Liechtensteiner Volksblatt
Ausland
Dienstag, 2. Mai 2000 27
Nachrichten
Milliarden-Wiedergut-
machung verlangt
CALGARY: In der kanadischen Stadt Calgary
hat gestern ein Prozess um die höchste Wieder-
gutmachungsforderung von Indianern in Kana
da begonnen. Der Stamm der Samson Cree ver
langt von der Regierung 1,4 Milliarden kanadi
sche Dollar (1,6 Milliarden Franken). Der
Stamm aus der westkanadischen Provinz Alber-
ta besitzt Land, auf dem Öl und Gas gefördert
wird. Die Indianer behaupten, dass ihnen zuste
hende Lizenzgebühren über 50 Jahre lang nicht
ordnungsgemäss abgerechnet wurden. 1998
schlug die Regierung eine aussergerichtliche Ei
nigung vor, was die Samson Cree aber empört
ablehnten. Eine Stammessprecherin sagte jetzt
dem Radiosender CBC, dass der «beleidigen
de» Regierungsvorschlag kein Eingeständnis ei
ner Vertragsverletzung enthalten habe. Der nun
nach zehnjähriger Vorbereitung begonnene
Prozess wird nach Ansicht von Beobachtern
mindestens zwei Jahre dauern.
Verzweifelte Geiseln
JOLO/ZAMBOANGA: Das philippinische
Fernsehen hat gestern erste Videoaufnahmen
der entführten Touristen gezeigt, die am Oster
sonntag von der moslemischen Gruppe Abu
Sayyaf von der malaysischen Insel Sipadan ver
schleppt wurden. Auf den Bildern sind die völ
lig entkräfteten und verzweifelten Geiseln zu
sehen, die über Hunger, Durst und Durchfall
klagen. Der Gesundheitszustand der Entführ
ten hatte sich seit der Aufnahme des Videoban
des am Samstag offenbar weiter verschlechtert.
Am Montagmorgen war nach Angaben der
Entführer eine Südafrikanerin zusammenge
brochen. Wenige Stunden später traf die erste
Hilfe von aussen ein. Eine philippinische Ärztin
brachte Medikamente und Nahrungsmittel für
die 21 Entführten,die in einer BambushUtte auf
der Insel Jolo festgehalten wurden.
«Ein Hafen des
Friedens»
BERN: Bundesrat Joseph Deiss hat am Montag
seinen tansanischen Amtskollegen Jakaya
Mrisho Kikwete zu einem offiziellen Arbeitsbe
such in Bern empfangen. Im Zentrum der Ge
spräche standen die bilateralen Beziehungen
und die Situation in der Region der Grossen
Seen.Tansania sei ein Modell für Reformen und
ein Hafen des Friedens in der Region, sagte
Deiss nach den Gesprächen vor den Medien.
Zwischen der Schweiz und dem ostafrikani
schen Land gebe es keine Probleme. Auch
Kikwete hob die ausgezeichneten Beziehungen
zur Schweiz hervor. Während der Friedenspro-
zess in Burundi Anlass zu Hoffnung gebe,
bestünden noch viele Schwierigkeiten für einen
Frieden in der Demokratischen Republik
Kongo, sagte Kikwete weiter.
Israel gedenkt der
Holocaust-Opfer
JERUSALEM: Mit einer Feierstunde vor der
Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem in Jeru
salem haben am Montagabend in Israel die Fei
ern zum Gedenken an die sechs Millionen Ju
den begonnen, die von den Nazis ermordet wur
den. Staatspräsident Eser Weizman und Mini
sterpräsident Ehud Barak hielten Ansprachen
in Erinnerung an die jüdischen Opfer des Na
tionalsozialismus. Am Dienstagmorgen werden
im ganzen Land die Sirenen heulen. Das ge
samte öffentliche Leben kommt dann um 11.00
Uhr Ortszeit zum Stillstand. Auf den Strassen
stoppt der Verkehr und die Menschen verhar
ren neben ihren Autos im Gedenken an die To
ten der «Schoah» (Katastrophe), wie die Juden
vernichtung heute in Israel genannt wird.
»-Parteivorsitz
an Riess-Passer ab
Parteitag der FPÖ in Klagenfurt - Harsche Kritik an EU und SPÖ
KLAGENFURT: Nach knapp
14 Jahren an der Spitze der
Freiheitlichen Partei Öster
reichs (FPÖ) hat Jörg Haider
das Amt an seine bisherige
Stellvertreterin Susanne Riess-
Passer abgegeben.
