Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner Volksblatt 
LA N D TAQSERÖFFNUNQ 
Donnerstag, 17. Februar 2000 5 
Es geht uns nicht um politische Macht, 
sondern um politische Priiuipien» 
Thronrede von Fürst Hans-Adam IL zur Eröffnung des Landtages - Verfassungfrage im Mittelpunkt 
Fürst Hans-Adam II. von Liech 
tenstein will eine baldige Ent 
scheidung in der Verfassungsdis- 
kussion. An der gestrigen Eröff 
nungssitzung des Landtages gab 
er auch den Tarif bekannt: «Der 
Landtag wird sich mit der Tatsa 
che abfinden müssen», erklärte 
der Landesfürst in seiner nachste 
henden Thronrede, «dass nicht 
der Landtag, sondern das Fürsten 
haus die Bedingungen festlegt, zu 
denen das Fürstenhaus das Staats 
oberhaupt stellt.» 
In ausländischen Medien erschienen 
während der vergangenen Monatfe im 
mer wieder kritische Berichte über das 
Fürstentum Liechtenstein. Ein Teil die 
ser Berichte ist sicher falsch, aber wir 
müssen uns fragen, ob nicht wir manch 
mal Anlass geboten haben für so eine 
negative Berichterstattung. 
Einer der Problembereiche, welcher 
von den ausländischen Medien dankbar 
aufgenommen wurde, ist die nun schon 
seit Jahren andauernde Verfassungsdis 
kussion. Wir müssen nun im Interesse 
des Landes eine Entscheidung treffen, 
wie immer diese Lösung auch aussehen 
mag, damit alle Beteiligten sich neuen 
Aufgaben widmen können. 
Im Interesse des 
Landes nun eine 
Entscheidung treffen 
In diesem Zusammenhang möchte 
ich doch in Erinnerung rufen, dass nicht 
das Fürstenhaus, sondern Politiker aus 
allen drei im Landtag vertretenen Par 
teien mit dieser Verfassungsdiskussion 
begonnen haben. Der Landtag hat mit 
überwältigender Mehrheit vor mehre 
ren Jahren eine Verfassungskommissi 
on gewählt, welche mit mir in erster Li 
nie über die zukünftige Stellung der 
Monarchie in der Verfassung Ge 
spräche geführt hat. Bei einigen Verfas 
sungsartikeln konnten wir.uns einigen, 
bei anderen nicht. 
Eine unterschiedliche Auffassung be 
steht offensichtlich schon in der Frage, 
wozu in Zukunft ein Staat zu dienen 
hat. Wir sind im Fürstenhaus der Auf 
fassung, dass der Staat dazu dienen soll, 
dass die Menschen innerhalb seiner 
Grenzen in Freiheit und Frieden mit 
einander leben können, und dass die 
Mitgliedschaft auf Freiwilligkeit be 
ruht. Zwar ist in Europa das Prinzip-der 
Freiwilligkeit, was den Einzelnen be 
trifft, seit dem Zusammenbruch des So 
zialismus in Osteuropa nicht mehr in 
Frage gestellt, aber inwieweit es grösse 
ren Gruppen zusteht, ist ungeklärt. 
Das Selbstbestimmungsrecht ist zwar 
in der UNO-Charta sowie in verschie 
denen internationalen Verträgen veran- 
Selbstbestimmungs- 
recht auf 
Gemeindeebene 
kert, aber im Völkerrecht wird es mehr 
heitlich dahin gehend interpretiert, dass 
es nur Gruppen zusteht, die sich in Ras 
se, Religion, Sprache oder Kultur von 
ihren Nachbarn unterscheiden. Diese 
Interpretation des Selbstbestimmungs 
rechtes hat immer wieder zur Unter 
drückung von Minderheiten, zur 
Zwangsassimilierung oder gar zu ethni 
schen Säuberungen geführt. In einigen 
Fällen waren Bürgerkriege die Folge, 
und die betroffenen Staaten sind aus 
einandergefallen, wie wir das am Bei 
spiel Jugoslawiens in jüngster Zeit aus 
nächster Nähe mitverfolgen konnten. 
