Liechtensteiner Volksblatt
Inland
Samstag, 25. März 2000 3
«Im Kirchenrecht steht nichts von
einem Auslaufen der Missio Canonica»
Interview mit Dr. Stefan Hirschlehner zum Entzug der Missio Canonica
Die Missio Canonica von Dr. Ste
fan Hirschlehner ist immer noch
in aller Munde. Während Gene
ralvikar Walser im Streitgespräch
von letzten Samstag betonte, dass
die Missio Canonica nicht entzo
gen, sondern abgelaufen sei, führt
Stefan Hirschlehner im Volksblatt-
Interview aus, dass eine Missio
Canonica gemäss Kirchenrecht
nicht ablaufen könne. Zudem äus
sert sich Dr. Hirschlehner zu den
unterschiedlichen Auffassungen
von Schulamt und Erzbistum in
Sachen Religionsunterricht.
Mit Dr. Stefan Hirschlehner sprach
Alexander Batliner
VOLKSBLATT: Herr Dr. Hirschleh
ner, im Volksblatt-Streitgespräch von
letztem Samstag führte Generalvikar
Walser aus, dass Ihnen die Missio Ca
nonica nicht entzogen worden, sondern
abgelaufen sei. Wie stellen Sie sich zu
dieser Aussage?
Stefan Hirschlehner: Meines Wissens
kann eine Missio Canonica nur verlie
hen bzw. entzogen werden, im Kirchen
recht steht dagegen nichts von einem
Auslaufen. Gemäss Kirchenrecht kann
eine Missio Canonica aus zwei Grün
den entzogen werden. Zum einen, wenn
der sittliche Lebenswandel Anlass zur
Klage gibt,zum anderen, wenn man mit
der kirchlichen Lehre nicht überein
stimmt. Ich kenne keinen Passus im
Kirchenrecht, wo davon die Rede ist,
dass eine Missio Canonica ablaufen
kann.
Im Streitgespräch führte Generalvikar
Walser jedoch aus, dass die Missio Ca
nonica nur für das Dekanat gelte. Da
das Dekanat aufgelöst wurde, sei diese
Missio Canonica auch nicht mehr gül
tig. Liegt hier ein Missverständnis vor?
Ich habe die Missio Canonica von Bi
schof Johannes Vonderach erhalten und
zwar für meine Tätigkeit als Referent
für den Religionsunterricht in Liech
tenstein. Natürlich gibt es jetzt kein De-
Der Vorwurf, das
Schulamt wolle einen
anderen
Religionsunterricht,
ist zurückzuweisen
kanat mehr. Es gibt jetzt das Erzbistum.
Die Tätigkeit ist jedoch dieselbe. Es hat
sich seit meiner Bestellung nichts geän
dert, die Aufgaben sind gleich geblie
ben. Wenn der Generalvikar möchte,
dass man die Missio Canonica anpasst,
gibt es überhaupt kein Problem. Ich bin
auch gerne bereit einen Antrag zu stel
Dr. Stefan Hirschlehner: «Es wird jetzt nachträglich mit der Aussage, dass wir einen REL-Unterricht einführen wollen, etwas be
gründet. Das möchte ich zurückweisen. Das stimmt so nicht.»
len, damit das möglich ist. Im Moment
empfinde ich den Akt des Generalvi
kars als recht willkürlich. Ich habe mich
schliesslich immer auch als Mitarbeiter
der Kirche verstanden und war
während meiner ganzen Tätigkeit or
dentliches Mitglied der Dekanatsver
sammlung, solange es sie gab. Ich bin
der Meinung, dass über Fragen der Ver
leihung bzw. des Entzugs der Missio we
nigstens miteinander gesprochen wer
den sollte. Man muss auch dazu sagen,
dass mit der Argumentation des Gene
ralvikars, die er auf meine Person ange
wendet hat, eigentlich kein Religions
lehrer mehr eine gültige Missio Canoni
ca hat. Dies deshalb, weil kein Religi
onslehrer eine Missio Canonica auf die
Erzdiözese ausgestellt bekommen hat.
Wir müssen gemeinsam darüber reden,
wie in Zukunft die Missio Canonica er
teilt wird, damit alle Religionslehrer ei
ne gültige Missio Canonica haben.
Ein Kritikpunkt von Generalvikar
Walser war der Religionsunterricht. Sie
würden einen Religion-Ethik-Lebens-
kunde (REL) Unterricht befürworten.
Er führte aus, dass das Schulamt dies
bezüglich einen anderen Weg gehen
wolle als das Erzbistum. Wenn das
Schulamt keinen konfessionellen ka
tholischen Unterricht gewährleiste, sei
auch keine Missio Canonica vonnöten.
Stefan Hirschlehner: «Auch ein konfessioneller Religionsunterricht muss natürlich
mit der Lebenswelt der Schüler zu tun haben. Das ist für mich eine Selbstverständ
lichkeit.»
Hierzu zwei Fragen: a.) Worin liegt der
inhaltliche Unterschied zwischen die
sen beiden Unterrichtsarten? b.) Wes
halb lehnt das Schulamt bezüglich Re
ligionsunterricht die vom Erzbistum
gewünschte Unterrichtsform ab?
