Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner Volksblatt 
Inland 
Dienstag, 9. Mai 2000 8 
Alter Wein in neuen Schläuchen? 
Vierländer-Bodensee-Frauenkonferenz mit Liechtensteiner Beteiligung 
Unter dem Motto «vernetzen - 
verbinden - verbünden» schlössen 
sich 1997 erstmals die Italien- und 
Gleichstellungsbeauftragten 
Österreichs, Deutschlands und der 
Schweiz zusammen, um in Kon* 
stanz zur ersten Dreiländer-Bo- 
densee-Frauenkonferenz einzula 
den. Liechtenstein stiess nun als 
viertes Bodenseeland dazu und be 
stimmte somit die neue Fassung: 
Vierländer-Bodensee-Frauenkon- 
ferenz, die vom 4. bis 6. Mai 2000 in 
Konstanz stattgefunden hat 
Karin Jenny 
Auch an dieser Frauenkonferenz nah 
men ISO Expertinnen aus Deutschland, 
Österreich, der Schweiz und Liechten 
stein statt. Unter dem Motto «vernet 
zen - verbinden - verbünden» disku 
tierten und entwickelten Vertreterin 
nen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung,. 
Gewerkschaften, Kirchen und Kam 
mern auf nationaler und internationa 
ler Ebene Handlungsstrategien zur 
Umsetzung von «Gender Mainstrea 
ming» - seit der Unterzeichnung der 
Amsterdamer Verträge 1999 auf eu 
ropäischer Ebene das frauenpolitische 
Thema Nummer eins. 
Bernadette Kubik-Risch wies in ihrer 
BegrUssungsrede auf die Bedeutung 
der grenzüberschreitenden Zusam 
menarbeit in Gleichstellungsfragen hin. 
Diese Vernetzung habe in der Vergan 
genheit zur Umsetzung einer Frauen 
stiftung in Deutschland, zum ersten 
Länder Ubergreifenden Unternehme 
rinnenforum 1998 und nicht zuletzt zur 
2. Bodenseefrauenkonferenz geführt. 
Die Gleichstellungsbeauftragte Liech 
tensteins verwies explizit auf die 
Schwierigkeit hin, den Begriff des Gen 
der Mainstreamings zu definieren, der. 
seit der Dritten Weltfraueftkonferenz in 
Nairobi (1985) in zahllosen Gremien 
diskutiert werde. Vieles, was wir über 
Gender Mainstreaming wissen, sei noch 
sehr theoretisch und wenig praxisver 
bunden. Diesem mangelnden Praxisbe 
zug solle an der Frauenkonferenz be 
gegnet werden. 
Aus Liechtenstein nahmen teil: Cor 
nelia Batliner (Gemeinderätin FBPL, 
Eschen), Monica Bortolotti (Infra).Dr. 
Katja Gey (Vizepräsidentin Frauenuni 
on), Karin Gey (Wirtschaftsvertrete- 
rin), Claudia Heeb-Fleck (Vorstand 
«Verbetzen-verbinden verbünden»: Liechtensteiner Frauen an der 2. Bodenseefrauenkonferenz in Konstanz. 
Verein Bildungsarbeit für Frauen), Dr. 
Nina Hilti (Freie MA Gleichstellungs 
büro), Christel Hilti-Käufmann (Stv. 
Landtagsabgeordnete FL, Workshop- 
Moderatorin), Gabi Jansen (Infira, 
Workshop-Moderatorin), Ingrid 
Hassler-Gerner (Landtagsabgeordnete 
VU), Dr. Dorothee Laternser (Stv. 
Landtagsabgeordnete VU), Letizia 
Meier (Amt für Auswärtige Angelegen-; 
heiten). -> 
Was ist Gender Mainstreaming? 
Gender Mainstreaming gründet auf 
eine Definition des Europarates, der 
dazu folgendes ausführt: «Die gleich 
hohe Beteiligung zwischen Frauen und 
Männern am Entscheidungsprozess 
auf paritätischer Grundlage, mit dem 
Ziel einer völligen Gleichstellung von 
Frauen und Männern zu je 50 %. Pa 
ritätische Demokratie bedeutet auch 
eine echte Aufteilung der Verantwor 
tung in der Familie zwischen Frauen 
und Männern; entscheidend, um Beruf 
und Familie miteinander zu vereinba 
ren.» 
Gender Mainstreaming muss jedoch 
noch umfassender definiert werden. 
