Kat. Nr. 46
BERTOLDO DI GIOVANNI (um 1440-1491)
«SCHILDHALTER» (Florenz, um 1470)
Bronze, braune Patina, Reste von Feuervergoldung; reparierte Bruchstelle
am rechten Oberarm
Höhe 22,5 cm, auf einer ergänzten Bronzebasis montiert
Inv. Nr. S 258
Erworben: 1885 durch Fürst Johannes II.
ine kräftige, nackte männliche Gestalt erscheint in spannungs-
voller, leicht gedrehter Körperhaltung: Das bärtige Haupt ist zur
linken Seite gewendet, die angewinkelte Rechte hält eine paral-
el zum Oberkörper geführte Keule, während die Linke einen
auf dem Boden stehenden Schild umgreift. Der Kopf ist ebenso
wie die Hüfte weinlaubbekränzt.
Die Statuette gehört zu den Inkunabeln der Renaissance-Klein-
bronzen, einer Gattung, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts in Anlehnung an antike Vorbilder neugeschaffen
wurde und als eine der charakteristischsten Schöpfungen jener
Epoche angesehen werden kann. Ihre Ursprünge dürfte sie in
Florenz im Umkreis Donatellos haben; nur sehr wenige Klein-
bronzen aus dem 15. Jahrhundert sind überliefert. Eine breitere
Entwicklung und ein erster Höhepunkt in der Geschichte dieser
Gattung folgte dann um 1500 in Oberitalien, besonders in der
Universitätsstadt Padua, aber auch am Hofe der Gonzaga in
Mantua (vgl. Kat. Nr. 47), wo Kleinbronzen sowohl für Huma-
nisten als auch gebildete Sammler begehrenswert waren.
Der «Schildhalter» stammt von Bertoldo di Giovanni, der sich
selbst 1479 in einem Brief an Lorenzo de’ Medici, genannt Il
Magnifico, als Schüler Donatellos bezeichnete. Bertoldo, der
vorrangig kleinformatige Arbeiten in Bronze geschaffen hat,
stand in engem Kontakt zu Lorenzo und avancierte zu dessen
Lieblingskünstler. Ihm wurde die Aufsicht über die antiken
Bildwerke der Medici übertragen, die im «Giardino delle scul-
‚ure» nahe dem Florentiner Dominikanerkloster San Marco
untergebracht waren. Gleichzeitig leitete er dort eine «Aka-
demie», in der Künstler, besonders Bildhauer, ausgebildet wur-
den; hierzu gehörte auch der junge Michelangelo. Das ins-
gesamt relativ kleine Werk Bertoldos steht in einem großen
Mißverhältnis zu dem Einfluß, den der Bildhauer auf jüngere
Künstler ausübte.
Die liechtensteinische Statuette wurde zuerst 1895 von Bode
publiziert, der sie in seinem grundlegenden Aufsatz über Ber-
toldo nicht nur korrekt zuschreiben, sondern auch dessen Ent-
stehungsumstände erhellen konnte. Bode fand heraus, daß die
Kleinbronze für Ercole d’Este, den Herzog von Modena und
Ferrara, geschaffen worden war. Er verwies dabei auf damals
noch vorhandene Reste eines entsprechenden Wappens auf dem
Schild. Möglicherweise entstand die Bronze — zusammen mit
ihren Gegenstücken (s.u.) —, wie Raggio postulierte, anläßlich
der Heirat von Eleonora von Aragon mit Ercole d’Este im Jahr
1473 und gelangte als Geschenk der Medici an den Fürstenhof
von Ferrara. Bode brachte die Statuette mit einer kleinformati-
gen Reiterfigur des Herkules in der Galleria Estense in Modena
und einer männlichen Figur mit Schild in der Sammlung Pier-
pyont Morgan (heute Frick Collection, New York) in Zusam-
menhang und äußerte die Meinung, daß diese drei Figuren
einst ein Ensemble gebildet hätten. Bodes überzeugende These
blieb grundsätzlich unwidersprochen. Von Lisner wurde ergän-
zend nachgewiesen, daß das Motiv des reitenden Herkules allein
in Ferrara vorzufinden war, wo es auch auf Wandteppichen vor-
kam. Der Name des Regenten, der als vorzüglicher Reiter galt,
dürfte für Darstellungen des Herkules-Themas innerhalb seiner
Landesgrenzen ebenfalls förderlich gewesen sein.
{m Unterschied zu der liechtensteinischen Statuette, die an das
Erscheinungsbild von Herkules erinnert, besitzt das beinahe
spiegelbildlich aufgebaute Gegenstück in der Frick Collection
<einen Bart, es hat Hörnchen auf dem Kopf und ein Schwänz-
chen, wodurch die Figur als Satyr charakterisiert wird. Ebenso
wie die Statuetten in Liechtenstein und New York hält die
Reiterfigur in Modena eine Keule in der Hand und ist wein-
aubgeschmückt, außerdem trägt sie das Löwenfell. In den drei
Bronzen werden auf ungewöhnliche Weise Attribute der seit
dem Spätmittelalter dargestellten sogenannten «Wilden Män-
ner» mit denen von Herkules und Bacchus verschmolzen. Den
Schildhaltern ikonographisch vergleichbar erscheinen Gestalten
auf einer um 1475 entstandenen «cassone» (Hochzeitstruhe) in
der Universität in Groningen und auf Andrea del Castagnos
jerühmtem Fresko des Söldnerführers Niccolö da Tolentino im
“orentiner Dom (Draper 1992, Abb. 88{ff.).
Die liechtensteinische Statuette besitzt trotz ihres kleinen
Formats eine geradezu monumentale Wirkung. In ihrem konse-
quenten räumlichen Aufbau, der deutlichen Unterscheidung
zwischen Spiel- und Standbein, nimmt sie Gestaltungsprinzi-
pien vorweg, die in der Folgezeit ein Hauptanliegen in der Bild-
hauerei werden sollten. Nicht zuletzt zeigt sich auch der junge
Michelangelo in seinem monumentalen David von Bertoldo
beeinflußt. V.K
Ausstellungen und Literatur: Seite 157