Lassen Sie mich bitte zuerst ein paar
Worte zur Argumentation sagen. Es
wird jetzt nachträglich mit der Aussage,
dass wir einen REL-Unterricht ein
führen wollen, das Ablaufen der Missio
Canonica begründet. Das finde ich un
fair. Ausserdem stimmt das so nicht. Wir
haben in Liechtenstein eine Gesetzge
bung und in diesen Gesetzen steht, dass
wir einen konfessionellen Religionsun
terricht anzubieten haben. Das Schul
amt und ich selber haben niemals etwas
anderes gesagt. Für mich ist nach wie
vor ein konfessioneller Religionsunter
richt die wünschenswerte Form des Re
ligionsunterrichts. Ein solcher Unter
richt bedingt jedoch eine gute Zusam
menarbeit zwischen Kirche und Schul
amt und ein Eingehen auf die Bedin
gungen und Entwicklungen der Schule
sowie auf die Lebenswelt der Schüle
rinnen und Schüler. Ich möchte
nochmals betonen, dass ich es für wün
schenswert halte, dass wir auch in Zu
kunft einen konfessionellen Unterricht
haben. So sind unsere Gesetze.
Auch ein konfessioneller Religions
unterricht muss natürlich mit der Le-
Meines Wissens kann
eine Missio Canonica
nur verliehen bzw.
entzogen werden
bensweit der Schüler zu tun haben. Das
ist für mich eine Selbstverständlichkeit.
Wir können von unseren Schülerinnen
und Schülern nicht verlangen, dass sie
im Religionsunterricht nur bestimmte
Inhalte auswendig lernen; die mit ihrem
Leben nichts zu tun haben. Einen sol
chen Religionsunterricht möchte ich
nicht verantworten.
Der Vorwurf des Generalvikars, das
Schulamt wolle einen anderen Religi
onsunterricht, der mehr auf Lebens
kunde und Ethik ausgerichtet sei, ist
zurückzuweisen. Generalvikar Walser
verwechselt hier die Ursache mit der
Wirkung. Wenn jetzt von verschiedenen
Seiten über die Zukunft des Religions
unterrichtes nachgedacht wird, dann
(Bilder: bak)
doch deshalb, weil es von Seiten der
Erzdiözese sehr eindeutige Zeichen
gibt, die darauf hinweisen, dass es zu
einschneidenden Veränderungen kom
men soll. Der im letzten Jahr vorgeleg
te Lehrplan ist doch deutlich konfessio-
staatliches Fach «Lebensgestaltung -
Ethik - Religionskunde» eingeführt
wurde, ist nicht statthaft. Brandenburg
hat eine völlig andere Geschichte und
andere Probleme. In Brandenburg ist
überlegt worden, wie nach jahrzehnte
langer kommunistischer Politik den
Kindern und Jugendlichen wieder In
halte vermittelt werden können, die für
die europäische Denk- und Kulturge
schichte bedeutsam sind. Dabei musste
Brandenburg auch berücksichtigen,
dass nur ca. 3,5 Prozent der Bevölke
rung katholisch und ca. 25 Prozent
evangelisch sind, der überwältigende
Teil der Bevölkerung jedoch konfessi
onslos ist.
Sie sprechen davon, dass Sie den kon
fessionellen katholischen Unterricht
auch in Zukunft wünschen, wie es im
Gesetz steht. Der Erzbischof bzw. der
Generalvikar sagt, man plane einen
REL-Unterricht, nicht auf konfessio
neller katholischer Basis. Gibt es hier
Unterschiede, was konfessionell katho
lischer Unterricht ist?
Wir können von
unseren Schülern
nicht verlangen,
dass sie im
Religionsunterricht
nur bestimmte
Inhalte auswendig
lernen
Ja, wahrscheinlich. Man kann das
natürlich sehr eng oder etwas weiter
auffassen.Für mich ist «katholisch sein»
Stefan Hirschlehner:«Wir haben in Liechtenstein eine Gesetzgebung und in diesen
Gesetzen steht, dass wir einen konfessionellen Religionsunterricht anzubieten ha
ben. Das Schulamt und ich selber haben niemals etwas anderes gesagt.»
nell ausgerichtet. Generalvikar Walser
hat mir vor der Ablehnung durch den
Erzbischof und den Priesterrat selbst
auf einer Tagung in Bendern versichert,
dass er keine Probleme mit diesem
Lehrplan habe. Wenn in diesem Lehr
plan, wie auch schon im alten, Raum für
Fragen der Lebensgestaltung der Schü
lerinnen und Schüler gegeben worden
ist, so kann doch daraus kein Vorwurf
gemacht werden. Es ist heute in jedem
konfessionell ausgerichteten Lehrplan
eine Selbstverständlichkeit, dass der
Religionsunterricht mit der Lebenswelt
der Kinder und Jugendlichen zu tun ha
ben muss. Wir müssen doch die Jugend
lichen mit ihrer Lebenswelt, mit ihren
Erfahrungen und Problemen ernst neh
men. Es zeigt von Unkenntnis der schu
lischen Wirklichkeit, will man daraus ei
nen Vorwurf ableiten.
Der Vergleich mit dem deutschen
Bundesland Brandenburg, in dem ein
schon vom Wort her etwas Offenes und
Umfassendes. Natürlich ist es uns wich
tig, dass wir auf der Bibel aufbauen und
die Lehre der Kirche ernst nehmen.
Das steht ja überhaupt nicht in Frage.
Wir müssen aber den Glauben in der
heutigen Welt verkünden und den Kin
dern und Jugendlichen vermitteln. Von
daher gehen wir mit unserem Religi
onsunterricht von der Lebenssituation
der Jugendlichen und Kinder aus. Ich
kann ja jetzt nicht von der Dogmatik
ausgehen und diese den Kindern über
stülpen wollen.
Kritisiert wurde auch die Zusammen
arbeit zwischen Schulamt und Erzbis
tum. Sie sei nicht optimal, führte Ge
neralvikar Walser im Streitgespräch
aus. Sehen Sie auch Verbesserungen
und wie stellen Sie sich zu den Vorwür-
Fortsetzung auf Seite 4