Liechtensteiner Volksblatt
Kultur
Samstag, 29. April 2000 29
Nachrichten
Der neue Film von Atom
Egoyan Im TaKIno
SCHAAN: Auch in seinem neusten Werk, «Fe-
licia's Journey» bleibt der Kanadier Atom
Egoyan seinen Lieblingsthemen - der Familie,
dem Einfluss der Erinnerung auf die Gegenwart -
treu. Felicia ist eine 17-jährige Irin, die sich mit
nichts mehr als dem Namen ihres Geliebten
nach Birmingham aufmacht, um ihm zu er
zählen, dass sie schwanger ist. Johnny - der an
geblich in einer Rasenmäherfabrik arbeitet -
findet sie zwar nicht, dafür aber Joseph Hilditch,
einen Junggesellen, der ihr bei der Suche behilf
lich ist.
Wie immer in Egoyans Werken, liegt unter
der scheinbar intakten und harmlosen Ober
fläche ein Unheil, das sich dem Publikum Stück
für Stück offenbart. Die scheinbar triviale Ge
schichte des Mädchens auf der Suche nach
ihrem Freund durchsetzt Egoyan mit Rückblen
den, die Felicias Geschichte erläutern. Ihre un
schuldige Liebesaffäre mit Johnny wird durch
die belastete Geschichte zwischen Irland und
England zu einer unmöglichen Affäre, die sie
schliesslich in die Flucht nach England treiben.
Ebenso enthüllt Egoyan eines nach dem ande
ren die schreckliche Wahrheit hinter der Fassa
de Joseph Hilditchs, der oberflächlich das Le
ben eines angesehenen Junggesellen und geach
teten Kantinenchefs führt. Gezeichnet durch ei
ne traumatische Beziehung zu seiner Mutter -
einer berühmten Fernsehköchin - benutzt Hil
ditch hilflose junge Frauen, denen er in ausweg
losen Situationen anfänglich zur Seite steht, die
er am Ende aber umbringt, um sie für immer an
sich zu binden.
«Felicia's Journey» ist am Samstag und Sonntag
jeweils um 20 Uhr im TaKino zu sehen.
Hype!
Eine stille Spiesserstadt am Nordwestende
der USA - von den Tourplänen der meisten
Bands aus Kostengründen verbannt, mit
schlechtem Wetter und Holzfäller-Umgebung -
brachte einen der wichtigsten Jugendtrends der
letzten Jahre hervor: die Grunge-Hochburg
Seattle. Oder war alles nur Hype!? Dog Prays
spannend-hautnaher Dokumentarfilm hinter
fragt ein Musikphänomen, lässt einerseits in be
reits historischen Live-Aufnahmen von bekann
ten und unbekannten Bands die Musik selbst
sprechen, befragt andererseits Augenzeugen,
Macher und Fans und vermittelt schliesslich mit
dem Aufstieg und Zusammenbruch von Nirva-
na sowohl authentische Aufbruchstimmung als
auch finale Frustration. Für alle Musikfans ein
absolutes Muss.
«Hype» ist heute Samstag um 22 Uhr zu sehen.
Berlinale-Chef de
Hadeln muss gehen
BERLIN: Der langjährige Leiter der Interna
tionalen Filmfestspiele Berlin, der Schweizer
Moritz de Hadeln, muss nach der nächsten Ber
linale 2001 gehen. Er war seit 1979 Berlinale-
Chef neben Ulrich Gregor, der dem Jungen Fo
rum vorsteht.
Der Vertrag von de Hadeln lief ursprünglich
bis 2003. Er konnte jedoch von de Hadeln selbst
oder dem Kuratorium der Berliner Festspiele
auch vorher aufgelöst werden.
Die Entscheidung des Kuratoriums gegen de
Hadeln wurde dem 59- jährigen Schweizer am-
Freitag von Berlins Kultursenator Christoph
Stölzl mitgeteilt. Stölzl dankte de Hadeln
gleichzeitig für sein über zwei Jahrzehnte dau-.
erndes Engagement für die Filmstadt Berlin.
