Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

4 Samstag, 6. Mai 2000 
Europa-Symposium 
Liechtensteiner Volksblatt 
«Wir 
Liechtenstein und Europa: Identitätsfindung, Zukunftsentwicklungen und neue Szenarien 
Mit der Geschichte des EWR und 
mit den Entwicklungen der Part 
nerschaften Liechtensteins be 
schäftigte sich Sven Norberg, Di- 
rektor in der Generaldirektion 
Wettbewerb der Europäischen 
Kommission. Sein Augenmerk galt 
auch dem Resümee aus fünf Jah 
ren EWR-Abkommen. Seine 
Durchlaucht Prinz Nikolaus von 
Liechtenstein, Botschafter in 
Brüssel, präsentierte Szenarien 
zur integrationspolitischen Zu 
kunft. Es waren die beiden letzten 
Referate des Europa-Symposiums 
- die anschliessende Podiumsdis 
kussion mit den Referenten gestal 
tete sich überaus interessant. 
Erich Walter de Meijer 
Liechtenstein und Europa, Liechten 
stein in Europa, Liechtenstein im Eu 
ropäischen Wirtschaftsraum: drei heisse 
und tragende Themen, die die Inhalte 
des 4. Liechtensteiner Europa-Sympo 
siums bestimmten. Im zweiten Teil am 
gestrigen Nachmittag kamen wieder 
zwei hochkarätige Referenten zu Wort: 
Sven Norberg ist nicht nur Direktor in 
der Generaldirektion Wettbewerb der 
Europäischen Kommission, sondern 
auch Richter am EFTA-Gerichtshof 
a.D., und Prinz Nikolaus von Liechten 
stein - er bemüht sich als Botschafter 
des Fürstentums bei der Europäischen 
Union in Brüssel um die Angelegenhei 
ten unseres kleinen Landes. 
Eine spannende Geschichte 
Einen Ausflug in Geschichte und 
Entwicklung der Konnektion Liechten 
stein & Europa machte Sven Norberg. 
Ziemlich genau SO Jahre sei es her.dass 
erste Schritte hin zur europäischen In 
tegration gesetzt wurden. Von Liech 
tenstein war da zwar noch nicht die Re 
de, aber zumindest die Rahmenbedin 
gungen seien geschaffen worden. Stich 
tag dafür sei der 9. Mai 1950 gewesen - 
damals trat der sog. Schumann-Plan in 
Kraft - ein Plan für eine europäische 
Kohle- und Stahlgemeinschaft. Mit da 
bei von Anfang an waren Frankreich, 
Deutschland, Italien, Belgien, die Nie 
derlande und Luxemburg. 
Rasante Entwicklung 
Danach ging es Schlag auf Schlag: 
1957 gab es Verträge zur Gründung der 
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 
und einer europäischen Atomenergie 
gemeinschaft. Dann wurde die EFTA 
gegründet - und hier mischte Liechten 
stein bereits kräftig mit. «Das Fürsten 
tum wurde aufgrund seines Zollunions 
vertrages mit der Schweiz durch die 
Schweiz vertreten», weiss Norberg. 
Nach und nach traten weitere Staaten 
bei. 
Gut besucht: Das 4. Liechtensteiner Europa-Symposium im Vaduzer Saal begriisste interessante Referenten. Man Hess Vergan 
genes Revue passieren und wagte auch Ausblicke in die Zukunft Liechtensteins. (Bild: bak) 
Vor dem Hintergrund der bestehen 
den Freihandelsbeziehungen zwischen 
der EG und der EFTA wurde beschlos 
sen, einen dynamischen europäischen 
Wirtschaftsraum zu schaffen. Es wur 
den Kooperationsmodelle entwickelt 
und 1985 stellte die neue Kommission 
unter Jaques Delors ihr Weissbuch über 
die Vollendung des Binnenmarktes vor. 
Es folgten hitzige Diskussionen, ob man 
beide Häuser - EG und EFTA - auch 
unter ein Dach bringen könnte. Delors 
musste nicht lange auf die Reaktion der 
EFTA-Staaten warten: «An einem EF- 
TA-Gipfeltreffen in Oslo 1989 wurde 
darüber eine positive Antwort gege 
ben», erinnert sich Sven Norberg. Die 
konkreten Verhandlungen begannen 
im Juni 1990, das EWR-Abkommen 
wurde am 2. Mai 1992 in Porto unter 
zeichnet - nach nur 20 Monaten der 
Verhandlung. Liechtenstein war Mitun 
terzeichner. 
