
sammen und es gelingt ihnen, gemeinsam über
den Verlust der Mutter hinwegzukommen.
Under the skin, der Erstling der Engländerin
Carine Adler: ist ein wilder,, ungestümer Film.
Die junge Samantha Morton spielt Iris elektri
sierend und gleichzeitig so natürlich, dass man
sich ihren unberechenbaren Gefühlen nicht ent
ziehen kann. Fragil und liebesbedürftig verwan
delt sie sich mit Perücke und Pelzmantel in ei
nen erotischen Vamp, der die Männer anlockt
und doch nie Zuneigung und Verständnis findet.
Die eindringliche Leidenschaft von Samantha
Mortons Spiel erinnert an Emily Watson in
«Breaking the Waves» oder auch an die Prota
gonisten von «Leaving Las Vegas»; die dynami
sche Kamera, die Iris durch den Grossstadt
dschungel folgt, lässt an das moderne, Urbane
Kino eines Wong Kar-Wai denken. Der mit
zahlreichen Preisen ausgezeichnete Film gehört
zu den beeindruckendsten britischen Filmen
der letzten Jahre. «Die ungeheure Intensität
dieses Films geht wahrhaftig <unter die Haut»>.
Ab Donnerstag ist Carine Adlers brillantes
und aufwühlendes Meisterstück in der Original
fassung, täglich um 18 Uhr im Surprise-Pro-
gramm. Schlosskino Balzers, zu bewundern.
Einführung und Besuch
der Oper Tosca
SCHAAN: Im Rahmen des Frühjahrsprogram-
mes der Erwachsenenbildung Stein-Egerta fin
det am Donnerstag, den 3. Februar um 20.15
Uhr im Haus Stein-Egerta in Schaan ein Ein
führungsabend mit Dr. Markus Hofer zu Pucci-
nis Oper «Tosca» statt. Weitere Veranstaltungen
dazu: Probenbesuch am 5. Februar sowie Be
such der Premieren-Vorstellung am 11. Februar
20(10, jeweils im Festspielhaus in Bregenz.
Das Vorarlberger Landestheater bringt heuer
Puccinis legendären Opernkrimi «Tosca» auf
die Bühne. In diesem leidenschaftlichen Opern
klassiker geht es um Liebe, Blut und Gier,
berühmte Arien wechseln mit packenden Duet
ten und berührenden Szenen. Beim Ein
führungsabend am 3. Februar macht Sie Dr.
Markus Hofer in lebendiger Art und durch Mu
sikbeispiele mit dem Werk vertraut. Auch bluti
ge Opernanfänger sind dazu herzlich willkom
men. Der Probenbesuch am Samstag, 5. Febru
ar (fakultativ) ermöglicht einen lebendigen Ein
blick in die Entstehung einer solchen Auf
führung, und bei der Premiere am Freitag, 11.
Februar können Sie das Ergebnis dann so rich
tig geniessen. Oper ist der Kontrast der grossen
Gefühle zum kleinlichen Alltag, die Leiden
schaft in ihrer Kunstform. Lassen Sie sich ein
auf dieses Abenteuer! In der Oper zu leiden ist
einfach schöner als im wirklichen Leben!
Auskünfte sowie Anmeldungen (wegen Kar
tenreservationen bitte baldmöglichst) bei der
Erwachsenenbildung Stein-Egerta in Schaan,
Tel. 232 48 22. (Eing.)
Die «Engitis» der Schweiz
durchbrochen
Lesung von Claus Helmut Drese in der Staatlichen Kunstsammlung - Interview
50 Jahre hat Claus Helmut
Drese die künstlerische Ent
wicklung' der. Bühnen im
deutschsprachigen Raum mit
gestaltet - als Dramaturg in
Marburg, Regisseur und Chef
dramaturg am Stadttheater
Osnabrück, am Nationalthea
ter Mannheim und mit eigener
Intendanz in Heidelberg, Wies
baden und Köln.
Mit Claus Helmut Drese sprach
Gerolf Hauser
Ab 1975 verlagerte er den Schwer
punkt seiner Arbeit an die Oper: In
Zürich konnte er seine grössten Er
folge verzeichnen, die Wiener
Staatsoper bereitete ihm ein glanz
volles Finale, der Aufbau eines neu
en Musikzentrums in Athen war sei
ne letzte Aufgabe. Von dieser ein
zigartigen Karriere handelt das
Buch «...aus Vorsatz und durch Zu
fall..., Theater- und Operngeschich-
te(ti) aus 50 Jahren» (Verlag Ditt-
rich), aus dem Claus Helmut Drese
heute (Donnerstag), um 20 Uhr in
der Liechtensteinischen Staatlichen
Kunstsammlung lesen wird. Das
VOLKSBLATT sprach mit dem
Autor.
VOLKSBLATT: Sie beschreiben
z.B. in Zusammenhang mit Pisca-
tor, «Affären» im Theaterleben.
Sind Sie davor verschont geblie
ben?
