x Verfassungsstaat wird immer weniger per
se wichtig als vielmehr in seiner Verknüpfung mit menschlichem sozialem Geschehen (Idee der "Mehrdimensionalität" des Raumbegriffs).89 Als Reaktion auf ein Ubermass an gesellschaftlicher Komplexität, auf die Grösse der organisatorischen Einheiten, auf die Lange der Handlungszu sammenhänge und Faktoren, von denen der Mensch abhängig ist, auf die Abstraktheit der Beziehungen, die ihn betreffen, kurz: Die Unübersicht lichkeit der Verhältnisse entwickelt sich heute in eine
neue Hinwendung zu konkreten räumlichen Einheiten. Dieser neue Raumbezug entsteht aus einem Bedarf nach personaler Sicherheit und Orientierung, nach Vertraut heit und Schutz. Der Mensch möchte "zu Hause sein", "wissen, wo die Dinge sind, die einem wichtig sind". Solche
anthropologischen Bedürfnisse scheinen nicht ohne den Bezug zu einer konkreten räumlichen Einheit erfüllbar zu sein. "Zu Hause" fühlt man sich nur in bezug auf eine
räumli che Grösse.90 Selbstfindung geschieht offenbar im und am Raum, und zwar in und an "nahen", sinnlich erfahrbaren (sie) Räumen. Die Entwicklung eines Identitätsgefühls setzt voraus, dass ein "hier und wir" unterschieden werden kann von einem "dort und die". All dies ist eine Chance für den Kleinstaat. Die relative Bedeutungsminderung des Raumes in der "grossen Politik", sprich: als Grundlage staatlicher Organisation, schlagwortartig gekenn zeichnet durch die Tendenz zum "kooperativen Verfassungsstaat,91 wird begleitet von einer neuen Betonung der Räumlichkeit
im Kleinen: Plätze (schliesslich der Ursprungsort der Öffentlichkeit!), Fussgängerzonen,92 "Kommunikationsbereiche", Stadtteilfeste, eine Neubelebung des kommu nalen Zugehörigkeitsgefühls:93 Zeichen einer neuen Zuwendung zum Raum, jetzt ganz deutlich als erlebtem Raum, als sozial "besetztem" Raum. 89 Die verminderte Bedeutung der territorialen Grundlage des modernen Verfassungsstaates kann durch das bekannte Zitat des US-Supreme-Court illustriert werden: "Representatives represent peoples, not trees or acres". 90 Vgl. zum räumlichen Ausdruck dieser Schutz /Geborgenheits/Vertrautheitsgefühle: G. Bachelard, La poetique de l'espace, 1974. 91 Dazu mein gleichnamiger Beitrag in: FS Schelsky, 1978, S. 141 ff. 92 Zu Aufgabe und Bedeutung von Fussgängerzonen: H. Röhn, in: Glaser (Hrsg.), Urbani stik, 1974, S. 163 ff. 93 Wie sie etwa in der neuen Mode erscheint, Aufkleber mit einem Hinweis auf die eigene Stadt aufs Auto zu kleben. 171