Kat. Nr. 12
FRANCIABIGIO (1482-1525)
«BILDNIS EINES MANNES» (1517)
Leinwand; 55 X 40,1 cm
Inv. Nr. G 851
Provenienz: Sammlung Marchese Gino Capponi, Florenz, bis 1879
Erworben: 1879 durch Fürst Johannes II.
Dem malerischen Werk Franciabigios wird durch die kunsthi-
storische Forschung vorrangig im Bereich des Porträts ein hohes
künstlerisches Niveau attestiert, das den besten Leistungen sei-
ner Zeit durchaus die Waage zu halten vermöge. Schon Vasari
erwähnt in seinen «Viten»', wenngleich in ausgewogener Beur-
teilung des gesamten Oeuvres, die «vielen und sehr schönen
Bildnisse nach der Natur», die von des Malers Hand stammen.
Das liechtensteinische Gemälde wurde erstmals von Jacob
Burckhardt mit Franciabigio in Verbindung gebracht, und auch
er schreibt knapp aber anerkennend: «... gutes Porträt eines
Mannes im Hut (1517) im Palazzo Capponi»“, wo Burckhardt es
noch vor dem Wechsel in fürstlichen Besitz sah.
Tatsächlich zeichnet sich das Bildnis durch eine in allen Einzel-
heiten feine Pinselführung aus, welche sensibel der psychischen
Verfassung des Dargestellten nachspürt. Die von starken.
schwarzhaarigen Brauen überwölbten und zartes Glanzlicht ent-
haltenden Augen sowie das aus dunklem Schatten hervorge-
hobene Ohr lassen eine besondere sensuelle Empfindsamkeit
der Person erkennen. Doch hat es den Anschein, als trügen alle
über Gesichtssinn und Gehör im Inneren versammelten Wahr-
nehmungen zu einer tief melancholischen, ja fast ängstlichen
Gemütslage bei. Nichts in dem hageren, spitz nach unten zulau-
fenden und dünnhäutig wirkenden Gesicht, welches durch Wan-
genknochen und Nasenrücken markant profiliert wird, deutet
auf ein tragfähiges Fundament unerschütterlichen Selbstver-
trauens, das sich erhaben gegen Daseinszweifel zu behaupten
weiß. Diesen Eindruck kann auch die vornehme Kleidung des
Mannes nicht entkräften, die ihn als keineswegs unbetuchtes
Mitglied städtischer Gesellschaft kennzeichnet. Die Schwarz-
farbigkeit von Hut und Gewand unterstreicht vielmehr die
Schattenseite seines Gemütes und auch die filigrane Spitzenar-
beit des weißen Hemdes erscheint als äußeres Indiz einer
zerbrechlichen Innenwelt.
In starkem Hell-Dunkel-Kontrast hebt sich der Porträtierte vor
einem einfarbig grünen Hintergrund ab, und gewiß nicht ohne
tieferen Sinn läßt der Maler die von Falten gezeichnete Stirn
lichtvoll aufstrahlen, gleichsam als bildhaften Hinweis auf den
menschlichen Geist, der um seelische Balance ringt.
Sämtlichen Bildnissen Franciabigios unterliegt ein dunkler und
grüblerischer, zumindest aber melancholischer Grundzug. Häu-
fig sind die Personen vor einer Landschaft dargestellt und mit
verschiedenen Attributen, etwa ihres Berufsstandes, ausgestat-
tet. Im liechtensteinischen Gemälde hat Franciabigio, wie schon
im «Porträt eines jungen Mannes» von 1513 (Detroit Institute
of Fine Arts), auf jedes erläuternde Beiwerk verzichtet. Unge:
teilt gilt die Aufmerksamkeit dem Menschen als solchem, sei
nem Wesen, das sich allein über die Deutung des Gesich-
tes erschließt.
Die gelegentlich geäußerte, wohl auf Burckhardt zurückge-
hende Vermutung, es handele sich um ein Selbstbildnis, 1äßt
sich, insbesondere bei einem Vergleich mit Johannes dem Täu-
fer in Franciabigios Altar von 1516 (heute San Salvi, Florenz),
dessen Gesicht der Künstler laut Vasari «nach seinem eigenen
zeichnete»®, nicht verifizieren.
Die von Burckhardt vorgenommene Zuschreibung des 1517
datierten*, aber unsignierten Gemäldes an Franciabigio wurde
von Autoren wie Bode, Berenson, Venturi, Freedberg“, Sricchia
Santoro und Christiansen akzeptiert. Lediglich McKillop
schließt das Bildnis in ihrer Monographie von 1974 aus Fran
ciabigios Oeuvre aus. Sie vermag darin nur schwer ein italieni-
sches Werk zu sehen, nennt aber dennoch den Florentiner Maler
Tommaso di Stefano als möglichen, jedoch unter flämischem
Einfluß stehenden Urheber. Gewiß unterscheidet sich das auf
Leinwand gemalte Bild in seiner eher dünnen und trockenen
Ausführung von den ansonsten auf Holz gemalten Porträts
Franciabigios. Eine Neuzuschreibung des sich durch hohe male-
rische Qualität auszeichnenden Gemäldes an einen noch dazu
weniger talentierten Künstler ist indes nicht gerechtfertigt. Das
liechtensteinische Bildnis findet zwischen dem «Porträt eines
Ritters vom Malteserorden» (London, The National Gallery,
datiert 1514) und dem «Porträt eines Verwalters aus dem Hause
Medici» (Hampton Court, ca. 1520) einen stilkritisch nachvoll
ziehbaren und damit sicheren Platz im Werk Franciabigios.
Franciabigio, dessen eigentlicher Name Francesco di Cristofano
{autete, wurde vermutlich 1482 in Florenz geboren. Nach einer
Ausbildung bei Mariotto Albertinelli arbeitete er einige Jahre in
Werkstattgemeinschaft mit dem ihm in Freundschaft verbunde-
nen Maler Andrea del Sarto, der, wie auch Piero di Cosimo,
erkennbaren Einfluß auf sein Schaffen hatte. Neben Porträts,
Altar- und Marienbildern schuf er auch Fresken, etwa im Atrium
von SS. Annunziata in Florenz (1513) sowie in der Medici-Villa
in Poggio a Caiano (1521), wo er sich neben del Sarto und Pon-
tormo zu behaupten hatte. Im Unterschied-zum etwa gleichaltri-
gen Raffael, mit welchem er, wie Vasari berichtet, in kritischer
Selbsteinschätzung den künstlerischen Vergleich mied, be-
schränkte sich Franciabigios Lebens- und Wirkungsbereich auf
seine Heimatstadt Florenz. Er starb dort 1525 im Alter von zwei-
undvierzig Jahren. U.W
Vasari, (vgl. Kat. Nr. 8, Anm. 3), Bd. 3, 2. Abt., 1845, S. 131.
' Jacob Burckhardt, Der Cicerone, Neudruck der Urausgabe, Stuttgart 1986,
S. 840.
? Vasari, (siehe Anm. 1), S. 125.
* Siehe gemalter Inschriftenzettel im Bild: A D M D X VIl/D X/S = ANNO DOMIN
MDXVII, D(IE) X S(EPTEMBRIS). Die Interpretation der letzten drei Großbuch-
staben folgt dem Vorschlag von Christiansen.
‘ Laut McKillop hat Freedberg die Zuschreibung nach 1961 durch mündliche
Mitteilung revidiert.
Ausstellungen und Literatur: Seite 149