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Liechtensteiner Volksblatt
INLAN D
Freitag, S. Mai 2000 3
«Es waren zwei spannende Jahre!»
Flüchtlingssituation in Liechtenstein: Die Heimkehr wird nun forciert
Manchmal stehen den Menschen,
die aus dem Kosovo hierher nach
Liechtenstein geflüchtet sind, die
Tränen in den Augen - wenn sie
davon berichten, was ihnen und
ihren Familien damals vor zwei
Jahren zugestossen ist, was sie al
les erleben, mitansehen mussten.
Die Situation hat sich nun beru
higt - und es ist ßir die 275 Flücht
linge, die noch da sind, höchste
Zeit, wieder heimzukehren. Frem-
denpolizei und auch der Verein
«Flüchtlingshilfe» hat daher alle
Hände voll zu tun •••
Erich Walter de Meijer
Das kleine Land Liechtenstein hat
ganze Arbeit geleistet, obwohl das Asyl
gesetz gerade erst zwei Jahre alt ist. Da
mals, im Jahr 1998, war das Fürstentum
das einzige Land Europas, das noch
nicht über entsprechende Bestimmun
gen verfügte. Das Gesetz aber machte
den Weg frei für organisierte humanitä
re Arbeit. Der Verein «Flüchtlingshilfe»
krempelte die Ärmel hoch und im Au
gust 1998 ging es richtig los.
Aus dem Kosovo sind sie gekommen.
Über 650 waren es kurzfristig (das sind
insgesamt 2 Prozent der Bevölkerung
unseres Landes - Europarekord!) -
- «und wir haben wirklich alle Hände voll
zu tun gehabt, geeignete Quartiere zu
organisieren», erinnert sich Beatrice
Büchel vom Verein Flüchtlingshilfe an
turbulente Zeiten. Das FlUchtlingsheim
in Vaduz ist für 60 Leute konzipiert, ein
Vielfaches davon wurde damals ein
quartiert - man schlief in Gemein
schaftsräumen und wo es sonst noch
ging, das Haus platzte aus allen Nähten.
Gute Stimmung und zufriedene Gesichter: Marie Louise Eberle (stehend 2. von links) mit Flüchtlingen, die in Vaduz unterge
bracht sind. (Bilder: de Meijer, Nikolaus Walter, Marie-Louise Eberle)
Derzeit weilen noch 275 Flüchtlinge
in Liechtenstein - jetzt setzt die grosse
Rückkehrwelle ein, und ab Ende Mai,
so Beatrice Büchel, soll die Heimkehr
aller Flüchtlinge massiv forciert wer
den. «Die Situation hat sich im Kosovo
soweit beruhigt, dass man eine Rück
kehr mit gutem Gewissen verantworten
kann. Unser Koordinator, Hans Peter
Röthlisberger, war vor kurzem vor Ort
und bestätigte die positive Entwicklung
im ehemaligen Jugoslawien.»
Erfreulicherweise haben sich bereits
Die meisten Flüchtlinge sind junge Männer-aber auch alte Menschen und viele Kin
der fanden in Liechtenstein vorübergehend ein Zuhause.
über 100 Flüchtlinge freiwillig dazu be
reit erklärt, heimzukehren. Sie erhalten
für den Neustart in ihrer Heimat etwas
und auch Baumaterial vor Ort.
Situation hat sich beruhigt
Die Flüchtlinge waren während ihres
Aufenthaltes hier in Liechtenstein dazu
verpflichtet, zu arbeiten - Behörden,
Wirtschaft, Industrie und auch Privat
leute haben mitgeholfen und entspre
chende Angebote an das Flüchtlings
heim weitergeleitet. «DasEntlohnungs-
system gliederte sich dabei in drei Pha
sen: Bis September 1999 wurde den
Flüchtlingen der volle Lohn ohne Ab
züge ausbezahlt, die nächsten zwei Mo
nate gab es teilweise Abzüge und seit
Jänner dieses Jahres müssen die Flücht
linge dieselben Abgaben leisten wie je
der andere Liechtensteiner auch. Da
bleibt nicht mehr viel übrig», weiss
Büchel - diese Tatsache dürfte aber den
Anreiz, wieder in die Heimat zurückzu
kehren, wesentlich erhöhen.