«Sind die Ziele erreicht worden?», 
fragt sich Sven Norberg. Die Ziele wa 
ren weitreichend - sie umfassen bei 
spielsweise Warenverkehr, Dienstleis 
tungen, Wettbewerb, öffentliches Auf 
tragswesen, den freien Kapitalverkehr, 
gemeinsame Regeln bei der Zusam 
menarbeit in Bereichen wie Forschung, 
Umwelt, Bildungswesen und Sozialpo 
litik. Es gab dabei auch Knackpunkte 
wie die Synchronisation der beiden 
Rechtsgebilde EU und EFTA. Ein Un 
terfangen, das von Erfolggekrönt war- 
beide Behörden arbeiten gut zusam 
men. «Solange die EFTA-Seite die 
Spielregeln einhält, wird der EWR wei 
terhin gut funktionieren» prognosti 
ziert Norberg. So würden auch die 
Rechte der EFTA-Mitglieder gewahrt 
bleiben. Neue Fragen hätte allerdings 
die Entwicklung der EU aufgeworfen, 
die mit einer gemeinsamen Wirtschafts 
und Währungsunion einhergeht. Hier 
würde ein gemeinsamer Nenner 
schwierig. Nordberg mahnt, alle Mög 
lichkeiten voll auszunützen und beste 
hende Strukturen weiterzuentwickeln 
Eine schwierige Zeit 
«Das politische und wirtschaftliche 
Karussell in Europa dreht sich schnell», 
meinte Prinz Nikolaus von Liechten 
stein, der letzte Referent des Tages. Er 
traf mit eineinhalbstündiger Verspä 
tung ein - sein Flugzeug wurde in Brüs 
sel lange aufgehalten. Liechtenstein sei 
abhängig vom Umfeld - «weil wir uns 
neu positionieren müssen. Wir leben in 
einer schwierigen Zeit.» Trotzdem - es 
Hessen sich gewisse .Tendenzen in der 
Integrationsentwicklung! ablesen. Prinz 
Nikolaus fordert deshalb ein geeintes 
Auftreten nach Aussen. Auch er ist der 
Meinung, dass die Abkommen zwar gut 
funktionieren, die Hauptanstrengung 
aber dennoch bei EFTA-Seite und so 
mit auch bei Liechtenstein liege, damit 
dieser Zustand so bleibe. Die Sicher 
heitspolitik innerhalb der EU werde 
dabei allerdings sicher nicht ohne Fol 
gen bleiben: Auswirkungen dieser Ver 
änderung und auch anderer - z. B. die 
Einführung des Euro - sind meiner 
Meinung nach noch nicht voll absehbar. 
«Eine Trennung zwischen Wirtschafts 
und Währungsunion einerseits und Bin 
nenmarkt in klassischem Sinne ande 
rerseits wird idabei immer schwieriger. 
Ein aktuelles Beispiel ist die Steuerhar 
monisierung. Es ist unwahrscheinlich, 
dass der EWR wjeiterhiij- gänzlich aus 
dieser Diskussion herausgehalten wer 
den kann, obwohl unsere Karten ganz 
gut sind. Mich jedenfalls bekümmert 
die Steuerharmonisierting im Rahmen 
der OECD mehr.» n i 
Die EU stehe ivor grossen Proble 
men: Es müssen Entscheide über 12 
Kandidatenländer gefällt werden. Die 
EU ist an einem Wendepunkt - und die 
EFTA-Staaten seien gerade durch die 
sen Umstand attraktiv geworden. «Mei 
ner Meinung nach wäre eine Fusion von 
EU und EWR denkbar. Aber auch ein 
GAU steht im Raum: Wenn die Schweiz 
der EU beitreten würde, oder Norwe 
gen - das könnte die Natur des EWR 
ändern oder diesen beenden...» 
Man könne drei Dinge tun: «Den Sta 
tus quo halten, die Integration zur EU 
suchen und die Beziehungen zur EU 
lockern. Wir haben es mit beweglichen 
Zielen zu tun - und es spricht vieles 
dafür, dass der EWR einschneidende 
Veränderungen erfährt oder durch eine 
neue Politik zu ersetzen sein wird. Wir 
haben mit ihm aber sicher keinen 
schlechten Eckpfeiler, um solche Ver 
änderungen mit Bedacht anzugehen.» 
Neue Sorgen und Nöte 
Die anschliessende Podiumsdiskussi 
on machte die Sorgen deutlich, die die 
Wirtschaft hat bezüglich möglicher Bei 
tritte Norwegens und Islands zur EU. 
