Liechtensteiner Volksblatt
Feature PapVt Johannes Paul II
Donnerstag 18. April 2000 37
Papst Johannes Paul: Eine Ikone wird 80
Ein bewegtes Leben: Viele Reisen, grosse Gesten, harte Worte - und ein Attentat, von dem sich Johannes Paul II. nie erholt hat.
ROM: Kritiker hatten ihn schon
fast abgeschrieben, erstarrt und
ideenlos sei der Papst geworden;
alt und schwach sei er ohnehin seit
langem. Doch Widerstand und
Widerspruch forderten Johannes
Paul II. schon immer heraus.
Mit seiner spektakulären Reise nach Is
rael, der Vergebungsbitte für die Juden
verfolgung an der Klagemauer in Jeru
salem und dem grossen «Mea Culpa»
für die Sünden der Kirchen überraschte
er in den vergangenen Monaten Gläu
bige und Kritiker gleichermassen -
kaum ein anderer Papst der Neuzeit hat
die Kirche derart geprägt wie der Pole
aus der Nähe von Auschwitz.
Heute am 18. Mai wird Karol Wojtyla
80. «Er ist ein Mann, der sich niemals
Druck von aussen beugt», sagt ein en
ger Vertrauter. Und mit Druck von aus
sen sind Krankheit und Alter ebenso
gemeint wie innerkirchliche Kritiker.
Fast 22 Jahre regiert er eine Milliarde
Katholiken, länger als jeder andere
Papst im 20. Jahrhundert.
Aufschwung und Stagnation
Er brachte der Kirche Aufschwung
und Stagnation zugleich, auf seinen 92
Auslandsreisen feierte er weltweit TVi-
umphe vor Millionen Gläubigen - doch
in Europa rief er auch Enttäuschung, ja
Verbitterung hervor.
Die grösste Überraschung war seine
Wahl. «Habemus papam Carolum Woj
tyla» - verkündete der Vatikan am 16.
Oktober 1978. Die Wahl eines Papstes
aus dem Sowjet-Imperium war Wagnis
und Provokation zugleich. Mehr noch:
Über seine Abneigung gegen Kommu
nisten machte der Papst nicht einmal ei
nen Hehl.
«Widersetzt Euch allem, was gegen
die menschliche Würde verstösst», rief
der Papst seinen Landsleuten 1979 bei
seiner ersten Reise in die Heimat zu.
Fall des Kommunismus
Ohne die schützende Hand des Pap
stes wäre der Sieg der polnischen Ge
werkschaftsbewegung kaum denkbar
gewesen, meinen nicht nur Kirchenhis
toriker. Der Fall des Kommunismus sei
auch das Werk der Kirche gewesen.
Durch seine Reisen machte er die
Papst Johannes Paul II. bei seiner Inauguration: Er ist der Nachfolger von Johannes Paul /. - dem lächelnden Papst, der nach
nur 100 Tagen Amtszeit ßr viele einen rätselhaften Tod starb. Johannes Paul II. studierte Philologie in Krakau.
Kirche vor allem in den armen Ländern
der Dritten Welt präsent, wetterte ge
gen Unterdrückung und Armut, forder
te Menschenrechte ein. Sein lockerer
Umgang mit Kurie und Protokoll, seine
Reisen und seine offene Kritik an so
zialen Missständen liessen den gründli
chen Irrtum aufkommen, es handele
sich um einen «modernen Papst».
