Liechtensteiner Volksblatt
Ausland
Mittwoch, 12. Januar 2000 23
Nachrichten
Völkermord-Vorwürfe
zurückgewiesen
DEN HAAG: Vor dem UNO-Kriegsverbre-
chertribunal in Den Haag haben am Dienstag
die bosnischen Serben Ra'doslav Brdanin und
Momir Talic auch die Anklage der Beteiligung
am Völkermord während des Bosnienkonflikts
zurückgewiesen. Sie plädierten auf nicht schul
dig zu jeweils zwölf Punkten einer veränderten
Anklage. Bereits kurz nach ihrer Festnahme im
Juli und August 1999 hatten sie in getrennten
Anhörungen bestritten, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit begangen zu haben. Seither hat
Chefanklägerin Carla del Ponte die frühere An
klage für ein gemeinsames Verfahren zusam-
mengefasst und beiden zusätzlich sowohl Völ
kermord als auch Beihilfe zum Völkermord
vorgeworfen. Die ihnen zur Last gelegten Ver
brechen geschahen zwischen April und Dezem
ber 1992 während der serbischen Angriffe in der
Krajina.
Wachmänner verletzten
russischen Soldaten
MOSKAU: Die wachhabenden Marineinfante
risten der US-Botschaft in Moskau haben einen
eingedrungenen russischen Soldaten mit fünf
Schüssen getroffen. Der 22-Jährige sei verletzt,
sagten die behandelnden russischen Ärzte am
Dienstag. Bei dem Vorfall am Montagabend wa
ren zwei russische Wehrpflichtige auf das US-
Botschaftsgelände im Zentrum von Moskau
eingedrungen. Nach Angaben der russischen Si
cherheitsbehörden waren sie betrunken und
wollten ein Auto stehlen. Die Wachleute der
Botschaft eröffneten das Feuer und verletzten
einen Eindringling. Der zweite, ein 19-jähriger
Soldat, entkam zunächst, wurde aber später an
einem nahe gelegenen U-Bahnhof gefasst. Das
Innenministerium dementierte Berichte, die
Wehrpflichtigen hätten in seinen Truppen ge
dient. Sie gehörten vielmehr zu einer Bauein
heit des Verteidigungsministeriums.
Konvention gegen
Terrorismus liegt vor
NEW YORK: Das neue UNO-Abkommen ge
gen Terrorismus liegt seit Montag in New York
zur Unterschrift aus Zu den sieben ersten Staa
ten, die das Abkommen unterzeichneten, gehör
ten die USA, Grossbritannien und Frankreich.
Die «Konvention zur Verhinderung der Finan
zierung des Terrorismus» wurde am 9. Dezember
von der Vollversammlung der UNO beschlossen
und tritt in Kraft, wenn 22 Staaten sie angenom
men haben. Die Unterzeichner verpflichten sich
unter anderem, die Finanzierung terroristischer
Betätigung zu einem Straftatbestand zu machen.
Küng spricht sich
gegen Rücktritt aus
ROM: Der kirchenkritische Schweizer Theolo
ge Hans Küng hat sich gegen einen Rücktritt
des Papstes ausgesprochen. Es bestehe die Ge
fahr, dass der Papst in einem solchen Fall die
Wahl eines Nachfolgers «manipulieren oder be
einflussen» könnte. Dies sagte Küng in einem
Interview mit der römischen Zeitung «La Re-
pubblica». Zugleich lobte er den Vorsitzenden
der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Leh
mann, wegen seiner Äusserungen Uber einen
möglichen Papst-Rücktritt. Lehmann habe den
Mut gehabt, ein Thema anzusprechen, das bis
lang tabu gewesen sei. Küng gilt als einer der
schärfsten Papst-Kritiker unter Theologen. Jo
hannes Paul II. hatte ihm nach einem spekta
kulären Streit 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis
entzogen. Küng setzt sich weiterhin für eine
Aufhebung des Zölibäts und Zulassung von
Frauen als Priester ein. In der Frage eines Papst-
Rückzuges verwies Küng ausdrücklich auf den
jüngsten Rücktritt des russischen Präsidenten
Boris Jelzin; auch dieser habe dadurch einen
ihm genehmen Nachfolger bestimmt. Falls Jo
hannes Paul zurücktreten würde, könnten «wir
einen anderen Papst haben, der Opus Dei nahe
steht», sagte KUng.
