Liechtensteiner Volksblatt
Ausland
Montag. 10. April 2000 23
Nachrichten
CDU will Neuanfang
machen
ESSEN: Nach Monaten der Skandale und Er
schütterungen will die CDU zur Sachpolitik
zurückkehren. Den ersten Schritt stellt der Par
teitag vom Montag in Essen mit der Neuwahl
der Führungsspitze dar. «Wir müssen einen
Neuanfang machen», sagte der scheidende Par
teichef Wolfgang Schäuble nach den vorberei
tenden Sitzungen von Präsidium und Vorstand
am Sonntagnachmittag. Er sei sich sicher, dass
«der Parteitag wirklich zur Sache kommen
wird». Zuvor hatte auch die künftige Parteivor
sitzende Angela Merkel klargestellt, die CDU
brauche neue inhaltliche Orientierung: «Unser
Motto heisst: Zur Sache!» Die Partei müsse jetzt
wieder den Streit mit der Bundesregierung auf
nehmen. In Essen soll neben Merkel die gesam
te Führung der CDU neu gewählt werden. Zu
dem sollen durch Änderungen der Finanzstruk
tur Konsequenzen aus dem Spendenskandal ge
zogen werden. Auch drastische Sparmassnah-
men sind vorgesehen.
Papst spricht
Geistliche selig
ROM: Papst Johannes Paul II. hat am Sonntag
in Rom einen deutschen Priester, einen kolum
bianischen Geistlichen und drei Ordensschwes
tern selig gesprochen. An der Zeremonie auf
dem Petersplatz in Rom nahmen nach Angaben
des Vatikans etwa 40 000 Menschen teil.
Einigung über Waffen
stillstand in Kongo
NAIROBI: Die Kriegsparteien in der Demo
kratischen Republik Kongo haben sich auf ei
nen neuen Waffenstillstand geeinigt. Der briti
sche Radiosender BBC meldete am Sonntag,
dass die Waffen vom M.April an schweigen sol
len. Diese Vereinbarung sei nach langwierigen
Verhandlungen der gemeinsamen Militärkom
mission erreicht worden. Darin sitzen Vertreter
der Regierung der Demokratischen Republik
Kongo (ehemaliges Zaire) und fünf weiterer
afrikanischer Staaten sowie Abordnungen der
Rebellen.
Grenzgebiet mit
Raketen beschossen
KIRJAT SCHMONA/TYRUS: Das Grenzge
biet zwischen Südlibanon und Israel ist am
Sonntag von Libanon aus mit Raketen beschos
sen worden. Die israelische Hilfsmiliz SLA mel
dete, ein sechsjähriges Mädchen sei dabei un
weit der Grenze verletzt worden. Einige der
zwölf Katjuscha-Raketen trafen auch den Nor
den Israels. Wenige Stunden zuvor waren bei is
raelischen Bombenangriffen vier libanesische
Zivilisten verletzt worden. Dies wiederum war
ein Vergeltungsangriff, weil die schiitische His
bollah-Miliz zuvor zwei Mitglieder der israeli
schen Hilfsmiliz SLA verletzt hatte. Israel will
seine Truppen bis Ende Juli aus Südlibanon ab
ziehen.
Barak reist nach
Washington
WASHINGTON: US-Präsident Bill Clinton
schaltet sich erneut persönlich in die Friedens
suche im Nahen Osten ein. Das US-Präsidial
amt teilte mit, Clinton habe Israels Regierungs
chef Ehud Barak für Dienstag zum Gespräch
nach Washington gebeten. Nach Medienberich
ten will Barak vor allem über eine mögliche Be
schleunigung der israelisch-palästinensischen
Verhandlungen sprechen. Am 20. April 2000
empfängt Clinton Palästinenserpräsident Jassir
Arafat. Auf dem Washingtoner Luftwaffen
stützpunkt Bölling verhandeln Experten zurzeit
über die dritte und letzte Phase des israelischen
Abzuges aus dem besetzten Westjordanland.
