Volltext: Kleinstaat

Peter Häberle Die Bedeutung des Raumes als 
Grundlage politischer Organisation ist weder voraussetzungslos noch historisch beständig. Die "Drei-Elementen- Lehre", die im Territorium ein Wesenselement des Staates sieht, greift zu kurz.86 Erst seit dem 15. Jahrhundert ist der 
Territorialstaat als vollste Ausprä­ gung politischer Organisation auf räumlicher Grundlage deutlich ent­ wickelt. Ihn hat die "Drei-Elementen-Lehre" im Blick! Der Zentralbegriff dieser modernen Staatlichkeit ist die Souveränität, die immer mit einem räumlichen Bezug formuliert wird. Plastisch zum Ausdruck kommt diese territorial verortete (!) Souveränität z. B. in der "cuius-regio-Formel."87 Das Aufkommen effektiver Transportmittel und neuerdings leistungs­ fähiger Medien zur Informationsübertragung relativiert die Bedeutung des rein geographischen Raumes und die territoriale Abgrenzung der Staaten. Die Erschliessung der dritten Dimension zeigt sich juristisch an der Ent­ wicklung der neuen Gebiete Luftfahrt-, Weltraum- und Meeresbodenrecht. Die Souveränität88 
im herkömmlichen Sinne ist damit von oben her faktisch und rechtlich begrenzt worden. Die zunehmende Verflechtung und das Entstehen von zwischen- und überstaatlichen Einrichtungen hat das völ­ kerrechtliche Interesse zwar auch auf andere Fragen als die Abgrenzung ter­ ritorialer Einheiten gelenkt. Es kommt zu offenen Räumen. Ein räumliches Substrat allen sozialen Geschehens bleibt aber unverzichtbar. Der Raum 86 Kritik schon bei R. Smend, a.a.O., S. 167 ff., 170,197,217. - Es gab politische Organisatio­ nen, wenn auch auf relativ unentwickeltem Niveau, deren Iaentitätsprinzip nicht das Bewohnen eines bestimmten Gebietes bildete, sondern die Zugehörigkeit zu einer Ver­ wandtschaftsgruppe. Noch in der Neuzeit haben wir mit den USA das Exempel eines Staa­ tes ohne feste Grenzen! Erinnert sei an die Bedeutung der Westwärtsbewegung und der "new Frontiers" (auch im übertragenen Sinne). Historisch betrachtet setzte sich die Bedeu­ tung der räumlichen Orientierung der politischen Organisation mit der Einführung von Ackerbau, Viehzucht und der Sesshaftwerdung durch. Ein bestimmter Raum wurde zur Existenzgrundlage. Die Entwicklung von Befestigungsanlagen und Städten war die Folge. Auf die Bedeutung von Städten und Mauern sei nur pauschal verwiesen. Genannt sei fol­ gendes Zitat von Heraklit: Über die Natur, 44: "Kämpfen soll ein Volk für seine Verfassung wie für seine Mauern" (nach der Ausgabe von Hermann Diels, Die Fragmente der Vorso- kratiker, 1957). Auch rechtsgeschichtlich ist die Entwicklung von einem personalen zu einem territorialen Recht nachzuzeichnen (vgl. S. L Gutermann, From Personal toTerrito- rial Law, 1978). 87 Aussenpolitisch entsprachen dieser Betonung des Territoriums die "Geopolitik" (dazu E. Könau, a.a.O., S. 83 ff.), Imperialismus und Kolonialismus, schliesslich das Denken in "Lebensräumen" (und die "Blut- und Boden"-Ideologie). Einen wesentlichen Inhalt der Politik dieser Phase fasst J. G. Herders Formel von der Geschichte als in Bewegung gesetz­ ter Geographie. Eine "Geschichte des Raumes" erweist sich als sinnvoll und notwendig! 88 Zur Souveränitätsproblematik: P. Häberle, AöR 92 (1967), S. 259 ff., jetzt in: ders., Verfas­ sung als öffentlicher Prozess, 1978, S. 364 ff.; H. Quaritsch, Staat und Souveränität I, 1970. Zum Meeresbodenrecht: W. Graf Vitzthum, Recht unter See, FS für R. Stödter, 1979, S. 355 ff. und weitere Beiträge in diesem Band. Zum Luftraum und Weltraum: M. Dauses, Die Grenze des Staatsgebietes im Raum, 1972. 170
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.