Amnestie für AIS-
Fundamentalisten
ALGIER: Der algerische Präsident Abdelaziz
Bouteflika hat eine Amnestie für die Kämpfer
der Fundamentalistenorganisation Islamische
Armee des Heils (AIS) verkündet. Die Begna
digung sei die Folge des von der AIS im Okto
ber 1997 verkündeten Waffenstillstands, hiess es
in einer am Dienstag in Algier veröffentlichten
Erklärung. Die AIS habe ihre endgültige Auflö
sung und die Wiedereingliederung in die Ge
sellschaft beschlossen.
Fehler des Militärs eingeräumt
Rebellen wollen mit neuen Angriffen Verhandlungen erzwingen
MOSKAU: Die Rebellen in
Tschetschenien wollen die Ge
genangriffe auf die rassischen
Streitkräfte verstärken, um po
litische Verhandlungen zu er
zwingen. Der russische Be
fehlshaber in Tschetschenien,
Viktor Kasanzew, räumte der
weil Fehler des Militärs ein.
Im Widerspruch zur Darstellung deä
russischen Oberkommandos
kämpften Rebellen nach eigenen
Angaben mit russischen Einheiten
weiterhin um die Stadt Schali,
südöstlich der Hauptstadt Grosny.
Auch in Grosny, das weitgehend
von den Rebellen kontrolliert wird,
.brachen die Gefechte mit neuer
Härte aus.
TVotz schlechter Wetterverhält
nisse seien seit Montag mehr als 70
Einsätze gegen Stellungen der
Kämpfer in Grosny sowie in Guder-
mes, Schali und Argun östlich von
Grosny geflogen worden, teilte das
Hauptquartier der russischen Kau-
kasus-Streitkräfte in Mosdok (Nor-
dossetien) mit.
Zu politischem Dialog
aufgerufen
Binnen drei Tagen hätten die Re
bellen bei ihren Offensiven mehre
re hundert Soldaten getötet oder
verwundet, sagte Sajdajew. Die
Russen hatten ihre Verluste seit
Montag zunächst auf 16 Tote und 25
Verletzte beziffert und später auf elf
Tote gemindert und 150 getötete
Rebellen angegeben.
Der tschetschenische Präsident
■ * «*.>•,
•" » » ;-v
^v'7<
1 ■ 7
...
r.\-
Trotz Kämpfen halten sich zahlreiche Flüchtlinge im Kriegsgebiet auf.
Aslan Maschadow hat Moskau zum
sofortigen Beginn eines politischen
Dialogs aufgerufen, wie der tschet
schenische Kommandant Momadi
Sajdajew der Nachrichtenagentur
Interfax sagte.
Die Rebellen wollten der russi
schen Führung demonstrieren.
«dass die Pläne, das tschetscheni
sche Problem mit militärischen Mit
teln zu lösen, nicht aufgehen», sagte
Sajdajew. Die Gegenoffensiven sei
en eingeleitet worden, als Moskau
erklärt habe, 80 Prozent des tschet
schenischen Territoriums sei unter
russischer Kontrolle.
Ecuador - ein Land im Chaos
Immer mehr soziale Unruhen und Gerüchte um einen Putsch
MEXIKO-STADT: Das Bananen
und Erdöl exportierende Ecuador
versinkt immer tiefer im Chaos.
Normalerweise abseits des Weltge
schehens gelegen, macht die Zwölf-
Millionen-Einwohner-Nation mit
drastischem Währungsverfall, so
zialen Unruhen und gar Gerüchten
von Putsch Schlagzeilen.
Klaus Blume
In Lateinamerika für überwunden
geglaubte Probleme tauchen damit
in den Anden wieder auf. Ecuadors
Präsident Jamil Mahuad, dessen
Rücktritt weite Teile der Bevölke
rung fordern, hat am Sonntagabend
versucht, die Notbremse zu ziehen
und mit einer Festschreibung des
Wechselkurses wieder Stabilität in
die Wirtschaft zu bringen.
Ob sich die Massnahme ange
sichts des Widerstandes der Zent
ralbank und vermutlich auch des
Internationalen Währungsfonds
(IWF) überhaupt realisieren lässt,
war am Montag noch völlig unge
wiss.
Viele Jahre Stabilität
Seit dem Ende der letzten Mi
litärdiktatur 1979 zeichnete sich
Ecuador viele Jahre durch politi
sche Stabilität aus. Dann musste im
Frühjahr 1997 der erst ein halbes
Jahr zuvor gewählte Präsident Ab-
dula Bucaram nach Massenprotes
ten seinen Hut nehmen.
