Volltext: Kleinstaat

Peter Häberle Lassen wir 
"Gegenklassiker" zu Wort kommen, etwa einen 
Freiherrn vom Stein, der ganz im Bann der deutschen "Kleinstaaterei" des 19. Jahr­ hunderts sagte: "die Verengung des Blicks, die Lähmung des Charakters, das Kleinliche und Spiessbürgerliche in ihnen, das Fehlen grosser allgemei­ ner Interessen und als Folge davon das Mangeln des Gemeingeistes, der gründlichen politischen Bildung, der grossen öffentlichen Meinung, des umfassenden praktischen Verstandes."51 - 
A. Waschkuhn hat mit Recht an diesen Text erinnert, und wir fügen das von ihm ebenfalls zitierte Wort eines englischen Titels (1984/85) "Small is beautiful but vulnerable" bzw. "dangerous" hinzu. 
A. Waschkuhn spricht anschaulich von einem "Abhän­ gigkeitsdilemma" des Keinstaates.52 So müssen auch Gefahren bedacht sein. Beispielsweise wurde von der Schweiz aus im Blick auf die Schweiz gesagt, die europäische Perspektive sei für den freiheitlichen Kleinstaat eine "schwerwiegende Herausforderung".53 All diese Aussagen bilden ein Ensemble von Klassikern und Gegenklas­ sikern, von i. S. 
Poppers vorläufigen wissenschaftlichen (Hypo-) Thesen und Gegenthesen, die in jeder Verfassungstheorie des Kleinstaates als kultureller Kontext mitbedacht sein müssen. Daran wird hier aus methodologischen Gründen erinnert. Denn all diese Vorverständnisse und Vor-Urteile steuern ja unsere juristischen Wertungen und Interpretationen mit. Eine Auseinan­ dersetzung mit den sich wandelnden Theorien ist hier freilich weder mög­ lich noch angesichts der anderen Referate erforderlich. Vielleicht sei aber angemerkt, dass sich der Wertungsrahmen, das Pro und Contra in Sachen Kleinstaat seinerseits wandelt: Wurde im 19. Jahrhundert vor allem auf der Folie des (grossen) Nationalstaates geurteilt, so scheint heute die "Weltge­ sellschaft", die "Makroweit" und die regionale Vergemeinschaftung der Staatenwelt, z. B. in Europa, ihre Zwänge und Entwicklungen zum geän­ derten Bezugspunkt zu werden. Es dürfte nicht nur eine Werbung in eige­ ner Sache sein, wenn der Monarch 
Hans Adam II. von und zu Liechten­ stein in der deutschen "Zeit" äussert: "Staatengrössen sind Modeerschei­ nungen wie die langen oder kurzen Röcke der Damen. Wir werden bald 51 Zit. nach A. Waschkuhn, Strukturbedingungen des Kleinstaates und ihre Auswirkungen auf den politischen Entscheidungsprozess, in: Arno Waschkuhn, Peter Geiger (Hrsg.), Liechtenstein: Kleinheit und Interüependenz (LPS 14), Vaduz 1990, S. 20. 52 A. Waschkuhn, a.a.O., S. 15. 53 So T. Pfisterer, Von der Freiheit - nach der Revolution in Osteuropa, ZSR 1 131 (1990), S. 339 (359 f.). 156
	        

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