Kat. Nr. 22
FRANCESCO DA PONTE
gen. BASSANO (1549-1592)
«DAS ELEMENT DER ERDE»
Leinwand; 145,5 X 187 cm
Inv. Nr. G 234
Signiert: FRANC. BASSSs FACIEBAT
Erworben: vermutlich vor 1712 durch Fürst Johann Adam Andreas I.
Francesco war der älteste Sohn Jacopo da Pontes und gehörte
wie seine Brüder zu der bedeutenden Künstlerfamilie der Bas-
sano, die bis in das 17. Jahrhundert hinein als Werkstattgemein-
schaft tätig war. In seiner Geburtsstadt Bassano del Grappa
begann der Vater Jacopo als ein «Provinzler». Im Laufe seines
langen Künstlerlebens, das ihn für Staatsaufträge auch in die
Hauptstadt, nach Venedig, führte, wurde er einer der großen
Protagonisten der venezianischen Malerei. So stehen die Bilder
seines Spätwerkes den malerischen Lösungen Tizians in nichts
nach. Das künstlerische Vermögen Jacopos war zweifelsohne der
Motor der Werkstatt und blieb maßgebend auch für die Söhne.
In einer Fülle von Bildern, oft als Variationen einer themati-
schen Fassung, hat die Kunst der Bassano Verbreitung gefunden.
Als Auftragsarbeiten schmückten viele Werke die Palazzi des
städtischen Adels auf der venezianischen Terraferma.
Auch die beiden Gemälde Francescos in der liechtensteinischen
Sammlung entstammen wohl solchen Zusammenhängen. Von
den ursprünglich vier großen Gemälden mit allegorischen Dar-
stellungen der Elemente sind heute nur noch «Terra» und
«Fuoco» im Besitz der Sammlung‘. Beide Werke sind typische
Beispiele für das Zusammenwirken der künstlerischen Kräfte in
der Familie der Bassano.
Rearick rekonstruiert 1992 die Entstehung der verschiedenen
Fassungen” und nimmt an, daß die erste Serie von Elementen-
bildern als ursprüngliche Invention Jacopos in der zweiten
Hälfte der siebziger Jahre entstand und weiters, daß sie unmit-
telbar darauf in Zusammenarbeit mit den Söhnen reproduziert
wurden. Jacopo selbst nahm sich des Themas wohl gegen
1584/85 noch einmal in einer letzten Serie an. Francesco wie-
derholte diese abermals und signierte die Bilder mit eigenem
Namen. Üblich waren darüber hinaus weitere Variationen, teil-
weise nur Ausschnitte aufgreifend, sowie auch Kopien, die in
Francescos Werkstatt von Mitarbeitern ausgeführt wurden.
«Terra», das Element Erde, erzählt nun von den Wohltaten der
Natur. Hoch am Himmel, über der städtischen Szene, thront
bzw. fährt Cybele, die «Große Mutter». Sie personifiziert die
lebenserzeugende Kraft und den Überfluß der Natur und ist
schon seit der Antike in Begleitung zweier Löwen. Zu ihren
Füßen, auf der Erde, finden sich ihre abundanten Geschenke
ausgebreitet. Der himmlischen Zone zunächst erkennt man auch
verschiedene Bäume, die auf üppigste Weise Früchte tragen.
Doch Cybeles köstliche Gaben erscheinen hier nicht nur als
Wohltat, sie sind sogar Grundlage des städtischen Lebens. Denn
es sind nicht allein die Produkte und deren Ernte gezeigt, man
kann auch sich unterhaltende, Handel treibende Männer erken-
nen, den Verkauf und den Transport der nun Ware gewordenen
Früchte. Das Arrangement auf der Treppe, die aus dem Markt-
stand gleichsam hervorquellenden Früchte, erinnern an die
Tradition der niederländischen Stillebenmalerei, etwa an die
Marktbilder Pieter van Aertsens oder Lucas van Valckenborchs,
die durch Francescos Zeitgenossen Vincenzo Campi allerdings
längst auch in Oberitalien als eigene Gattung etabliert war‘.