Die 39-jährige Vize-Kanzlerin er
hielt am Montag am Parteitag der
Freiheitlichen in Klagenfurt 91,5
Prozent der 689 Delegiertenstim
men. Sie sicherte Haider ihre völlige
Loyalität zu und betonte, die FPÖ
bleibe auch weiterhin «die Partei
des Jörg Haider».
Beide Politiker richteten harsche
Kritik an die Adressen der opposi
tionellen Sozialdemokraten und der
EU. Haider begründete seinen for
malen Rückzug aus der Parteispitze
damit, die FPÖ- Regierungsmitglie-
der sollten «nicht ständig unter dem
Verdacht stehen, nur Marionetten
zu sein, die von Kärnten aus regiert
werden».
Haider begründete seinen Ende
Februar - kurz nach dem Amtsan
tritt der Wiener Regierungskoaliti
on zwischen FPÖ und konservativer
ÖVP - verkündeten Verzicht auf
den Parteivorsitz auch mit seinem
Versprechen, Regierungschef im
Bundesland Kärnten zu bleiben.
Zudem werde all jenen der Wind
aus den Segeln genommen, die sag
ten: «Ausser Haider habt Ihr nie
manden.»
Weiterhin Einmischung in
Bundespolitik
Haider kündigte indirekt an, dass
er sich auch künftig in die Bundes-
Susanne Riess-Passer wurde gestern Montag mit mehr als 90 Prozent der De
legiertenstimmen am FPÖ-Parteitag in Klagenfurt zur neuen Chefin der
Freiheitlichen gewählt. (Bild: Keystone)
politik einmischen werde. Nicht das
Amt sei entscheidend, «sondern
das, was man bewegt». Politische
Beobachter in Wien gehen davon
aus, dass Haider die bestimmende
Figur der FPÖ bleiben wird.
Riess-Passer sagte vor den Dele-«
gierteivsie sehe in der Regierungs-
beteili^ung der FPÖ eine «grosse
Herausforderung». Nach Jahrzehn
ten «sozialistischer Regierung» sei
«das Erbe katastrophal». Wegen der
diplomatischen Isolierung Öster
reichs durch die 14 EU-Partner
Wiens drohte Riess-Passer mit einer
Blockadehaltung in der Europäi
schen Union, in der das Veto eines
Mitglieds «gang und gäbe» sei. «Die
Erfüllung unserer Pflichten in der
EU sind auch abhängig von der Er
füllung der Pflichten gegenüber
uns», betonte die neue Parteichefin.
Ihre Karriere in der FPÖ hatte die
39-Jährige 1987 als Pressespreche
rin begonnen. Seit 1995 war sie Hai
ders Stellvertreterin. Haider drohte
wegen der EU-weiten Sanktionen
erneut mit einem Einfrieren der
österreichischen EU-Beiträge. Aus
serdem wiederholte er seine Idee
einer Volksbefragung zu den Sank
tionen. Ebenso wie Riess-Passer
griff Haider die Sozialdemokraten
scharf an. Sie hätten «dem eigenen
Volk den Krieg erklärt und sind be
reit, es zu demütigen».
Rückblick mit Stolz
Auf seine 14 Jahre als Parteichef,
in denen er die FPÖ von fünf Pro
zent der Stimmen zu einem Anteil
von 27 Prozent führte, blickte der
Kärtner Landeshauptmann voller
Stolz zurück. «Wir haben die bruta
le Ausgrenzungspolitik erfolgreich
überstanden und stellen heute eine
Regierungsmannschaft», sagte Hai
der. Ausserdem habe die FPÖ «der
Meinung des Volkes wieder mehr
Geltung verschafft». Das wichtigste
Ziel sei nun, die FPÖ «zur bestim
menden Gestaltungskraft Öster
reichs zu machen».
Vize-Parteichefs
Zu Stellvertretern Riess-Passers
wählte der Parteitag Peter Westen
thaler, Verteidigungsminister Her
bert Scheibner und den Vorarlber
ger Landeschef Hubert Gorbach.
Nachfolger Westenthalers als Bun
desgeschäftsführer wurde Gilbert
Trattner.
Für mehr soziale Gerechtigkeit
1.-Mai-Feiern - Hunderttausende bei Mai-Kundgebungen in aller Welt
sen zwischen linken und rechten
Demonstranten.