C.H. Drese: «Ich darf sagen, dass
das Glück über meinem Leben
stand. Das begann damit, dass ich,
da die Nachkriegsgeneration sehr
ausgedünnt war, schon 1946 die
Chance hatte, anfangen zu können.
Dadurch hatte ich gegenüber ande
ren einen Erfahrungsvorsprung. Ich
war in den 50er Jahren in Mann
heim, eine damals zerstörte Stadt,
die als erstes grösseres städtisches
Unternehmen ihr Nationaltheater
wieder aufbaute. Da war ein grosses
Kulturbewusstsein,man wollte über
das Theater wieder ein geistiges
Claus Helmut,Drese liest heute Donnerstag in der Liechtensteinischen Staat
lichen Kunstsammlung.
Zentrum gewinnen. Diese Zeit war
von grosser Äüfbruchstimmung be
stimmt. Damals füllten Autoren von
Rang unsere jSpielpläne. Heute ist
es unser grosses Schauspielprob
lem, dass es an einer bedeutenden
Theaterliteratur fehlt. Auch im mu
sikalischen Bereich war jene Zeit
damals reich ^Begabungen, jedes
Opernhaus spielte mindestens zwei
zeitgenössische Stücke. Das ist heu
te völlig aus der Übung gekommen;
man lebt heute im 18. oder ^.Jahr
hundert. Aber natürlich gab es auch
Haken und Ösen, z.B. in Köln die
Besetzungen des Theaters durch
Demonstranten im Zeichen der
68er - eine hochinteressante Kri
senzeit. Die Zürcher Zeit war ge
prägt durch die sogenannten
Opernkrawalle; es ging um den Um-
und Neubau des Opernhauses; da
ran entzündeten sich 1980 die Ju
gendkrawalle mit sehr viel Lärm
und Farbbeuteln. Auch in Wien war
es nicht nur ein Honiglecken; dort
gab es durch die ständige Regie
rungskrise immer wieder Umstel
lungen und Budgetprobleme. Das
hat mich schwer gezupft. Am Ende
bin ich aber als Sieger aus diesen Af
fären hervorgegangen.»
Im Kapitel über Ihre Zürcher Zeit
sprechen Sie von der geistigen Enge
in der Schweiz, von der «Engitis».
«Lesen Sie einmal Schweizer
Schriftsteller, die immer wieder die
se Enge betonen, gleich ob z.B.
Muschg oder auch Dürrenmatt, mit
dem ich sehr lebhaften Kontakt hat
te. Es ist die Schwierigkeit einer
seits, nationale Schweizer Interes
sen im Geistigen zu wahren, ande
rerseits die grosse deutsche Litera
tur, die mindestens drei Länder
übergreift, zu betreiben und in ihr
einen Platz einzunehmen. Das
Schweizer Denken stösst oft auf Wi
derstand. Wenn Sie z.B. das Verhält
nis, das Muschg zur Zeit, zur Politik
usw. hat, anschauen, merken Sie, wie
ein freier Geist immer wieder fest
genagelt und eingeengt wird. Inso
fern ist der Begriff der Enge auf die
Schweiz bezogen, zumindest bei
Schriftstellern eine feste Grösse.»
In einem wunderbaren Kapitel be
schreiben Sie Ihre Begegnung mit
dem kretischen Dichter Nikos Ka-
zantzakis. Hat das «Griechische»
eine Bedeutung in Ihrem Leben?
«Unterschwellig ganz sicher. Die
se Begegnung hat mich sehr beein
druckt. Seit 1964 war ich jedes Jahr
in Griechenland, sammle sozusagen
Inseln, bin jetzt schon bei Nummer
38. Aber nicht um Rekorde zu er
ringen, sondern um Apollinisches in
mich einzusaugen. Nach einem
Gastspiel der Zürcher Oper in
Athen bekam ich den Ruf, mich
dort um das neue und kostbare Mu
sikzentrum Megaro Musikis zu
kümmern. Das habe ich mit Lust
von 91 bis 97 getan. Die Antike for
dert uns. Ich schreibe im Schluss
wort des Buches: Im Neuen offen
baren sich geistige Traditionen, im
Alten verkündet sich bereits die Zu
kunft. Ich glaube, dass meine dra
maturgische Begabung dazu ge
führt hat, in jedem Stück die Di
mensionen zu suchen und das aus
zudrücken auch in Programmen,
Vorträgen und Büchern. Und diese
Dimensionen sind beim Alten die
Beziehungen zur Gegenwart und
beim Neuen die Wurzeln in der Ver
gangenheit. Mich damit auseinan
derzusetzen hat mein ganzes Leben
erfüllt.»
Sie haben in Wien mit dem heutigen
TaK-Intendanten Georg Rootering _
zusammengearbeitet. Gibt es da
Erinnerungen?