Er betonte, de Hadeln habe die Berlinale in
politisch bewegten Zeiten zu einem ebenso re
nommierten wie identitätsstiftenden Aushänge
schild der Stadt gemacht. Seine Arbeit sei ge
krönt worden durch den diesjährigen erfolgrei
chen Umzug des Festivals an den Potsdamer
Platz, einem Symbol des wiedervereinigten neu
en Berlin.
Eine Entscheidung über die Nachfolge soll bis
zum Sommer getroffen werden, teilte die Kultur
verwaltung mit. Unmittelbar vor der Entschei
dung sagte de Hadeln, er fühle sich mit 59 noch
nicht alt genug, um aufzuhören. «Es gibt noch viel
zu tun. Natürlich stehe ich zur Verfügung. Ich ha
be nicht etwas aufgebaut, um das ausgerechnet
jetzt im Stich zu lassen. Über Veränderungen kann
man immer reden.» Er vermisse jedoch eine ob
jektive Bewertung, «wo die Filmfestspiele 1980
waren und wo sie heute stehen». Die jetzige Ent
wicklung schade der Berlinale, auch ihm persön
lich in der internationalen Filmwelt. «Niemand
versteht, was ich getan haben soll. Habe ich silber
ne Löffel gestohlen?» Kritik an den jeweiligen
Auswahlentscheidungen für das Festival sei nor
mal und gebe es auch in Cannes und in Venedig.
Wenn Mund und Füsse zu
Händen werden»
Internationale Kunstausstellung vom 9. bis 21. Mai 2000 in Vaduz
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Die drei neuen Liechtensteiner Briefmarken («Frieden 2000»), die von mund■ und fussmalenden Künstlern geschaffen wurden.
Anlässlich der Briefmarken«
ausgabe zum Thema «Rieden
2000» vom 9. Mai organisiert
die Vereinigung der Mund- und
Fussmalenden Künstler
(VDMFK) erstmals nach 14
Jahren wieder eine Kunstaus
stellung in Vaduz. Vom 9. bis 21.
Mai 2000 sind im Vaduzer-Saal
über 60 bemerkenswerte Expo
nate von mund- und fussmalen
den Künstlern aus aller Welt zu
sehen. Die Schutzherrschaft
über diese Ausstellung hat I. D.
Fürstin Marie von und zu
Liechtenstein übernommen.
1995 lud die Vereinigung der Mund-
und Fussmalenden Künstler in aller
Welt ihre Mitglieder ein, sich mit
dem Thema «ein Bild des Friedens»
auseinanderzusetzen. 285 Mund-
und Fussmalende schickten rund
550 Bilder ein. Die Beurteilung die
ser künstlerischen Schöpfungen er
gab ein nuanciertes Verständnis des
Begriffes «Frieden». Die bedeu
tendsten Beiträge sind in einem
Buch zusammengefasst worden.
Dieses Buch war der v Gedankenan-
stoss und bildetet die Grundlage für
eine neue Liechtensteiner Briefmar
kenserie unter dem Titel «Frieden
2000». Die Briefmarkenkommission
des Fürstentums Liechtenstein hat
sich für drei Sujets aus dem Buch
entschieden, welche von Künstlern
aus drei ganz unterschiedlichen Kul
turkreisen stammen.
Die Künstler
Der Italiener Antonio Martini hat
seiner Darstellung den Titel «Frie
denstaube» gegeben (CHF 1.40).
Martini ist seit seiner Geburt 1941
Spastiker und malt seit 1961 mit dem
Fuss. Der Argentinier Alberto Alva-
rez leidet seit seiner Geburt 1959 an
einer Gehirnlähmung, ist zeitlebens
an einen Rollstuhl gefesselt und hat
seine bildnerische Begabung als
Mundmaler durchzusetzen verstan
den. Seine eindrückliche Darstel
lung unter dem Titel «Weltfrieden»
ist auf dem Wertzeichen zu CHF
1.70 wiedergegeben. Mit dem 1955
geborenen Eiichi Minami ist
schliesslich ein Japaner dabei, der
als Folge eines Sportunfalls seit
1972 vollständig gelähmt ist. Er
konnte sich als Mundmaler behaup
ten. Seinem Gemälde gab er den
Namen «Regenbogen».
Kunst-Ausstellung
Die Briefmarkenausgabe vom 9.