Peru wählt Präsidenten
und Parlament
LIMA: In Peru sind am Sonntag nach einem als
äusserst unfair kritisierten Wahlkampf für das
Präsidentenamt Staatschef Alberto Fujimori
(61) und Alejandro Toledo (54) in einem Kopf-
an-Kopf-Rennen gegeneinander angetreten.
Fujimori strebt eine von der Verfassung verbo
tene dritte Amtszeit an. Es wurde mit einer
Stichwahl gerechnet, da keiner der beiden Spit
zenreiter auf mehr als 50 Prozent der Stimmen
hoffen konnte. Weitere sieben Kandidaten gal
ten als chancenlos.Trotz zahlreicher in- und aus
ländischer Wahlbeobachter wurden massive
Wahlfälschungsversuche zu Gunsten Fujimoris
befürchtet.
Dramatische Zitterpartie
Wahlen in Griechenland - ND und Pasok bei Redaktionsschluss fast gleichauf
ATHEN: Die Parlamentswah
len in Griechenland wurden in
der Nacht zum Montag zu ei
ner Zitterpartie für die beiden
grossen Parteien des Landes.
Sie lieferten sich bis am späten
Sonntagabend ein spannendes
Rennen mit wechselnder
Führung.
Nach Auszählung von 10,2 Prozent
der Stimmen lag die regierende Pan
hellenische Sozialistische Bewegung
(Pasok) von Ministerpräsident
Kostas Simitis nach Angaben der
zentralen Wahlkommission mit 44,2
Prozent knapp in Front. Die bürger
liche Neue Demokratie (ND) von
Oppositionsführer Kostas Karam-
anlis verbuchte 42,1 Prozent. Mei
nungsforscher sahen bis zu einem
Ergebnis eine lange Wahlnacht vor
aus. «Es wird einen Kampf Stimme
um Stimme geben»,sagte ein Exper
te. Die Resultate aus den Ballungs
zentren standen noch aus.
Nach den Prognosen wird die
Kommunistische Partei (KKE) im
neuen griechischen Parlament ver
treten sein. Ihr wurden 5,3 Prozent
gegeben.
Dagegen bangten zwei kleinere
Linksparteien, das Bündnis der Lin
ken (SYN) und die Demokratische
Sozialbewegung (DIKKI), um den
Einzug ins Parlament. Sie sollen den
Prognosen nach knapp über der er-
Geinäss Einschätzungen war die Beteiligung an der Wahl in Griechenland
rege. Für die rund neun Millionen Berechtigten bestand Wahlpflicht.
forderlichen Drei-Prozent-Hürde
liegen. Simitis von der Pasok sagte
nach seiner Stimmabgabe im Hafen
von Piräus.es werde für die Fortset
zung des wirtschaftlichen Fort
schritts und mehr Wohlstand für al
le gewählt. Er appellierte noch ein
mal an alle Griechen, den Kurs fort
zusetzen, der in den vergangenen
Jahren zum Erfolg geführt habe.
Karamanlis, der in Thessaloniki
wählte, erklärte, er sei sicher, dass in
Griechenland mit dieser Wahl eine
neue Seite der Politik aufgeschlagen
werde. Er ist der Neffe des früheren
Staats- und Ministerpräsidenten
Konstantin Karamanlis.
Bis auf die Zeit von 1990 bis 1993
ist Griechenland seit 1981 Pasok re
giert worden. Zuletzt hatte sie im
Parlament eine Mehrheit von 161
der 300 Sitze. Die ND war mit 103
Sitzen vertreten.
Simitis hatte die Wahlen um fünf
Monate in der Hoffnung vorgezogen,
eine breite Mehrheit für seine Politik
zu gewinnen, mit der er das Land in
die Europäische Währungsunion
führen will. Er konnte vor allem auf
wirtschaftliche Erfolge verweisen:
Der 64-Jährige hat es geschafft, die
Inflation zu bremsen, das Staatsdefi
zit zu verringern und ein Wachstum
von 3.5 Prozent zu erreichen.