Aus liechtensteinischer Sicht hat diese 
Fürst Hans-Adam II. zur Verfassungsdiskussion: «Wir müssen nun im Interesse des Landes eine Entscheidung treffen, wie im 
mer diese Lösung auch aussehen mag, damit alle Beteiligten sich neuen Aufgaben widmen können.» 
problematische Interpretation des 
Selbstbestimmungsrechtes aber noch 
einen weiteren grossen Nachteil. Wir 
unterscheiden uns nicht von unseren 
Nachbarn in Rasse, Religion, Sprache 
oder Kultur, und deshalb könnte uns in 
einem vereinten Europa dieses Selbst 
bestimmungsrecht nicht mehr zuste 
hen. Das Fürstentum Liechtenstein hat 
deshalb ein ganz grosses Interesse an ei 
ner anderen Interpretation des Selbst 
bestimmungsrechtes, und zwar eines 
auf Gemeindeebene. Dafür setzen wir 
uns schon seit vielen Jahren internatio- 
Volk kann 
Misstrauensantrag 
einbringen 
nal ein und können kleine Fortschritte 
verzeichnen, denn die Einsicht wächst, 
dass die bisherige Interpretation des 
Selbstbestimmungsrechtes problema- 
■ tisch ist und viel Unheil angerichtet hat. 
Wenn wir unsere Interpretation des 
Selbstbestimmungsrechtes auf Ge 
meindeebene in der Verfassung veran 
kern, so erhöhen wir nicht nur unsere 
Glaubwürdigkeit gegenüber aussen, 
sondern leisten einen wichtigen Beitrag 
zur langfristigen Absicherung des 
Selbstbestimmungsrechtes unserer Be 
völkerung in Europa. 
Fürst Hans-Adam II:«Nicht der Land 
tag, sondern das Fürstenhaus legt die Be 
dingungen fest, zu denen das Fürsten 
haus das Staatsoberhaupt stellt.» 
Wenn hier im Land immer wieder be 
hauptet wird, der Verfassungsvorschlag 
des Fürstenhauses dient nur dazu, die 
Macht des Fürsten zu stärken, so ist dies 
falsch. Wir haben das Notrecht einge 
schränkt, um zu verhindern, dass der 
Fürst auf legalem Wege eine Diktatur 
errichten kann. Der Fürst soll auf sein 
Ernennungsrecht bei den Staatsbeam 
ten verzichten sowie auf sein Vetorecht 
bei den Richterernennungen. Die Re 
gierung soll nicht nur wie bisher zurück 
treten, wenn sie das Vertrauen des Für 
sten verloren hat, sondern auch dann, 
«Dem Fürstenhaus 
geht es nicht um 
politische Macht» 
wenn sie jenes des Landtages verloren 
hat. Dem Volk steht das Recht zu,gegen 
den Fürsten einen Misstrauensantrag 
einzubringen oder die Monarchie abzu 
schaffen, ohne das Veto des Fürsten be 
fürchten zu müssen. Der Verfassungs 
vorschlag des Fürstenhauses soll die 
Unabhängigkeit der Gerichte erhöhen 
und verhindern, dass die Parteien oder 
Grosses Medieninteresse an der gestrigen Eröfjhungsfitqmg des Landtages. 
(Bilder: Brigitt Risch) 
der Fürst über die Richterernennungen 
diese Unabhängigkeit gefährden. 