Bucaram, der mehr als Schlager
sänger und Hobbyfussballer denn
als Staatsmann Furore machte, wur
de vom Kongress für unzurech
nungsfähig erklärt. Zwischen sei
nem Rücktritt und Mahuads Wahl
regierte ein Übergangspräsident.
Widerstand der
Gewerkschaften
Mahuad übernahm das Land im
August 1998 in wirtschaftlich
Die Unruhen lassen erahnen, dass die Bevölkerung unzufrieden ist.
schwierigen Zeiten. Die Asienkrise
setzte ganz Lateinamerika zu, und
der Verfall der Erdölpreise bescher
te Ecuador empfindliche Verluste.
Die Versuche Mahuads, den Staats
haushalt zu sanieren, stiessen auf er
bitterten Widerstand der Gewerk
schaften.
Die internationalen Rohölpreise
haben sich inzwischen zwar wieder
erholt, doch die Krise wurde sozu
sagen zum Selbstläufer: fehlendes
Vertrauen drückte den Wechselkurs
immer tiefer.
Die Lage wurde noch schlimmer,
als Ecuador im August als erstes
Land der Dritten Welt den Schul
dendienst auf die so genannten Bra-
dy-Bonds aussetzte. Hierbei han
delt es sich um Staatsanleihen, die
nach der Schuldenkrise der 80-er
Jahre in vielen Ländern zur Um
schuldung alter Kredite eingesetzt
wurden.
Armee hinter Mahuad
In seiner relativ kurzen Amtszeit
Nach Maschadows Ansicht könn
ten nur direkte Gespräche zwischen
der Führung Tschetscheniens und
der russischen Regierung sowie die
Unterzeichnung eines Vertrages
zum Frieden führen, sagte Sajdajew
weiter. Die russische Führung hat
Verhandlungen bislang abgelehnt.
Der russische General Kasanzew
warf den eigenen Soldaten «Weich
herzigkeit» vor. Die Truppen des In
nenministeriums seien verantwort
lich dafür, dass bei einem Gegenan
griff der tschetschenischen Rebel
len in Argun und Schali am Sonntag
26 Soldaten getötet worden seien.
Sie seien «schlampig» gewesen,
hätten Fehler gemacht und die Häu
ser grosser Familien in den Orten
nicht ordentlich «gesäubert». «Es
war unser weiches Herz, unser Ver
trauen, das zu den Verlusten geführt
hat», sagte Kasanzew.
Männer strenger überprüft
Nach russischen Angaben began
nen die Soldaten am Dienstag mit
neuen «Säuberungen» in Argun,
Schali und Gudermes und kontrol
lierten dabei vor allem die männli
che Bevölkerung. Ab Mittwoch
würden nur noch Kinder bis zu zehn
Jahren, Frauen und Alte ab 60 Jah
ren als Flüchtlinge gelten, sagte Ka
sanzew. Rund 70 000 Flüchtlinge aus
Tschetschenien sind bisher nach
Angaben des UNO-Flüchtlings-
hilfswerks (UNHCR) in russisch
kontrollierte Gebiete in der Kauka
sus-Republik zurückgekehrt. In der
Nachbarrepublik Inguschetien hiel
ten sich noch 150 000 bis 180 000
Flüchtlinge auf
^it&dqfiuSrtM
ycomnäm^tWe; gVetta
okoUa^Kiraye
§flikten begannen^
m reri. Dairtik'daia^
hat Mahuad schon drei General
streiks überstanden. Doch Arbeiter
und Indios wollen in dieser Woche
den Druck auf den Präsidenten ver
stärken.
Im Parlament hat Mahuad keine
Mehrheit; selbst einige Kabinetts
mitglieder versuchen sich Pressebe
richten zufolge von ihm abzusetzen.
Aber die in der Bevölkerung relativ
populäre Armee hat sich hinter
Mahuad gestellt.
Die von Mahuad angestrebte
Festanbindung des Sucre an den
Dollar, in der Fachwelt «Currency
Board» genannt, existiert in dieser
Form zum Beispiel in Argentinien
und Hongkong. «Wenigstens hat
Mahuad einen klaren Weg aufge
zeigt», schrieb am Montag die Zei
tung «Hoy».
Skeptischer zeigte sich das Kon
kurrenzblatt «El Comercio»: «Die
Intervention des Präsidenten hält
nach wie vor den wichtigsten Virus,
unter dem das Land leidet, am Le
ben: die allgemeine Unsicherheit.»