26 Dienstag, 21. März 2000
Kultur
Liechtensteiner Volksblatt
Nachrichten
Uberflüssig bis
wegrationalisiert
Wenn die beiden ausgebildeten Musiker und
Kabarettisten Thomas Usteri und Lorenzo Ma-
netti mit ihrem jüngsten Stück «Die Überflüssi
gen» auftreten, erwartet die Besucher ein mu-
sikalisch-komisches Spektakel. Am kommen
den Freitag, den 24. März gastieren die beiden in
der «Alten Weberei» inTriesen.
Die beiden Musiker und Kabarettisten Thomas
Usteri und Lorenzo Manetti sind mit ihrem
jüngsten Stück «Die Überflüssigen» am kom
menden Freitag in der «Alten Weberei» in Trie-
sen zu sehen.
Das sympathische Musikkomiker-Duo tho-
mas & lorenzo aus der Deutschschweiz und
dem Tessin, beides konservatorisch ausgebilde
te Musiker, haben sich an der berühmten Dimi-
tri-Schule kennengelernt, wo sie das Handwerk
in Mimik. Akrobatik und Komik gelernt haben.
In ihrem jüngsten Stück, «Die Uberflüssigen»
geht es um Arbeitslosigkeit und das vermeintli
che Wegrationalisieren von Menschen: Brat
schist Thomas und Pianist Lorenzo, bis vor kur
zem beide arbeitslos, werden vom kantonalen
Arbeitsamt angestellt, um ihren Leidensgenos
sen Musiklektionen zu erteilen.
Was aber geschieht, wenn das Arbeitsamt ei
nen pedantischen und frustrierten Violinisten
und einen alkoholabhängigen Pianisten enga
giert? Lorenzo ärgert sich über den Papier
kram, den er fürs Arbeitsamt zu erledigen hat -
schöne Musik erklärt sich schliesslich von allei
ne, so ist er überzeugt. Und Kreativität braucht
eben ihre Zeit!
Unter der Regie von Ferruccio Cainero ge
lingt es den beiden Komikern,Thomas und Lo
renzo, trotz der Ernsthaftigkeit des Themas, ein
musikalisch-heiteres Spektakel auf die Bühne
zu zaubern, bei welchem das Publikum den Part
der zuhörenden und lernenden Arbeitslosen
übernimmt.
«Die Überflüssigen», Freitag, den 24. März
2000 um 20 Uhr, «Alte Weberei», Spörryfabrik
Triesen (Eingang Radio L), Eintritt: CHF 25.00.
Vorverkauf: Treff Electronic (Lovacenter, Trie
sen und Stähhauer's Gmüeslada, Triesen;
Abendkasse.
SU
R1 : .K1.AMF
Dame auf Stier oder Stier
auf Dame?
Europa im Jahr 2000: Gesamteuropäisches Literaturprojekt mit Namen «Literaturexpress»
Europa im Jahr 2000: Dame auf
Stier oder Stier auf Dame? Die
se Frage stellt sich diesen Som
mer ein gesamteuropäisches Li
teraturprojekt mit dem Namen
«Literaturexpress». Autorin
nen aus 43 europäischen Län
dern bereisen in einem Sonder
zug sechs Wochen ihren Konti
nent von Lissabon bis Moskau.
Auch Liechtenstein finanziert
die Teilnahme eines Autors.
Stefan Sprenger
Die Reise beginnt am 2. Juni in Por
tugal und führt über Spanien, Frank
reich, Belgien, Deutschland, Polen
und die baltischen Staaten bis nach
St. Petersburg. Über Moskau und
Warschau wird Mitte Juli die Endsta
tion Berlin erreicht. Station wird in
21 Städten gemacht, die jeweiligen
Aufenthalte dauern zwei bis drei Ta-
| ge. Entstanden ist die Idee in der li-
:i tcraturWERKstatt in Berlin. Dort
I befindet sich das internationale Ko-
| ordinationszentrum für den Litera-
r| turexpress. Träger des Projekts ist
•| der Verein eurobylon e.V., der seit
■| 1997 regelmässige Treffen der Part-
I nerinstitutionen aus den elf Län-
f| dern, die der Zug passiert, organi-
siert. Natur und Grössenordnung des
: I Projekts benötigen fast militärische
I Logistik: Wieviel Visas braucht zum
a Beispiel ein Autor aus Albanien?
| Isst die finnische Schriftstellerin kein
| Fleisch? Und organisieren Sie mal
150 Einzelzimmer mit Dusche in
:'j zwanzig Städten während der Hoch-
saison, und das über sechs Wochen!
