Liechtensteiner Völksblatt
Seite der FBPL
Mittwoch, 19. April 2000 s
«Unser Solidaritätsdefizit ist die
verwundbare Stelle schlechthin»
Referat von Alt-FBPL-Parteipräsident Hans jörg Marxer anlässlich der Veranstaltung Finanzplatz Liechtenstein-Wut alle!
Im Rahmen der FBPL-Veranstal
tung «Finanzplatz Liechtenstein -
Wir alle!» hielt Alt-Parteipräsi-
dent Hansjörg Marxer das Ein
gangsreferat. Er hatte die Aufga
be übernommen, den Finanzplatz
Liechtenstein aus der Sichtweise
eines Aussenstehenden zu be
leuchten. Nachfolgend veröffent
lichen wir Auszüge aus dem Refe
rat von Hansjörg Marxer im Wort
laut.
Sicher ist es Ihnen in den letzten Jahren
genau so ergangen wie mir: Im Ausland
kannte man Liechtenstein wegen der
interessanten Briefmarken, der erfolg
reichen Skifahrer - und nicht zuletzt,
weil wir keine Steuern zu entrichten
hätten. Wir wurden eigentlich immer
freundlich aufgenommen, weil wir aus
einem so netten, kleinen Fürstentum
kamen. Und das, obwohl man uns we
gen der Steuerprivilegien doch etwas
beneidete. Wenn ich jedoch um Details
oder Hintergründe dieses wunderbaren
Finanzplatzes gefragt wurde, konnte ich
nur ausweichend antworten, dass es da
bei wohl um Geschäfte ginge, durch die
im Ausland irgendwie Steuern gespart
würden oder so.
Was kann also jemand, der nicht im
Finanzdienstleistungssektor beschäftigt
ist, zur heutigen Diskussion Uberhaupt
beitragen? Wer von uns kennt das Fi
nanzdienstleistungsgewerbe, die Struk
turen, Hintergründe und Ideen von Fir
menkonstruktionen, Holdings, Trusts
oder Stiftungen in dem Masse, dass er
einschätzen kann, was auf diesem Sek
tor eigentlich alles geschehen könnte?
Das geht uns alles ohnehin nichts an.
Es geht uns jedoch sehr viel an. Die Ak
tualität zwingt uns geradezu, endlich
Fragen zu einer wichtigen Quelle unse
res Wohlstandes zustellen! Genau dieser
Prozess soll am heutigen Abend durch
die folgenden Fachreferate und Diskus
sionen in Gang gesetzt werden.
Wir sind beunruhigt, verletzt oder
empört über die negative Presse, die
Liechtenstein in den letzten Monaten in
den internationalen Medien hatte. Han
delt es sich hier um eine längst fällige,
seriöse Aufdeckung von kriminellen
Machenschaften, in die alle Institutio
nen unseres Staates verwickelt sind?
Oder sind es böswillige Verleumdun
gen, getragen von Neid und nicht zu
letzt vom politischen Willen die Positi
on des Steuerparadieses Liechtenstein
Was kann ein
Aussenstehender
Beitragen?
innerhalb der europäischen Staatenge
meinschaft zu schwächen? Für den
deutschen Bundesnachrichtendienst
wäre dies nicht der erste Versuch sich in
die Interna anderer Staaten einzumi
schen.
Tatsache ist, dass nicht nur unser Fi-
nanzdienstieistungssektor, sondern
wirklich das ganze Land, von der Re
gierung, über die Verwaltung und die
Richter bis hin zum einfachen Bürger -
also auch Sie und ich - dem Vorwurf
von kriminellen Geldgeschäften zu pro
fitieren, ausgesetzt ist. Können wir zur
Tagesordnung übergehen, nachdem ein
neutraler Sonderstaatsanwalt zumin
dest die Institutionen des Staates von
den Vorwürfen krimineller Machen
schaften befreit hat?
Ist mit der Feststellung, dass keine
Hinweise auf eine Beteiligung höchster
Regierungs-, Amts- und Richterkreise
an kriminellen Machenschaften gefun
den werden konnten, dieser Vorwurf
für das Ausland wirklich vom Tisch?
Oder sagt man sich dort vielleicht, dass
diese Erkenntnis des Sonderstaatsan
walts noch lange nicht schlüssig bewei
se, ,dass diese Kreise wirklich frei von
Schuld sind? Mit dieser Frage müssen
sich wohl die Betroffenen noch weiter
auseinandersetzen.