Anstelle von isolierten Massnahmen 
zur Förderung von Frauen will Gender 
Mainstreaming bei allen Entscheidun 
vllii* - 
~K."f •*?$&" 
«Die Teilnahme an diesem Frauen- 
kongress ist für Liechtenstein sehr 
wichtig, weil wir einerseits Präsenz zei 
gen und andererseits aus den Erfahrun 
gen von Frauen anderer Länder lernen 
können. Im Vergleich zu den anderen 
Ländern zeigte sich.dass Liechtenstein 
noch viel Nachholbedarf hat. In festge 
fahrenen Strukturen wie den unseren 
wird ohne das Instrument der Quoten- 
regelüng eine paritätische Vertretung 
von Brauen und Männern in der Politik 
kaum erreicht werden können.» 
Christel Hilti-Kaufmann 
gen und in allen Politikbereichen ge 
schlechterpolitische i Auswirkungen re 
flektieren und berücksichtigen. Jede 
Massnahme muss der Veränderung der 
Gesellschaften Richtung Partnerschaft, 
gleiche Rechte und Pflichten für beide 
Geschlechter und dem Machtausgleich 
zwischen Frauen und Männern dienen. 
Die,Zauberfornpje|& ^ 
Die Vertreterinnen^dler vier Länder 
mussten weiter festitfeHen, dass bei al 
len Unterschieden zwischen dem bisher 
Erreichten, alle vier Länder noch unge 
heure Anstrengungen unternehmen 
müssen, um auf allen Gebieten eine 
gleichberechtigte Situation zwischen 
Frauen und Mänkern zu haben. Gender 
Mainstreaming hat nicht nur Empfeh 
lungscharakter, sondern ist vielmehr 
mit verpflichtenden Kriterien ausge 
stattet. Doch, wie so oft, klaffen zwi 
schen Theorie und Praxis Abgründe. 
Die Strategien und Konzepte zu ent 
wickeln, die jene Kluft überwinden 
können, kann ein einziger Frauenkon- 
gress nicht bewältigen. Zu entdecken, 
dass Gender Mainstreaming nicht das 
Zauberwort sein wird, bedurfte schon 
einiger Auseinandersetzung. In insge 
samt sieben Workshops wurde intensiv 
daran gearbeitet, den Begriff des Gen 
der Mainstreaming auf seine Anwend 
barkeit zu überprüfen, möglichen Fal 
len frühzeitig zu begegnen, die Chancen 
zu erkennen und Handlungsstrategien 
zu diskutieren. / 
Zentraler Ausgangspunkt und Dis 
kussionsgrundlagen der Frauenkonfe 
renz waren insbesondere drei Referate, 
die sich auf wissenschaftlicher, politi 
scher' und gesellschaftlicher Ebene mit 
dem Thema «Gender Mainstreaming» 
auseinandersetzten. 
Gender - das neue Zeitalter 
Dr. Regina Wecker (Professorin am 
Historischen Seminar der Universität 
Basel) widmete ihren Vortrag dem The 
ma «Forschung-Frauenpolitik-Main- 
Streaming: Versuch einer (Wiedel- 
Annäherung». Ihr Beitrag untersuchte 
die Relevanz von Gender Mainstrea 
ming für die Gleichstellungspolitik. Sie 
demonstrierte die Konsequenzen an 
Beispielen aus der Forschung und 
gleichzeitig die Grenzen einer (Wie 
del-Annäherung. Der theoretische 
Diskurs scheint zuweilen etwas weit 
weg von der Praxis, dennoch zeigte die 
ser Vortrag, dass es vor allem im Be 
reich der Forschung liegen wird, Zu 
kunftskonzepte zu entwickeln und For 
schungsarbeit auf dem Gebiet eine 

«Im Ländervergleich konnte ich er 
fahren, dass Deutschland und Öster 
reich im Vergleich zu uns schon sehr 
viel weiter sind und wir viel von den Er 
fahrungen dieser Länder lernen kön 
nen. Den grössten Handlungsbedarf se 
he ich im Wirtschaftsbereich. Es scheint 
ein gemeinsames Merkmal aller Länder 
zu sein, dass das Instrument Gender 
Mainstreaming in der Wirtschaft am 
wenigsten greift und dort eine paritäti 
sche Vertretung von Frauen und Män 
nern am schwersten durchsetzbar ist.» 
Dr. Katja Gey 
«Mir war zwar der Begriff Gender Ma 
instreaming nicht ganz unbekannt. Die 
Diskussionen unddas Ringen um die De 
finition brachten mir eine Erkenntnis, die 
ich für ausschlaggebend halte: Die Frau 
enproblematik i ist eine Verteilungspro 
blematik. Und all das hat mit Demokratie 
und Menschenrechten zu tun. Es muss ei 
nes Ikges einfach selbstverständlich sein, 
dass alle Menschen die gleichen Rechte 
und Pflichten haben und wir nicht mehr 
zwischen Frauen und'Männern unter 
scheiden. Nur das ist Demokratie». 