[n einem Bildrhythmus voller lebhafter Bewegtheit klingen auf
der liechtensteinischen Komposition die vielfältigen, auf der
Grundlage der Natur beruhenden Tätigkeiten zusammen. Man-
che der Figuren in der Enge dieses Marktgetümmels gehören
zum Repertoire von Prototypen in der Bassano-Werkstatt und
gehen auf Figurenerfindungen Jacopos zurück. Es tauchen aber
auch ganz typische Gestalten Francescos auf, wie der Knabe mit
Mütze, der den Korb hält und vor jener Wand steht, die als
ınschrift die Signatur des Bildes trägt. Diese Gestalt hat auf vie-
len anderen Gemälden Auftritte, darunter in «Christus im Hause
Marthas, Marias und Lazarus’» (Houston, Sarah Campbell Blaf-
fer Foundation), das durch die gemeinsame Signatur als eine der
Koproduktionen Jacopos und Francescos ausgewiesen ist. Häu-
fig wurden solche Figuren in Zeichnungen festgehalten, die im
Werkstattgebrauch als Erinnerungshilfen benutzt und in ver-
schiedenen Kompositionen immer wieder eingesetzt wurden.
Auch ganze Bildelemente finden erneut Verwendung, so z.B
die bühnenartige Treppe im Vordergrund. Selbst kompositori-
sche Kunstgriffe ähneln einander. So bedecken auch auf dem
Houstoner Gemälde Schüsseln und Zuber den Boden und mil-
dern, wie auch der diagonal gestellte Tisch, den starken tiefen-
-äumlichen Sog der zentralperspektivisch organisierten Kompo-
sition. Das gleiche Problem löst auf dem liechtensteinischen
Gemälde das weiß leuchtende Pferd in schräger Rückenansicht.
Nach der nahezu identischen Organisation des Bildmittelgrundes,
in Houston ein Innenraum, auf dem liechtensteinischen Ge-
mälde die Straße bzw. ein Platz, öffnet sich auf gleicher Höhe
der Blick in die Tramontolandschaft. Auch die beiden virtuos
gestalteten Landschaften weisen jene Gemeinsamkeiten auf, die
schließlich zu Charakteristika vieler Bassäno’scher Bilder wur-
den und auch ein kompositionelles Bindeglied im Zyklus der
«Elemente» sind. Im Ausschnitt entfaltet sich das Panorama
einer Landschaft, über die sich ein dunkler Himmel wölbt. Am
Horizont, im letzten Licht des Tramonto, erscheint der maje-
stätische Gipfel des Monte Grappa, welcher der Hausberg der
Bassano ist. In fast jedem Landschaftsbild Jacopos taucht er auf,
ganz so, als würde dieser ordnenden Naturmacht ehrfürchtige
Referenz durch die Kunst erwiesen. Der Sohn folgt dieser Tra-
dition. Auch auf dem Bild des «Fuoco» zeigt er den Berg als
perspektivischen Blickfang in einer anderen Ansicht. M.H
Usprünglich, bis zum Verkauf von «L’ Aria» und «L’Acqua», 1882, befander
sich alle vier Gemälde des Zyklus in Fürstlich Liechtensteinischem Besitz.
Ballarin wies in einer brieflichen Mitteilung vom 6. Mai 1992 auf die wieder-
aufgetauchte Darstellung der «L,’Aria» hin. Es handelt sich um jene bei Chri-
stie’s, London, Lot 64, am 26. Juni 1970 versteigerte, von Francesco signierte
Fassung mit den Maßen 142,1 X 187,8 cm, die auf der Auktion bei Fischer in
Luzern am 22. Juni 1974, Nr. 3, nochmals erschien.
Rearick, W.R., in: Jacopo Bassano, ca. 1510-1592, Ausstellungskatalog.
Bassano del Grappa 1992, S. 187, Nr. 70.
Vgl. Vincenzo Campi, «Fruttivendola», Mailand, Pinacoteca di Brera.
Literatur: Seite 152/153