In Serbien demonstrierten Tau
sende von Menschen anlässlich der
Mai-Feiern gegen das Regime des
jugoslawischen Präsidenten Slobo
dan Milosevic.
Hunderttausend in Wien
In Wien demonstrierten bei der
1.-Mai-Kundgebung der Sozialde
mokraten (SPÖ) rund 100000 Men
schen gegen die Mitte-Rechts-Re
gierung. In den vergangenen Jahren
waren oft nicht einmal halb so viele
Teilnehmer zur Mai-Veranstaltung
der stimmenstärksten österreichi
schen Partei gekommen. In
Deutschland sind mit der Forde
rung nach mehr Beschäftigung und
mehr Schutz für Arbeitnehmer nach
Angaben des Deutschen Gewerk
schaftsbundes (DGB) rund eine
halbe Million Menschen auf die
Strassen gegangen.
Bei der zentralen Kundgebung
zum «Tag der Arbeit» in Hannover
nannte Bundeskanzler Gerhard
Schröder (SPD) als Ziel seiner Re
gierung, die Arbeitslosigkeit bis
Herbst 2002 auf «deutlich unter 3,5
Millionen zu bringen».
In Frankreich nutzten Zehntau
sende den 1. Mai zu den traditions
reichen Demonstrationen und
Kundgebungen. Die Gewerkschaf
ten forderten zu einer «Verteilung
des Reichtums» in der Wachstums
phase der französischen Wirtschaft
auf und verlangten eine Umsetzung
der 35-Stunden-Woche ohne Lohn
einbussen.
In London demonstrierten meh
rere Tausend Menschen «gegen den
globalen Kapitalismus». Unter ih
nen waren Umweltschützer und
Anarchisten, die das Zentrum der
britischen Hauptstadt mit einem
«Guerilla-Gartentag» noch grüner
machen wollten. Bei der Kundge
bung kam es zu einzelnen Zwi
schenfällen.
Bei Zusammenstössen zwischen
Polizei und regierungsfeindlichen
Demonstranten wurden in der phi
lippinischen Hauptstadt Manila
zehn Menschen verletzt.
BERN: Hunderttausende Men
schen haben am Montag in aller
Welt an Kundgebungen zum 1. Mai
teilgenommen. Papst Johannes Paul
II. sprach sich am «Tag der Arbeit»
für die Rechte der Arbeiter in der
ganzen Welt aus.
In Italien begingen die katholische
Kirche und die italienischen Ge
werkschaften erstmals den «Tag der
Arbeit» gemeinsam. Der Papst
warnte bei einer Messe unter freiem
Himmel vor 200000 Gläubigen vor
den Risiken der wirtschaftlichen
Globalisierung und forderte einen
Schuldenerlass für die armen Län
der.
In Russland und der Gemein
schaft Unabhängiger Staaten
(GUS) forderten Hunderttausende
mehr soziale Gerechtigkeit. In an
deren ehemals kommunistischen
Staaten des früheren Ostblocks gin
gen Tausende von Menschen auf die
Strassen. In Bulgarien forderten
Demonstranten den Rücktritt der
antikommunistischen Regierung.
Getrennte Kundgebungen in
Moskau
I n Moskau zogen über 25 000 An
hänger der Kommunisten, ange
führt von KP-Chef Gennadi Sjuga
now, und der unabhängigen Ge
werkschaften in getrennten De
monstrationen durch die Innen
stadt. Die Gewerkschaften forder
ten von der Regierung eine Anhe-
bung der Mindestlöhne und - ren-
ten. Soziale Belange standen auch
in ehemaligen Sowjetrepubliken im
Mittelpunkt der Veranstaltungen.
Die polnischen Sozialdemokra
ten (SLD) und der ehemalige staat
liche Gewerkschaftsverband OPZZ - , •'
protestierten an Kundgebungen ge- Mit Spanhung erwartet worden war die Rede der Umstrittenen deutschen PDS-Politikerin Sohra Wagenknecht bei
gen die Arbeitslosigkeit im Land. In der -Afai-Kundgebung in Zürich. Sie rief dazu auf, den «Shareholder-Kapitalismus nicht als letztes Wort der Ge-
Danzig kam es zu Zusammenstös- schichte» hinzunehmen. Die Gewinne der Wirtschaft gehörten den Arbeitern, nicht der Wirtschaft (Bild: Keystone)
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