Liechtensteiner Volksblatt
FB PL-Parteitag
Dienstag, 21. März 2000 5
Was ist los in Liechtenstein?
Der scheidende FBPL-Präsident Dr. Norbert Seeger zog am Parteitag eine Bilanz der letzten drei Jahre
«Ich glaube wirklich, die Opposi
tionsrolle hat uns als Partei gut ge
tan.» Diese Auffassung vertrat der
scheidende Präsident der FBPL,
Dr. Norbert Seeger, am gestrigen
Parteitag im Vaduzersaal. Zum
Abschluss seiner Amtszeit zog er
eine kurze Bilanz über die letzten
drei Jahre der Parteiarbeit.
Der heutige Parteitag findet in einer für
unser Liechtenstein turbulenten Zeit
statt. - Was ist los in Liechtenstein? - So
fragte eine Zeitschrift in den letzten Ta
gen in einem Artikel über unser Land.
Ja, was ist los bei uns? Eigentlich könn
ten wir auf diese Frage eine kurze Ant
wort geben: Seit nunmehr bald vier Jah
ren haben wir eine VU-Alleinregie-
rung. Das Ergebnis dieser «Führungsar
beit» in Anführungszeichen erleben wir
derzeit besonders eindrücklich und
muss uns beunruhigen.
Meine lieben Parteifreunde, ich will
zum Abschluss meiner Amtszeit als
Parteipräsident eine kurze Bilanz über
die letzten drei Jahre unserer Parteiar
beit ziehen.
Was ist los in Liechtenstein?
Aufgrund des schlechten Wahlergeb
nisses im Februar 1997 hat sich die Bür
gerpartei in Respektierung des Wähler
willens für den Gang in die Opposition
entschlossen. Heute kann festgestellt
werden, dass die Auflösung der Koaliti
on zur Belebung der Demokratie bei
getragen hat. Die Parlamentsarbeit hat
an Bedeutung gewonnen, weil keinerlei
Vorabsprachen und Rücksichtnahmen
erforderlich sind. Die zwischenparteili
che Begegnung und Auseinanderset
zung findet derzeit ausschliesslich im
Parlament statt.
Für unser Land hingegen war die
Auflösung der Koalition ein Nachteil.
Dies zeigt sich momentan in der Häu-
Die Auflösung der
Koalition hat zur
Belebung der
Demokratie
beigetragen.
fung unglücklicher und überstürzter
Entscheidungen dieser Alleinregie
rung! Die mehr oder weniger konzept
lose Politik und gar manche unbedach
te Äusserungen der politischen Verant
wortungsträger, die Fehleinschätzung
der anonymen Angriffe aus dem Aus
land auf unser Land, um nur einige
Stichworte zu nennen, haben das Ver
trauen in diese Regierung beim Volk,
aber auch beim Landesfürsten auf die
Probe gestellt.
Der Unmut und der Vertrauens
schwund haben dazu geführt, dass sich
anstelle der Regierung zunehmend pri
vate Initiativen und Vereine bilden.
Diese befassen sich anstelle der Regie
rung mit politischen Perspektiven, z.B.
der Verkehrspolitik, oder mit der Ge
staltung des Verhältnisses von Staat und
Kirche.
Es geht sogar so weit, dass der Lan
desfürst das Heft in die Hand nehmen
muss und der Regierung vorschreibt,
dass sie den brisanten Attacken gegen
unser Land, auch wenn diese anonym
sind, nachzugehen hat, weil diese Vor
würfe einen sensiblen Bereich unseres
Staatshaushaltes sowie das internatio
nale Ansehen unseres Landes betref
fen.
Was ist los in Liechtenstein?
Die Bürgerpartei schafft gegenwärtig
die personellen Voraussetzungen für
die Übernahme von Regierungsverant
wortung. Die gegenwärtige Situation in
unserem Land bewegt und beschäftigt
uns, löst bei den Mitbürgerinnen und
Mitbürgern zunehmend Besorgnis aus;
trotzdem will ich auf unsere Parteiar
beit in den letzten Jahren zurück
blicken, denn da haben wir einiges vor
zuweisen, was die Grundlage für die
künftige politische Arbeit der Bürger
partei bildet.
Die Wahl der Oppositionsrolle hat in
unserer Partei neue Kräfte geweckt. Ei
ne Grosszahl von Frauen und Männern
hat sich mit viel Engagement und auch
Idealismus für die Belange unserer Par
tei, für eine gute, soziale und zukunftso
rientierte Politik und damit für das
Wohl unseres Landes eingesetzt.
Mit der neuen Organisationsform un
serer Partei haben wir wirksame inter
ne Strukturen geschaffen, die es ermög
lichen, ohne Rückgriff auf die Landes
verwaltung gute, problemlösungsorien-
tierte Arbeit zu leisten. Ich erwähne
hier besonders die Arbeitskreise. Auf
die Arbeit dieser Fachgruppen können
wir uns abstützen, wenn zu Gesetzes
vorlagen Stellungnahmen abzugeben
sind oder wenn es darum geht, Vorstös-
se zu lancieren.
