Liechtensteiner Volksblatt
Inland
Donnerstag, 30. März 2000 5
Vorschläge der Verfassungskommission
Art.
Nr.
Geltende Verfassung
vom 5. Oktober 1921
Abänderungsvorschlag der Verfassungskommission
vom 29. Juni 1998 (sog. «Non Paper» an S.D. den Landesfürsten)
Kommentar zu den Abänderungsvorschlägen
gemäss Brief vom 1. Juli 1998 an S.D. den Landesfürsten
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Wenn ein Mitglied der Regierung durch sei
ne Amtsführung das Vertrauen des Landta
ges verliert, so kann dieser, unbeschadet sei
nes Rechts auf Erhebung der Anklage vor
dem Staatsgerichtshof, beim Landesfürsten
die Amtsenthebung des betreffenden Regie
rungsmitgliedes beantragen.
Eine Amtsenthebung eines Mitglieds der Regierung kann, unbeschadet
des Rechts des Landtages zur Anklageerhebung vor dem Staatsgerichts
hof, nur durch einen vom Landesfürsten gutgeheissenen Antrag des
Landtages bewirkt werden.
Die durch den bisherigen Wortlaut hervorgerufene Unklarheit, ob die
Bestellungsorgane Fürst und Landtag Regierungsmitglieder jeweils für
sich allein des Amtes entheben können oder ob dies wie bei der Bestel
lung nur im Zusammenwirken dieser Organe möglich ist, soll beseitigt
werden. Es soll klargestellt werden, dass der Landesfürst einen Amtsent
hebungsantrag des Landtages nicht gutheissen muss, sodass eine Amts
enthebung nur dann stattfindet, wenn sowohl der Landtag als auch der
Landesfürst dies wollen.
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1) Soweit das Gesetz nichts anderes be
stimmt, unterliegen sämtliche Entscheidun
gen oder Verfügungen der Regierung dem
Rechtsmittel der Beschwerde an die Verwal
tungsbeschwerdeinstanz. Dieselbe besteht
aus einem vom Landesfürsten über Vor
schlag des Landtages ernannten rechtskun
digen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter
sowie vier vom Landtage gewählten Rekurs
richtern mit ebenso vielen Stellvertretern.
Der Vorsitzende und sein Stellvertreter müs
sen gebürtige Liechtensteiner sein.
2) Ihre Amtsdauer fällt mit jener des Land
tages zusammen und endet mit ihrer Neube
stellung. Der Landtag hat in seiner ersten Sit
zung für das Amt des Vorsitzenden und des
Stellvertreters Vorschläge zu machen sowie
die Rckursrichter und deren Stellvertreter
zu wählen.
1) Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, unterliegen sämtliche Ent
scheidungen oder Verfügungen der Regierung und der anstelle der Kol
legialregierung eingesetzten besonderen Kommissionen (Artikel 78, Ab
satz 3) dem Rechtsmittel der Beschwerde an die Verwaltungsbeschwer
deinstanz. Dieselbe besteht aus einem vom Landesfürsten über Vor
schlag des Landtages ernannten rechtskundigen Vorsitzenden und des
sen Stellvertreter sowie vier vom Landtage gewählten Rekursrichtern
und drei stellvertretenden Rekursrichtern. Der Vorsitzende und sein
Stellvertreter müssen gebürtige Liechtensteiner sein.
2) Die Amtsdauer der Richter der Verwaltungsbeschwerdeinstanz be
trägt 12 Jahre. Bei der Wahl der Richter und stellvertretenden Richter ist
in der Regel so vorzugehen, dass alle vier Jahre drei Richter gewählt wer
den. Das Nähere, wie insbesondere die Regelungen betreffend Er
satzwahlen und das Vorgehen bei Rücktritt, wird durch das Gesetz gere
gelt. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen.
i
Die Kommission ist grundsätzlich der Auffassung, dass durch den bishe
rigen Bestellungsvorgang betreffend Richter - sowohl hinsichtlich der
Gerichte des öffentlichen Rechts als auch hinsichtlich der ordentlichen
Gerichtsbarkeit - die Unabhängigkeit der Richter und damit die Ge
währleistung des Rechtsstaates nicht gefährdet war und sich daher ei
gentlich eine Änderung dieser Bestellungsvorgänge nicht zwingend auf
drängt. Die Kommission ist auch der Auffassung, dass es eine der we
sentlichen Errungenschaften der Verfassung von 1921 aus Sicht des
Volkes und des Landtages war, dass die Richter seit damals nur mehr
über Vorschlag des Landtages ernannt werden konnten. Diese Errun
genschaft soll beibehalten werden.