Karamanlis (44) hat dagegen für
sein Ziel geworben, mit intensiver
en Privatisierungen und Wachstum
mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Die
Arbeitslosigkeit in Griechenland
liegt mit 11.5 Prozent über dem EU-
Durchschnitt von zehn Prozent.
Aussenpolitisch wird nicht mit ei
ner Kursänderung gerechnet. Simi
tis und Karamanlis hatten erklärt,
dass das Land seinen Kurs in die
Richtung der vollen Integration in
die europäischen Strukturen und
die Politik der Normalisierung der
Beziehungen zur Türkei einhalten
werde. Viele Wähler demonstrier
ten am Sonntag ihre Begeisterung,
indem sie sich in Partei-Fahnen ein
hüllten. Etwa 1,3 Millionen Wähler
verliesseri gleich zu Beginn des Wo
chenendes die Regionen und Gross
städte, in denen sie leben, um ihre
Stimme an ihrem Geburtsort abge
ben zu können.
Opposition siegt
Kommunalwahlen in Bosnien
SARAJEVO: Die bosnischen Kom
munalwahlen vom Wochenende ha
ben ein durchzogenes Ergebnis ge
bracht: Während in den moslemi
schen Städten die multi-ethnische
Opposition siegte, lagen im serbi
schen Landesteil ofTenbar die Na
tionalisten in Führung.
In der Hauptstadt Sarajevo eroberte
die sozialdemokratische Oppositi
onspartei SDP nach eigenen Anga
ben alle vier Stimmbezirke. Auch in
Tuzla und in Zenica habe seine Par
tei mehr als 50 Prozent der Stimmen
bekommen, sagte Generalsekretär
Karlo Filipovic am Sonntag.
Erstmals seit dem Krieg sei die
Partei auch in Gemeinden mit kroa
tischer Mehrheit erstarkt. Parteichef
Zlatko Lagumdzija forderte umge
hende allgemeine Parlamentswah
len. Die moslemische Nationalisten-
partei SDA von Staatspräsidiums
mitglied Alija Izetbegovic räumte
eine teilweise Niederlage ein. SDA-
Vizepräsident Sulejman Tihic sagte,
im Raum Tuzla und Sarajevo habe
seine Partei in vielen Kommunen
die politische Kontrolle verloren.
In der bosnischen Serbenrepublik
zeichnete sich dagegen zunächst
kein klares Bild ab. Im Osten, einer
von Extremisten dominierten Regi
on, erhielten die Hardliner der SDS
nach Medienberichten die Mehr
zahl der Stimmen. Die SDS ist die
Partei des als Kriegsverbrecher ge
suchten Serbenführers Radovan
Karadzic.
Keine EU-Sanktionen
Keine Sanktionen gegen Russland
MOSKAU: Die EU will keine neue
Sanktionen gegen Russland wegen
des Tschetschenien-Krieges verhän
gen. Die Kritik der EU und der
Druck auf Moskau blieben aber un
verändert, sagte der EU-Beauftrag
te für die gemeinsame Aussen- und
Sicherheitspolitik, Javier Solana, der
russischen Zeitung «Wremja MN».
Die Lage in Tschetschenien spitzte
sich am Wochenende wieder zu.
Zahlreiche russische Posten gerie
ten unter den Beschuss von Rebel
len. Die russischen Streitkräfte setz
ten ihre Angriffe mit Artillerie und
Kampffliegern fort, unbeeindruckt
von dem vergangene Woche in
Strassburg angedrohten Ausschluss
Russlands aus dem Europarat.
Wahrscheinlich Schewardnadse
Präsidentenwahl in Georgien
TIFLIS: Bei der Präsidentenwahl in
Georgien ist Staatschef Eduard
Schewardnadse am Sonntag ersten
Ergebnissen zufolge mit klarer
Mehrheit wiedergewählt worden.