Keine Erneuerung
Ob Abtreibung, Zölibat oder Frauen
priester, ob Befreiungstheologie oder
mehr Einfluss für die Laien - das
«Nein» des Polen war jedoch oftmals
schroff und. unbeirrbar. Statt inner
kirchlicher Erneuerung setzte der Papst
auf Volksfrömmijgkeit. Prägend waren
wohl auch die kleinbürgerlichen, tiefre
ligiösen Verhältnisse, aus denen er
stammte. Geboren in der 7000-Seelen-
Gemeinde Wadowice südlich von Kra
kau wurde er in frühester Jugend vom
Schicksal gebeutelt: Als er neun war,
starb seine Mutter,Wenig später der
Bruder, dann der Vater. «Mit 20 Jahren
hatte ich alle Menschen verloren, die
ich Hebte.» Er studierte Philologie in
Krakau, spielte mit anderen Studenten
Theater. Während der Besatzung der
Nazis, 1942, trat er in ein verbotenes
Priesterseminar in Krakau ein. Um
nicht deportiert zu werden, arbeitete er
in einem Steinbruch. Faschismus und
Judenverfolgung lernte er in frühester
Jugend kennen - die Versöhnung mit
den Juden wurde zu einer der Haupt
ziele in seiner Amtszeit.
Ein rigider Moralist^,? 1 »:;
Die Schweizer Bischofskonferenz
zieht anlgsslich des 80. Geburtstags von
Johannes Paul II. eine kontrastreiche
Bilanz seines Pontifikats. Der Papst, oft
als rigider Moralist bezeichnet, gebe der
Kirche neuen Elan, indem er die Be
dürfnisse der Jugend anspreche.
Johannes Paul II. habe die Moderni
sierung der katholischen Kirche einge
leitet, wie vom Zweiten Vatikanischen
Konzil gewollt. Er
vor dem Hintergrund seiner polnischen
Vergangenheit als Vertreter der Moral
getan, sagt Nicolas Betticher, Sprecher
der Schweizer Bischofskonferenz. Da
mit habe er sich den Ruf eines strengen
Papstes, insbesondere im Bereich der
Sexualmoral eingehandelt.
Kontroversen in der Schweiz
In der Schweiz hatte diese Haltung
namentlich in der Diskussion um den
konservativen Bischof Haas, das ehe
malige kirchliche Oberhaupt des
Bistums Chur, Wellen geschlagen. Das
beinahe zehnjährige Ringen um Haas
(1990 -1998), das schliesslich mit der
Versetzung des Bischofs nach Liechten
stein endete, hat die Schweizer Katholi
ken in zwei Lager gespalten: die Papst-
Befürworter und die Papst-Gegner.
Papst Johannes Paul II.: Politisch immer
interessiert und auch aktiv.
«Die Ruhe ist wieder eingekehrt, der
Fall hat gezeigt, dass der katholische
Glauben sich unterschiedlich aus
drücken kann, aber auch, dass es über
diese Grenzen hinweg Verständnis
gibt», schätzt Betticher die Stimmung
ein. Ungeachtet seines Rufs als Konser
vativer, habe Johannes Paul II. zu neuen
Ausdrucksformen des Glaubens ermu
tigt, um auf ein bei der Jugend gestie-
gendes Bedürfnis der Spiritualität zu
antworten. In seinen Bemühungen
Mauern abzubauen, habe der Papst
nicht gezögert, auch an Popkonzerten
teilzunehmen.
Sein politisches Engagement für
Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit
und Frieden zeige einen kämpferischen
Menschen, der seine Motivation aus Er
fahrungen mit dem Krieg und dem
Kommunismus schöpfe. «Dieser enga
gierte Kampf hat oft missfallen, aber er
hat der Kirche zu einer aktiven Rolle in
der Gegenwart verholfen», sagt Betti
cher.
Von dem Attentat hat sich Johannes Paul
nie richtig erholen können.
«Widersetzt Euch allem, was gegen diemenschliche Würde verstösst», rief der Papst
seinen Landsleuten 1979 bei seiner ersten Reise in die Heimat zu.
Der Papst auf Besuch in der Schweiz - Gelegenheit ßr Small Talk: Links im Bild Alt Bundesrat Kurt FurglerfSt. Gallen) und
Alt Bundesrat Leon Schlumpf (Felsberg). (Bilder: Keystone)
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