Andererseits räumt die Kommission ein, dass der bisherige Bestellungs
vorgang sicher nicht die einzig denkbare Möglichkeit ist, und daher auch
Änderungen denkbar sind, die die Unabhängigkeit der Gerichte - vor al
lem der Gerichte des öffentlichen Rechts - noch mehr stärken könnten.
Die Kommission schlägt daher vor, bei den Gerichten des öffentlichen
Rechts (VBI und Staatsgerichtshof) die Amtsdauer dieser Richter von 4
auf 12 Jahre zu verlängern und dafür nur eine einmalige Wahl - unter
Ausschluss der Wiederwahl - vorzusehen. Es gibt hiefür gute ausländi
sche Beispiele. Diese Neuerung gewährleistet, dass die gewählten bzw.
ernannten Richter bei der Ausübung ihrer richterlichen Funktionen
nicht um ihre Wiederwahl besorgt sein müssen. Um dann nicht alle 12
Jahre einen völlig neuen Gerichtshof bilden zu müssen, wird ausserdem
vorgeschlagen, die Wahl in 3 Teilschritten alle 4 Jahre vorzunehmen. Bei
der VBI bringt diese Neuerung zudem mit sich, dass die Koppelung der
Amtsdauer an die Amtsdauer des Landtages wegfällt und damit ein wei
teres Zeichen gesetzt wird, dass es sich bei der VBI um keine politische
Behörde, sondern um ein unabhängiges Gericht handelt. Die stellvertre
tenden Richter werden bei beiden Gerichtshöfen um je eine Person ver
ringert, da nicht so viele Stellvertreter nötig erscheinen und auf diese Art
ausserdem alle 4 Jahre je 3 Richter neu gewählt werden können.
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1) Die gesamte Gerichtsbarkeit wird im Auf
trage des Landesfürsten durch verpflichtete
Richter ausgeübt.
Absatz 2 bleibt unverändert.
1) Die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit wird im Namen des Landesfürsten
durch verpflichtete Richter ausgeübt, die von» Lpndesfürsten einver
nehmlich mit dem Landtag über dessen Vorschlag ernannt werden.
Hier soll in Bestätigung der bisherigen Praxis ausdrücklich gesagt wer
den, dass die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit vom Landesfürs
ten einvernehmlich mit dem Landtag über dessen Vorschlag ernannt
werden. Dies betrifft dann auch die Richter am Kriminalgericht und
Schöffengericht, die bisher vom Landtag allein gewählt wurden. Ent
sprechend der gebräuchlichen Urteilsformulierung «im Namen seiner
Durchlaucht des Landesfürsten» soll es ausserdem in diesem Artikel
heissen, dass die Gerichtsbarkeit im Namen des Landesfürsten, statt
wie bisher im Auftrage des Landesfürsten ausgeübt wird, wodurch auch
die Unabhängigkeit der Gerichte unterstrichen wird. Bei den ordentli
chen Gerichten sieht die Kommission im Gegensatz zu den Gerichten
des öffentlichen Rechts keine Veranlassung, von der bisherigen vier
jährigen Amtsdauer (die nicht in der Verfassung vorgeschrieben ist,
sondern durch das Gerichtsorganisationsgesetz) bei den Kollegialge
richten abzuweichen. Ebenso soll bei den Einzelrichtern beim Landge
richt die bisher gehandhabte Bestellung bis zur Pensionierung oder (bei
ausländischen Richtern) je nach individueller Vereinbarung weiterhin
möglich sein.
105
Der Staatsgerichtshof besteht aus einem
Präsidenten und vier weiteren Stimmfüh
rern; seine Mitglieder werden vom Landtage
gewählt, und zwar so, dass er mehrheitlich
mit gebürtigen Liechtensteinern besetzt ist;
zwei Mitglieder müssen rechtskundig sein.