Dazu Sven Norberg: «Das wird wohl 
noch eine gute Weile dauern. Norwegen 
hat einen Beitritt bereits per Volksab 
stimmung zweimal abgelehnt - und ich 
weiss noch nichts von einer neuen Stel 
lungnahme. Ich empfehle den Norwe 
gern eine nochmalige Volksabstim 
mung, bevor überhaupt in Verhandlun 
gen getreten wird. Ein Beitritt Islands, 
das seit 1970 EFTA-Mitglied ist, steht 
überhaupt noch nicht zur Diskussion.» 
Und Bernd Hammermann von der EF- 
TA-Überwachungsbehörde Brüssel 
meint dazu: «Norwegen feiert in fünf 
Jahren 100 Jahre Unabhängigkeit. Bis 
dahin wird sich sicher nichts tun. Nor 
wegen wird beobachten, wie es mit der 
Osterweiterung vorangeht innerhalb 
derEU. Es gibt noch keine Diskussion, 
aber es wird sie geben. Island wird mei 
ner Meinung nach im EFTA-Club blei 
ben und gleichzeitig den Handel mit 
Canada und Asien forcieren.» Und Re 
gierungschef Mario Frick weiss: «Das 
wird unsere Position schwächen. Nor 
wegen in der EU - das wirft Fragen auf: 
Wie wird die EU auf den EWR reagie 
ren - und sollen in diesem Falle die Be 
ziehungen zu Island bilateralisiert wer 
den? Und vor allem: Welche Kontakte 
werden dann wirklich wichtig?» Ratlo 
sigkeit: Anscheinend ist es so, als ob 
man ein rundes Schwein durch ein ecki 
ges Loch pressen muss ... 
Der zweite grosse Themenkomplex 
bei der Diskussion war die «Geldwä 
sche» - hierzu sind die Positionen aber 
glasklar. Prot Dr. Erich Samson, der Di 
rektor des Instituts für Umwelts-, Wirt 
schafts- und Steuerstrafrecht an der 
Uni Kiel, fordert nach wie vor die straf 
rechtliche Verfolgung. Selbstkontrolle 
lehnt er ab («Den guten Menschen gibt 
es nicht») - ebenso wie die Erweiterung 
der Kontrollen, denn «dann finden wir 
uns bald in einem Orwell'schen Über 
wachungs-Staat wieder. 
Wie stark ist der EWR? 
Schwer im Magen lag den Symposi 
ums-Besuchern die Rechtslage inner 
halb EWR und EU: Wer hat mehr zu sa 
gen, wer soll die wichtigen Urteile fäl 
len, woran soll man sich orientieren? 
Prof. Dr. Carl Baudenbacher stellte fest, 
dass sich das Karussell in der EU wohl 
schneller drehe: «Deshalb soll sich die 
EFTA an den Präjudizien der EU ori 
entieren. Das ist oft aber sehr schwierig 
- denn es gibt Fälle, mit denen der EU 
GH vorerst nichts zu tun haben könnte. 
Wir müssen. umsichtig handeln - die 
EFTA-GH-Urteile müssen eine ein 
wandfreie Qualität aufweisen!» Prinz 
Nikolaus von Liechtenstein unter 
streicht diese Meinung: «In vielen Din 
gen können wir noch nicht mitbieten. 
Aber es entstehen neue Bereiche der 
Partnerschaften. Wir sind umgeben von 
EU-Mitgliedern und wir müssen uns si 
cher arrangieren!» Kommt eine EU- 
Vollmitgliedschaft vielleicht doch ir 
gendwann in Frage? Seine Antwort fällt 
klar aus: «Eine Vollmitgliedschaft - 
nein. Liechtenstein als Mitglied mit 
Sonderstatus - ja.» 
Die Schlussworte der Referenten am 
Podium Helen optimistisch bis beglück 
wünschend (Dr. Sven Norberg) aus. 
Unisono meinten unterm Strich alle: 
Die Situation ist spannend. Der Erfolg 
gibt Liechtenstein recht. Liechtensteins 
Auftritt in Europa soll von Augenmass, 
Vernunft, vom Willen zur Solidarität 
und von Selbstbewusstein geprägt sein 
- und last, but not least: Niemand weiss, 
wo die Reise hingeht, aber wir wissen 
inzwischen, von welchen Werten diese 
Reise geprägt sein wird. 
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Seine Durchlaucht Prinz hucotaus von Liechtenstein: «Wir haben es Sven Norberg: «Ich gratuliere dem Fürstentum Liechtenstein zum Er- Erich Samson:«Ich warne vor zu viel KontrolleI Vor Selbstkontrolle 
mit beweglichen Zielen zu tun. Wir müssen uns auch bewegen!» folg. Das Land hat sich neu positioniert!» ist abzuraten - den guten Menschen gibt es nicht!» (Bilder: de Meijer)
	        

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