Kat. Nr. 44
BERNARDO BELLOTTO (1720-1780)
«DAS GARTENPALAIS LIECHTENSTEIN IN WIEN,
GARTENANSICHT» (1759/60)
Leinwand; 99,8 X 158,5 cm
Inv. Nr. G 889
Erworben: 1759/60 nach Auftrag durch Fürst Joseph Wenzel vom Künstler
Nach der endgültigen militärischen Niederschlagung der Tür-
ken vor Wien im Jahre 1683 gehörte Fürst Johann Adam An-
dreas I. von Liechtenstein zu den ersten Mitgliedern führender
Wiener Adelsfamilien, die sich außerhalb der bis dahin Schutz
gewährenden Stadtmauern um den Erwerb von Baugrund
bemühten. 1687 kaufte er in der Roßau, nordwestlich der Stadt
gelegen, ein genügend großes Grundstück, um darauf einen
Sommerpalast mit ausgedehnter Gartenanlage zu errichten.
Seiner Leidenschaft für italienische Kunst und italienischen
Geschmack folgend, engagierte der Fürst den aus Lucca stam-
menden Architekten Domenico Martinelli, der in Rom Schüler
des Carlo Fontana war. Martinelli kam 1690 nach Wien und
begann zwei Jahre später seine Tätigkeit am Palast, dessen Pläne
zuvor Domenico Egidio Rossi erstellt hatte, von Martinelli
jedoch nachhaltig verändert wurden. Durch die Arbeiten des
Bildhauers Giovanni Giuliani, des Stukkateurs Santino Bussi
und des Malers Marcantonio Franceschini (siehe Kat. Nr. 35)
gestaltete sich der Palast bis zum Jahre 1705 zu einem italieni-
schen «Gesamtkunstwerk», das noch heute zu den schönsten
Schöpfungen des Barock in Wien zählt. Schließlich schuf der
aus Trient stammende Maler Andrea Pozzo zwischen 1704 und
1708 im Festsaal des «piano nobile» eines der größten und
bedeutendsten illusionistischen Deckengemälde des Barock
nördlich der Alpen, die Heldentaten des Herkules und seine
Aufnahme in den Olymp — ein Thema, das deutliche Rück:
schlüsse auf das gesellschaftliche Rangverständnis des Fürsten
zuläßt. Nicht als «maison de plaisance» dachte sich Fürst Johann
Adam die Anlage, sondern als «palazzo in villa» mit der Funktion
einer ehrwürdigen Sommerresidenz vor den Toren der Stadt!.
Im Dezember 1758 oder im Januar 1759 kam der venezianische
Maler Bernardo Bellotto aus Dresden nach Wien. Im Verlauf
seines zweijährigen Aufenthaltes in dieser Stadt malte er drei-
zehn Gemälde für Kaiserin Maria Theresia, ein Gemälde für
ihren Kanzler Graf Kaunitz, sowie zwei Gemälde für Fürst
Joseph Wenzel von Liechtenstein mit der Garten- und Seitenan-
sicht (siehe Kat. Nr. 45) des Roßau-Palastes. Von der Terrasse
des Belvedere, das die Gartenanlage rückseitig abschließt und
1689 von Johann Bernhard Fischer von Erlach errichtet wurde.
schaut man über den Garten auf die Rückseite des Palastes, des-
sen rechter Risalit einen starken Schatten auf die mit einer
kolossalen Pilasterordnung gegliederte Fassade wirft, welche
starke Anlehnungen an Berninis Palazzo Chigi-Odescalchi und
den Palazzo Barberini in Rom aufweist. Links des Palastes fällt
der Blick auf Wien mit der Servitenkirche, dem Turm von Sankt
Maria am Gestade, dem Turm des Stephansdomes und der Kup-
pel der Peterskirche. Auf der rechten Seite des Palastes sind die
Schwarzspanierkirche und der Strudelhof erkennbar.
Wie Keith Christiansen beobachtet, zeichnen sich Bellottos
Wiener Veduten, etwa im Unterschied zu den in Dresden gemal-
;en, durch einen vertraulicheren, das heißt weniger auf reprä-
sentative Strenge bedachten Blickwinkel aus. Bewußt hat der
Maler den Palast in den Bildmittelgrund und zugleich aus der
Symmetrieachse gerückt, wodurch Stadt und Garten weiträumig
sichtbar werden. Fast in seiner ganzen Größe ist der beidseitig
von dichten Baumreihen begrenzte, Ruhe und Erholung spen-
dende Garten überschaubar, in dem es sich gut spazieren gehen
1äßt. Auch Fürst Joseph Wenzel sucht hier Entspannung. Auf der
Terrasse des Belvedere stehend, nimmt er Gebäck vom Tablett
eines Dieners in weißem Turban entgegen, das er sogleich an
zwei kleine und artig bettelnde Hunde verfüttert. Friedvolle
Beschaulichkeit bestimmt die Szene, die von einer sommerlich
warmen Spätnachmittagssonne beschienen wird. Der Fürst und
das Haus Liechtenstein präsentieren sich von der intimeren, der
privaten Seite ihres Lebens, und der Betrachter, gleichsam selbst
auf der Terrasse stehend, ist zur diskreten Teilnahme eingeladen.
Im Warschauer Nationalmuseum befinden sich Federzeichnun
gen in brauner Tinte, die detaillierte Studien zu den Vorder-
grundspersonen darstellen, Sie zeigen das die Treppe zum Bel-
vedere heraufkommende Paar, sowie den nur von der Rückseite
sichtbaren Herren rechts neben ihnen, der sich zum Garten hin-
wendet. Auch die am linken Bildrand, in der Literatur als Lakai
identifizierte Person ist zeichnerisch vorformuliert. Mit beson-
derer Sorgfalt aber hat Bellotto die Person des Fürsten und sei-
nes Dieners ausgeführt. Ihre Gesichtszüge sind individuell
erfaßt, wenngleich das Gemälde dem tatsächlichen Aussehen
Joseph Wenzels näher zu kommen scheint. Selbst die Hunde
sind in ihren Posen vorgezeichnet und nicht nur zufällige Attri-
bute eines eher beiläufigen und vergnüglichen Zeitvertreibs.
Auf Veranlassung Fürst Johannes I. beherbergte das Garten-
palais ab 1807 die liechtensteinische Skulpturen- und Gemälde-
galerie, die erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nach
Vaduz geführt wurde. U.W
Den eigentlichen Residenzpalast ließ Fürst Johann Adam in der Innenstadt
Wiens auf einem 1694 in der Schenkenstraße (heute Bankgasse) erworbenen
Grundstück errichten. Die Pläne des schon unter Dominik Andreas Graf
Kaunitz begonnenen Bauwerkes gehen auf Enrico Zuccalli zurück und wurden
von Domenico Martinelli verändert. Fürst Johann Adam unterbrach für
die Fertigstellung der Residenz (bis ca. 1700) die Bauarbeiten am Gartenpalais
in der Roßau.
Siehe S. Kozakiewicz, Bd. II, S. 212, Nr. 273; S. 219, Nr. 274, 275, 276
Ausstellungen und Literatur: Seite 156