Volltext: Kleinstaat

Systemtheoretische Perspektiven Drittens zeigen Kleinstaaten häufig die Tendenz, sich in wesentlichen Belangen nicht so sehr auf aktuelle Produktionen abzustützen, sondern auf die 
Ergebhisse vergangener Produktionsprozesse, die als "Bestände" in die Gegenwart hineinragen. Beispielsweise können sie ihr internationales Renommee, nicht gut aus regelmässigen Leistungen in Kunst und Literatur, im Sport oder in der Wis­ senschaft beziehen, weil Produktionen dieser Art allzu sehr von zufälligen personellen Gegebenheiten abhängen und sich nicht zu einer institutionali­ sierten "nationalen Kultur" mit klar identifizierbaren Stilmerkmalen ver­ dichten. Eberiso fehlt ihnen die Möglichkeit, ihre kulturelle Identität im pulsierenden Leben einer Weltstadt zum Ausdruck zu bringen und in Radio, Presse und Fernsehen eine kontinuierliche und von der Gesamtbe­ völkerung aufmerksam verfolgte öffentliche Selbstthematisierung zu betrei­ ben, die laufend den je aktuellen Ereignissen und Entwicklungen Rechnung trägt. Wenn sie nach gesicherten Grundlagen ihrer nationalen Eigenart und internationaler Anerkennung Ausschau halten, finden sie diese meist nur in dem kulturellen Erbe ihrer eigenen Vergangenheit: etwa in den akkumulier­ ten Beständen ihrer Kunstmuseen, in den autochthonen Sprachdialekten und folkloristischen Traditionen ihrer Bevölkerung oder in partikulären Eigenarten ihrer politisch-rechtlichen Institutionen. Generell gilt, dass Kleinstaaten (wie auch kleine Sozialsysteme anderer Art) zur Bildung von'Binnenstrukturen grössere Zeiträume in Anspruch nehmen müssen, weil sie pro Zeiteinheit nur eine geringe Anzahl struktur­ bildender Ereignisse produzieren. Wenn das oberste Gericht des Landes beispielsweise sehr viel Wert auf eigene nationale Rechtstraditionen legt, wird es in vielen Fällen höchstens in ferner Vergangenheit einen ähnlich gelagerten "Präzedenzfall" finden, und der Herausgeber-einer "Anthologie Liechtensteinischer Liebeslyrik" müss- te wohl bis weit ins Mittelalter zurückreichende Schöpfungen einbeziehen, um ein bescheidenes Büchlein zu füllen. Je grösser ein Staat, desto leichter kann er sich ohne schwerwiegende Verluste an nationaler Identität von seinen ferneren Vergangenheiten abkoppeln, weil es ihm innert kürzester Frist gelingt, neue Traditionen mit spezifisch-nationalem Gepräge zu sedimentieren. Kleine Staaten stehen deshalb häufiger als grosse vor dem Dilemma, dass sie aus Gründen ihrer Identitätsbewahrung sehr altertümliche Institutionen, Gebräuche, Normen und Verhaltensweisen aufrechterhalten müssen (bzw. 59
	        

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