Die Wahl des Präsidenten, der ein gebürtiger
Liechtensteiner sein muss, unterliegt der lan
desfürstlichen Bestätigung.
1) Der Staatsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten und dessen Stell
vertreter sowie drei weiteren Richtern und vier stellvertretenden Rich
tern. Seine Mitglieder werden vom Landtag gewählt und zwar so, dass er
mehrheitlich mit Liechtensteinern besetzt ist; zwei Mitglieder müssen
rechtskundig sein. Die Wahl des Präsidenten, der ein Liechtensteiner sein
muss, unterliegt der landesfürstlichen Bestätigung.
2) Die Amtsdauer der Richter am Staatsgerichtshof beträgt 12 Jahre. Bei
der Wahl der Richter und stellvertretenden Richter ist in der Regel so
vorzugehen, dass alle vier Jahre drei Richter gewählt werden. Das Nähe
re, wie insbesondere die Regelungen betreffend Ersatzwahlen und das
Vorgehen bei Rücktritt, wird durch das Gesetz geregelt. Eine Wieder
wahl ist ausgeschlossen.
Hier wird dasselbe Bestellungsverfahren wie bei der VBI (Artikel 97)
vorgeschlagen; ausserdem werden die bisher schon im Staatsgerichtshof
gesetz vorgesehenen stellvertretenden Richter ausdrücklich erwähnt.
111
Absatz 1 unverändert.
2) Abänderungen oder Erläuterungen dieses
Grundgesetzes, welche sowohl von der Re
gierung als auch vom Landtage oder im We
ge der Initiative (Art. 64) beantragt werden
können, erfordern auf Seite des Landtages
Stimmeneinhelligkeit seiner anwesenden
Mitglieder oder eine auf zwei nacheinander
folgenden Landtagssitzungen sich ausspre
chende Stimmenmehrheit von drei Vierteln
derselben.
2) Änderungen oder Erläuterungen dieses Grundgesetzes, welche so
wohl vom Landesfürsten in Form von Regierungsvorlagen als auch vom
Landtage oder im Wege der Initiative (Artikel 64) beantragt werden kön
nen, erfordern auf Seite des Landtages Stimmeneinhelligkeit seiner an
wesenden Mitglieder oder eine auf zwei nacheinander folgenden Land- '
tagssitzungen sich aussprechende Stimmenmehrheit von drei Vierteln
derselben.
Als antragsberechtigt für eine Verfassungsänderung sollte analog zu nor
malen Gesetzesvorlagen auch hier der Landesfürst im Wege einer Re
gierungsvorlage erwähnt werden.
112
Wenn über die Auslegung einzelner Bestim
mungen der Verfassung Zweifel entstehen
und nicht durch Übereinkunft zwischen der
Regierung und dem Landtage beseitigt wer
den können, so hat hierüber der Staatsge
richtshof zu entscheiden.
Wenn über die Auslegung der Verfassung aus Anlass von Meinungsver
schiedenheiten zwischen obersten Organen Zweifel entstehen, so hat
hierüber der Staatsgerichtshof zu entscheiden. 1
(Artikel 112 in der von der Verfassungskommissidn am 22. November
1999 beschlossenen Fassung.)
Die bisher in diesem Artikel gegebene Möglichkeit, dass Regierung
und Landtag durch eine Übereinkunft ohne Einbezug des Fürsten und
ohne Referendumsrecht des Volkes - und somit faktisch in Umgehung
von Artikel 111 Absatz 2 - bindende Verfassungsauslegungen erlassen
können (wie 1929 hinsichtlich Artikel 97 Absatz 2 geschehen),erscheint
der Konimission in rcchtsstaatlicher Hinsicht bedenklich. Dieser
Halbsatz soll daher gestrichen werden; dieser Artikel soll nur die an
und für sich naheliegende Verfassungsauslegungskompetenz des
Staatsgerichtshofes festhalten, wobei auch ausdrücklich gesagt werden
soll, wer einen solchen Auslegungsentscheid des Staatsgerichtshofes
herbeiführen kann (nämlich die obersten Organe Landesfürst, Landtag
und Regierung).