Mai 2000 ist der Anlass für eine In
ternationale Kunstausstellung der
Vereinigung der Fuss- und Mund
malenden Künstler (VDMFK). Seit
über 40 Jahren hat die Vereinigung
ihren Sitz in Liechtenstein. Die letz
te VDMFK-Ausstellung in Liech
tenstein fand 1986 im Rathaussaal
in Vaduz statt und hat viele positive
Reaktionen ausgelöst. Die Ausstel
lung wird vom 9. bis 21. Mai 2000 im
Vaduzer Saal frei zugänglich sein.
Die Besuchszeiten sind durchge
hend von 11 bis 19 Uhr.
Vemissage am 8. Mai
Die Vernissage für geladene Gäste
findet am Montag, 8. Mai 2000 um 18
Uhr im Beisein aller drei VDMFK-
Künstler im Vaduzer-Saal statt. Die
Eröffnungsrede hält die VDMFK-
Präsidentin Mrs. Marlyse Tovae. Die
Schutzherrschaft über die Veranstal
tung hat I. D. Fürstin Marie von und
zu Liechtenstein übernommen. Fürs
tin Marie von und zu Liechtenstein
wird evtl. an der Vernissage persön
lich teilnehmen.
Eine Reise*4|irch die Köpfe
Kopfleuchten ■
Der Dokumentarfilm Kopfleuchten
läuft vom 1. bis 3. Mai 2000 im Kino
Schreiber in Vaduz. Der Film han
delt von Menschen mit Krankheiten
und Verletzungen des Gehirns. Die
se Menschen erleben die Welt an
ders. Im Kopf. Also auch in der
Wirklichkeit.
Der Dokumentarfilm Kopfleuchten
ist eine Reise. Durch die Köpfe. Ge
zeigt werden die Welten von neun
hirnverletzten Menschen. Der Film
will nicht Mitleid erwecken, nicht
belehren, nicht anklagen. Was der
Film Kopfleuchten der beiden Fil
memacher Mischka Popp und Tho
mas Bergmann will, ist ein realitäts
nahes Porträt dieser Menschen zei
gen, um damit vielleicht etwas Ver
ständnis bei nicht direkt Betroffe
nen zu wecken. Der Film zeigt auch
einmal mehr: Es kann jeden treffen.
Eine Hirnverletzung kommt oft aus
heiterem Himmel. Die Folgen einer
solchen dagegen bleiben ein Leben
lang. Dazu Mischka Popp und Tho
mas Bergmann: «Wir wollten keine
<kalte> Sammlung von Fällen, kein
Kabinett der Abstrusitäten. Der
Film selbst soll eine Reise sein, eine
Expedition in ein Gebiet, von dem
Doris Lessing sagt: <Es macht uns
bewusst, dass wir auf Messers
Schneide leben.> Wir berichten von
denen, die diese <Balance auf Mes-
REKLAME
ein Film wie eine Reise durch die Köpfe
sers Schneide> verloren haben und gung für hirnverletzte Menschen, ist
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in unglaubliche Abgründe gefallen
sind. Es ist nicht nur traurig da. Es
gibt auch helle Komik darin und
schwarze Groteske. Und Wunder.»
Eine faszinierende und
beängstigende Reise
Was den Film so brillant und le
bensnah macht, ist seine eigene
Sprache r die der hirnverletzten
MenscheA. Der Zuschauer kommt
im Verlaufe des Films zur Einsicht,
dass diesö Sprache auch seine eige
ne ist. Die Welt der Hirnverletzten
ist dem Betrachter deshalb nicht
fremd. Im Film «Kopfleuchten»
kommen ausschliesslich Betroffene
zu Wort. Und das genau ist es, was
bei den Zuschauern einen so ergrei
fend wirklichkeitsnahen Eindruck
hinterlässt... Die beiden Filmema
cher haben Menschen besucht, die
durch einen Unfall, eine Krankheit
oder auch ganz unvermittelt unter
einer Schädigung des Gehirns lei
den. Dienicht mehr wissen, wer die
Frau ist, mit" der sie zusammenle
ben. Die unter rätselhaften Zuckun
gen und Ucksi leiden, denen die All
tagsgegenstände fehlen. Die Hilflo
sigkeit dieser'Menschen erschreckt,
gleichzeitig ist ihr Mut zu bewun
dern, trotz der körperlichen und vor
allem geistigen Beeinträchtigungen
nicht aufeugeben.