Bei der Steuerinitiative im Landtag,
in der Diskussion über die Veränderung
der Schulstruktur, beim Massnahmen-
katalog zur Lösung der Verkehrspro
blematik.oder bei der Krankenkasseni
nitiative waren es z.B. die Arbeitskreise
«Bildung», «Verkehr», «Finanzen»,
«Gesundheit» sowie «Familie/Sozia
les», die die Grundlagenarbeit geleistet
haben.
Wir haben nach der Wahlniederlage
mit einer internen «Kraftaktion» unse
re Parteifinanzen saniert. Auch dies ist
eine Leistung. Bekanntlich fliessen ja
Sponsorengelder eher nach Erfolgen
als nach Niederlagen. Alle, die zum
Schuldenabbau beigetragen haben, ver
dienen einen speziellen Dank. - Dank
gebührt aber im Vorhinein auch all je
nen, die unsere Parteiarbeit künftig fi
nanzieren werden.
Erfreut stellen wir auch fest, dass sich
unsere Zeitung, das Liechtensteiner
Volksblatt, wieder im Aufwind befin
det. Gerade richtig im Timing, stehen
uns doch wichtige Wochen und Monate
bevor, in welchen wir den Wählerinnen
und Wählern unsere Werte, unsere Zie
le, unsere politischen Alternativen in
überzeugender Form näherzubringen
haben.
Was ist los in Liechtenstein?
Wir führen eine Verfassungsdiskussi
on, von der wir nicht sagen können, wie
sie letztlich beendet wird. Wenn der
VU-Landtagspräsident meint, wir
könnten mit der derzeitigen Verfassung
einfach weiter machen, dann plädiert er
für ein Leben auf dem Fulverfass. Die
Probleme vor sich herzuschieben und
auszusitzen,ist auch in der Verfassungs
frage keine politische Zukunftsper
spektive!
Die Bürgerpartei hat schon 1996 die
Zukunftswerkstatt gegründet. Hier
werden Fragen, mit denen wir uns künf
tig zu befassen haben, diskutiert, wer
den Konzepte für die politische Zu-
Dr. Norbert Seeger, scheidender Präsident der FBPL: «Manche Forderungen des
Laiulesfiirsten im Rahmen der Verfassungsdiskussion sind Folgen des Vertrauens
verlustes des Monarchen in die Staatsorgane.»
kunft unseres Landes erarbeitet, weil
wir davon überzeugt sind, dass wir Ge
staltungsvisionen brauchen als Orien
tierungshilfe für das politische Han
deln. Wir wollen keine Politik, die von
der Hand in den Mund lebt.
Die Vorlagen und Vorstösse, die un
sere Landtags-Fraktion im Verlaufe
dieser Legislaturperiode 1 im Landtag
eingebracht hat, will ich. hier nicht im
Einzelnen aufzählen. Wir haben auch
die Initiative für die Verbiliigung der
Krankenkassenprämien eingebracht,
und zwar zur Rückerstattung der Mehr
wertsteuererhöhung und zur Verwirkli
chung familienpolitischer Anliegen.
Wenn auch die Initiative selber abge
lehnt wurde, so hat dieser Vorstoss doch
manches bewirkt, 1 worüber wir sehr zu
frieden sind. Die 'öffentliche Auseinan
dersetzung hat die Bevölkerung für die
Probleme der Gesundheitspolitik, der
Familienpolitik und der Steuerpolitik in
hohem Masse sensibilisiert.
Eine vergleichbare Wirkung ist z. B.
mit parlamentarischen Vorstössen
kaum zu erreichen. Die Regierungsvor
lage zum Krankenversicherungsgesetz
wurde aufgrund unserer Forderungen
verbessert. Ob die sog. Gesundheitsre
form das halten kann, was versprochen
wurde, wird sich weisen.
Vorerst ziehen sich 1 verschiedene
Krankenkassen aus Liechtenstein
zurück. Gleichzeitig sind Prämiener
höhungen und Selbstbehalte angesagt,
die übrigens für alle, unabhängig von
Einkommen und Vermögen, gelten.
Wer sie nicht mehr bezahlen kann, wird
zum Hilfsbedürftigen, zum Bittsteller
gegenüber dem Staat. Die Anzahl der
Hilfsbedürftigen wird also weiterhin
zunehmen.
Was ist los in Liechtenstein?