H Cornelia Batliner 
primäre Rolle zukommt. Die Politolo 
gin Dr. Sieglinde Rosenberger ging in 
ihrem Vortrag anhand österreichischer 
Frauenpolitik der Frage nach, welche 
frauenpolitischen bzw. geschlechterge 
rechten Konzepte für Wirtschafts- und 
Sozialpolitik notwendig sind und unter 
welchen Bedingungen' Gender Main 
streaming Relevanz und Realität be 
kommen könnte. Ihr Ansatz geht von 
einer sehr differenzierten Interpretati 
on aus und machte nachvollziehbar, 
dass selbst in Ländern, wo man in 
Gleichstellungsfragen vermeintlich 
schon «weit» fortgeschritten sei, fast 
schon wieder Rückzugstendenzen zu 
beobachten sind. Den allgemein beob 
achtbaren IVend des Rückzugs der Poli 
tik aus der Politik habe gerade im Be 
reich Wirtschaft für die Umsetzung von 
Gender Mainstreaming schlimme Aus 
wirkungen. Die Politik als Regulativ 
entzieht sich, Arme werden ärmer, Rei 
che reicher, beides wiederum ist nach 
wie vor eine Geschlechterfrage und bis 
anhin gäbe es keine wirklich massgebli 
chen Instrumentarien, um die Wirt 
schaft in den Demokratisierungspro- 
zess verpflichtend einzubinden. Immer 
noch werden Bilder von Frauen, die ih 
re Berufslaufbahn wegen Familienar- 
beit unterbrechen, gehätschelt und ge 
pflegt; damit werde erfolgreich verhin 
dert, dass sich etwas verändert. Denn 
den Tatsachen entsprächen diese Bilder 
schon lange nicht mehr. Auch Rosen 
berger kommt, ähnlich wie die Histori 
kerin Wecker und Soziologin Mechtild 
Jansen, in ihrem Vortrag zu dem 
Schluss, dass Gender Mainstreaming 
kein Ersatz für Gleichstellungsbüros 
und Frauenbeauftragte sein können. Es 
sei eher so, dass diese in Zukunft noch 
mehr gestärkt gehören und ein Fort 
schritt am ehesten im Tandem von Gen 
der Mainstreaming und expliziter Frau 
enpolitik erreichbar sei. 
Die gemeinsame Teilnahme von 
Frauen aus allen Parteien und unter 
schiedlichsten Bereichen an dieser 
Frauenkonferenz dokumentiert, dass 
die paritätische Vertretung von Frauen 
und Männern in politischen, wirtschaft 
lichen und soziokulturellen Bereichen 
von allen Frauen angestrebt wird. Gen 
der Mainstream aber meint nicht nur 
die Frauen, denn auch sie müssen etwas 
abgeben: Hausmacht gegen Staats- und 
Wirtschaftsmacht. Und diese Forde 
rung geht alle an. Gender Mainstream 
möglicherweise doch eine Zauberfor 
mel? 
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«Unter Gender Mainstreaming konnte 
ich mir bis anhin nicht viel vorstellen. Die 
se Auseinandersetzung anlässlich des Flrau- 
enkongresses zeigte, dass es viel statisti 
sches Wissen braucht und das Gleichstel- 
lungsbüro gestärkt werden muss. Gender 
Mainstreaming ist ein zusätzliches Instru 
ment, um die Bestrebungen einer gerech 
ten Verteilung zwischen Frau und Mann 
voranzubringen. Zusätzlich muss sich jede 
Firau und jeder Mann aktiv an dieser Poli 
tik beteiligen, damit Gender Mainstrea 
ming nicht zu einem exotischen Begriff oh 
ne Inhalte verkommt.» Letizia Meier 
«Die Bodenseefrauenkonferenz ist 
für mich der öffentliche Raum, wo die 
grenzüberschreitende Zusammenar 
beit zwischen den Gleichstellungsbe 
auftragten der beteiligten Länder am 
stärksten zum Ausdruck kommt. Als 
Mitorganisatorin und als Gleichstel 
lungsbeauftragte Liechtensteins schät 
ze ich den Austausch mit Expertinnen 
besonders, weil wir bei uns in Liechten 
stein noch nicht auf eine so lange Tradi 
tion der Gleichstellungsarbeit zurück 
greifen können.» 
Bernadette Kubik-Risch 
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