Da ist^um Beispiel Christian. Ein
junger Mann, der an einer Uni stu
diert und eigentlich ein ganz norma
les Leben führt. Wenn diese Ticks
nicht wären. «Eigentlich kommt die
Ruhe zu mir, wenn sie will und
nicht, wenn ich es will. Das ist ei
gentlich ziemlich schrecklich», sagt
Christian, und meint die unkontrol
lierbaren Bewegungen und Laute,
die kommen und gehen, wies ihnen
passt. Christian muss mit ihnen le
ben, sich mit ihnen arrangieren.
Fragile Suisse - für und mit
himveiletzten Menschen
i
In Zusammenarbeit mit Fragile
Suissö,aer Schweizerischen Vereini-
der in Deutschland preisgekrönte
Film (hessischer Kulturpreis 1998)
auch in der Schweiz in die Kinos ge
kommen. Fragile Suisse ist die In-
teressensvertretung hirnverletzter
Menschen, mit der Betroffene und
ihre Angehörigen in die Öffentlich
keit treten. Jährlich ziehen sich rund
19 000 Menschen in der Schweiz ei
ne Hirnverletzung zu. Hauptursa
chen sind Schlaganfälle und Unfäl
le. "frotz dieser grossen Zahl von Be
troffenen ist das Thema «Hirnver
letzung» erst wenig in der Öffent
lichkeit präsent. Tatsache aber ist,
dass Hirnverletzung das Leben der
Betroffenen und ihrer Angehörigen
total verändert - die Lebensper
spektiven für beide sind massiv ein
geschränkt.
Eragile Welt
Durch eine Hirnverletzung kann
sich alles ändern, was einen Men
schen ausmacht. Sprache muss neu
gelernt, Beziehung neu erfahren
werden. Für die verletzten Men
schen ist die neue Welt zerbrechlich,
fragil. Rehabilitation ist schwierig,
weil es keine «typische Hirnverlet
zung» gibt und jede Verletzung an
dere Folgen hat. Rehabilitation
braucht Mut und Geduld, nie ist ge
wiss, welche Fähigkeiten wieder er
lernt werden können und welche
verloren bleiben.
Russlanp
Beutekunst
freigegeben
MOSKAU: Russland hat gestern
erstmals seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs die Rückkehr von ver
schleppter «Beutekunst» nach
Deutschland erlaubt.
101 Zeichnungen und Druckgra
fiken aus der Bremer Kunsthalle,
die ein sowjetischer Offizier eigen
mächtig mitgenommen hatte, wer
den schon am Sonntag in der Han
sestadt gezeigt werden können.
Knapp 55 Jahre nach Ende des
Zweiten Weltkriegs geben sich
Deutschland und Russland erstmals
gegenseitig «Beutekunst» zurück.
Der russische Kulturminister Mi
chail Schwydkoi übergab dem deut
schen Kulturminister Michael Nau
mann und dem Bremer Bürgermei
ster Henning Scherf am Freitag die
Ausfuhrgenehmigung für die Bre
mer Werke.
Im Gegenzug werden Naumann
und Scherf am Samstag im Kathari
nenpalast in St. Petersburg ein in
Deutschland aufgetauchtes Mosaik
und eine Kommode aus dem legen
dären Bernsteinzimmer im Beisein
des neuen russischen Präsidenten
Wladimir Putin zurückgeben.
Rückführung weiterer Werke
Deutschland beharre aber auch
nach der Rückführung der Bremer
Werke auf der Rückgabe von weite
ren etwa 300 000 verschleppten
Kunstwerken und Millionen
Büchern aus Russland, entspre
chend dem Völkerrecht und der bi
lateralen Verträge," sagte Naumann
in Moskau. Die russische Regierung
hat Deutschland die Einrichtung eig
ner neuen gemeinsamen Kommissi
on für die Lösung des «Beute-
kunst»-Problems vorgeschlagen.
Das Gremium solle einen Ausweg
aus den unterschiedlichen Rechts
positionen suchen, sagte Schwydkoi
nach dem Treffen mit Naumann und
Scherf. «Wir können schon bald mit
normalen Verhandlungen anfan
gen.»