Was ist aber mit uns? Wir Liechten
steiner wurden pauschal krimineller
Machenschaften bezichtigt! Wie haben
wir darauf reagiert? Möglicherweise
haben wir die ganzen Vorwürfe als Un
sinn abgetan, der uns im Grunde ge
nommen gar nichts angeht. Möglicher
weise haben wir uns aber gesagt, dass es
eine Frechheit ist, uns krimineller Ma
chenschaften zu bezichtigen ausgerech
net uns, die wir ja gar nichts mit dem Fi
nanzdienstleistungssektor zu tun ha
ben. Da wird von einigen wenigen kri
minelles Geld gescheffelt, und wir un
beteiligten, arglosen Bürger verlieren
unseren guten Ruf. Wir sind da nicht
verantwortlich - die Schuld liegt bei
den anderen.
Einer
Medienkampagne auf
den Leim gegangen
Ähnlich mögen viele aus dem Finanz
dienstleistungssektor gedacht haben.
Sie haben, sich wohl gesagt: Ich mache
nur seriöse Geschäfte und muss nun die
Folgen krimineller Geschäfte der ande
ren voll mittragen, indem mir die
Grundlage meines Gewerbes - der gute
Ruf des Finanzplatzes Liechtenstein -
zerstört wird. Erneut: Ich bin nicht
schuldig - die anderen sind die bösen.
Wir alle sind einer gezielten Medien
kampagne auf den Leim gegangen. Wir
wurden pauschal angeklagt. Um die
Vorwürfe von uns selbst abzuhalten, ha
ben wir sie pauschal und unkritisch an
alle oder zumindest an einige Treuhän
der weitergeleitet. Unkritisch deshalb,
weil wir im Eifer uns selbst von diesen
Vorwürfen reinzuwaschen, nicht einmal
die Frage gestellt haben, ob die Vorwür
fe von der Sache her überhaupt ge
rechtfertigt sind. Damit haben wir den
bisher unbewiesenen Behauptungen im
Grundsatz die Qualität der Glaubwür
digkeit gegeben: Wenn wir sagen, die
anderen sind schuld, gehen wir unzwei
felhaft davon aus, dass es überhaupt ein
schuldhaftes Verhalten gegeben hat,
was in einem Rechtsstaat wohl erst
nach einem ordentlichen Verfahren, auf
keinen Fall aber aufgrund anonymer
Verleumdungen behauptet werden
darf.
Die Anschuldigungen sind in Liech
tenstein angekommen und werden - so
erwarten wir alle - konsequent über
prüft. Was ist aber mit dem anonymen
Informanten, der in Liechtenstein ver
mutet wird? Nachforschungen in diese
Richtungen sind meiner Meinung nach
ebenso wichtig wie die Untersuchung
der Vorwürfe an den Finanzplatz Liech
tenstein und seine Repräsentanten.
Die Aussage des Regierungschefs,
dass es rein statistisch gesehen wahr
scheinlich Fälle von Geld Wäscherei in
Liechtenstein gebe, trägt keine sinnvol
len Erkenntnisse zur Handhabung des
Problems bei. Mir scheint es für unse
ren Finanzplatz sinnvoller zu sein, die
Ergebnisse der Untersuchungen abzu
warten, anstatt die anonymen Vorwürfe
in einer derart sensiblen Angelegenheit
noch mit persönlichen Wahrscheinlich
keitsbetrachtungen zu würzen.