Der Staat lebt im Überfluss und
steckt gleichzeitig in einer tiefen politi
schen Krise. Den Überfluss haben wir
der Mehrwertsteuer zu verdanken. Die
se Steuer ist kein politisches Verdienst
einer Partei. Wir mussten diese Steuer
im Gleichschritt mit der Schweiz ein
führen. Die Mehrwertsteuer bezahlen
wir alle: mit jeder Tasse Kaffee, mit je
dem Haarschnitt beim Friseur, mit jeder
Telefon- oder Stromrechnung geben
wir unseren Obulus ab. Alle sind davon
betroffen.
Die politische Krise ist die Folge po
litischer Fehlleistungen in den vergan
genen Jahren. Diese Fehlleistungen
wollen wir nicht alle dieser Regierung
anlasten. Sie reichen zurück bis zur Re
gierung Brunhart, als diese sich des Ver
fassungsbruches verdächtig machte,
weil sie dem Landesfürsten teilweise
Blick auf das Podium im vollbesetzten Vaduzersaal. Am Rednerpult Dr. Norbert Seeger.
das Sanktionsrecht vorenthielt. Manche
Forderungen des Landesfürsten im
Rahmen der Verfassungsdiskussion
sind Folgen des Vertrauensverlustes des
Monarchen in die Staatsorgane. Es sind
Fehler begangen worden, Personalent
scheidungen wurden aus parteipoliti
scher Sicht durchgeboxt und nicht auf
grund des Qualifikationsprinzips vor
genommen.
Mit solchen Fehlleistungen erweist
man weder dem Staat, noch seiner Ver
waltung, noch den betroffenen Perso
nen einen Dienst. Ich denke da an ge
wisse Richterbestellungen und auch an
die heutige Krise bei der Landespolizei,
wo die Vorgänge nun von einer weite
ren Parlamentarischen Untersuchungs
kommission untersucht werden.
Was ist los in Liechtenstein?
Die Bürgerpartei wählt heute einen
neuen Parteipräsidenten. Es hat einige
Zeit gebraucht, bis wir soweit waren.
Dabei fehlt es in unserer Partei nicht an
fähigen Männern oder Frauen. Aber,
das Präsidentenamt einer jeden Partei
ist mehr Bürde als Würde. Und wer be
reit ist, es zu übernehmen, der muss das
wohl abwägen. Ich bin dankbar, dass ich
das 1995 übernommene Amt in andere
Hände weitergeben kann. Und ich bin
überaus glücklich, dass wir dem Partei
tag in der Person von Dr. Emst Walch
einen guten Kandidaten für das Amt
des Präsidenten der Bürgerpartei prä
sentieren können!
Vor fünf Jahren bin ich als Querein
steiger in dieses Amt gewählt worden.
Ich werde aber nicht als Queraussteiger
das Parteipräsidium verlassen, denn bei
Der Staat lebt im
Überfluss und steckt
gleichzeitig in einer
tiefen politischen
Krise.
aller Inanspruchnahme und Belastung,
die dieses Amt mit sich bringt, so hat
mir diese Aufgabe auch viel gegeben.
Ich habe viele Gespräche geführt, viel
erfahren, zahlreiche Menschen kennen
gelernt, sozusagen eine neue Optik von
unserem Land, unserer Heimat, erhal
ten.
Dies alles hat mich sehr bereichert
und geprägt. Ich habe erkannt und er
lebt, welche Werte innerhalb der Bür
gerpartei gelebt werden, die Verbun
denheit und den Zusammenhalt immer
wieder gespürt. Ich glaube wirklich, die
Oppositionsrolle hat uns als Partei gut
getan.
Dankeschön!
Als sozusagen letzte Amtshandlung
will ich danken. Da gibt es eine Vielzahl
von Frauen und Männern, denen ich
von Herzen danken möchte für die gute
Zusammenarbeit und die guten Bezie
hungen. Es sind die Mitglieder im Par-
teipräsidium und im Landesvorstand, in
der Landtagsfraktion, in den Arbeits
kreisen, in den Ortsgruppen. Es ist mir
nicht möglich, sie alle namentlich auf
zuzählen.
Den Geschäftsführer Marcus Vogt
will ich namentlich erwähnen. Die Zu
sammenarbeit mit ihm erlebte ich als
speditiv, intensiv und konstruktiv und
war von gegenseitigem Vertrauen ge
prägt. Mein Dank gilt auch Heidi Kind-
le, die die Aufgaben des Parteisekreta
riates stets verantwortungsvoll, umsich
tig und selbstständig wahrnimmt.
Ich danke Euch allen, die Ihr mir
seinerzeit das Vertrauen geschenkt
habt. Ich danke auch meiner Familie,
dass sie meine ausserfamiliäre Inan
spruchnahme verständnisvoll toleriert
hat.
Ich trete nun zurück in die Reihen
unserer Partei und hoffe natürlich, dass
es der BUrgerpartei, dass es uns allen
gelingen wird, das breite Vertrauen der
Wählerinnen und Wähler zurückzuge
winnen. Nur so wird es auch möglich
sein, die politische Krise in unserem
Land zu überwinden.
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