Ein agiles Team
Im Verein kümmern sich vier Leute
um die täglichen Agenden: Marie Loui
se Eberle hat die Leitung inne, Peter
Lampert ist Betreuer und Arbeitsver
mittler, Sabrina Troisio organisiert die
Buchhaltung und Beatrice Büchel en
gagiert sich in der Betreuung.
«Die Kooperation mit den Flüchtlin
gen funktionierte einwandfrei und na
hezu reibungslos», freut sich Büchel
über ein positives Resümee von zwei
Jahren. «Wir hatten wenig Probleme.
Wenn es zu Diskussionen oder Streit
kam, dann haben diese Menschen in der
Regel alles unter sich ausgemacht. Das
Zusammengehörigkeitsgefühl ist sehr
gross. Überraschend war, dass am An
fang, als wir echte Engpässe hatten, so
gar Angehörige verschiedener ethni
scher Gruppen übergangsweise in ei
nem Zimmer einquartierten - und es
dennoch zu keinen Auseinandersetzun
gen gekommen ist. Psychologische Be
treuung war praktisch nie notwendig.»
Gute Betreuung
«Auch von der Polizei war zu erfah
ren, dass weder Kriminalität noch Dro
gendelikte aufgrund der Zuwanderung
von Flüchtlingen angestiegen seien.
Während die Erwachsenen arbeiten ge
hen mussten, waren die Kinder eben
falls versorgt: Sie unterlagen der hier
allgemeinen Schulpflicht. Aufgrund
der sprachlichen Gegebenheiten muss
ten selbstverständlich Sonderklassen
eingerichtet werden. Den Unterricht
gabs oft in der jeweiligen Landesspra
che. Die ganz Kleinen haben wir in den
Kindergärten untergebracht. Die Ko
operation mit Hermann Kranz vom
Schulamt hat während der ganzen Jah
re einwandfrei funktioniert.»
Menschliches im Flüchtlingsheim
Gerne erinnert sich das Flüchtlings-
hilfe-Team an gemeinsame Feste wie
Ostern oder Weihnachten. «Die Bevöl
kerung war oft integriert, denn wir woll
ten den Menschen zeigen, wie wir hier
unsere Feiertage und kirchlichen Feste
begehen. Umgekehrt haben wir viel er
fahren Uber deren traditionelle Feste,
über den Ramadan und das Ende des
Ramadan, «Bairam» genannt, das auch
zünftig gefeiert wurde.
Die Stimmung sei ungebrochen gut,
erzählt Büchel weiter. Einige meinten
zwar, ohne entsprechendes Taschengeld
würde sie nicht zurückkehren - aber im
grossen und ganzen habe man die Sache
bestens im Griff. Und viele hätten ech
tes Heimweh - was nur zu verständlich
ist.
Pionierarbeit
«Natürlich mussten wir viel Lehrgeld
bezahlen. Für uns war alles ganz neu. So
gesehen haben wir sicher Pionierarbeit
geleistet, haben dabei sehr viel improvi
siert. Wir hatten weder Möbel noch
Ausrüstung noch Computer. Nach und
nach, auch dank der Mithilfe der Bevöl
kerung, konnten wir unser Equipment
komplettieren. Auch der Staat hat uns
sehr unterstützt. Die Arbeit selbst war
sehr spannend.»
Und die Zukunft?
Wenn nun alle Flüchtlinge wieder da
heim sind - was passiert mit dem Verein
und der Inititative? «Auf unseren Er
fahrungen werden wir aufbauen kön
nen, denn Flüchtlinge und Menschen,
die vor Mord und Totschlag flüchten,
wird es immer geben», wagt Büchel ei
ne Prognose. Ihre Arbeit wird auch in
Zukunft gefragt sein...
Oft überlastet: In diesen Unterkünften werden die Menschen aus dem Kosovo einquartiert. Das Team des Vereins «Flüchtlings
hilfe» sah sich oft gezwungen, diese Quartiere überzubelegen: Es blieb einfach nichts anderes übrig ..* •
Das Team an der Flttchtlingshelfer-»Front»: Peter Lampert ist Betreuer und Ar
beitsvermittleri Sabrina Froisio (links) organisiert die Buchhaltung und Beatrice
Büchel (Mitte) engagiert sich in der Betreuung.
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