Wir sind einer Medienkampagne auf
den Leim gegangen. Diese Medienkam
pagne ist deshalb so erfolgreich, weil es
uns an der notwendigen Solidarität
mangelt. Dieses Solidaritätsdefizit wird
gezielt ausgenutzt, um unsere Gemein
schaft in ihrer Kritikfähigkeit und Ob
jektivität zu schwächen. Durch dieses
emotionale Ablenkungsmanöver wird
die Grundlage geschaffen, um etwas zu
erreichen, was bei objektiver Betrach
tungsweise nicht möglich wäre. Zwei
Beispiele:
Die Regierung hat zur Vorbereitung
der Revision des Krankenkassengeset
Alt-FBPL-Parteiprüsident Hansjörg Marxer:« Wir sind einer Medienkampagne auf
den Leim gegangen. Diese Medienkampagne ist deshalb so erfolgreich, weil es uns
an der notwendigen Solidarität mangelt.» (Bild: Dietmar Stiplovsek)
zes in einer Medienkampagne verbrei
tet, die Ärzte verdienten zu viel und
deshalb sei unser Gesundheitswesan
nicht mehr bezahlbar. Die Rechnung
scheint aufgegangen zu sein. Die Liech
tensteiner wurden darauf eingestimmt,
dass die Ärzte durch ihre hemmungslo
sen Honorare das Gesundheitswesen
unbezahlbar machten. Dies wurde ver
breitet, obwohl in Liechtenstein bisher
keine verlässlichen Analysen über die
Kostenentstehung und Verteilung im
Gesundheitswesen gemacht wurden,
obwohl dies von Vertretern der Leis
tungserbringer im Gesundheitswesen
schon länger gefordert wurde. Die Ärz
te wurden pauschal diskreditiert, ob
wohl klar war, dass wir ein ausgezeich
netes Gesundheitswesen zu einem im
internationalen Vergleich günstigen
Preis hatten. »i «!•
Obwohl die meisten von uns immer
wieder froh sind, bei einem kompeten
ten Arzt Hilfe zu erhalten, wurde die
Propaganda der Regierung kritiklos ge
schluckt. Da es ja nur den Ärzten an
den Kragen ging, hat man sich mit den
wahren Inhalten des neuen Gesetzes
gar nicht auseinandergesetzt. Das Re
sultat der Revision wird übrigens wohl
in erster Linie eine Aufblähung der Ver
waltung und eine daraus resultierende
Kostensteigerung sein,'die man dann
wohl wieder deij Ärzten anlasten wird.
Ein weiteres Beispiel ist die Verun
glimpfung unserer vom Volk gewählten
Gegenüber clen
Nachkommen
verantwortlich
Politiker durch den Landesfürsten. Un
ser Staatsoberhaupt bezichtigt unsere
gewählten Vertreter pauschal des politi
schen Filzes. Viele denken' wohl: End
lich sagt jemand den Herren Politikern
die Meinung! Über did Schadenfreude,
dass es den anderen an den Kragen
geht, vergessen wir dabei jedoch, dass
wir für diesen vermeintlichen Filz -
wenn es ihn wirklich gibt - mitverant
wortlich sind. Wenn der Fürst unsere
Politiker anklagt, klagt er damit uns al
le an. Wir sind verantwortlich für die
von uns gewählten Politiker.
• Ebenso werden wir unseren Nach
kommen gegenüber dafür verantwort
lich sein, wenn wir an der Urne über die
Verfassungsinitiative des Fürsten ab
stimmen werden. Auch hier laufen wir
Gefahr, einer Medienkampagne auf
den Leim zu gehen: Zur Diskussion
steht die Frage der demokratischen Er
rungenschaften, die Frage ob und wie
viel Rechte das Volk abgeben soll - auf
keinen Fall die Frage ob wir. weiterhin
zur Monarchie stehen. ,
Die Ursache der heute im Trend lie
genden Politikverdrossenheit den von
uns gewählten Vertretern und ihrer Po
litik anzulasten, ist erstens dumm, weil
wir selbst für diese Vertreter verant
wortlich sind und zweitens eine faule
Ausrede dafür, dass wir uns nicht selbst
in der Politik engagieren.
Man könnte diese Liste der gezielten
Entsolidarisierung wahrscheinlich noch
lang ergänzen. Wenn ich am Stamm
tisch pauschal über die Beamten
schimpfe, werden mir wahrscheinlich
alle - ausser natürlich den Beamten -
zustimmen. Es wird sich mir wahr
scheinlich niemand entgegenstellen,
der mir seine guten Erfahrungen mit
fähigen Beamten entgegenhält. Ich
könnte auch pauschal über die Archi
tekten, Handwerker oder was Sie auch
immer wollen, schimpfen. Ich würde
Beifall bekommen, ausser natürlich von
den gerade Betroffenen.
Möglicherweise ist dieses fatale Soli
daritätsdefizit eine Folge unseres Wohl
stands. Solidarität wird wohl erst dann
zu einem Thema, wenn es einem
schlecht geht. Unser Solidaritätsdefizit,
sei es zu den Ärzten, zu den Treuhän
dern oder zu den Politikern ist aber die
verwundbare Stelle schlechthin, an der
unser Staat geschwächt wird: Mangeln
de Solidarität verursacht eine Anfällig
keit auf emotionale Ablenkungs
manöver hereinzufallen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen,
dass von aussen her nachhaltig ein mas
siver Druck auf unser kleines Land auf
gebaut wird. Wenn wir nur die geringste
Chance diesem Druck standzuhalten
wahrnehmen wollen, müssen wir im In
nern in wichtigen Fragen näher zusam
menfinden und gegenseitiges Vertrauen
aufbauen.