Die Wahl war von massiven Vor
würfen der Wahlfälschung über
schattet.
Der frühere sowjetische Aussenmi-
nister habe nach Auszählung der
Stimmen in 47 der 75 Distrikte rund
68 Prozent der Stimmen erhalten,
teilte die Zentrale Wahlkommission
am Abend in Tiflis mit.
Der schärfste Rivale, der frühere
Kommunistenchef Dschumber Pa-
tiaschwili,kam demnach auf 22 Pro
zent. Für einen Sieg in der ersten
Runde brauchte der 72-jährige
Schewardnadse mehr als 50 Pro
zent.
Der Wahlleiter Dschumber Lo-
minadse erklärte, es seien keine gro
ben Verstösse festgestellt worden.
Patiaschwili dagegen warf der
Wahlkommission vor, sie arbeite
«so, wie es die Führung wünscht».
Die Wahlbeteiligung lag nach offizi
ellen Angaben bei 64,7 Prozent der
etwa 3,2 Millionen Stimmberechtig
ten. Der unabhängige georgische
Fernsehsender Rustawi berichtete
aber, in einigen Wahllokalen hätten
die örtlichen Verwaltungschefs
gleich Dutzende Stimmzettel in die
Urnen geworfen.
Es war die zweite direkte Präsi
dentenwahl seit der Unabhängig
keit Georgiens 1991. Schewardnad
se, der seit acht Jahren an der Spitze
Georgiens steht, traf auf fünf Ge
genkandidaten. Er hat die christ
liche Republik auf Westkurs ge
bracht und hofft auf Beitrittsver
handlungen mit der NATO ab 2005.
Bei der von Vorwürfen der Wahlfälschung überschatteten Präsidentenwahl
in Georgien steuert Amtsinhaber Eduard Schewardnadse auf einen knappen
Sieg im ersten Durchgang zu. <ß'M' Keystone)
Der französische Präsident Chi
rac forderte von Staatschef Putin in
einem Telefonat eine politische Lö
sung für Tschetschenien. Der Kon
flikt dürfte auch Thema des EU-
Aussenministerrats in Luxemburg
sein,zu dem Russlands Aussenmini-
ster Igor Iwanow erwartet wird.
Moskau schliesse vorbeugende
Schläge gegen Rebellenlager auch
in Afghanistan nicht aus. sagte der
Sekretär des russischen Sicherheits
rats, Sergej Iwanow, am Samstag
nach Gesprächen in der tadschiki
schen Hauptstadt Duschanbe. Nach
Medienberichten werden die mos
lemischen Rebellen in Tschet
schenien mit Waffen und Geld von
den radikal-islamischen Taliban-
Milizen in Afghanistan unterstützt.
Bisky und
Gysi treten ab
MÜNSTER: Gut zehn Jahre
nach ihrer Gründung stehen die
deutschen Reformkommunisten
(PDS) vor einem umfassenden
Führungswechsel: Nach Partei
chef Lothar Bisky kündigte am
Sonntag auch der Fraktionsvor
sitzende Gregor Gysi für den
Herbst seinen Rückzug an. Der
52-Jährige machte am PDS-Par
teitag in Münster persönliche
Gründe für seinen Schritt gel
tend. Die Jahre in Schlüsselposi
tionen der Partei seien für ihn ei
ne «ausgesprochen schwere Zeit»
gewesen, Er galt bereits seit län
gerer Zeit als amtsmüde. Der
scharfzüngige Jurist ist der be
kannteste Politiker der. PDS, die
1990 nach dem Fall "der Berliner
Mauer aus derehemaligen DDR-
Staatspartei SED entstand. Bis
1993 war- Gysi Parteichef, seit
1990 steht er an der Spitze der
PDS-Abgeordneten, zunächst in
der frei gewählten DDR-Volks
kammer,, später im gesamtdeut
schen Bundestag. Seit 1971
betätigte er sich als Anwalt in
Ostberlin, unter anderem vertei-
, ( .digte er auch Regimekritiker