Volltext: Kleinstaat

Systemtheoretische Perspektiven Bei unbefriedeter Umwelt hingegen hängt das Überleben kleiner Staaten stark davon ab, dass sie über einen geographischen Standort mit einem geringen Anteil an penetrierbaren Aussengrenzen verfügen (z. B: Lage am Meer, auf Lagunen, auf Inseln oder im Gebirge) oder dass es ihnen durch Erhöhung ihrer Bevölkerungsdichte und/oder durch Annäherung an die Form eines Kreises (der von allen geometrischen Figuren gleicher Fläche den kleinsten Umfang hat) gelingt, ihr Handikap der Exponiertheit zu reduzieren. Die relativ umfangreiche Kontaktfläche zwischen System und Umwelt führt ausserdem dazu, dass im Kleinstaat - bei gleicher Dichte und Vertei­ lung der Bevölkerung - ein grösserer Prozentanteil aller Einwohner nahe der Landesgrenzen wohnt und dadurch vielfältigen ausländischen Einflüs- ; sen ausgesetzt ist, die sich in Grossstaaten auf winzige Bruchteile der Popu­ lation beschränken. In Mikrostaaten wie dem Fürstentum Liechtenstein gibt es überhaupt nur Grenzbewohner, und praktisch alle Bürger erfahren in ihrem Alltag jene charakteristischen Probleme der "Grenzrolle", wie sie vor allem in der Organisationssoziologie (vgl. z.B. Luhmann 1964:223f.) ausführlich disku­ tiert worden sind:, etwa die widersprüchliche Forderung, einerseits ihre Eigenidentität zu wahren und als Repräsentanten ihres Landes zu agieren, und auf der andern Seite den davon abweichenden Normen und Erwartun­ gen ihrer ausländischen Interaktionspartner Rechnung zu tragen. Kleinstaaten leben permanent in einem Zustand "natürlicher Zentrifuga- lität", weil ihre Bewohner im Rahmen ihrer alltäglichen Lebensführung ständig genötigt. sind, ihre Aufmerksamkeit systemexternen Personen, Ereignissen oder Kommunikationen zuzuwenden und sich an exogen kon­ stituierte Situationsbedingungen zu adaptieren (vgl. z.B. Deutsch 1960). Deshalb besteht ihr wichtigstes Bestandesproblem darin, 
dieser Zentrifuga- lität eine ständige Anstrengung zur Integration und Identitätsbewahrung entgegenzusetzen. Der heimatlich gesinnte Liechtensteiner zum Beispiel rafft sich dazu auf, die nicht besonders attraktiv gestalteten einheimischen Zeitungen zu lesen, anstatt sich viel müheloser von ausländischen Fernsehprogrammen berie­ seln zu lassen. Und das liechtensteinische Volk insgesamt würde für seine nationale Identität keinen Verankerungspunkt mehr finden, wenn nicht eine gegenüber dem gesamten europäischen Ausland scharf profilierende politische Institution (das Fürstentum) als Fokalzentrum binnennationaler Orientierung wirksam wäre. 49
	        

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