Die Juristen mögen mir nachsehen,
dass ich eine grundsätzliche Kritik an
bringe. In geradezu inflationärer Weise
werden Grundrechte und Menschen
rechte postuliert. Daraus werden dann
Rechtsansprüche abgeleitet: Man kann
etwas einfordern, etwas von der Ge
meinschaft verlangen. Das ist natürlich
sehr komfortabel. Meines Erachtens
mUsste unser Denken aber auf Grund
pflichten, auf Grundverantwortungen
aufgebaut werden.
Einforderbare Rechte bedeuten
doch einfach, dass wir in unserer Kon
sumgesellschaft selektiv jeweils die
Rechte wahrnehmen, die uns gerade
passen. Hinter dem Wahl- und Stimm
recht zum Beispiel steht nicht nur das
Recht, vielmehr die Pflicht an die Urne
zu gehen, die Pflicht Verantwortung
wahrzunehmen. Mit der Wahrnehmung
des Wahlrechts übernehmen wir die
Verantwortung für die Politiker, die wir
gewählt haben. Und wenn wir einen
falschen Politiker gewählt haben, ste
hen wir in der Verantwortung, bis wir
den Fehlentscheid wieder korrigiert ha
ben.
Wir sind für die von uns gewählten
Politiker verantwortlich. Für den Fi
nanzplatz Liechtenstein sind wir sogar
in zweifacher Hinsicht verantwortlich:
Erstens über die von uns gewählten Po
litiker und die von ihnen beschlossene
Gesetzgebung, die durch Standortvor
teile unseren Finanzplatz überhaupt er
möglicht. Und wohl gemerkt: Die Ge
setzgebung macht nur dann Sinn, wenn
die exakte Durchführung der Gesetze
gewährleistet ist.
Zweitens sind wir alle - unabhängig
von unserem Beruf - in erheblichem
Ausmass an den Gewinnen des Finanz
platzes beteiligt: Der Staatshaushalt
wird mit Einnahmen aus dem Finanz
sektor komfortabel genährt, wir haben
eine geringe Steuerquote, es gibt Ar
beitsplätze, Aufträge für unser Gewer
be, Konsum und so weiter. Wir sind si
cher zurecht stolz auf unsere wirtschaft
liche Lage, stolz darauf, dass wir so
tüchtig sind. Aber mit Tüchtigkeit allein
ist es noch nicht getan. Wir verdanken
einen grossen Teil unserer Prosperität
den günstigen Rahmenbedingungen,
die nun sicher diskutiert werden müs
sen.
Wir können also nicht einfach sagen,
der Finanzplatz Liechtenstein und die
Vorwürfe gegen den Finanzplatz Liech
tenstein gingen uns nichts an. Vielmehr
müssen wir uns gerade jetzt die Frage
stellen, ob und in welchem Ausmass wir
weiter zu dem Finanzplatz Liechten
stein stehen. Soweit ich mich informie
ren konnte, bietet unser Treuhandsek
tor seinen Kunden wichtige und sinn
volle Produkte an.
Ich habe schon gehört, dass wir die
bisherige Politik im Finanzdienstleis
tungssektor schon deshalb beibehalten
sollten, weil sonst einfach andere das
Geschäft machten. Das würde einmal
mehr bedeuten, das wir im Grunde ge
nommen davon ausgehen, dass die Ge
schäfte nicht immer in Ordnung sind.
Das genügt mir als Rechtfertigung für
den Finanzplatz Liechtenstein nicht.
Wir müssen mit Überzeugung sagen
können: Die Weiterführung unserer Fi
nanzdienstleistungen ist deshalb sinn
voll, weil wir kompetent und seriös gute
Produkte anbieten können.
Ein Gedanke zum Schluss: Im Zu
sammenhang mit der EWR-Diskussion
sollte uns allen bewusst geworden sein,
dass Liechtenstein in erheblichem Aus
mass vom Finanzdienstleistungssektor
abhängig und damit verwundbar ist.
Die Versuche von aussen unseren Fi
nanzplatz zu kriminalisieren zeigen,
dass die vor der EWR-Abstimmung
propagierte Einschätzung, man habe in
der EU schon Verständnis für den Son
derfall Liechtenstein, eine geradezu
sträfliche Verkennung der Realität war.
Für mich stellt sich die Frage, ob vor
dem Hintergrund, dass wir eigentlich
schon zu stark vom Finanzdienstleis
tungssektor abhängig und dadurch
leicht verwundbar sind, die Entschei
dung, Liechtenstein zu einem Banken
platz auszubauen, sinnvoll war.