Grössere Meinungsverschiedenhei 
ten bestehen auch beim Artikel 112 der 
Verfassung, der durch den Fall Wille be 
kannt wurde. Dieser Artikel steht nicht 
nur im Widerspruch zu Artikel 111 der 
Verfassung, sondern auch zum moder 
nen Verfassungsstaat. Etf ist ein Grund 
prinzip des modernen Rechtsstaates, 
dass allgemein verbindliche Erläute 
rungen auf dem gleichen Wege be 
schlossen werden müssen wie Verfas 
sungsänderungen, und nicht durch eine 
Übereinkunft zwischen Regierung und 
Landtag oder durch einen Beschluss 
des Staatsgerichtshofes. Den Artikel 
112 dahin gehend zu interpretieren, 
dass der Staatsgerichtshof bei Konflik 
ten zwischen dem Fürsten und dem 
Landtag entscheidet, würde nicht nur 
dem Sinne, sondern auch dem Wortlaut 
der Verfassung widersprechen. Inter 
pretieren staatliche Institutionen Ver 
fassung und Gesetz entgegen ihrem 
Sinn und ihrem Wortlaut, zerstören sie 
die Grundlagen des Rechtsstaates.Ich 
möchte noch einmal ausdrücklich fest 
halten, dass es dem Fürstenhaus nicht 
um politische Macht geht, sondern um 
«Wir lieben dieses 
Land und seine 
Bevölkerung» 
politische Prinzipien. Es geht uns auch 
nicht um wirtschaftliche Vorteile, denn 
das Amt des Staatsoberhauptes kostet 
den jeweiligen Fürsten Zeit und Geld. 
Es geht uns auch nicht um eine Profilie 
rung in der Öffentlichkeit, denn wir zie 
hen es vor, ein von den Medien unge 
störtes Privatleben zu führen, um uns 
jenen Aufgaben zu widmen, die uns 
wichtig erscheinen. Man kann mit den 
Bedingungen des Fürstenhauses ein 
verstanden sein oder nicht. Der Land 
tag wird sich aber mit der Tatsache ab 
finden müssen, dass nicht der Landtag, 
sondern das Fürstenhaus die Bedingun 
gen festlegt, zu denen das Fürstenhaus 
im Fürstentum Liechtenstein das 
Staatsoberhaupt stellt. Ist der Landtag 
mit den Bedingungen des Fürstenhau 
ses nicht einverstanden, so möchte ich 
ihn bitten, eine Alternative zum Für 
stentum Liechtenstein auszuarbeiten 
und vorzuschlagen. 
Grundsätzlich sind wir im Fürsten 
haus, wie ich das wiederholt schon ge 
sagt habe, bereit, ein Staatsoberhaupt 
zu stellen, welches keine politische 
Macht hat, sondern nur noch eine sym 
bolische Bedeutung. Auch dann wer 
den wir unsere Bedingungen stellen, 
denn nur in einem funktionierenden 
demokratischen Rechtsstaat können 
wir es uns leisten, auf Dauer das Staats 
oberhaupt zu stellen. Wir sind jedoch 
der Überzeugung, dass man zuerst über 
den Vorschlag entscheiden soll, bei 
dem die Monarchie politische Funktio 
nen ausübt. Erstens glauben wir, dass 
eine Mehrheit der Bevölkerung so eine 
Lösung wünscht, denn die Entwicklung 
der vergangenen sechzig Jahre ist doch 
im Grossen und Ganzen recht positiv 
verlaufen. Zweitens glauben wir, einen 
positiven Beitrag für die Entwicklung 
dieses Landes und seiner Bevölkerung 
weiterhin leisten zu können. Wir tun 
das gerne, denn wir lieben dieses Land 
und seine Bevölkerung, es ist schliess 
lich unsere Heimat. Ich möchte in die 
sem Zusammenhang aber doch noch 
einmal ausdrücklich betonen, dass wir 
diese Aufgabe nur ausüben können 
und wollen, solange eine Mehrheit des 
liechtensteinischen Volkes dies auch 
wünscht. 
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, 
sehr geehrte Herren Abgeordnete, 
für die vor Ihnen liegenden Aufgaben 
wünsche ich Ihnen viel Erfolg und 
GottesSegen.
	        

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