: i Dann der Zug selbst. Die Strecken-
freigaben. Die verschiedenen Spur-
$ breiten. Die Texte: wie sollte sich ein
| estnischer Lyriker ohne Überset-
| zung vor portugiesischem Publikum
verständlich machen können? Euro-
I pa ist ein Kontinent, auf dem über
| 100 Sprachen gesprochen werden.
| Die ganzen Verträge. Die Versiche-
f| rungen. Kein Wunder, dass derzeit
| zwölf Leute im Koordinationszen-
if trum arbeiten und die jeweiligen na-
j tionalen Ansprechpartner mit kon-
| stanter elektronischer Post bcschäf-
tigen.
k
\ Die Stationen
% Was geschieht an den einzelnen
| Stationen? Am Beispiel des geplan-
| ten Programmes in Hannover, das
| mit der Expo 2000 bereits eine eu-
| ropäische Grossveranstaltung beher-
| bergt, soll die Breite und Fragestel-
d lung des Projekts deutlich werden.
1 Unter dem Arbeitstitel «literature
meets music» haben hannoverani-
sche Komponisten Texte einiger be
teiligter Autoren vertont und führen
die Kompositionen auf. Mit dem
kleinen Festival «AutorenFilmTage»
wird der Tatsache Rechnung getra
gen, dass viele Schriftsteller auch
Drehbücher schreiben. Die Podi
umsdiskussion «Literatur im Zeital
ter des World Wide Web» erörtert
mit Juristen und Verlegern die Neu
definition von geistigem Eigentum
und dem Begriff des Copyright. Ein
weiteres Gesprächsforum mit Wis
senschaftlern der Universität Han
nover geht einer These des Litcra-
turexpress nach: «Sprachen und Li
teraturen - Motoren der europä
ischen Vereinigung?» Der Nachmit
tag «Erfahrungen in der Fremde -
Geschichten-Austauch zwischen
Fahrenden und Erfahrenen» bringt
die Schriftstellerinnen in einen kom
plett anderen Kontext, zu den Be
wohnern eines Altersheims. Schliess
lich soll die Aktion «Autoren lesen in
Schulen» Schüler mit dem Projekt in
Kontakt bringen.
Diese volle Agenda ist auch der
Grund, weshalb die Veranstalter von
einer «Arbeits- und Lesereise» spre
literaturexpress
idoe j ii.' i;. ' |strecke |programm |historlc |crgobnisso [süivn.ip |o-m,ii!
. • «'V ' • _ pr»ss»| koordln*Uon| pirtnerl
autarcnliätc, alphabetisch _
•Hitcrenlislc. geographisch _
i:itjr:■ r>I -
U-xiauszug ..
Si«fin Xpr«n|<r
LtfxfliUuf
Autor und Ztithntf
1999 «htm m Isliad »Hl Frust« nm
1997 gibt Aibtit tli fönutcnulia «uftxid ulnut
1992 bulamthrw* Kubihnrtrr Hoixbr Ctfmuod Kudimhmi
1990 AkrchtaT) KairtkUm ax du SdtlÜJt br G<iu]!unc m Luaem, füA Ulm
1982 Mttmuudfililtüiiu
KiuiSuäubd Alfaul im FUmastuin UtthLmrUio
1963 u Bind» (Selm»)
Stefan Sprenger, Reykjavik (Web-Adresse: www.literaturexpress.org)
chen. Einen Zug mit Schriftstellerin
nen, einen temporären gesamt
europäischen Feel&Think-Tank wie
einen Tonabnehmer auf die Konti-
nentalplatte Europa setzen. Zu einer
Bestandsaufnahme der Platten
brüche in politischer und wirtschaft
licher Tektonik. Um aus der Bcfah-
rung europäischer Lebenswelten an
no 2000 Bilder und Geschichten zu
destillieren. Um der verwirrten Da
me und ihrem brüllenden Stier Sicht-
und Spürbarkeit zu geben.
Station gemacht wird in Lissabon,
Madrid, San Sebastian, Bordeaux,
Paris, Lille, Brüssel, Dortmund, Han
nover, Malbrok, Kaliningrad, Vilnius,
Rjga,Tallinn, St.Petersburg, Moskau,
Minsk,Wärschau und Berlin.
