Volltext: Kleinstaat

Österreich anzutreffen. Manche Einrichtungen der monarchischen Verfassung sind - bedingt durch den Zeitdruck und den Mangel eines politischen Konsenses für neue Lösungen - als Provisorien übernommen worden. Ein Teil davon hat eine lange Lebensdauer gehabt; einige von ihnen sind bis heute in Gel­ tung.6 " :' • Der Wechsel vom grossflächigen Nationalitätenstaat zum kleinen Natio­ nalstaat mit mehreren ethnischen Minderheiten ist unter weitgehender Bewahrung des verfassungsrechtlichen Erbgutes der Monarchie vor sich gegangen. Zu den echten verfassungsrechtlichen Neuerungen des System­ wechsels gehört die Einführung einer 
gerichtsförmlichen Gesetzeskontrolle durch den Verfassungsgerichtshof. Dieses Gericht hatte zwar im Reichsge­ richt der Monarchie einen institutionellen Vorläufer.7 Dem Reichsgericht kam aber keine Kompetenz zur Gesetzesprüfung zu. Eine solche Befugnis hätte sich mit der Stellung des Monarchen, der trotz parlamentarischer Mit­ wirkung immer noch der "von Gottes Gnaden" bestellte Träger der Gesetzgebung war, nicht vertragen. Auch in der parlamentarischen Demokratie war die Einrichtung einer gerichtlichen Gesetzesprüfung, politisch und staatsrechtstheoretisch umstritten.8 In Osterreich ist sie unter dem Einfluss der "Wiener Schule des Rechtspositivismus" sehr früh verwirklicht worden.9 Die Idee der gerichtli­ chen Normenkontrolle hat sich inzwischen durchgesetzt und in vielen Ver­ fassungen etabliert. Heute ist uns die Vorstellung, dass Entscheidungen der Gesetzgebung durch ein Gericht auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüft werden können, durchaus geläufig. Das Spannungsverhältnis von Legisla­ 6 Das gilt vor allem für Teile der Grundrechtsordnung, für die das StGG von 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger nach wie vor massgebend ist. 7 StGG von 1867 über das Reichsgericht (siehe FN 2). 8 Literaturhinweise zur älteren Diskussion über die richterliche Prüfung von Gesetzen bei Adamovich, Grundriss (des österreichischen Staatsrechtes (1927) 318. Siehe auch die Kon­ troverse über die Verfassungsgerichtsbarkeit im allgemeinen bei der Jahrestagung der Deut­ schen Staatsrechtslehrer 1929 (Thema "Wesen una Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit"; Referenten: Kelsen und Triepel). 9 Im Jänner 1919 wurde durch ein Gesetz der Provisorischen Nationalversammlung der (deutschösterreichische) Verfassungsgerichtshof als Nachfolger des ehemaligen Reichsge­ richts geschaffen (StGBl 1919/48). Er hatte zunächst - wie das Reichsgericht - keine Kom­ petenz zur Prüfung von Gesetzen. Diese Zuständigkeit wurde durch ein Gesetz vom März 1919 über die Volksvertretung (StGBl 179) eingeführt, sie war allerdings auf die Anfech­ tung von Gesetzesbeschlüssen der Landesparlamente durch die Staatsregierung beschränkt. Erst das B-VG von 1920 hat dem VfGH eine allgemeine Kompetenz zur Gesetzesprüfung zugewiesen; zur Entwicklungsgeschichte der Normenkontrolle siehe Kelsen, Österreichi­ sches Staatsrecht (1923) 107, 214. 181
	        

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