Historische Aspekte Von einem Historiker wird mit Recht erwartet, dass er vor allem die histori sche Dimension analysiert, dass er zu erfahren sucht, wie die gegenwartsbe zogenen Verhaltensweisen in der Vergangenheit verwurzelt sind. Die histo rischen Erkenntnisse brauchen nicht unbedingt als aktuelle historische Erfahrungen oder sogar als Quellen der Tradition verstanden zu werden. Die Geschichte der internationalen Beziehungen, vor allem ihre gegen wärtige, politologisch geprägte Variante, kennt den Kleinstaat als Subjekt der Geschichte überhaupt nicht. Nur die Grossmächte sind interessant, denn nur sie machten Geschichte. Da die Kleinstaaten schon per definitip- nem keine Macht ausstrahlen, hatten sie tatsächlich mit dem Gang der gros sen Geschichte kaum etwas zu tun. Trotzdem existierten und agierten sie im konkreten Kontext der internationalen Beziehungen. Deshalb finde, ich es zweckmässig, meinen Beitrag auf zwei Fragen zu konzentrieren: 1. Wie versuchten die Kleinstaaten während der Jahrhunderte sich der grossen Geschichte anzupassen bzw. in ihr einen für sie optimalen Platz zu finden? 2. Welche Rolle konnten die Kleinstaaten in der internationalen Politik spielen? Bevor ich zu diesen Fragen komme, muss ich eine Bemerkung zur Defini tion machen. Es gibt keine absoluten, quantifizierbaren Kriterien,' nach denen wir die Grenze zwischen Klein-, Mittel- und Grossstaat messen könnten. Man kann also die Definition des Kleinstaates nicht auf die Bevöl kerungszahlen reduzieren. Es besteht die Möglichkeit, "idealtypisch" vor zugehen, und den Kleinstaat im Gegensatz zur Grossmacht durch fehlende Macht zu definieren. Dies hiesse also - im Widerspruch zu den bekannten Tatsachen - auch eine totale Absenz in der Geschichte der internationalen Beziehungen. Es ist wohl produktiver, von der Relativität des Begriffs aus zugehen. Bei diachronischer Betrachtung hat diese Relativität zwei Aspekte: 235