Die Passagiere und das
Kursbuch
Jedes der 48 europäischen Länder
ist von den Veranstaltern eingeladen
worden, drei Autorinnen zu
schicken. Derzeit kommen die Pas
sagiere aus 43 Ländern, von A wie
Albanien bis. Z wie Zypern. Geht
man die Autorinnenliste durch, so
fällt zuerst das Fehlen bekannter Na
men auf. Was für die Dynamik des
Projekts von Vorteil sein kann. Denn
das Völklein ist bunt. Vom zweiund-
siebzigjährigen Akaki Bakradse aus
Georgien, der noch Mitglied des letz
ten Obersten Sowjets war und 1995
erfolglos für das georgische Präsi
dentenamt kandidiert hat, über den
1948 geborenen Gründer der baski
schen Schriftstellervereinigung An-
jel Lertxundi bis zum 26-jährigen
ukrainischen Chefredakteur und Li
teraturwissenschaftler Andriy Bon-
dar spannt sich ein breiter Bogen.
Krass mit nur einem Fünftel unter
vertreten sind die Autorinnen. Nur
Deutschland und die Schweiz
schicken mit Dubravaka Ugresic
und Felicitas Hoppe, bzw. Corinne
Desarzens und Christina Viragh je
weils zwei Frauen auf die Reise. Po
sitiv zu werten ist die grosse Anteil
nahme von Autoren aus kleinen,
randständigen und zum Teil sehr jun
gen Nationen. Auch regionale Diffe
renzen sind berücksichtigt: so kom
men aus Spanien ein Kastilier, ein
Katalane und ein Baske. Europa
nicht als Zentralklotz, sondern als
komplexes und auch heikles Flecht-
vverk verschiedenster Traditionen.
Mitfahren werden neben den Orga
nisatoren auch nationale Betreuer,
ein kleines Filmteam, das die «Bio
graphie» des Literaturexpress im Su
cher hat, sowie eine Gruppe Journa
listen. Der Zug dient als Reisevehi-
kcl, übernachtet wird in Hotels an
der Strecke. Als Autor wird man an
etwa jeder dritten Station lesen. Da
zu ist von den Teilnehmern bereits
ein erster Text nach Berlin gesandt
worden. Dieser wird übersetzt und in
mehreren Sprachen als literarische
Visitenkarte veröffentlicht. Im Inler
net, das als mediale Plattform für das
ganze Projekt dient. Unter der Web-
Adresse www.Iiteraturexpress.org
sind in vier Sprachen sämtliche In
formationen zum Literaturexpress
in übersichtlicher und gefälliger Ge
staltung zugänglich, seien es Anga
ben zur Strecke, zu den verschiede
nen Städteprogrammen oder zu den
Partnerinstitutionen.
Der unterzeichnete Vertrag ver
pflichtet die Autoren, nach der Reise
einen zweiten Text «Zu Europa» ab
zuliefern. Das Buch mit den gesam
melten Arbeiten soll unter dem Titel
«eurobylon» zur Frankfurter Buch
messe 2001 und in allen europäi
schen Sprachen erscheinen.
Zur Schirmherrschaft für den Li
teraturexpress haben sich die
UNESCO,der Europarat und der in
ternationale Eisenbahnverband be
reit erklärt. Wolfgang Thierse, der
Präsident des Deutschen Bundesta
ges, hat in Deutschland die Schirm
herrschaft übernommen. Denn mit
dem Endpunkt in Berlin macht das
Projekt seine deutschen Wurzeln
deutlich, stellt auch mit der neuen
Hauptstadt die Frage nach der ver
änderten Bedeutung Deutschlands.
Studiert man die Projektunterlagen,
wird dennoch klar, mit was für einer
Wachheit, was für einem Interesse
das Stellwerk in Berlin den Litera
turexpress als Versuch versteht, ein
nach dem Auflösen des Ostblocks
komplett verändertes Europa zu er
kunden und zu einer Selbstwahrneh
mung zu verhelfen. Es ist diese sup
ranationale Empathie fürs Ganze
auch der Ton, mit dem sich die Bun
desrepublik seit einigen Jahren auf
dem internationalen Parkett wieder
hat vernehmen lassen.
Das Geleise
Der Literaturexpress 2000 befährt
eine historische Strecke, die des
«Nord-Südexpress». Gegen Ende
des 19. Jahrhunderts hatte der Bel
gier Georges Nagelmackers einen
Wunsch. Er wünschte sich einen
Zug, der in nur 90 Stunden den ge
samten europäischen Kontinent von
St. Petersburg über Berlin und Paris
nach Lissabon durchqueren würde.