«Viele. Ich habe ihn schon in
Zürich kennengelernt. Er war dort
Assistent von Ponnelle und Fried
rich. In Wien konnte er fünf wichti
ge Jahre erleben. Ich habe seine
Entwicklung auch später weiterver
folgt. Durch meine Empfehlung
konnte er auch in Athen inszenie
ren, darunter einen sehr beachtli
chen Wozzek. Wir sind gute Freunde
und wollen das auch bleiben.»
Dirigent Gari Petrenko t
Das Orchester Liechtenstein-Werdenberg trauert um seinen Dirigenten
Am 27. Oktober 1999 ist im Lan
deskrankenhaus Feldkirch der Diri
gent des Orchesters Liechtenstein-
Werdenberg, Gari Petrenko, im Al
ter von 58 Jahren verstorben. Mit
ihm hat die Musikszene der Region
einen Freund und Förderer verlo
ren, der in wenigen Jahren intensi
ver musikalischer Arbeit mit dem
einzigen bedeutenden Liebhaber
orchester der weiteren Region hör-
und spürbare Fortschritte erzielen
konnte.
Gari Petrenko, 1941 in der ehemali
gen Sowjetunion geboren, durchlief
eine Musiker- und Violinistenlauf
bahn zuerst in seiner Heimat und
anschliessend in Mexiko, wo er ein
Orchester gründete und als Kon
zertmeister wirkte. Nach einigen
Jahren erfolgreicher Tätigkeit zog
es ihn nach Europa zurück. In Vor
arlberg fand er ein neues Wirkungs
feld als Violinlehrer der Musikschu
le Mittleres Rheintal und als Exper
te für die Fachgruppe Streichinstru
mente an der Liechtensteinischen
Musikschule, sodann als Mitglied
des Vorarlberger Symphonieorche
sters und Konzertmeister verschie
dener Ad-hoc-Orchester, so der
Operettenbühnen Balzers und Va
duz. Als Dirigent leitete Gari Pe
trenko die Musikfreunde Bregenz
und das Orchester Liechtenstein-
Werdenberg.
Wenn wir an Gari zurückdenken,
dann kommt uns das Bild des Krei
ses in den Sinn. Es deutet auf Abge
rundetes, in sich Geschlossenes, auf
Vollkommenheit hin. Das Leben
des Menschen gleicht einem Kreis;
mit dem Tod findet das irdische Da
sein sein Ende. Das Bild des Kreises
möge uns Trost sein, immer wenn
wir von einem lieben Menschen Ab
schied nehmen, mit dem wir uns
verbunden fühlten, der uns lieb war,
mit dem wir eng und gern zusam
mengearbeitet haben, der uns Leh
rer und Leiter war.
Der Lebenskreis von Gari Pe
trenko hat sich am 27. Oktober 1999
geschlossen. Nach langem, mit un
bändigem Lebenswillen gegen die
Krankheit geführten Kampf, der
ihm alle Kraft abforderte, wurde er
von den Leiden erlöst. Dieses Wis
sen um Erlösung darf uns in der
Trauer helfen, die sein Weggang ver
ursacht. Die Lücke, die Gari hinter-
lässt, ist gross und schmerzt. Wir tei
len und tragen sie mit seiner Gattin
Olga,seinem Sohn Kirill und seinen
Angehörigen.
Während der Jahre als Dirigent
des Orchesters Liechtensteiii-Wer-
denberg hat uns Gari alles gegeben,
was er wusste und konnte: seine
Musikalität und seine Professiona
lität, seine Souveränität und sein
Verständnis für Unvollkommen
Gari Petrenko bei der Probenarbeit mit dem Orchester.
heit, seine Begeisterung und seine <
Rücksichtnahme, seine Überzeu
gung und seine Bescheidenheit. Er ;
war uns ein guter Lehrer. Zielsicher
und hartnäckig führte er das Orche
ster in denkwürdigen Konzertpro
grammen auf Höhen, die wir uner
reichbar glaubten. Ich denke an das
Russische Programm eines 30. De
zembers, an das Frühlingskonzert !
mit der Kleinen C-Dur-Symphonie
von Franz Schubert. Er hat mit dem
Orchester und im Orchester Zei
chen gesetzt und Spuren hinterlas
sen, die wir sorgsam pflegen wer
den, und auf denen wir weiter bau
en wollen.
Mitten in den Vorbereitungen
und Proben für das traditionelle
Konzert mit grossem Ball zum Jah
resende, welches das Orchester
Liechtenstein-Werdenberg seit vie
len Jahren am 30. Dezember durch
führt, wurde er aus dieser Welt ab
berufen. Bis zuletzt hat er den Mut
und die Hoffnung nicht verloren, i
auch in 1999 wieder den grossen
Anlass mit uns durchführen zu kön- >
nen. Das Programm mit Werken der
gehobenen Unterhaltungsmusik
des 20. Jahrhunderts trug auch seine
Handschrift. In unseren musikali
schen Tätigkeiten wird uns Gari Pe
trenko Vorbild und Ansporn sein
und stets in unserer Erinnerung j
bleiben.
Daniel A. Kellerhals, Präsident '■