Ohne Halt an den Grenzen und -
trotz der verschiedenen Spurbreiten
- ohne Wechseln der Wagen. Herr
Nagelmackers Wunsch passte in sei
ner Arroganz und Kühnheit durch
aus ins kolonialistische Weltbild des
damaligen Europas. Da der Belgier
auch Bankier war, wurde der Nord-
Süd-Expröss 1896 von der Compag-
nie Internationale des Wagons-Lits
tatsächlich in Betrieb genommen. Im
Jahr 1905 dauerte die Reise von Lis
sabon nach St. Petersburg 84 Stun
den. Der Nord-Süd-Express galt da
mals nicht nur als der schnellste .son
dern auch als einer der renommier
testen Züge der Welt. Die luxuriöse
Ausstattung der Waggons und das
mehrsprachige und bestens ge
trimmte Personal in Dienerlivreen
sollten die reichen Zugspassagiere,
Diplomaten, russische Adelige, deut
sche Geschäftsherren und reisende
Lords zufriedenstellen. Mit dem al
ten Europa verschwand im Ersten
Weltkrieg auch die Epoche der Lu
xuszüge.
Doch die Trasse wurde weiterge
braucht. Das deutsche Militär liess
auf ihr seine kriegsbegeisterten Sol
daten 1914 an die belgische Grenze
rollen. 1917 floh die russische Aristo
kratie über sie nach Berlin. In den
Dreissigerjahren entkamen auf die
ser Strecke deutsche Juden, Künstler
und Linke ins Pariser Exil. 1936 - 39
wurde die internationalen Brigaden
in spanischen Bürgerkrieg über die
se Linie mit Nachschub versorgt.Tei-
le der Strecke wurden im Zweiten
Weltkrieg zur Verfrachtung der eu
ropäischen Juden in deutsche Kon
zentrations- und Vernichtungslager
gebraucht. Und Hitler beabsichtigte,
auf dieserTrasse eine Breitspurbahn
bis an den Pazifik zu bauen. Zur Zeit
der Berliner Mauer war die Strecke
des Nord-Süd-Expresses einer der
wenigen Zufahrtswege, die dem iso
lierten Westberlin erhalten blieben.
Mit dem Literaturexpress soll die
se historische europäische Achse
zum ersten Mal seit 1914 wieder in
der gesamten Länge befahren - und
befragt-werden.
Der Liechtensteiner
Der Liechtensteiner Teilnehmer
am Literaturexpress heisst Stefan
Sprenger. Weil er zugleich die Pres
searbeit für Liechtenstein macht, ha
be ich jetzt das Problem, über mich
selber zu schreiben.
Ich bin 37 und zur Zeit in Island zu
Hause. Nach Ausbildung und Arbeit
(Künstler und Zeichnungslehrer)
hat es mich aus dem Land und in die
Schriftstellerei hineingezogen. In
Hansjörg Quaderers Verlag eupali-
nos (und hier kommt das mathema
tische Unendlichkeitszeichen, das im
Laptop nicht zu finden ist, aber für
HQ unabdingbar dazu gehört) ist
1997 das Buch «Vom Dröhnen» er
schienen. Wenn ich mich öffentlich
vernehmen lasse, bekommen die El
tern zwei Sorten von Anrufen. Von
den einen werden sie bemitleidet.
Von den anderen beglückwünscht.
Man kann mich am 18. Mai im Rah
men der Literaturreihe «LandSich-
ten» mit der Dialekt-Geschichte
«D'Sau isch untr d'Rädr ko» im
Schichtwechsel hören. Und auf die
Reise anstossen.
Die Teilnahme ist vom Kulturbei
rat und der Stabsstelle für Kulturfra
gen,Tom Büchel,eingefädelt und mit
grosser Hilfe unterstützt worden. Ich
bedanke mich bei euch und der Re
gierung herzlich für die Gelegenheit,
am Literaturexpress teilnehmen zu
können.
Verein „Alte Weberei" Triesen, Dorfstrasse 24
Seiteneingang Radio L
Tel; 079-457 23 72
Kabarett
ein musikalisch - komisches Spektakel mit
thomas & lorenzo
Die „Weqrationaiisierten"
Regie: Ferruccio Cainero
Freitag, 24. März 2000 um 20 Uhr
Karten an der Abendkasse
Vorverkauf:
Treff Electronic - Lovacenter, Vaduz
Stähhauer's Gmüeslada, Triesen
Eintritt CHF 25-
\